Gullivers Reisen
eBook - ePub

Gullivers Reisen

  1. 350 pages
  2. English
  3. ePUB (mobile friendly)
  4. Available on iOS & Android
eBook - ePub

Gullivers Reisen

About this book

Die spannendste, surrealste und faszinierendste Abenteuergeschichte - Gullivers Reisen in ferne Länder. Voller Satire und Fantasie und Phantastik. Lesen Sie hier alle vier Reisen in die skurrilen Länder Liliput, Brobdingnag, Laputa, Balnibarbi, Glubbdubdrib, Luggnagg, das Land der Houyhnhnms und Yahoos. Der Schiffsarzt Gulliver erlebt haarsträubende Abentuer, die so detailliert und liebevoll erzählt werden, wie kaum ein anderes Abenteuerbuch der Weltliteratur.

Frequently asked questions

Yes, you can cancel anytime from the Subscription tab in your account settings on the Perlego website. Your subscription will stay active until the end of your current billing period. Learn how to cancel your subscription.
At the moment all of our mobile-responsive ePub books are available to download via the app. Most of our PDFs are also available to download and we're working on making the final remaining ones downloadable now. Learn more here.
Perlego offers two plans: Essential and Complete
  • Essential is ideal for learners and professionals who enjoy exploring a wide range of subjects. Access the Essential Library with 800,000+ trusted titles and best-sellers across business, personal growth, and the humanities. Includes unlimited reading time and Standard Read Aloud voice.
  • Complete: Perfect for advanced learners and researchers needing full, unrestricted access. Unlock 1.4M+ books across hundreds of subjects, including academic and specialized titles. The Complete Plan also includes advanced features like Premium Read Aloud and Research Assistant.
Both plans are available with monthly, semester, or annual billing cycles.
We are an online textbook subscription service, where you can get access to an entire online library for less than the price of a single book per month. With over 1 million books across 1000+ topics, we’ve got you covered! Learn more here.
Look out for the read-aloud symbol on your next book to see if you can listen to it. The read-aloud tool reads text aloud for you, highlighting the text as it is being read. You can pause it, speed it up and slow it down. Learn more here.
Yes! You can use the Perlego app on both iOS or Android devices to read anytime, anywhere — even offline. Perfect for commutes or when you’re on the go.
Please note we cannot support devices running on iOS 13 and Android 7 or earlier. Learn more about using the app.
Yes, you can access Gullivers Reisen by Jonathan Swift in PDF and/or ePUB format, as well as other popular books in Literatur & Altertumswissenschaften. We have over one million books available in our catalogue for you to explore.

VIERTER TEIL

REISE IN DAS LAND DER HOUYHNHNMS

ERSTES KAPITEL

Der Verfasser geht als Kapitän eines Schiffes in See - Seine Mannschaft meutert und sperrt ihn längere Zeit in seine Kabine ein - Er wird in einer unbekannten Gegend an Land gesetzt - Er wandert in das Innere des Landes - Beschreibung der Yähus, eines seltsamen Lebewesens - Der Verfasser begegnet zwei Houyhnhnms
Ich blieb nun fünf Monate lang zu Hause und war mit Frau und Kindern glücklich und zufrieden, wenn ich überhaupt gelernt habe, glücklich zu sein. Dann verließ ich meine arme Frau, trotzdem sie guter Hoffnung war, und nahm ein vorteilhaftes Angebot als Kapitän auf der „Adventure“ an, einem tüchtigen Handelsschiff von dreihundertfünfzig Tonnen. Da ich in der Nautik wohlbewandert war und keine Lust mehr hatte, weiter als Schiffsarzt zu fahren, wollte ich diese Tätigkeit nur noch gelegentlich ausüben und nahm einen geschickten jungen Mann aus diesem Beruf namens Robert Purefoy an Bord. Am 2. August 1710 gingen wir von Portmouth aus in See und trafen am 14. in Teneriffa mit dem Kapitän Pocock aus Bristol zusammen, der sich auf der Fahrt nach der Campeche-Bay befand, um dort Blauholz zu laden. Am 16. wurden wir durch einen Sturm getrennt. Bei meiner Rückkehr erfuhr ich, daß sein Schiff gescheitert und die ganze Besatzung mit Ausnahme eines Schiffsjungen zugrundegegangen war. Er war ein Ehrenmann und ein guter Seemann, aber er war ein wenig zu eigensinnig, und dies war, wie das bei vielen anderen auch der Fall ist, sein Verderben. Wäre er meinem Rat gefolgt, so säße er heute ebenso wie ich wohlbehalten zu Hause bei seiner Familie.
Mehrere Leute meiner Mannschaft waren an hitzigem Seefieber gestorben, und so mußte ich auf Barbados und den Leewardsinseln, die ich im Aufträge meiner Schiffsherren anlief, Ersatz an werben. Indes sollte ich dies bald bereuen, denn die meisten waren, wie ich später feststellte, Seeräuber. Ich hatte fünfzig Mann an Bord und sollte in der Südsee mit den Eingeborenen Handel treiben und dabei nach Möglichkeit neue Entdeckungen machen. Diese Halunken, die ich mir da aufgegabelt hatte, verführten meine übrigen Leute zu einer Meuterei, um das Schiff in die Hand zu bekommen und mich gefangen zu setzen. Diesen Plan setzten sie eines Morgens in die Tat um. Sie stürzten in meine Kabine, banden mich an Händen und Füßen und drohten mir, mich über Bord zu werfen, wenn ich mich rührte. Ich erwiderte, ich sei ihr Gefangener und werde mich fügen. Das ließen sie mich beschwören und lösten dann meine Fesseln mit Ausnahme einer Kette, mit der sie eins meiner Beine an mein Bett anschlossen. Sodann stellten sie einen Posten mit geladenem Gewehr vor meine Tür, der mich niederschießen sollte, wenn ich versuchte, mich zu befreien, versorgten mich mit Speise und Trank und übernahmen selbst die Führung des Schiffes. Sie hatten beschlossen, Seeräuber zu werden und die Spanier auszuplündern. Dazu mußten sie indes noch mehr Leute an werben. Zuerst wollten sie die Waren verkaufen, die wir geladen hatten, und dann nach Madagaskar segeln, wo sie ihr Werbegeschäft durchführen zu können hofften. Mehrere von ihnen waren seit meiner Gefangenschaft gestorben. Wir waren viele Wochen lang unterwegs, während der sie mit den Indianern Handel trieben. Welchen Kurs sie nahmen, konnte ich nicht feststellen, da ich in meiner Kabine eingeschlossen blieb und nichts Geringeres annahm als ermordet zu werden, wie man mir des öfteren drohte.
Am 9. Mai 1711 kam ein gewisser James Welsh zu mir in meine Kabine, um mir mitzuteilen, er habe Befehl vom Kapitän, mich an Land zu bringen. Ich versuchte, etwas von ihm zu erfahren, aber vergebens. Er wollte mir nicht einmal sagen, wer denn der neue Kapitän sei. Sie erlaubten mir, meinen besten Anzug, der noch fast neu war, anzuziehen und ein kleines Bündel Wäsche, aber mit Ausnahme meines Degens keine Waffen, mitzunehmen. Dann brachten sie mich in das Beiboot. Auch meine Taschen wurden mir gnädigerweise nicht durchsucht, in denen ich das, was ich an Geld besaß, und einige kleine Gebrauchsgegenstände trug. Sie ruderten eine Stunde weit und setzten mich dann am Strande ab. Ich bat sie, mir zu sagen, welches Land dies sei, aber sie schworen alle, sie wüßten nicht mehr als ich selbst. Der Kapitän, wie sie ihn nannten, habe sich entschlossen, nachdem sie die Ladung verkauft hätten, mich bei erster Gelegenheit, wenn sie Land entdeckten, loszuwerden. Dann stießen sie wieder ab und rieten mir, mich zu beeilen, damit ich nicht von der Flut überrascht werde. Mit diesen Worten verabschiedeten sie sich von mir.
In dieser verzweifelten Lage ging ich vorwärts und kam bald auf festen Boden. Hier setzte ich mich auf eine Erhöhung nieder, um auszuruhen und zu überlegen, was ich am zweckmäßigsten tun könne. Als ich mich ein wenig erholt hatte, ging ich landeinwärts. Ich wollte mich an die ersten Wilden wenden, die ich antraf, und mit einigen Armbändern, Glasringen und anderem Spielzeug, das die Seeleute für diese Menschen mit sich zu führen pflegen und wovon ich einiges bei mir hatte, mein Leben erkaufen. Das Land war mit langen Baumreihen bestanden, die indes nicht gepflanzt, sondern natürlich gewachsen waren. Dann fand ich große Grasflächen und einige Haferfelder. Sehr vorsichtig ging ich weiter, denn ich fürchtete, überfallen oder von hinten oder von der Seite mit Pfeilen beschossen zu werden. Ich kam auf einen begangenen Pfad, auf dem ich die Spuren menschlicher Füße, aber auch solche fand, die von Kühen, und die meisten, welche von Pferden stammten. Schließlich sah ich auf dem Felde mehrere Tiere und eins oder zwei von derselben Rasse, die auf einem Baum saßen. Ihr Äußeres war so sonderbar und abstoßend, daß ich etwas entsetzt war und mich hinter ein Dickicht legte, um sie besser beobachten zu können. Einige von ihnen kamen so nahe an die Stelle, wo ich lag, daß ich sie genau beobachten konnte. Kopf und Brust waren mit dichten, bei einigen mit krausen, bei anderen mit strähnigen Haaren bedeckt. Sie trugen Bärte wie Ziegen und einen langen Haarstreifen den Rücken entlang und auf der Vorderseite ihrer Beine und Füße. Der übrige Körper war nackt, so daß ich ihre Haut erkennen konnte, die von schmutzigbrauner Farbe war. Sie hatten keinen Schwanz, und ihr Hinterteil mit Ausnahme des Afters war unbehaart. Dies hatte, wie ich annahm, die Natur so eingerichtet, um diesen Körperteil zu schützen, wenn sie auf dem Erdboden saßen. Diese Stellung nahmen sie nämlich ebenso oft ein, wie sie lagen oder auf ihren Füßen standen. Flink wie Eichhörnchen erkletterten sie hohe Bäume, denn ihre Vorder- und Hinterfüße trugen starke und scharfe, gekrümmte Klauen. Oft sah ich sie lebhaft hin und her hüpfen und springen. Die Weibchen waren nicht so groß wie die Männchen. Sie trugen langes strähniges Kopfhaar, während ihr Gesicht und der übrige Körper mit Ausnahme des Afters und der Scham unbehaart waren. Ihre Zitzen hingen zwischen ihren Vorderpfoten und reichten, wenn sie gingen, fast auf den Boden. Das Haar der Männchen wie auch der Weibchen war verschiedenfarbig, braun, rot, schwarz und gelb. Im ganzen habe ich auf allen meinen Reisen niemals ein so unangenehmes und widerwärtiges Tier gesehen. Damit war meine Neugierde befriedigt, und ich erhob mich voller Verachtung und Abscheu, um dem Pfad weiter zu folgen in der Hoffnung, so zu der Hütte eines Indianers zu kommen. Ich war noch nicht weit gegangen, als ich eines dieser Geschöpfe auf meinem Wege gerade auf mich zukommen sah. Als dieses häßliche Ungeheuer mich erblickte, starrte es mich mit verzerrtem Gesicht an wie etwas, was es nie zuvor gesehen hatte. Dann kam es näher und erhob eine Vorderpfote, ob aus Neugierde oder aus Bosheit, vermag ich nicht zu sagen. Ich zog meinen Degen und gab ihm einen Schlag mit der flachen Klinge. Mit der Schneide wagte ich nicht zu schlagen, denn ich fürchtete, die Eingeborenen würden sich gegen mich wenden, wenn sie kämen und sähen, daß ich ein Stück von ihrem Vieh getötet oder verletzt hätte. Als das Tier den Schmerz fühlte, fuhr es zurück und brüllte so laut, daß eine Herde von etwa vierzig Stück vom nächsten Felde herbeikam und mich heulend und mit wütenden Grimassen umringte. Ich lief zum Stamm eines Baumes, um mir den Rücken zu decken, und wehrte sie ab, indem ich meinen Degen gegen sie schwang. Indes ergriffen mehrere dieser verfluchten Brut einige Zweige hinter meinem Rücken und schwangen sich auf den Baum, von wo aus sie ihren Kot herabfallen ließen. Glücklicherweise gelang es mir, mich fest an den Stamm zu drücken, erstickte aber fast von dem stinkenden Dreck, der auf allen Seiten um mich her zur Erde fiel.
In meiner höchsten Not sah ich sie plötzlich alle in größter Eile weglaufen, so daß ich den Baum verlassen konnte. Erstaunt darüber, was sie wohl so in Furcht versetzt habe, folgte ich dem Pfad weiter und sah bald darauf linker Hand ein Pferd, das langsam auf dem Felde umherging. Dies hatten meine Gegner wohl früher gesehen als ich und deswegen die Flucht ergriffen. Das Pferd stutzte ein wenig, als es mich erblickte, faßte sich aber bald wieder und blickte mir mit allen Anzeichen des Erstaunens ins Gesicht. Es betrachtete meine Hände und Füße und ging mehrere Male um mich herum. Ich wollte weitergehen, aber es stellte sich mir geradezu in den Weg. Freundlich und ohne jedes Zeichen von Gewalttätigkeit blickte es mich an. So standen wir eine Weile einander gegenüber und starrten uns gegenseitig an. Schließlich wagte ich meine Hand zu erheben, um ihm den Nacken zu streicheln, und pfiff dabei, wie es die Reitknechte zu tun pflegen, wenn sie sich einem fremden Pferde nähern. Dieses Tier aber schien meine Freundlichkeiten mit Verachtung aufzunehmen. Es schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn, wobei es sanft seinen rechten Vorderfuß hob und meine Hand beiseite schob. Dann wieherte es drei- oder viermal, aber in so unterschiedlichem Tonfall, daß ich auf den Gedanken kam, es führe in einer eigenen Sprache ein Selbstgespräch.
Während wir so miteinander beschäftigt waren, kam ein anderes Pferd hinzu. In förmlicher Weise wandte es sich an das erste. Sie berührten sich gegenseitig leicht mit den rechten Vorderhufen und wieherten sich abwechselnd an, wobei sie den Ton so veränderten, daß es fast wie gesprochene Worte klang. Dann gingen sie einige Schritte seitwärts, als wenn sie etwas miteinander zu besprechen hätten, und spazierten Seite an Seite auf und ab wie Leute, die sich über etwas Wichtiges unterhalten. Dabei blickten sie oft nach mir hin, als wenn sie darauf achteten, daß ich nicht entwich. Ich war überrascht, ein solches Benehmen bei unvernünftigen Tieren zu sehen, und schloß daraus, wenn die Bewohner dieses Landes einen entsprechenden Grad von Vernunft besäßen, müßten sie das weiseste Volk der Erde sein. Dieser Gedanke tröstete mich so, daß ich weiterzugehen beschloß, bis ich irgendein Haus oder ein Dorf entdeckte oder einen der Bewohner antraf. Währenddessen konnten die beiden Pferde sich solange miteinander unterhalten, wie sie Lust hatten. Als aber das erste, ein Apfelschimmel, sah, daß ich mich entfernen wollte, wieherte es in so ausdrucksvollem Ton hinter mir her, daß ich mir einbildete, zu verstehen, was es meinte. Daraufhin wandte ich mich um und ging zu ihm hin, um auf seine weiteren Befehle zu warten. Indes verbarg ich meine Furcht nach Möglichkeit, denn ich begann Sorge zu empfinden, wie dieses Abenteuer ausgehen sollte. Der Leser wird verstehen, daß mir meine augenblickliche Lage nicht besonders gefiel.
Die beiden Pferde kamen nun näher und betrachteten ernsthaft mein Gesicht und meine Hände. Der graue Hengst rückte mit seinem rechten Vorderhuf so an meinem Hut herum, daß ich ihn abnehmen mußte, um ihn wieder richtig aufzusetzen, worüber sie beide - der andere war ein Brauner - sich sehr zu wundern schienen. Der letztere betastete den Schoß meines Rockes, und beide äußerten, als sie sahen, daß er lose um mich herumhing, Zeichen der höchsten Verwunderung. Dann streichelte er meine rechte Hand und schien sich über ihre Zartheit und Farbe zu wundern. Aber er drückte sie so unsanft zwischen seinem Huf und Fesselgelenk, daß ich aufschreien mußte. Darauf versuchten beide, mich möglichst sanft anzufassen. Meine Schuhe und Strümpfe machten ihnen viel Kopfzerbrechen. Sie betasteten sie immer wieder und wieherten sich unter mancherlei Gesten gegenseitig zu, wie Philosophen, die sich einem neuen und schwierigen Problem gegenüber sehen.
Im ganzen war das Benehmen dieser Tiere so ordentlich und vernünftig, so scharfsinnig und richtig, daß mir der Gedanke kam, es müßten Zauberer sein, die sich aus irgendeinem Grunde so verwandelt hatten und sich mit einem Fremden, der ihnen unterwegs begegnet war, einen Spaß machten. Vielleicht aber waren sie auch wirklich erstaunt über den Anblick eines Menschen, der in Kleidung, Gestalt und Gesicht so anders war als die, welche in einer so abgelegenen Gegend wohnten. Deshalb wagte ich es, sie mit folgenden Worten anzureden: „Meine Herren, wenn Sie Zauberer sind, wie ich glaube annehmen zu müssen, werden Sie jede Sprache verstehen. Deshalb erlaube ich mir, Euer Gnaden darauf aufmerksam zu machen, daß ich ein armer unglücklicher Engländer bin, der in seinem Mißgeschick an Ihre Küste verschlagen wurde, und bitte einen von Ihnen beiden, mich auf seinem Bücken wie auf einem richtigen Pferde bis zu einem Hause oder Dorf reiten zu lassen, wo ich Hilfe finde. Zum Dank hierfür biete ich ihnen dieses Messer und dieses Armband zum Geschenk“ - wobei ich beides aus der Tasche zog. Die Tiere schwiegen und schienen meinen Worten mit großer Aufmerksamkeit zuzuhören und wieherten, als ich geendet hatte, sich gegenseitig zu, wie wenn sie sich ernsthaft unterhielten. Ich beobachtete, daß ihre Worte genau ihre Empfindungen ausdrückten und sich mühelos und sicherlich viel leichter als das Chinesische in ein Alphabet auflösen ließen.
Häufig konnte ich das Wort Yähu unterscheiden, das beide mehrere Male wiederholten. Obgleich ich nicht zu erraten vermochte, was es bedeutete, versuchte ich, während die beiden Pferde sich miteinander unterhielten, das Wort nachzusprechen. Sobald sie schwiegen, rief ich kühn mit lauter Stimme „Yähu“ und ahmte dabei, so gut ich konnte, das Wiehern eines Pferdes nach. Darüber waren sie beide sichtlich überrascht, und der Graue wiederholte das Wort zweimal, als ob er mir die richtige Betonung zeigen wolle. So gut es mir gelang, sprach ich es ihm nach und konnte es nach einigen Malen schon sehr viel besser, ohne es indes vollkommen zu beherrschen. Dann sprach mir der Braune ein anderes viel schwierigeres Wort vor, das sich vielleicht mit Houyhnhnm in unsere Rechtschreibung übertragen läßt. Ich vermochte es nicht so gut wie das frühere nachzusprechen, aber nach zwei oder drei weiteren Versuchen hatte ich mehr Glück, und beide schienen über meine Fähigkeiten erstaunt.
Nach einem weiteren Gespräch, das sich, wie ich vermutete, auf mich bezog, verabschiedeten die beiden Freunde sich mit den gleichen Förmlichkeiten voneinander, indem sie sich gegenseitig mit den Hufen berührten. Der Graue machte mir ein Zeichen, ich solle vor ihm hergehen. Ich hielt es für klug, ihm zu gehorchen, bis ich einen besseren Führer fände. Als ich meine Schritte zu verlangsamen suchte, rief er „Hhuun, hhuun!“ Ich merkte, was er meinte, und gab ihm so gut es ging zu verstehen, daß ich müde sei und nicht schneller gehen könne. Daraufhin hielt er eine Weile an, um mich ausruhen zu lassen.

ZWEITES KAPITEL

Der Verfasser wird von einem Houyhnhnm in sein Haus geführt - Seine Aufnahme dort - Die Ernährung der Houyhnhnms - Der Verfasser gerät in Nahrungssorgen, wird aber schließlich zufriedengestellt - Seine Ernährung in diesem
Lande
Nachdem wir ungefähr drei Meilen weit gegangen waren, kamen wir an ein Haus, das aus Pfählen, die in die Erde gerammt waren, und aus geflochtenen Zweigen bestand. Das Dach war niedrig und mit Stroh bedeckt. Ich faßte wieder Mut und zog einiges Spielzeug hervor, das man als Reisender gewöhnlich für die Wilden in Amerika und anderwärts in der Tasche bei sich trägt. Ich hoffte, die Bewohner des Hauses damit veranlassen zu können, mich freundlich aufzunehmen. Das Pferd machte mir ein Zeichen, zuerst hineinzugehen. Es war ein großer Raum mit glattem Lehmfußboden. Eine Raufe und eine Krippe dehnten sich über die ganze Länge einer Wand hin aus. Ich sah dort drei Klepper und zwei Stuten, die aber nicht fraßen. Einige von ihnen saßen zu meiner größten Überraschung auf ihren Hinterteilen. Was mich aber noch mehr wunderte, war, daß ich die übrigen mit häuslichen Arbeiten beschäftigt sah. Es war nur gewöhnliches Vieh, und dieser Anblick bestärkte mich in meiner früheren Meinung, daß Leute, die unvernünftige Tiere so zu erziehen vermochten, an Weisheit alle Völker der Erde überträfen. Der Graue kam gerade hinter mir herein und verhinderte so einen schlimmen Empfang, den mir die anderen sonst bereitet hätten. Er wieherte mehrere Male in gebieterischem Tone und erhielt auch Antwort darauf.
In dem Hause befanden sich außer diesem Raum noch drei andere, die seine ganze Länge einnahmen und die man durch einander genau gegenüberliegende Türen betreten konnte. Wir gingen durch den zweiten Raum in den dritten. Indes ging der Graue voraus und bedeutete mir, hierzubleiben. Ich wartete in diesem Raum und hielt meine Geschenke für den Herrn und die Frau des Hauses bereit: Zwei Messer, drei Armbänder aus falschen Perlen, einen kleinen Spiegel und eine Halskette aus Glaskugeln. Das Pferd wieherte drei- oder viermal, und ich wartete darauf, die Antwort einer menschlichen Stimme zu hören, aber ich vernahm nur wieder die gleichen Laute in etwas schrillerem Ton. Dieses Haus mußte, wie ich mir vorzustellen begann, einer besonders vornehmen Persönlichkeit gehören, da solche Zeremonien nötig waren, ehe ich vorgelassen wurde. Daß ein Mann in einer hohen Stellung sich nur von Pferden bedienen ließ, erschien mir indes unbegreiflich. Ich fürchtete, mein Gehirn habe infolge der Strapazen und Entbehrungen gelitten. Doch ich ermannte mich und blickte in dem Raum umher, in dem ich allein gelassen worden war. Er war genau wie der erste, nur in vornehmerer Weise, ausgestattet. Wiederholt rieb ich mir meine Augen, allein es blieb dabei. Ich kniff mich in Arme und Seiten, um mich selbst aufzuwecken, denn ich hoffte zu träumen. Ich war der Meinung, das Ganze könne nur Zauberei und Magie sein, aber es blieb mir keine Zeit zum Nachdenken, denn das graue Pferd erschien wieder in der Tür und machte mir ein Zeichen, ihm in den dritten Raum zu folgen. Dort sah ich eine sehr schöne Stute mit zwei Füllen, die mit ihren Hinterteilen auf kunstvoll geflochtenen und sauberen Strohmatten saßen.
Bei meinem Eintritt erhob sich die Stute, kam auf mich zu und betrachtete meine Hände und mein Gesicht. Dann warf sie mir einen verachtungsvollen Blick zu und wandte sich an den Hengst, wobei ich hörte, wie das Wort Yähu des öfteren von ihr wiederholt wurde. Ich wußte zwar immer noch nicht, was es bedeutete, obwohl es das erste Wort war, das ich auszusprechen gelernt hatte. Allein, bald wurde ich zu meiner ewigen Kränkung darüber belehrt. Der Hengst winkte mir mit dem Kopf und wiederholte das Wort, ‚Hhuun, hhuun‘ ‘ wie unterwegs, was, wie ich wohl begriff, hieß, ich solle ihm folgen. Dann führte er mich auf einen Hof, wo sich in einiger Entfernung vom Hause ein anderes Gebäude befand. Wir traten ein, und ich sah drei von diesen schauderhaften Geschöpfen, die ich bei meiner Landung zuerst angetroffen hatte. Sie fraßen Wurzeln und irgendwelches Fleisch, wie ich später erkannte, von Eseln und Hunden und zuweilen auch von verunglückten und eingegangenen Kühen. Um den Hals trugen sie Weidenbänder, womit sie an einem Balken festgebunden waren. Ihre Nahrung hielten sie mit den Vorderpfoten und zerrissen sie mit den Zähnen.
Das Herr-Pferd befahl einem Rotfuchs, einem von seinen Dienern, das größte von diesen Tieren loszubinden und auf den Hof zu bringen. Das Tier und ich wurden einander gegenübergestellt und unsere Gesichter von Herr und Diener gemeinsam sorgfältig verglichen, wobei sie mehrere Male das Wort Yähu wiederholten. Mein Schrecken und meine Überraschung sind nicht zu beschreiben, als ich plötzlich in diesem abscheulichen Vieh eine vollkommen menschliche Gestalt erkannte. Sein Gesicht war zwar flach und breit, seine Nase plattgedrückt, die Lippen dick und der Mund groß, aber diese Unterschiede finden wir bei allen Wilden, bei denen die Gesichtszüge entstellt sind und die Kinder auf dem Erdboden umherkriechen oder auf dem Rücken getragen werden und mit ihren Gesichtern über die Schulter der Mutter hinübergucken. Die Vorderpfoten der Yähus unterschieden sich von meinen Händen nur durch die Länge der Fingernägel, durch die Rauheit und die dunkle Färbung der Handflächen wie durch die Behaarung der Oberseite. Ganz ähnlich waren unsere Füße, das wußte ich wohl, wenn es auch die Pferde wegen meiner Schuhe und Strümpfe nicht erkannten. Ebenso war es mit den anderen Teilen unseres Körpers mit dem einzigen Unterschied von Farbe und Behaarung, wie ich schon gesagt habe.
Die große Schwierigkeit schien den Pferden darin zu bestehen, daß mein Körper von dem der Yähus so verschieden war. Das verdankte ich meinen Kleidern, wovon sie keine Ahnung hatten. Der Rotfuchs bot mir eine Wurzel an, die er auf seine Weise, die ich bei Gelegenheit beschreiben werde, zwischen Fuß und Fesselgelenk hielt. ...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. Inhalt
  4. REISE NACH LILIPUT
  5. DER HERAUSGEBER AN DEN LESER
  6. ERSTER TEIL REISE NACH LILIPUT
  7. ZWEITER TEIL REISE NACH BROBDINGNAG
  8. Dritter Teil
  9. VIERTER TEIL REISE IN DAS LAND DER HOUYHNHNMS
  10. Impressum
  11. Weitere e-books in der Edition Lempertz