KAPITEL 1
Wie neuronale Netze arbeiten
»Lass dich von all den kleinen Dingen um dich herum inspirieren.«
Leicht fĂŒr mich â schwer fĂŒr dich
Computer sind im Grunde nichts weiter als Rechenmaschinen. Arithmetische Aufgaben können sie Ă€uĂerst schnell ausfĂŒhren.
Damit sind sie prĂ€destiniert fĂŒr Aufgaben, die vor allem mit Rechnen zu tun haben â Zahlen addieren, um den Umsatz zu ermitteln, Prozentwerte bilden, um die Umsatzsteuer zu berechnen, Diagramme vorhandener Daten zeichnen usw.
Selbst beim Ansehen von Catch-up-TV oder beim Streamen von Musik hat der Computer nicht viel mehr zu tun, als immer und immer wieder einfache arithmetische Anweisungen auszufĂŒhren. Es mag Sie ĂŒberraschen, doch auch die ĂŒber das Internet ĂŒbertragenen Videos, die aus Einsen und Nullen bestehen, werden mit arithmetischen Operationen rekonstruiert, die nicht komplexer sind als die Grundrechenarten, die wir in der Schule gelernt haben.
Zahlen wirklich schnell zu addieren â Tausende oder sogar Millionen pro Sekunde â, ist sicherlich eindrucksvoll, doch das hat nichts mit kĂŒnstlicher Intelligenz zu tun. Einem Menschen erscheint es vielleicht schwer, schnell groĂe Summen zu bilden, doch ist hierzu kaum Intelligenz erforderlich. Es genĂŒgt vollauf, die einfachsten Anweisungen zu befolgen, und genau das ist es, was die Elektronik in einem Computer realisiert.
Drehen wir nun den SpieĂ um und tauschen wir die Rolle mit dem Computer!
Sehen Sie sich die folgenden Bilder an und versuchen Sie, zu erkennen, was sie enthalten:
Abbildung 1-1: Bilderkennung â einfacher fĂŒr den Computer oder fĂŒr den Menschen?
Wir können ein Bild mit menschlichen Gesichtern, einer Katze und einem Baum sehen und erkennen. Praktisch sind wir dazu sehr schnell in der Lage und noch dazu mit einer ziemlich hohen Genauigkeit. Nur in wenigen FÀllen liegen wir falsch.
Die recht groĂen Informationsmengen, die die Bilder enthalten, können wir sehr erfolgreich verarbeiten, um den Bildinhalt zu erfassen. Derartige Aufgaben sind fĂŒr Computer nicht so einfach lösbar â es ist sogar unglaublich schwierig.
Tabelle 1-1: Wer kann was besonders gut verarbeiten?
Problem | Computer | Mensch |
Tausende groĂer Zahlen schnell multiplizieren | Leicht | Schwer |
Gesichter auf einem Foto mit einer Menschenmenge heraussuchen | Schwer | Leicht |
Wir ahnen, dass fĂŒr die Bilderkennung menschliche Intelligenz erforderlich ist â etwas, das Maschinen fehlt, egal wie komplex und leistungsfĂ€hig wir sie gebaut haben, weil es eben keine Menschen sind.
Doch es sind genau solche Probleme, die wir dem Computer ĂŒbertragen möchten â denn Computer arbeiten schnell und werden nicht mĂŒde. Um derartige Probleme geht es bei der kĂŒnstlichen Intelligenz.
Da Computer immer auf Elektronik basieren, besteht die Aufgabe der kĂŒnstlichen Intelligenz darin, neue Rezepte bzw. Algorithmen zu finden, die auf neuartige Weise versuchen, derart schwierigere Probleme zu lösen. Selbst wenn das nicht perfekt gelingt, dann immerhin noch gut genug, um einen Eindruck von einer menschenĂ€hnlichen Intelligenz in der Praxis zu geben.
Kernideen
- Manche Aufgaben sind fĂŒr herkömmliche Computer leicht, fĂŒr Menschen aber schwer, beispielsweise das Multiplizieren von Millionen Zahlenpaaren.
- Andererseits sind manche Aufgaben fĂŒr herkömmliche Computer schwer, fĂŒr Menschen jedoch leicht, beispielsweise das Erkennen von Gesichtern auf einem Foto einer Menschenmenge.
Eine einfache Vorhersagemaschine
Wir beginnen supereinfach und bauen Schritt fĂŒr Schritt darauf auf.
Stellen Sie sich eine simple Maschine vor, die eine Frage entgegennimmt, etwas »nachdenkt« und eine Antwort ausgibt. Das lĂ€uft genau wie im obigen Beispiel ab, in dem wir selbst die Eingaben ĂŒber die Augen aufnehmen, mit unserem Gehirn die Szene analysieren und daraus ableiten, was die Objekte in dieser Szene bedeuten. Abbildung 1-2 stellt dies schematisch dar.
Abbildung 1-2: Schema einer einfachen Vorhersagemaschine
Computer denken nicht wirklich, sie sind lediglich bessere Taschenrechner. Deshalb wollen wir die VorgÀnge mit treffenderen Worten beschreiben (siehe Abbildung 1-3).
Abbildung 1-3: Alternative Beschreibung der Vorhersagemaschine
Ein Computer nimmt eine Eingabe entgegen, fĂŒhrt bestimmte Berechnungen aus und liefert dann eine Ausgabe. Das folgende Beispiel soll das veranschaulichen. Es wird eine Eingabe von »3 x 4« verarbeitet. Das geschieht möglicherweise dadurch, dass die Multiplikation in einen einfacheren Satz von Additionen ĂŒberfĂŒhrt wird. Die ausgegebene Antwort lautet »12«.
Abbildung 1-4: Beispiel fĂŒr die Verarbeitung einer Multiplikation
Vielleicht denken Sie jetzt: »Was soll daran beeindruckend sein?« Das stimmt schon. Wir verwenden hier einfache und vertraute Beispiele. Damit veranschaulichen wir die Konzepte, die auf die interessanteren neuronalen Netze angewendet werden, die wir uns spÀter ansehen.
Fahren wir die KomplexitÀt jetzt eine winzige Stufe höher.
Stellen Sie sich eine Maschine vor, die Kilometer in Meilen umrechnet (siehe Abbildung 1-5).
Abbildung 1-5: Umrechnung von Kilometern in Meilen
Nun nehmen wir an, dass wir die Formel fĂŒr die Umrechnung zwischen Kilometern und Meilen nicht kennen. Wir wissen lediglich, dass die Beziehung zwischen beiden linear ist. Wenn man also die Anzahl der Meilen verdoppelt, wird die gleiche Entfernung in Kilometern ebenfalls verdoppelt. Das ist intuitiv verstĂ€ndlich. Das Universum wĂ€re ein seltsamer Ort, sollte dies nicht gelten!
Diese lineare Beziehung zwischen Kilometern und Meilen liefert uns einen Anhaltspunkt ĂŒber diese geheimnisvolle Berechnung â sie muss die Form haben: Meilen = Kilometer Ă c, wobei c eine Konstante ist. Den Wert dieser Konstanten c kennen wir aber noch nicht.
Die einzigen anderen Anhaltspunkte liefern einige Beispiele, die Kilometer und Meilen paarweise angeben. Diese sind wie Beobachtungen der Wirklichkeit, mit denen man wissenschaftliche Theorien ĂŒberprĂŒft â sie sind Beispiele fĂŒr die Wahrheit der echten Welt.
Tabelle 1-2: Wertepaare fĂŒr die Umrechnung zwischen Kilometern und Meilen
Wahrheitsbeispiel | Kilometer | Meilen |
1 | 0 | 0 |
2 | 100 | 62,137 |
Was sollten wir tun, um die fehlende Konstante c zu ermitteln? Setzen wir einfach einmal einen zufÀlligen Wert ein und probieren wir es aus! Versuchen wir es mit c = 0,5 und schauen wir, was passiert.
Abbildung 1-6: ZufÀllig gewÀhlte Konstante c
Hier haben wir Meilen = Kilometer à c, wobei Kilometer gleich 100 und c unsere derzeitige SchÀtzung 0,5 sind. Damit erhalten wir 50 Meilen.
Nun gut. Das ist gar nicht mal so schlecht unter dem Aspekt, dass wir c = 0,5...