LARP: Zeug
  1. 112 pages
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eBook - ePub

About this book

Ob Zelte, Feldbetten, Polsterwaffen, Essen, GetrĂ€nke, KostĂŒme oder RĂŒstungen - die vorliegende Aufsatzsammlung widmet sich all dem Zeug, das vor, wĂ€hrend und nach einem Larp mit dem Hobby verbunden ist. In sieben BeitrĂ€gen zeigen die Autoren nicht nur das theoretische Potenzial von Larp-Zeug als Forschungsgegenstand, sondern verdeutlichen an konkreten Beispielen, wie Objekte oder GegenstĂ€nde im Larp funktionieren. Die AufsĂ€tze sollen neue Perspektiven und Erkenntnisse vermitteln und dabei auch zu neuen Ideen inspirieren.Zusammengestellt und aufbereitet anlĂ€sslich der Live-Rollenspiel-Konferenz MittelPunkt 2015.

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Information

Year
2015
Print ISBN
9783938922583
eBook ISBN
9783938922590
Edition
1
Björn-Ole Kamm

DIE KRAFT VON NUR 100 YEN

LARP IN JAPAN

Die Geschichte des Larps in Japan reicht kaum weiter zurĂŒck als die spĂ€ten 2000er, und als Praxis erfuhr es erst um 2012 grĂ¶ĂŸere Aufmerksamkeit, als DragonSys in einer angepassten und kommentierten Übersetzung erschien.
So jung wie Fantasy-Larp in Japan ist, sieht es sich mit einer Reihe an materiellen EinschrĂ€nkungen konfrontiert, von denen eine die ZugĂ€nglichkeit von Raum betrifft – Japans grĂ¶ĂŸte Larp-Gruppe trifft sich in einem Gemeindezentrum und nur selten im Wald, geschweige denn auf einem Campingplatz oder in einem Schloss. Des Weiteren ist auch die VerfĂŒgbarkeit von den in Europa ĂŒblichen Larp-Utensilien beschrĂ€nkt, allen voran Latexwaffen.
Japans Larper haben jedoch Zugang zu einer außergewöhnlichen Quelle fĂŒr AusrĂŒstung: 100-Yen-Shops (hyaku-en-kinitsu-ten, oder kurz hyakkin).1 Diese GeschĂ€fte bieten eine breite Vielfalt an Produkten, die von KĂŒchenutensilien und Briefpapier, ĂŒber Kleidung und Toilettenartikel, zu Speisen und GetrĂ€nken reicht – die meisten dieser Waren sind von annehmbarer bis guter QualitĂ€t und werden fĂŒr 100 „ (ca. 0,75 €) verkauft. Unter diesen Produkten finden Larper auch eine FĂŒlle an ihrer Profession angemessenem „Zeug“: metallene AnhĂ€nger, pseudo-mittelalterlicher Schmuck, steampunkige Uhren, ApothekerglĂ€ser, Masken, Kerzen, RĂ€ucherwerk und mehr.
In Anlehnung an Japans erste „How-to-larp“-Publikationen2 diskutiert dieser Beitrag die Entwicklung und den aktuellen Stand von Larp in Japan: Wie kam Fantasy-Larp „im europĂ€ischen Stil“ nach Japan? Wie wurde diese Praxis an die lokalen Gegebenheiten angepasst? Welches VerhĂ€ltnis besteht zu Geschwisterpraktiken wie Cosplay (Verkleiden) und Tischrollenspielen? Der Beitrag analysiert die Wege der Aneignung einschließlich der diskursiven und materiellen EinschrĂ€nkungen, mit denen die Praktiker verflochten sind.
Allerdings stellt dieser Beitrag den subjektiven und tatsĂ€chlich erfahrenen EinschrĂ€nkungen auch Möglichkeiten gegenĂŒber. Es werden die kleinen (und großen) GegenstĂ€nde im Wert von nur 100 „ betrachtet, die Teil des Praxis-Netzwerk Live-Rollenspiel in Japan geworden sind.

LARP ALS PRAXIS-NETZWERK

Ich bezeichne Rollenspiele nicht als Hobby oder Szene, sondern versuche ihre VielfĂ€ltigkeit in Bedeutung und MaterialitĂ€t durch den Begriff assemblage of practices abzubilden.3 Assemblage verweist auf ein komplexes GefĂŒge aus teilweise verbundenen Praktiken, wobei jede Tischrollenspielrunde und jedes Larp eine spezifische Konfiguration innerhalb dieses assemblage oder Netzwerks darstellt. Eine „Praxis als Netzwerk“ hat eine gewisse Dauerhaftigkeit erreicht, so dass andere sie erkennen, darĂŒber sprechen und sie selbst umsetzen können. Sie besteht dabei aus voneinander abhĂ€ngigen, materiellen und semiotischen Elementen,4 einer komplexen Verbindung aus Körpern (und Verkleidungen), Körperbewegungen (wie Schreiben und WĂŒrfeln beim Tischrollenspiel; Körpersprache),5 GegenstĂ€nden und Objekten („Zeug“), aber auch beispielweise aus Kompetenzen in Rhetorik, GeschichtenerzĂ€hlen, Strategie und Taktik, einem VerstĂ€ndnis fĂŒr die Spielregeln, Kenntnis von direkt oder indirekt zitierten Genres und Motiven (Fantasy, Horror), einer Vorstellung von den zu erhaltenden physischen und psychischen Gratifikationen und so weiter. Nicht nur Menschen, sondern auch „Zeug“ nehmen hierbei die Rolle von Akteuren ein, das heißt ihre An- oder Abwesenheit, ihr VerhĂ€ltnis zu anderen Elementen haben einen entscheidenden Effekt auf das Netzwerk.6 Praktiken-als-Netzwerk sind rekursiv, das heißt mit jeder Performanz (DurchfĂŒhrung) wird das Netzwerk geringfĂŒgig neu arrangiert (wie Regeldetails, nötige Kompetenzen, Art der Körperbewegungen und so fort).7 Manche Knotenpunkte („Elemente“) erhalten durch diese RekursivitĂ€t jedoch eine gewisse Festigkeit, so dass „Charakter-Konstrukt“ beispielsweise ein festes Element der meisten Arrangements von Rollenspielen geworden ist (auch wenn die interne Zusammensetzung sich unterscheidet). Andere Knotenpunkte können an ZentralitĂ€t verlieren, so dass auch Larps ohne Spielleitungen praktiziert werden.
Konzeptualisiert man Larp als solch ein Netzwerk aus heterogenen menschlichen und nicht-menschlichen Elementen, so kennzeichnet diese Praxis in Japan weniger eine irgendwie besondere „JapanizitĂ€t“. Sie nimmt vielmehr durch das Nachzeichnen der Verbindungen zwischen diesen verschiedenen Elementen Gestalt an. Fantasy-Larp „im japanischen Stil“ kombiniert globale Elemente des Larp mit lokalen Materialien, so dass die Praxis (wiederholt) neu zusammengefĂŒgt wird.

LARP IN JAPAN

Ich selbst habe mich jedoch an der Produktion eines singulĂ€ren, das heißt statischen Japans beteiligt, als ich fragte, „warum Japan nicht larpt“8 – als ob eine Nation, die abstrakte EntitĂ€t, larpen könnte und es die eine japanische Gesellschaft gĂ€be, die die Abwesenheit von Larp bedinge. Obwohl Japan als das Ursprungsland von Cosplay gilt, musste ich von Tischrollenspielern und Game-Designern erfahren, dass Verkleiden und somit Larpen nicht mit Rollenspielen in Verbindung gebracht wird.9 Viele kennen das Arrangement raibu RPG (wörtlich „live RPG“) in Japan, das jedoch trotz der „Live“-Kennzeichnung eher dem Format des Tischrollenspiels zuzuordnen ist. Raibu RPGs sind Schnitzeljagd-Ă€hnliche Sessions auf Events wie der Japan Game Convention (JGC), bei denen vierzig oder mehr Spieler in Gruppen mit jeweils eigenem GM aufgeteilt werden. Das Setting ist meist ein riesiges Dungeon-Abenteuer, und die Spielerinnen erkunden auf „klassische“ Pen & Paper-Manier in 90-minĂŒtigen Sessions unterschiedliche Teile der „Katakomben“. Nach jeder Session treffen sich die Gruppen, um Informationen und GegenstĂ€nde auszutauschen. Am Ende kommen alle Gruppen in einem Raum zusammen, um einen Drachen oder ein vergleichbar mĂ€chtiges Monster zu bezwingen. Der Fokus dieser Spiele liegt weniger auf Rollenspiel und Charakterentwicklung als auf RĂ€tseln, Puzzeln und Kampftaktik.
Cosplay ist eine weitere larp-Ă€hnliche Praxis, die das Verkleiden als ein Charakter fokussiert und stark mit Japan in Bezug gebracht wird. Kosupure ist eine Lehnwortkreation aus „costume“ und „play“, womit in der Regel das Verkleiden als eine Figur aus Manga und Anime gemeint ist.10 Cosplay hat seine Wurzeln in der Japan Science Fiction Convention der 1970er, bei der eine KostĂŒmshow im Stile der „Masquerade“ der Sci-Fi WorldCons etabliert wurde.11 Um 1977/78 begannen Teilnehmer damit, ihre KostĂŒme auf Anime-Figuren basieren zu lassen, und die Praxis breitete sich auch auf dem Comic Market aus (Tokyos grĂ¶ĂŸtem Markt fĂŒr Amateur-Manga und -Games).
Der Rollenspiel-Designer Okada Atsuhiro, der Cosplay-Erfahrung hat, sieht den Hauptunterschied zwischen Rollenspiel und Cosplay in der „Spielweise“ der Charaktere:12 Eine Rollenspielerin möchte wie ein anderer Charakter handeln oder ihn zumindest in einer Geschichte oder einem Game spielen. Ein Cosplayer andererseits möchte wie ein bereits existierender Charakter aussehen. Hinasaki YĆ«, die GrĂŒnderin der Larp-Gruppe ReimĆ«n (siehe unten), sieht Ă€hnliche Unterschiede und fĂŒgt hinzu, dass Cosplay sich vor allem um das Fotografieren der Verkleideten drehe.13
Wie beim Cosplay ist auch beim Softair in Japan die Anzahl derer, die auch Rollenspielen nachgehen, extrem gering. Jedoch denken einige Larper nun darĂŒber nach, Softair-GelĂ€nde fĂŒr grĂ¶ĂŸere Fantasy-Cons zu verwenden.14
Larp, vor allem in seiner in Europa beliebten Fantasy-Variante, kam erst kĂŒrzlich nach Japan. Vor 2012 organisierte der Videospieleentwickler und Englischlehrer Nicholas Wagon zwei kleinere Horror-Larps und ein Crime-Scene-Larp.15 In Anbetracht des Mangels an von japanischen Rollenspielern organisierten Cons versuchte ich, eine Antwort auf die Frage zu finden, warum Larp in Japan kaum praktiziert wird, und konnte diese Abwesenheit mit „Raum“ in Bezug setzen – Raum im physischen Sinne, aber auch im Bezug darauf, was meine Informanten als angemessenes Verhalten in der Öffentlichkeit ansahen. Beide Arten von „Raum“ schienen weder Teil der Erfahrungen noch der Erwartungen von Rollenspielerinnen zu sein, die in Japan lebten. Der „Kulturvermittler“ (cultural broker) Nico Stahlberg widerlegte meine Forschungsergebnisse jedoch in dem Sinne, dass er Tatsachen schuf, wodurch sie nun veraltet sind: Heute gibt es Larp in Japan!

DIE TRANSFORMATION VON DRAGONSYS

Nico pflegte sich selbst als „unternehmerischen Studenten“ zu bezeichnen und studierte Asien- und Afrikawissenschaften, Schwerpunkt Japan, an der Humboldt UniversitĂ€t Berlin.16 Von 2011 bis 2012 nahm er an einem Austauschprogramm mit der Tƍkai UniversitĂ€t, Tokyo, teil, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern und um Larp voranzubringen, wie sich herausstellte. An der Tƍkai trat er in den universitĂ€tseigenen Rollenspielclub ein, machte aber die Erfahrung, dass sein Vokabular nicht ausreichte, um richtig an den Ereignissen a...

Table of contents

  1. Cover
  2. Impressum
  3. Titel
  4. INHALT
  5. Vorwort
  6. Illegales Larp-Zeug
  7. Die Kraft von nur 100 Yen – Larp in Japan
  8. Ein Leben aus der PlastiktĂŒte – Flucht als Thema im Live-Action-Roleplay
  9. Finanzierung von Larp-Projekten – Crowdfunding und andere Optionen
  10. Warum wir bessere Locations brauchen
  11. Verkleide dich! – Oder: Kleider machen Rollen
  12. Das FlĂŒchtige dingfest machen – Larp als Forschungsgegenstand
  13. Literatur: Lesenswert