Kapitel 1 –
Investmentmythen
„Ein Experte ist ein Mensch, der kleine Fehler vermeidet, während er einen großen Irrtum begeht.“
– Benjamin Stolberg (1891 – 1951)
Der Goldstandard der risikoarmen Geldanlage ist die zehnjährige Schatzanleihe der Vereinigten Staaten, die zum Zeitpunkt des Schreibens eine Jahresrendite von vier Prozent bringt. Wenn man ausschließlich in solche Anleihen investiert, bekommt man garantiert jedes Jahr vier Prozent. Das einzige Problem dabei ist – vor allem wenn es um die Millionen der Babyboomer geht, die bald ihre Rente brauchen –, dass es bei einer Verzinsung von vier Prozent 18 Jahre dauert, bis sich das Geld verdoppelt. Dazu kommt noch, dass selbst bei einer niedrigen Inflationsrate von zwei bis drei Prozent die höheren Preise den größten Teil des Gewinns auffressen, sodass Sie nach 18 Jahren kaum mehr Kaufkraft haben als am Anfang. Trotz dieser Tatsachen kaufen Geldanleger solche vierprozentigen Anleihen im Wert von Milliarden von Dollar.
Warum in aller Welt sollte man eine Anleihe kaufen, die kaum mit der Inflation Schritt hält und die das Vermögen real so gut wie gar nicht vermehrt? Weil fast alle davon überzeugt sind, dass eine höhere Ertragsrate notwendigerweise ein viel höheres Risiko mit sich bringt. Die Menschen haben mehr Angst davor, bei dem Versuch der Ertragssteigerung Geld zu verlieren, als davor, keinen bequemen Ruhestand zu haben.
Tatsache ist aber, dass eine höhere Ertragsrate nicht unbedingt mit einem erheblich größeren Risiko verbunden sein muss. Lassen Sie mich das einmal erklären.
Hohe Erträge bringen nicht zwingend höhere Risiken mit sich
Bei einer Rede in der America West Arena in Phoenix, Arizona, habe ich das Publikum gefragt: „Wer von Ihnen ist heute mit dem Auto hierher gekommen?“ Die meisten hoben ihre Hände. „Okay, das sind fast alle. Und wer von Ihnen ist dabei ein enormes Risiko eingegangen?“ Ein paar Hände gingen noch einmal nach oben. „Also Leute, Ihr seid auf der Fahrt hierher ein enorm großes Risiko eingegangen?“, fragte ich ungläubig. „Entweder seid Ihr kein großes Risiko eingegangen und veräppelt uns bloß oder wir haben gerade herausgefunden, was am Autoverkehr in Phoenix schief läuft: Alle, die die Hände oben haben, können nicht fahren. Ist es das?“ Alle lachten. „Okay, die Fahrt hierher war also gar nicht so beängstigend. Aber jetzt stellen Sie sich einmal vor, auf der Fahrt hierher hätten nicht Sie selbst am Steuer gesessen, sondern Ihr elfjähriger Neffe. Wären Sie dann ein großes Risiko eingegangen?“ Die Menschen lachten und nickten zustimmend. „Die Fahrt ist die gleiche, von A nach B, aber wenn Sie jemanden ans Steuer setzen, der nicht fahren kann, wird aus einer sicheren Fahrt eine äußerst gefährliche Fahrt.“
Exakt das Gleiche gilt für Ihre Fahrt zur finanziellen Freiheit. Wenn Sie nicht wissen, was Sie tun, ist die Reise entweder sehr langsam oder sehr riskant. Deshalb halten die meisten Menschen schnelles Fahren (hohe Erträge anstreben) für gefährlich – weil sie nicht wissen, wie man das Finanzauto fährt, und nicht etwa, weil schnelles Fahren zwangsläufig gefährlich wäre. Gefährlich ist es nur, wenn man nicht weiß, was man tut. Und das Grundprinzip von Regel 1 besteht gerade darin, dass man weiß, was man tut – man investiert in der Gewissheit, dass man kein Geld verliert!
Jetzt fragen Sie sich vielleicht: „Und was ist mit den Investmentfonds? Was ist denn mit den ganzen Methoden, die wir lernen sollen, um das Risiko zu minimieren und den Ertrag zu maximieren?“ Also Leute, ich überbringe ja nur ungern schlechte Nachrichten, aber ich muss euch die Wahrheit sagen: Sein Geld in einem Investmentfonds anzulegen ist ein ganzes Stück riskanter, als nach Regel 1 zu investieren. Wenn man in einen Investmentfonds investiert, ist das in mehrfacher Hinsicht genauso, als würde man seinem elfjährigen Neffen den Autoschlüssel geben.
Der Schwindel mit den Investmentfonds
Wenn Sie Anteile an Investmentfonds besitzen, die versuchen, besser als der Marktdurchschnitt zu sein („den Markt zu schlagen“), und wenn Sie hoffen, dass Ihnen Ihr Fondsmanager zu einem angenehmen Ruhestand verhilft, dann fallen Sie höchstwahrscheinlich einem riesigen Schwindel zum Opfer. Damit sind Sie nicht allein – 100 Millionen Anlegern geht es genauso. Die Zeitschrift Fortune berichtet, dass seit dem Jahr 1985 nur vier Prozent aller Fondsmanager den S&P 500 übertroffen haben. Die wenigen, denen das gelungen ist, haben es auch nur knapp geschafft. Anders ausgedrückt hat fast kein Fondsmanager das getan, wofür Sie ihn bezahlen – nämlich den Markt geschlagen. In den goldenen 1980er- und 1990er-Jahren fiel diese bedeutsame Tatsache kaum auf, weil der Aktienmarkt zweistellige Wachstumsraten verbuchte und Ihren Fondsmanager mit sich zog. Aber jetzt ist die fröhliche Fahrt vorbei und die Anleger stellen so langsam fest, dass ihre Fondsmanager weitgehend nutzlos sind. Diese Beobachtung ist allerdings nicht ganz neu.
Warren Buffett sagte vor einigen Jahren über Ihren Fondsmanager Folgendes: „Auf anderen Gebieten bringen Fachleute, zum Beispiel Zahnärzte, dem Laien sehr viel, aber bei einem professionellen Vermögensverwalter bekommen die Menschen für ihr Geld nichts.“ Das wichtigste Wort ist hier „nichts“. Und trotzdem, was tun Sie? Sie geben Ihr schwer verdientes Geld einem dieser Menschen und hoffen, dass er die gleichen mindestens 15-prozentigen Erträge liefert wie in den 1990er-Jahren. Aber warum? Weil Sie Ihr Geld nicht selbst anlegen wollen und weil Sie die gesamte Branche der Finanzdienstleister davon überzeugt hat, dass Sie das nicht können.
Blicken wir doch den Tatsachen einmal ins Auge. In den Jahren 2000 bis 2003 haben die Investmentfonds die Hälfte ihres Wertes verloren. 50 Prozent Ihres Geldes zu verlieren – das hätten Sie auch ohne professionelle Hilfe geschafft. Im Jahre 1996 wurde tatsächlich ein Affe engagiert, der sich mit den besten Fondsmanagern in New York messen sollte. Er schlug sie zwei Jahre hintereinander. Als ich diese Geschichte in der Arrowhead Pond Arena in Los Angeles erzählte, rief jemand weit oben im Publikum: „Wie heißt denn der Affe?“ Das beweist, dass die Menschen alles Mögliche tun, nur damit sie ihr Geld nicht selbst anzulegen brauchen.
Peter Lynch, einer der wenigen Fondsmanager, die überdurchschnittliche Erträge erzielt haben, ist ausgestiegen, bevor ihn der Markt besiegen konnte. In seinem Buch „Der Börse einen Schritt voraus“ schreibt er, dass der Amateur-Anleger „zahlreiche Vorteile hat. Wenn er sie richtig nutzt, kann er den Markt und die Experten überflügeln.“ Das bedeutet, dass man das am besten selbst machen sollte. Aber Sie tun das trotzdem nicht. Das liegt daran, dass die gesamte Finanzindustrie drei Investmentmythen am Leben erhält, damit die Menschen trotz der armseligen Performance der Branche in allen längeren Zeiträumen weiterhin bei ihr investieren.
Die drei Investmentmythen
Mythos 1: Nur Fachleute können Geld verwalten.
Als Erstes möchte ich den Mythos zerstören, dass man viel Zeit und Fachkenntnisse braucht, um sein Geld zu managen. Das wäre wohl so, wenn Geldanlage schwer zu erlernen wäre oder wenn man viel Zeit brauchen würde, um sich die Informationen zu beschaffen, die man für Entscheidungen benötigt. Ich werde beweisen, dass dem nicht so ist, auch wenn uns die Finanzbranche das glauben machen will. Die Industrie verdient Milliarden daran, dass Sie glauben, Sie könnten das nicht selbst.
Das Internet hat alles verändert. Werkzeuge, die früher 50.000 Dollar im Jahr kosteten, gibt es jetzt für weniger als zwei Dollar am Tag und man braucht sie nur noch zwei Minuten pro Tag zu benutzen und nicht mehr 50 Stunden pro Woche. Außerdem sind die Internet-Tools genauer, aktueller und leichter zu benutzen als alles, was Ihrem Fondsmanager vor ein paar Jahren zur Verfügung stand. Sie brauchen nur eine kurze Einführung und eine kurze Lernphase. Aber fragen Sie bitte nicht Ihren Broker, Finanzplaner, Finanzberater, Steuerberater oder Fondsmanager, ob Sie das selbst machen sollten. Sie wissen ja, was die Ihnen sagen, zum Beispiel: „Aber das mache ich doch schon für Sie, machen Sie sich da mal keine Sorgen.“ Sie sollten sich aber Sorgen machen. Große sogar. Es geht um Ihr Geld und Sie sind der einzige, den es wirklich interessiert, was damit passiert.
Selbst ein Profi wie Jim Cramer, der eigentlich auf Ihrer Seite steht und der es gerne sehen würde, wenn Sie selbst investieren würden, weiß nicht wirklich, was es heißt, einer von uns zu sein. Wie die anderen Top-Leute der Finanzbranche auch hat Jim an einer Elite-Universität studiert, er ist unglaublich klug, er spielt den ganzen Tag und die ganze Nacht mit Aktien, er lebt und atmet das. Er weiß nicht, wie es sich anfühlt, wenn man wie Sie und ich irgendwo Gräben aushebt und hofft, dass man sich irgendwann zur Ruhe setzen kann. Für solche Menschen ist das ein Spiel. Ein ernstes Spiel zwar, aber trotzdem ein Spiel. Jim ist Trader und er spekuliert gern. Wenn man seine Methode befolgen will, muss man mindestens fünf bis zehn Stunden pro Woche investieren und dann spielt man ein gefährliches Spiel mit Geld, das zu verlieren man sich im Gegensatz zu wahrhaft reichen, schlauen und motivierten Menschen wie Jim nicht ohne weiteres leisten kann.
Wenn Sie glauben, Sie könnten dieses Spiel gewinnen, bitte sehr. Und wenn Sie wirklich gewinnen, Hut ab! Dann sind Sie bedeutend klüger als unsereiner. Für alle anderen einschließlich meiner Person muss es noch einen anderen Weg geben. Die meisten von uns können keine fünf Stunden die Woche für Investing aufbringen. Das ist eben so. Wir müssen Kinder aufziehen, ein Leben leben und für die Arbeit sowieso schon mehr Zeit aufbringen, als wir eigentlich haben. Wir wollen weder gezwungen sein, ständig die Börse zu beobachten, noch zu hektischen Day-Tradern zu werden. Würde Ihnen das etwa Spaß machen? Wir suchen etwas, in das wir investieren können, das uns richtig gute Erträge ohne Verlustrisiko bringt und ohne dass wir viel Zeit darauf verwenden. Regel 1 ist die Anlage für Menschen wie Sie und mich.
Mythos 2: Sie können den Markt nicht schlagen.
Es stimmt schon, 96 Prozent aller Investmentfonds-Manager haben es in den vergangenen 20 Jahren nicht geschafft, den Markt zu schlagen. Sie sind aber kein Fondsmanager und werden nicht danach beurteilt, ob Sie den Markt schlagen. Ihr Finanzgeschick wird danach beurteilt, ob Sie im Alter von 75 Jahren ein bequemes Auskommen haben. Sie sollten sich nicht darum kümmern, ob Sie den Markt schlagen. Wenn der Markt um 50 Prozent fällt und der Fondsmanager nur 40 Prozent verliert, dann mag er zwar den Markt geschlagen haben, aber finden Sie das gut? Wer nach Regel 1 investiert, erwartet einen kumulierten Jahresertrag von mindestens 15 Prozent. Wenn wir das bekommen, ist uns egal, was der Markt in dieser Zeit gemacht hat. Wir wollen uns sowieso zur Ruhe setzen. So gesehen ist man als Regel-1-Investor König.
Der Mythos, man könne den Markt nicht schlagen, wurde in den 1970er-Jahren unter anderem von Professor Burton Malkiel von der Princeton University aufgebracht. Er hat viele Forschungen angestellt, die beweisen sollten, dass niemand den Markt schlagen kann (mit Malkiels Theorien befassen wir uns später noch ausführlicher, aber wir müssen ihn hier schon erwähnen, um den Mythos zu entlarven). Sein Buch „A Random Walk Down Wall Street“ verkauft sich heute noch gut. Er hat eine ganze Generation von Wirtschaftsprofessoren beeinflusst, die kollektiv einer Theorie anhängen, die als Theorie der Markteffizienz oder Theorie der effizienten Märkte bekannt ist (Efficient Market Theory, EMT oder Efficient Market Hypothesis, EMH). Die EMT besagt, dass Märkte im Allgemeinen und der Aktienmarkt im Besonderen effizient sind – dass sie Dinge entsprechend ihrem Wert bewerten. Die Auf- und Abwärtsbewegungen des Aktienmarktes kommen dadurch zustande, dass rationale Investoren in jeder Minute auf Ereignisse reagieren, die sich auf ihre Investments auswirken könnten. Laut EMT ist der Markt derart effizient, dass alles, was man über ein Unternehmen wissen kann, minütlich in den Aktienkurs eingepreist wird. Das heißt, dass der Wert einer Aktie zu jedem Zeitpunkt dem Wert des Unternehmens entspricht.
Wenn das stimmt, so sagen die Professoren, die an die EMT glauben, ist es schlichtweg unmöglich, dass man unterbewertete Aktien findet, und genauso unmöglich ist es, dass man für eine Aktie zu viel bezahlt. Wieso? Weil der Preis immer dem Wert entspricht. Also gibt es am Markt weder Schnäppchennoch Wucherpreise. Laut den EMT-Vertretern ist dieser Umstand dafür verantwortlich, dass fast kein Fondsmanager den Markt übertrifft. Die Fondsmanager sind ja schließlich kluge Leute und wenn keiner von ihnen den Markt über längere Zeit schlagen kann, muss es ja wohl so sein, dass der Markt allem den perfekten Preis gibt.
Es gibt aber ein paar Menschen, die den Markt über längere Zeiträume schlagen, und dieses Buch soll Ihnen zeigen, wie das geht. Ihnen wird bald klar werden, wie falsch die EMT ist.
Warren Buffett hielt 1984 einen Vortrag an der Columbia Business School und belegte darin, dass mindestens 20 Investoren, von denen er vorausgesagt hatte, dass sie hohe Erträge erzielen würden, die Zielmarke von 15 Prozent über Zeiträume von mehr als 20 Jahren bequem überboten hatten. Alle diese Investoren gehörten der gleichen Investmentschule an, die Buffett als „Graham-and-Doddsville“ bezeichnete, weil alle die Methode entweder von den Professoren Graham und Dodd, von Buffett oder von jemandem gelernt hatten, der Buffett kopierte – genauso wie ich von meinem Lehrer gelernt habe und Sie von mir lernen (Benjamin Graham war Buffetts Lehrer an der Columbia University und David Dodd war dort ebenfalls Professor). Die erwähnten Investoren erzielten in einem Zeitraum von 80 Jahren durchschnittliche Erträge zwischen 18 und 33 Prozent im Jahr. Buffett wollte den Studenten der Columbia Business School damit vor allem sagen, dass alle Menschen, die seines Wissens über längere Zeiträume mehr als 15 Prozent schaffen, dies auf ähnliche Weise tun. Sie fangen alle mit Regel 1 an. Nach dem Börsendebakel der Jahre 2000 bis 2003, im Zuge dessen auch der Aktienkurs vieler guter Unternehmen um 90 Prozent abstürzte, kam Professor Malkiel in einem Interview dem Widerruf seiner Theorie so nahe, wie ein Akademiker das eben kann (siehe Kapitel 8), denn er räumte ein: „Der Markt ist im Allgemeinen effizient, […] aber von Zeit zu Zeit dreht er durch.“ Aha. Er ist effizient, aber manchmal doch nicht. Irgendwie komisch, ich dachte mir dabei, dass Buffett und Graham das doch schon seit 80 Jahren sagen. Buffett sagte einmal spöttisch, er hoffe bloß, dass die Business Schools weiterhin EMT-gläubige Fondsmanager hervorbringen, dam...