TEIL 1
WER ETWAS ZU SAGEN HAT, SOLLTE REDEN KÖNNEN
KAPITEL 1
Rhetorik. Die Kunst der guten Rede
Timmendorfer Strand, 2001
Nervös stand ich mit meiner Frau (wir waren frisch verheiratet) im Fahrstuhl des Maritim Hotels. Plötzlich betrat er den Fahrstuhl: mein Rhetoriktrainer. Mein Herz schlug sofort bis zum Hals. Aber ich merkte sofort, dass mein Trainer für die nächsten drei Tage nicht nur einer der besten Startrainer seiner Zeit, sondern auch ein großartiger Gastgeber war. Er begrüßte uns beide auf herzlichste Art und vermittelte dabei ein besonderes Willkommensgefühl. In diesem Moment bekam ich eine erste Vorstellung davon, dass Rhetorik vermutlich mehr ist als Fragetechniken, Redestruktur und Einwandbehandlung …
Schleswig-Holstein, Kreis Plön, 1987 und Folgende …
Ich komme aus einem politischen Haushalt und habe bereits mit 15 Jahren begonnen, mich politisch zu engagieren. Mein Vater und meine Mutter haben sich von Anfang an auch vor uns drei Kindern – von denen ich das jüngste bin – viel über Politik unterhalten. Meine Neugier war schnell geweckt. Und so war es auch klar, dass ich eher früher als später der Jugendorganisation der von mir und meinen Eltern favorisierten Partei beitreten würde.
Ich war schon immer jemand, der sich mit Worten durchsetzen musste. Mein Vater arbeitete als ehemaliger Bauer nach der Pleite des eigenen Hofes im öffentlichen Dienst. Meine Schulkameraden waren oft noch in der elterlichen Landwirtschaft aktiv, was bei ihnen in einer entsprechenden körperlichen Stärke resultierte. Ich dagegen war – wer mich heute kennt, braucht jetzt Phantasie – eher drahtig und schmächtig. Was mir an Muskelmasse fehlte, musste ich mit großer Klappe und Humor wettmachen, was so weit gut funktionierte. Ich war nahezu jedes Jahr Klassensprecher und im letzten Jahr sogar Schulsprecher. In dieser Funktion durfte ich am Ende der Schulzeit meine erste Rede halten. Vorher stand allerdings noch der obligatorische Schulstreich auf dem Programm. Der fiel entsprechend unserer ländlichen Prägung etwas derber aus. Tatsächlich ließen wir es wirklich krachen. Um vier Uhr morgens trafen wir uns an der Schule. Gleich vier Traktoren standen auf dem Schulhof. Drei davon luden ganze Hänger voller Mist vor dem Haupteingang der Schule in Schönberg/Holstein ab. Auf dem Gipfel des ansehnlichen Misthaufens befestigten wir ein Schild: „Das habt ihr uns in all den Jahren beigebracht!“ Der vierte Traktor platzierte mithilfe eines mächtigen Frontladers ein paar ebenso mächtige Findlinge in der Einfahrt des Lehrerparkplatzes. Vielleicht können Sie sich vorstellen, was los ist, wenn man deutsche Schulmeister dazu zwingt, ihre Morgenroutine zu ändern, und sie dazu noch mit einem Berg stinkenden Kuhmists begrüßt.
Wir waren recht stolz auf uns und begossen den Erfolg mit einigen Frühstücksbieren. Selbst in diesem Zustand fiel uns allerdings auf, dass nicht alle Lehrer gleich auf die Provokation reagierten. Die eine Hälfte der Lehrkräfte nahm unseren Streich ziemlich gelassen. Die andere Hälfte reagierte deutlich emotionaler. Meine Deutschlehrerin brach sogar in Tränen aus. Sie war erschüttert ob der Frechheit der jungen Leute. Unser Hausmeister, der den ganzen Tag damit beschäftigt war, den Mist aus den Fluren zu wischen, erst recht. An die Konsequenzen unseres Streichs für den armen Mann hatten wir natürlich nicht gedacht. An dieser Stelle also eine späte, aber ehrlich gemeinte Entschuldigung.
Wir fanden uns am nächsten Morgen mit unserer Heldentat in der örtlichen Zeitung auf der Titelseite wieder. Dann kam die Abschlussveranstaltung und meine Aufgabe als Schulsprecher war es, die Abschlussrede zu halten. Es war ein Horrorszenario für mich. Jetzt musste ich vor die gesamte Lehrerschaft und die Schulfreunde treten. Einige Lehrer und besonders meine Deutschlehrerin Frau Cordt zeigten mir überdeutlich ihre Abneigung. Der Misthaufen war gar nicht gut angekommen. Ich legte mit meiner Rede nach: „Sie haben alle studiert und leider wenig Einblicke in das wahre Leben Ihrer Schüler. Denn wenn Sie sich mit unserem Alltag beschäftigen würden, dann hätten Sie auch unseren Schulstreich richtig verstanden. Ein größeres Dankeschön können Ihnen die drei Klassen mit den vielen Bauernkindern gar nicht machen. Jeder Landwirt weiß, dass es den Mist als Dünger braucht, damit es anschließend eine ordentliche Ernte gibt. Wenn Sie sich über den Gestank aufregen, vergessen Sie nicht, dass der gute Dünger dabei hilft, dass Sie für Ihr leckeres Frühstücksbrötchen nur wenige Pfennige zahlen müssen. Wir wollten mit dem Schulstreich einfach zeigen, dass wir dankbar sind. Dankbar dafür, hier an dieser Schule die Düngemittel für unsere berufliche Zukunft von Ihnen erhalten zu haben. Wir waren nicht immer die leichtesten Schülerinnen und Schüler. Sie waren nicht immer die leichtesten Lehrkräfte. Aber heute stehen wir hier. Wir mit unseren Abschlüssen und Sie mit der Genugtuung, wieder ein paar junge Menschen auf das Leben da draußen vorbereitet zu haben.“ Meine Deutschlehrerin weinte wieder. Diesmal vor Rührung. Anschließend drückte sie mich etwas zu lange und etwas zu herzlich.
Auch wenn der Text, den ich mithilfe meines schlauen Vaters in weiser Voraussicht auf die Folgen unseres Streichs geschrieben und dann abgelesen habe, sicher gut war, konnte ich keine Sekunde am Rednerpult genießen. Noch schlimmer wurde es später in meiner politischen Jugendorganisation. Inzwischen im Beruf angekommen, hatte ich viel Freude daran, mit meinen Genossen ordentlich Rambazamba zu machen. Wir veranstalteten zahlreiche Partys und mieteten zu Silvester sogar ein ganzes Schloss, um mit zwei Livebands der Landbevölkerung in Abendkleid und Smoking ein gutes Fest zu liefern. Der Erfolg blieb nicht aus: Partys & Politics hat funktioniert und wir gewannen enorm viele neue Mitglieder. Unser Ortsverband wurde der größte im Landkreis und wir gründeten weitere. Daraus wuchsen auch Ambitionen, für den Kreisvorstand zu kandidieren. Raten Sie mal, wem diese Idee so gar nicht gefiel? Richtig – den damaligen Amtsinhabern. Es kam zum Showdown. In der Kreisversammlung wurden alle Karteileichen ausgegraben, die irgendwie noch stimmberechtigt waren. Mein Kumpel Stefan und ich waren dagegen strategisch ziemlich unbewaffnet. Alle sprachen in den Bewerbungsreden mehr oder weniger frei. Selbstbewusst notierte ich mir also ein paar Stichworte und dachte: „Das mache ich schon.“ Weit gefehlt. Die über 100 Zuschauer, Kameras und besonders die Scheinwerfer holten mich komplett aus meiner Mitte. Ich stammelte irgendetwas Sinnbefreites vor mich hin und wir verloren die Abstimmung trotz der guten Arbeit, die wir geleistet hatten. Das sollte uns eine Lehre gewesen sein. Zwei Jahre später waren wir sowohl rhetorisch als auch strategisch bereits so hochgerüstet wie die UdSSR im Kalten Krieg und wir nahmen den Kreisvorstand im Handstreich. In der Zwischenzeit hatte ich mein erstes Rhetorikseminar an der Hermann-Ehlers-Akademie in Kiel besucht. Ein junger Student zeigte uns dort, wie man eine freie Rede hält. „SO EINFACH IST DAS ZU ERLERNEN?“, war meine Erkenntnis am Ende des Trainings. Ich bin mir sicher, hier wurde der Samen für meine spätere Zukunft als professioneller Redner und Rhetoriktrainer gesät.
Während meiner vierjährigen Bundeswehrzeit absolvierte ich zudem eine neunmonatige Ausbildung in Methodik und Didaktik. Die Ausbildung zum Ausbilder bei der Bundeswehr war großartig. Ich hatte viele Vorbilder, die sich Mühe gaben, den Unterricht und die praktischen Unterweisungen für die Soldaten spannend zu gestalten. Unterhaltsam. Das war meine Welt. Vor allem die Ausbildung zur Führungskraft, die ich in Münster und am Starnberger See erhielt, sorgte dafür, dass mich das Thema Rhetorik in seinen Bann zog. Als ich nebenberuflich in den Vertrieb einstieg, konnte ich mit diesen Fähigkeiten sofort punkten. Später in der freien Wirtschaft lernte ich sehr schnell etwas, das zu meinem Grundsatz wurde, der heute immer noch gilt: „Mache deine Mitarbeiter stark! Sie dürfen dich in jeder Hinsicht übertreffen. Arbeite mit klugen, wissbegierigen und fleißigen Menschen zusammen und lass dich selbst nur von den Besten ausbilden.“
So kam ich also schließlich 2001 zu Rolf H. Ruhleder. Er war schon damals der „Rhetorik-Papst“, hoch angesehen, der Grandseigneur der aufkeimenden Trainerszene, Dauergast in den TV-Talkshows. Er war außerdem der teuerste Trainer Deutschlands! Und jeden Betrag wert. Sein Seminar und der Trainingsansatz überzeugten mich von der ersten Sekunde an. Alles, was ich bis dahin über Methodik und Trainingsdidaktik gelernt und erlebt hatte, wurde übertroffen. Stil- und humorvoll leitete er seine Teilnehmerinnen und Teilnehmer an. Jeder bekam individuell Feedback. Für mich war klar, ich muss sofort viel Geld verdienen, denn dieser Mann sollte mich ausbilden. Bereits in der ersten Seminarpause nahm er mich zur Seite und fragte mit strengem Blick, was ich denn auf dem Seminar wolle? Meine Antwort „Rhetorik lernen“ überzeugte ihn nicht. „Weshalb sind Sie hier? Reden können Sie auf jeden Fall schon.“ Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass ich gehört hätte, dass er der Beste sei, und ich von ihm lernen möchte. Ein sanftes Lächeln glitt über sein Gesicht und er sagte einfach nur: „Gute Entscheidung. Aber passen Sie auf, dass Sie die anderen im Seminar nicht gleich in Grund und Boden reden.“ Und dann traf mich eines seiner berühmten Zitate, welche heute zwei ganze Generationen von Trainern gerne rezitieren (mich eingeschlossen): „Denken Sie immer daran: Perfektion weckt Aggression.“ Ich habe mir das und vieles Weitere in den zahlreichen Seminaren hinter die Ohren geschrieben. Rolf H. Ruhleders Buch Rhetorik & Dialektik habe ich stets in meinen Seminaren empfohlen und werde es auch weiterhin tun. Es ist inzwischen in der 17. Auflage erschienen. Da es meine Zeit als professioneller Trainer begleitete, werden Sie es als Quellenangabe häufig in diesem Buch finden. Bereits 2006 kam der Leiter eines großen Verlages auf mich zu und fragte, ob ich nicht selbst ein Buch über Rhetorik schreiben möchte. Ich lehnte ab. Ich hatte einfach keine Lust, ein Buch zu schreiben und dieselben Tipps zu geben, wie sie schon zahlreiche andere vor mir gegeben haben. „Wenn ich ein Buch über Rhetorik schreibe, dann will ich, dass es etwas wirklich Neues ist“, war lange Zeit meine Antwort.
Heute halten Sie ein solches Buch in Ihren Händen. Über Rhetorik. Von mir. Was ist passiert? Zwischen 2012 und heute habe ich vier Bücher veröffentlicht. Neben dem Gemeinschaftsprojekt SALES CODE 55 des Club 55 – European Community of Experts in Marketing & Sales, dessen Präsident ich heute sein darf, war es der Topbestseller Der Fisch stinkt vom Kopf, den ich unter meinem „Speaker-Pseudonym“ Hein Hansen geschrieben habe und den es jetzt bereits in der sechsten Auflage gibt. Ein Buch über Motivation und Führung aus der Sicht eines Fischverkäufers. Ferner mein Erstlingswerk Kommunikationsrevolution Social Media, worin ich als erfahrener Anwender einen Blick auf die digitale Revolution werfe, sowie zuletzt Herzlich willkommen im Datengefängnis. Die Tageszeitung Frankenpost betitelte mich nach einem Vortrag in einem Artikel als „Der Big-Data-Dolmetscher“. Das gefiel mir gut. Denn genau das war der Zweck dieses Buches: unser hochkomplexes Zeitalter auch denjenigen Menschen nahezubringen, die sich nicht jeden Tag mit der Thematik beschäftigen können. Als ich mit diesem Buch fertig war, saßen der Content Manager meines Unternehmens, André Held, und ich zusammen und unterhielten uns, worüber wir noch alles hätten schreiben können. Trump wieselte bereits durch die Medien und wir regten uns über die Rhetorik der Populisten in Europa auf. „Es hat sich wirklich etwas verändert in der Kommunikation, schon weil sich die Wahrnehmung der Menschen verändert.“ Mit diesem Satz war die Idee für dieses Buch in der Welt. Die logische Konsequenz aus meinem bisherigen Leben als Trainer, Berater und Autor ist, dass wir ein großes Buch schreiben und die Rhetorik ins digitale Zeitalter transportieren. An den alten Techniken hat sich wenig bis gar nichts verändert. Eines allerdings hat sich dank des „Information Overload“ ganz sicher verändert: Menschen in Führungspositionen, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und alle, die eine Botschaft transportieren wollen, müssen sich wieder mehr mit Rhetorik auseinandersetzen, um zu verstehen, wie sie unter diesen Umständen ihre Botschaften formulieren können. Um diese Zusammenhänge aufzuzeigen und erste Tipps für die Anwendung zu geben, ist dieses Buch entstanden!
Vielen lieben Dank an alle, d...