III. Kriminelle und Spekulanten greifen zu
Krimis im DDR-Fernsehen waren stets ein Spagat. Einerseits sollten sie die Wirklichkeit abbilden, andererseits dem BĂŒrger aber auch das GefĂŒhl geben, zuverlĂ€ssig vor den dunklen Seiten des Alltags geschĂŒtzt zu sein.
Erich Honecker hatte Anfang der siebziger Jahre die Macht in der DDR ĂŒbernommen und 1971 auf dem VIII. Parteitag der SED das Fernsehen aufgefordert, »eine bestimmte Langeweile zu ĂŒberwinden«. Eher durch Zufall startete acht Tage spĂ€ter die TV-Reihe »Polizeiruf 110«.
Schauspieler Peter Borgelt als »Oberleutnant Fuchs«, spĂ€ter zum »Hauptmann« befördert, agierte zunĂ€chst zurĂŒckhaltend. Autor und TV-Kritiker Peter Hoff: »Den ersten âșPolizeirufâč-FĂ€llen war noch eine gewisse Sorge anzumerken, der DDR-RealitĂ€t allzu nahezukommen. Die FĂ€lle sind nicht prĂ€zis lokalisiert, die Opfer, TĂ€ter und Zeugen sind lediglich bezĂŒglich ihrer sozialen und weniger nach ihrer geografischen und soziokulturellen Herkunft definiert.«
Zur zitierten »DDR-RealitĂ€t« gehörte damals, dass der Kunstdiebstahl aus den kaum oder gar nicht gesicherten Museen, Schlössern und Kirchen in Mode kam. Ein erster »110«-Krimi wurde dazu im Januar und Februar 1972 gedreht. Es ging um eine vermeintliche FĂ€lschung einer Grafik von William Hogarth aus dem 18. Jahrhundert. Die Drehbuchautoren Jerzy Bednarczyk, Jan Laskowski und Gerhard Branstner bauten ihre Story um das bekannte Verschwinden von Kunstwerken im Zweiten Weltkrieg und den (beabsichtigten) Schmuggel ins Ausland nach dem Wiederauftauchen. Das wurde alles recht langatmig und kompliziert erzĂ€hlt. Deshalb flog der Film aus der Polizeiruf-Reihe und wurde am 15. April 1973 nur ein einziges Mal im Fernsehen unter dem Titel Alarm am See in einer auf 54 Minuten zusammengekĂŒrzten Fassung gezeigt. Nach dem Ende des DDR-Fernsehens ordneten ihn die Nachlassverwalter wieder in die Serie ein.
Die Wirklichkeit hatte derweil die Fiktion ĂŒberholt. Unter den Leuten sprach sich herum, dass Kunst und AntiquitĂ€ten eine im Westen gern genommene Handelsware war. Ăber den »Ausverkauf« in Museen wurde gemunkelt und spektakulĂ€re KunstdiebstĂ€hle lieĂen sich nicht mehr völlig verheimlichen. Allerdings konnten DDR-BĂŒrger bei derartigen Delikten nur eine kleine Rolle spielen. Den meisten fehlte das Geld fĂŒr teure Hehlerware, die sich im Land ohnehin nur schwer absetzen lieĂ.
Krimis um KriminalitĂ€t mit Kunst und Kulturgut berĂŒhrten gleich zwei politisch heikle Punkte: Sie mussten im Beziehungsdschungel zwischen Ost und West spielen, um die GeschĂ€fte ĂŒberhaupt glaubhaft zu machen, und sie zitierten zwangslĂ€ufig die gemeinsame Geschichte der beiden deutschen Teilstaaten. In dieser Gemengelage sollten sie »bei den Zuschauern die Ăberzeugung zu stĂ€rken, in einem sozialistischen Staat zu leben, in dem die Sicherheitsorgane erfolgreich zum Schutz der BĂŒrger und ihres gesellschaftlichen Wohlbefindens wirken«, wie es der Jahresplan des Fernsehens fĂŒr 1986 formulierte.
Damit war eine Schwarz-WeiĂ-Malerei vorgegeben. Das warf Probleme auf, denn die TV-Krimis durften nicht allzu plakativ sein, sondern sollten die Zuschauer ĂŒberzeugen.
Im Sommer 1981 produzierte das Fernsehen den Polizeiruf Die lieben Luder. Drehbuchautor Helmut KrĂ€tzig baute in eine Nebenhandlung einen Kunstdiebstahl aus einem Museum ein. Auf die Beute wartete bereits ein NiederlĂ€nder. Dass er sie schlieĂlich nicht fĂŒr harte Devisen billig kaufen konnte, wusste »Hauptmann Fuchs« zu verhindern. Die »falsch dargestellte Polizeiarbeit« fĂŒhrte dann aber doch dazu, auch diesen Film aus der Serie auszusondern. Er lief als Einzelfilm am 13. Februar 1983 und wurden ebenfalls erst spĂ€ter wieder dem »Polizeiruf 110« zugeordnet.
Besser gelang der Film Die Spur des 13. Apostels, wenige Wochen nach den »Ludern« gedreht. Das Drehbuch von Wolfgang Held griff den derweil grassierenden Raub von sakralen GegenstĂ€nden aus dem Ostberliner Umland auf. Am 6. MĂ€rz 1983 flimmerte der Film auf den FernsehgerĂ€ten â 47,3 Prozent der Zuschauer sahen ihn sich an. Sie bekamen vor allem einen erzieherischen Wink. TV-Kritiker Peter Hoff: »âșDie Spur des 13. Apostelsâč konzentriert sich auf die Tat und lĂ€sst als Tatmotiv bei den jungen DDR-BĂŒrgern das Streben nach Luxus anklingen, vor allem nach einem unkonventionell eingerichtetem Heim mit Stilmöbeln, einem Wochenendhaus am Wasser mit Bootssteg und einem schnellen Auto, alles Dinge, die nur fĂŒr viel Geld zu haben waren.«
Damit hatten Krimis um Kunst und Krempel ein Thema gefunden, das vor allem ein Problem der DDR reflektierte. Die Mangelwirtschaft im Land lieà in den achtziger Jahren einen umfÀnglichen grauen Markt entstehen. Der Film Billig zu verkaufen in der Regie von Gabriele Denecke aus der Reihe »Der Staatsanwalt hat das Wort« malte 1988 dazu ein Sittenbild des »realen Sozialismus«.
Der junge Tischler Holger Wiese will vor allem Geld verdienen. Er hĂ€ngt seinen Beruf an den Nagel, weil der Handel mit alten Möbeln mehr einzubringen scheint, als das Bauen von neuen. Dadurch gerĂ€t er an ein GaunerpĂ€rchen, das von kriminellen Praktiken beim An- und Verkauf von AntiquitĂ€ten lebte. Holger Wiese wird zum betrogenen BetrĂŒger. Der »Wissenschaftliche Berater« der Reihe, Staatsanwalt Peter Przybylski, erklĂ€rte im ĂŒblichen pastoralen Stil, dass es so nicht gehe. Das zeigte auch schon der Film hinreichend, in dem TV-Kritiker Peter Hoff »manch moralisierende Sentenz« ausmachte, die »die Geschichte mit didaktischen LĂ€ngen befrachtet.«
In der Gesamtschau auf die Krimis im DDR-Fernsehen, die sich mit dem lukrativen Handel von Kunst und AntiquitĂ€ten befassten, standen die pĂ€dagogischen Fingerzeige stets unĂŒbersehbar im Raum. Dass sie tatsĂ€chlich ihre beabsichtigte Wirkung entfalteten, ist jedoch zu bezweifeln. Wo es Wertvolles mit relativ geringem Aufwand und wenig Risiko zu stehlen gab, wurde zugegriffen. Die kaum gesicherten Museen luden zu kriminellem Tun ein. Die Spur der Beute fĂŒhrte nahezu zwangslĂ€ufig gen Westen, denn nur dort lieĂ sie sich profitabel umsetzen. Das gelang besonders dann, wenn es sich um die ehrwĂŒrdige Ausstattung ostdeutscher Kirchen handelte.
Sakrale Kunst im Visier
Kunstwerke in Kirchen, oft von unschĂ€tzbarem Wert, werden vom Betrachter meist nicht als solche wahrgenommen. Sie gelten als ĂŒbliche Dekoration des GottesÂhauses und erscheinen den meisten kaum als besonderer Schatz. In der DDR kam die weite Verbreitung des Atheismus hinzu. Er erlaubte kaum eine thematische Auseinandersetzung mit den Kunstwerken oder gar ihre kulturgeschichtliche Einordnung.
Das Statistische Jahrbuch der DDR gab fĂŒr 1986 rund 5,1 Millionen Mitglieder der evangelischen und etwa 1,1 Millionen der katholischen Kirche an. Die wenigsten von ihnen gingen regelmĂ€Ăig in die Kirche. DemgegenĂŒber zĂ€hlten die damals 714 Museen des Landes 34.321.900 Besucher im Jahr. Kam es zu einem Diebstahl in einem solchen Museum. lieĂ sich das kaum vor der Ăffentlichkeit verbergen. Anders in Kirchen. Der Verlust einer Madonna oder eines Altarbildes fiel meist nur dem Pfarrer, Insidern und Fachleuten auf. DarĂŒber berichtet wurde wenig.
Das war auch in der Dorfkirche in Paretz bei Potsdam der Fall. Sie unterschied sich von anderen lĂ€ndlichen GotteshĂ€usern, weil der damalige Kronprinz Friedrich Wilhelm und seine Gemahlin Luise 1795 das Gut kauften und 1797 die Neugestaltung der Kirche nach ihren WĂŒnschen finanzierten. Theodor Fontane besuchte 1861, 1869 und 1870 Paretz und schwĂ€rmte von den königlichen Geschenken und den GemĂ€lden in der Kirche, »meist Jugendarbeiten des trefflichen Wach«. Karl Wilhelm Wach (1787â1845) begann seine Karriere als 20-JĂ€hriger mit einem Altarbild in Paretz. Mit einem GemĂ€lde der beliebten Königin Luise schaffte er 1812 seinen kĂŒnstlerischen Durchbruch. Er schuf ein DeckengemĂ€lde im Schinkelschen Schauspielhaus in Berlin und wurde mit vierzig Jahren Hofmaler des Königs.
Am 3. November 1979 verschwanden in der Dorfkirche Paretz vier GemĂ€lde und zwei Paar Altarleuchter. Kriminelle hatten offenbar zugegriffen. Neben anderen nahmen sie ein kleines GemĂ€lde der Malerin Julie Mihes (1786 â1855) aus Breslau mit, das König Friedrich Wilhelm III. vermutlich 1816 auf der Berliner Akademieausstellung kaufte. Es zeigte »Maria mit dem Christuskind« und gelangte nach dem Diebstahl auf ungeklĂ€rten Wegen in das Lager der Kunst und AntiquitĂ€ten GmbH MĂŒhlenbeck. Von dort ging es in den Antikshop des KaDeWe in Westberlin.
ZufĂ€llig entdeckte es dort KunsthĂ€ndler Kristian Ebner von Eschenbach. Er kannte das Bild aus der Paretzer Kirche und kaufte es fĂŒr 8.000 DM. Damit verband er einen ganz besonderen Plan. Ein mit dem Westberliner befreundetes Ehepaar aus Potsdam wollte in den Westen ausreisen, bekam aber keine Genehmigung dafĂŒr. Nun bot Ebner von Eschenbach ĂŒber einen Rechtsanwalt der DDR diskret die RĂŒckgabe an, wenn dafĂŒr seine Bekannten das Land verlassen durften.
In der KuA-Zentrale analysierte man das Angebot und kam zu dem Schluss, dass der Mann kaum einen öffentlichen Skandal provozieren wĂŒrde, nĂ€hme man ihm nur das Bild ohne jede Gegenleistung ab. Und genau so geschah es. 1985 ĂŒbergab ein Mitarbeiter des VEB Antikhandels Pirna dem pensionierten Pfarrer Koch in Paretz die zurĂŒckgekehrte »Maria mit dem Christuskind«. Die Potsdamer durfte nicht ausreisen, die anderen gestohlenen GegenstĂ€nde und GemĂ€lde gelten bis heute als verloren.
Spurlos verschwunden blieben auch zwei geschnitzte Figuren aus der SpĂ€tgotik und ein Porzellan-Kruzifix aus der Kirche im sĂ€chsischen Tauscha. Eine der Holzfiguren zeigt Maria mit dem Jesuskind, die andere eine bekrönte Heilige. Wahrscheinlich stammten sie aus einem um das Jahr 1500 entstandenen Altar. Beide der etwa 85 Zentimeter groĂen Statuen wiesen altersbedingte SchĂ€den auf. Die FĂŒĂe wurden bei einer frĂŒheren Restauration durch Gips ersetzt. Maria ist ĂŒberdies verstĂŒmmelt und auch die unbekannte Heilige hat keine HĂ€nde mehr. Deshalb ist sie nicht genau zu bestimmen. Frank Schmidt, Leiter des Kunstdienstes der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens sagt: »Da mit den HĂ€nden alle Attribute fehlen, bleibt es dabei, dass es sich um eine nicht nĂ€her zu identifizierende jungfrĂ€uliche MĂ€rtyrerin handelt.«
Vielleicht stand sie deshalb 1913 auf dem Dachboden der Tauschaer Kirche, als sie der Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt (1850 â1938, Vater des spĂ€teren Nazi-KunsthĂ€ndlers Hildebrand Gurlitt) als Kunstdenkmal des Königreichs Sachsen inventarisierte. Dazu gehörte auch das Gesamtkunstwerk des ungewöhnlichen Altars in der Tauschaer Kirche, den ein Porzellan-Kruzifix von Johann Joachim KĂ€ndler (1706 â1775) schmĂŒckte. Gurlitt notierte die Inschrift auf der RĂŒckwand des Schreins: »Dieser Altar hat dem groĂen Gott / zu Ehre, und aus Liebe zur Gemeinde / in Tauscha aufrichten lassen / J. G. v. W. / 1745. / Johann Joachim KĂ€ndler. / Königl. Modell-Meister, / Inventor.« Der Kunsthistoriker vermerkte dazu: »Vorstehende Buchstaben mit bezug auf Johann George von Wichmannshausen. Es dĂŒrfte der Nachweis von Wert sein, dass der berĂŒhmte Modelleur der MeiĂner Porzellanfabrik auch in Holz arbeitete.«
Am 8. September 1977 zerstörten Diebe das kulturgeschichtlich bedeutsame Ensemble. Wie immer am Donnerstag probte der MĂ€nnerchor im nahen Gasthaus. Pfarrer Lochmann war froh, dass sein Gotteshaus endlich mal wieder innen renoviert wurde. Ob deshalb die Kirche eventuell nicht verschlossen war, wusste spĂ€ter niemand mehr so genau. ABV Hoffmann von der Volkspolizei, der alarmiert wurde, nachdem die beiden Figuren und das Altarkreuz verschwunden waren, fand keine Einbruchspuren. Der »AbschnittsbevollmĂ€chtigte« meinte, eventuell sei ein NachschlĂŒssel benutzt worden. Auch die Zufallszeugen in der NĂ€he der Kirche konnten nicht viel sagen. Ein fremdes Auto sei im Dorf gewesen, mehr hatte kaum jemand bemerkt.
Die beiden Heiligen hingen gemeinsam mit einer dritten Figur aus der Zeit â Jakobus mit der Muschel â links des Altars an einfachen NĂ€geln an der Wand. Gesichert waren sie nicht. Erstaunlich blieb, dass der oder die Diebe diese dritte Figur zurĂŒcklieĂen. Der heutige Pfarrer, Eike Staemmler, meint, die TĂ€ter könnten gestört worden sein. Er ist auch davon ĂŒberzeugt, dass die DDR-Behörden keine groĂe Sorgfalt bei den Ermittlungen ĂŒbten: »Das ging an den Bezirk, und dann war es versackt.«
Die Gemeinde deponierte ihren wertvollen Jakobus nach dem Diebstahl im Tresor der GroĂenhainer Marienkirche. Erst seit November 2012 war er wieder in Tauscha zu sehen. Das KĂ€ndler-Kruzifix konnte 2010 nach den in der MeiĂner Manufaktur noch vorhandenen Unterlagen neu geschaffen werden. Die bislang letzten Spuren der Maria mit dem Kinde und der unbekannten gekrönten Heiligen finden sich seit 2013 im Fahndungsverzeichnis des Bundeskriminalamts.
Der Diebstahl von sakraler Kunst fand seit den siebziger Jahren im DDR-Fernsehkrimi seine Widerspiegelung. Wie der Griff ins »Volkseigentum«, diente auch er als Beispiel fĂŒr gesellschaftliches Fehlverhalten. Dabei spielten jene die entscheidende Rolle, die noch im »bĂŒrgerlichen Denken« verhaftet waren. Im »Polizeiruf« Eine Madonna zu viel von 1973 standen dafĂŒr ein gut betuchter Arzt und ein geldgieriger Kunsthistoriker, die als »AuĂenseiter der sozialistischen Gesellschaft« agierten. Das attraktive Objekt der Tat â eine wertvolle Madonnen-Skulptur, die gegen eine Kopie ausgetauscht wurde â bildete den Katalysator, an dem sich der verabscheuungswĂŒrdige Drang nach persönlicher Bereicherung darstellte. TV-Kritiker Peter Hoff charakterisierte die Folge als »Delikt am Rande der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit, denn die Zahl der ernsthaften Kunstsammler war nicht sonderlich groĂ, obwohl Kunstwerke auch schon in der DDR sichere Geldanlagen fĂŒr besserverdienende Mitglieder der sozialistischen Leistungsgesellschaft waren.«
Der Drang nach dem groĂen Geld bestĂ€tigte sich am Ende der DDR. In Bamberg verkaufte ein Mann zwei uralte Altarbilder. Erst siebzehn Jahre spĂ€ter stellte sich ihr wahrer Wert heraus.
Cranach aus Klieken
Die Mauer war kaum gefallen, da tauchte in einem Auktionshaus im frÀnkischem Bamberg ein Besucher aus Jena mit we...