Wer gewinnt, wer verliert? (Leseprobe)
Auszug aus:
Ulrich van Suntum, Sebastian Grundel, Maren Lurweg, Jens Oelgemöller
Wer gewinnt, wer verliert?
Globalisierung und BeschÀftigungsentwicklung in den Wirtschaftsbranchen
GĂŒtersloh 2010
ISBN 978-3-86793-075-8 (Print)
ISBN 978-3-86793-121-2 (PDF)
ISBN 978-3-86793-151-9 (EPUB)
© Verlag Bertelsmann Stiftung, GĂŒtersloh
Vorwort
Mit dem Eintreten der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise zur Mitte des Jahres 2008 hat die Weltwirtschaft buchstĂ€blich den Atem angehalten. Die wirtschaftliche AktivitĂ€t ist weltweit eingebrochen und nur wenige LĂ€nder konnten weiterhin positive, wenn auch deutlich geringere Wachstumsraten verzeichnen. Das Bruttosozialprodukt der Welt ist um 1,3 Prozent gesunken, nach dem Zweiten Weltkrieg ein einmaliges Ereignis. Der Welthandel ging gar um zwölf Prozent zurĂŒck.
Bereits Mitte 2010 hat es den Anschein, als sei die tiefe Weltrezession doch nur eine kurze Atempause der globalen Wirtschaftsdynamik gewesen. Der Internationale WĂ€hrungsfonds geht davon aus, dass der Welthandel in diesem Jahr wieder um fast zehn Prozent zulegt und somit nahezu das Vorkrisenniveau erreicht. Das zu erwartende Wachstum der Weltwirtschaft wird mit 4,2 Prozent beziffert.
Die Weltrezession wird jedoch Spuren hinterlassen. Die sprunghaft gestiegene Verschuldung in den IndustrielĂ€ndern, die StabilitĂ€t der EuropĂ€ischen WĂ€hrungsunion oder eine globale Finanzmarktordnung werden die öffentliche Debatte noch lange dominieren. Davon unbeeindruckt entwickeln sich zwei Megatrends unaufhaltsam weiter, die von der Krise ĂŒberlagert und möglicherweise kurzzeitig ausgesetzt, aber keineswegs gestoppt wurden.
Zunehmende Globalisierung und fortschreitende Technisierung der Arbeitswelt in Verbindung mit der Anwendung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien sind wesentliche Treiber des wirtschaftlichen und auch des gesellschaftlichen Strukturwandels. SpĂ€testens seit dem Abklingen der Ălkrisen Anfang der 1980er Jahre haben sie spĂŒrbaren Einfluss auf Wirtschaft und ArbeitsmĂ€rkte ausgeĂŒbt und seit Mitte der 1990er Jahre wird in Wissenschaft und Politik immer intensiver darĂŒber diskutiert, welche Auswirkungen sie auf die Höhe und die Struktur der BeschĂ€ftigung, auf die individuellen Lohnhöhen, die Einkommensverteilung und letztlich auch auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt haben.
In der öffentlichen Debatte dominieren oft einseitige Betrachtungen. So wird die Offenheit einer Volkswirtschaft dann als positiv gewertet, wenn Exporterfolge wirtschaftlichen Wohlstand bringen, aber negativ, wenn auslĂ€ndische Wettbewerber den heimischen Unternehmen im Inland Konkurrenz machen. Darin offenbart sich merkantilistisches Denken ebenso wie im Ruf nach nationalen Champions, die geschaffen werden mĂŒssten, um dauerhaft im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Auf der anderen Seite werden Arbeitsplatzverluste beklagt, die entstehen, wenn hiesige ProduktionsstĂ€tten ins Ausland verlagert werden. Die BeschĂ€ftigungsgewinne, die an anderer Stelle durch die fortschreitende Integration in die Weltwirtschaft entstehen, werden dagegen regelmĂ€Ăig ignoriert.
Diese Art von Asymmetrien will die vorliegende Studie von mehreren Seiten aus beleuchten. Differenziert betrachtet werden hier die trendmĂ€Ăigen Auswirkungen von Globalisierung und technischem Fortschritt auf die BeschĂ€ftigungsentwicklung in einzelnen Wirtschaftszweigen und ausgewĂ€hlten Berufsfeldern.
Detaillierte Betrachtungen fĂŒhren in der Regel auch zu genauen Handlungserfordernissen und LösungsansĂ€tzen. So greift die gĂ€ngige Behauptung, eine höhere Qualifizierung der ArbeitskrĂ€fte fĂŒhre quasi automatisch zu besserem Schutz vor Arbeitsplatzverlusten und EinkommenseinbuĂen, ebenso zu kurz wie die umgekehrte These, dass gering qualifizierte Arbeit in Zukunft noch weniger Chancen habe als heute. Vielmehr zeichnet sich ab, dass unterschiedliche Arten von TĂ€tigkeiten und Berufsfeldern ĂŒber Qualifikationsgrenzen hinweg kĂŒnftig noch stĂ€rker als gegenwĂ€rtig darĂŒber entscheiden, wie groĂ die Gefahr ist, dass ArbeitsplĂ€tze ins Ausland verlagert oder durch technische Neuerungen ĂŒberflĂŒssig werden.
Wir danken den Autoren der Studie, Professor Dr. Ulrich van Suntum, Dr. Sebastian Gundel, Maren Lurweg und Jens Oelgemöller vom Centrum fĂŒr Angewandte Wirtschaftsforschung der UniversitĂ€t MĂŒnster, fĂŒr ihre fundierten Recherchen und den vorliegenden Bericht sowie die konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Unser Dank gilt ferner den Mitgliedern des wissenschaftlichen Beirates, Dr. Martin Ahbe (EU-Kommission, BrĂŒssel), Dr. Hans Barth (Prognos AG, Basel), Professor Dr. Norbert Berthold (UniversitĂ€t WĂŒrzburg), Professor Dr. Egon Görgens (UniversitĂ€t Bayreuth), Dr. Rolf Kroker (Institut der deutschen Wirtschaft, Köln) und Professor Dr. Josef Schmid (UniversitĂ€t TĂŒbingen), fĂŒr den kritischen und stets fruchtbaren Dialog.
Dr. Stefan Empter | Eric Thode |
Senior Director | Senior Expert |
Bertelsmann Stiftung | Bertelsmann Stiftung |
2 VerÀnderte Struktur der Arbeitsnachfrage
Höhere Qualifizierung schĂŒtzt âŠ
Offenheit hat keinen grundsĂ€tzlich negativen Einfluss auf die BeschĂ€ftigungssituation in den OECD-LĂ€ndern â dies wurde in Kapitel 1 gezeigt. So lag die durchschnittliche Arbeitslosenquote in allen betrachteten OECD-LĂ€ndern (auĂer Deutschland) im Jahr 2006 unter der jeweiligen durchschnittlichen Quote der Jahre 1994 bis 2004. Da in diesem Zeitraum der Offenheitsgrad der Volkswirtschaften zum Teil stark zugenommen hat (vgl. Abbildung 1), spricht dieses Ergebnis tendenziell fĂŒr die Vorteilhaftigkeit einer verstĂ€rkten Integration in die Weltwirtschaft.
⊠vor Arbeitslosigkeit
Es gilt aber auch, dass die qualifikationsspezifischen Arbeitslosenquoten sehr voneinander abweichen: Personen mit geringer Qualifikation wiesen im Jahr 2005 deutlich höhere Arbeitslosenquoten auf als solche mit mittlerer Qualifikation und diese wiederum höhere Quoten als Hochqualifizierte. Geringqualifizierte scheinen im Zuge des Globalisierungsprozesses also einem höheren Arbeitslosigkeitsrisiko zu unterliegen. Der Trend zur Höherqualifizierung ist in den hoch entwickelten Industriestaaten auch deutlich spĂŒrbar.
Technischer Fortschritt und internationale Arbeitsteilung âŠ
In der Literatur werden zwei HauptbestimmungsgrĂŒnde fĂŒr die verĂ€nderte Struktur der Arbeitsnachfrage benannt: technologischer Fortschritt und zunehmende internationale Arbeitsteilung. WĂ€hrend technologischer Fortschritt in erster Linie die Qualifikationsanforderungen in den Berufen verĂ€ndert, fĂŒhrt der Prozess der Globalisierung tendenziell zu VerĂ€nderungen der Qualifikationsanforderungen zwischen den Berufen bzw. zwischen Industriezweigen (Spitz-Oener 2006). Die Grundidee ist folgende: Computertechnologie ersetzt bestimmte TĂ€tigkeiten â solche, die sich in Regeln ausdrĂŒcken lassen und damit programmierbar sind â, jedoch nicht ganze Berufe. Technischer Fortschritt fĂŒhrte folglich dazu, dass Berufe heute weit komplexere Fertigkeiten verlangen als noch Ende der 1970er Jahre. Der Prozess der zunehmenden weltwirtschaftlichen Integration fĂŒhrt hingegen zu Verschiebungen zwischen Berufen bzw. zwischen Industriezweigen: Die Produktion derjenigen GĂŒter, bei denen die ökonomisch meist weniger entwickelten Nicht-OECD-LĂ€nder einen komparativen Vorteil haben, wird vom Inland ins Ausland verlagert.
⊠verÀndern Arbeitsnachfrage
WĂ€hrend sich dieser Prozess in den 1980er und 1990er Jahren auf das produzierende und verarbeitende Gewerbe konzentrierte, ist nun verstĂ€rkt die Dienstleistungsbranche betroffen. Waren zunĂ€chst nur die sogenannten Blue-Collar-Jobs vom Offshoring bedroht, so belegen aktuelle Zahlen den Trend zum verstĂ€rkten Offshoring von White-Collar-Jobs. Es zeigt sich die enge Verzahnung der beiden ArgumentationsstrĂ€nge: Handel und technischer Fortschritt sind zwei BestimmungsgrĂŒnde fĂŒr VerĂ€nderungen in der Struktur der Arbeitsnachfrage, die sich ergĂ€nzen â routinisierbare Jobs sind unter UmstĂ€nden erste Kandidaten fĂŒr Verlagerungen ins Ausland.
Im Folgenden werden die Auswirkungen technischen Fortschritts und zunehmender internationaler Arbeitsteilung auf die Struktur der Arbeitsnachfrage getrennt voneinander analysiert, wobei ihre gegenseitige AbhÀngigkeit immer im Auge zu behalten ist.
Technischer Fortschritt verdrÀngt gering qualifizierte TÀtigkeiten
2.1 Die Auswirkungen des technischen Fortschritts
Viele quantitative Analysen deuten auf einen stark ausgeprĂ€gten Zusammenhang zwischen dem zunehmenden Einsatz von Computern bzw. von computerbasierten Technologien und der verstĂ€rkten Nachfrage nach hoch qualifizierter Arbeit in Unternehmen und ganzen Industriezweigen. Technischer Fortschritt tritt demnach als Substitut fĂŒr gering qualifizierte und als Komplement fĂŒr hoch qualifizierte TĂ€tigkeiten auf. Dieser Zusammenhang wird ĂŒbereinstimmend fĂŒr die USA, Kanada, die OECD-LĂ€nder insgesamt und einige andere entwickelte und weniger entwickelte Volkswirtschaften bestĂ€tigt und firmiert unter dem Begriff des »skill-biased technological change«.
Hoch qualifizierte ArbeitskrÀfte im Vorteil
Zwei ErklĂ€rungsansĂ€tze werden fĂŒr diesen Zusammenhang vorgebracht. Zum einen existiere eine komplementĂ€re Beziehung zwischen Humankapital und Realkapital. Die Nachfrage nach qualifizierten ArbeitskrĂ€ften steige infolge der Implementierung neuer Technologien auf Unternehmensebene. Zum anderen gebe es unterschiedliche FĂ€higkeiten der Anpassung an neue Technologien oder an ein unbekanntes Arbeitsumfeld: Hoch qualifizierte Arbeitnehmer lernten schneller und arbeiteten besser mit neuen Maschinen als Geringqualifizierte (vgl. Kölling und Schank 2003; Bartel und Lichtenberg 1987).
Nachfrage nach hoch qualifizierter Arbeit steigt
Im Rahmen empirischer Analysen lĂ€sst sich der Zusammenhang zwischen technischem Fortschritt und der Nachfrage nach hoch qualifizierter Arbeit eindeutig belegen. So wird zum Beispiel untersucht, ob die steigende Forschungs- und EntwicklungsintensitĂ€t von Unternehmen des produzierenden und verarbeitenden Gewerbes mit einer Verbesserung des Qualifikationsniveaus der Mitarbeiter einhergeht. Die Analyse erstreckt sich auf die OECD-LĂ€nder GroĂbritannien, Frankreich, Deutschland, DĂ€nemark, Schweden, Japan sowie die USA. In allen sieben LĂ€ndern kommt es zu VerĂ€nderungen in der Struktur der Arbeitsnachfrage hin zu höher qualifizierten Personen. Eine komplementĂ€re Beziehung zwischen Humankapital und neuer Technologie wird fĂŒr alle betrachteten Volkswirtschaften nachgewiesen: Die zunehmende Forschungs- und EntwicklungsintensitĂ€t erhöht die Nachfrage nach qualifizierter Arbeit. Handelsbezogene Indikatoren, wie etwa der Anteil der Importe aus weniger entwickelten LĂ€ndern an den Gesamtimporten, sind hingegen wenig bedeutend fĂŒr die VerĂ€nderung der intraindustriellen Qualifikationsstruktur.5
Welche TÀtigkeiten werden durch Computertechnologien verdrÀngt?
WĂ€hrend der empirische Zusammenhang zwischen Investitionen in Computer bzw. computerbasierte Techn...