V. Respekt, Zeugnis und die Bedeutungvon persönlichem Glauben
Vom Träumen und Glauben – Meriem erzählt
Meriem arbeitet im Sozialen Dienst in der Flüchtlingsnotunterkunft in Berlin-Spandau.
Ich bin in Marokko geboren. Wir haben aber nachher in Libyen gelebt. Als ich siebzehn war, habe ich geheiratet; das heißt, ich bin von meinen Eltern verheiratet worden. Ich kannte meinen Mann vorher nicht. Nachher merkte ich, dass ich seine zweite Frau war. Als zweite Frau bist du nichts! Ich habe sehr gelitten. Er hat mich geschlagen. Ganz schlimm. Immer wieder. Da bin ich zum Gericht gegangen. Aber der Richter hat gesagt: „Was willst du? Das ist normal. So ist das unter der Scharia.“ Da hab ich beschlossen, nach Deutschland zu fliehen. Ich hatte gehört, in Deutschland haben die Frauen einige Rechte.
Ich bin 2002 nach Deutschland gekommen. Hier im Asylantenheim habe ich meinen Mann kennengelernt. Er ist Perser und spricht Farsi. Ich Arabisch. Miteinander reden wir Deutsch.
Er ist hier immer in eine christliche Gemeinde gegangen. Er erzählte, dass sein Vater und seine Onkel ihm zu Hause schon als Kind ganz viel Angst vor Allah gemacht haben. Sie haben gesagt: Wenn du das und das tust, steckt er dich in die Hölle. Und so. – Als er hier war, hat er gedacht, da stimmt was nicht mit Allah. Gott muss eigentlich anders sein.
Ich wollte nicht mit in die Gemeinde. Ich war doch immer schon Muslima. Aber dann hatte ich einen Traum: Über mir sah ich das Paradies. Es war ganz hell. Und es zog mich immerzu nach oben. Da war gar keine Grenze mehr dazwischen. Das kannte ich nicht. Es zog und zog mich nach oben. Das war so schön, dass ich gar nicht aufwachen wollte. Also aus dem Traum. Danach bin ich mit in die Gemeinde gegangen.
Wenn du nach Deutschland kommst, das ist schwer, sehr schwer. Du kannst die Sprache nicht und alles ist fremd. Du gehörst einfach nicht dazu. Es gibt viele Deutsche, die sind sehr freundlich. Aber Liebe, so aus dem Herzen, die habe ich nur von Christen erlebt. Ehrlich. Die waren so liebevoll. Beim Frauenfrühstück zum Beispiel. Also die Liebe strahlt immer aus ihren Augen.
Ich habe mir dann eine arabische Bibel gekauft. Und habe im Alten Testament angefangen. Aber da habe ich ganz schnell wieder mit aufgehört. Ich dachte: Das kenn ich. Dann hab ich die Evangelien gelesen, alle vier: Matthäus und Markus und Lukas und Johannes. Und als ich Johannes durchhatte, war mir plötzlich alles klar und ich habe gesagt: Ja Jesus, du bist mein Gott!
Ihr müsst wissen: Im Islam kennen wir Gott nicht als Vater. Es ist richtig verboten, zu ihm Vater zu sagen. Aber durch Jesus hab ich verstanden, er ist wirklich unser Vater, voller Liebe. – Und dann das mit der Liebe zu den Feinden. Ich habe meine Feinde gehasst. Oh, was habe ich sie früher gehasst! Ich konnte gar nicht anders. Ich habe die Juden gehasst. Ich wusste aber nicht warum. Ich habe die Christen gehasst. Und ich wusste nicht warum. Den Islam fand ich gut. Nur, ich wusste auch nicht warum.
Jesus hat mich vom Hass frei gemacht. Das kann nur er. Ich bin wirklich anders geworden.
Und jetzt will ich natürlich helfen. Dass die neuen Flüchtlinge hier ankommen können. Und auch, dass sie was von unserem Glauben kennenlernen. Muslime glauben ja auch an Allah, also an Gott. Aber sie wissen überhaupt nicht, dass er ein liebevoller Vater ist.
Inzwischen leiten Meriem und ihr Mann einen zweisprachigen Bibelkreis in der Flüchtlingsunterkunft in Spandau.
Esra – eine junge Frau zwischen den Welten
Esra Biskin wohnt im Refugio und arbeitete ein Jahr mit Minijob im Refugio-Café. Wohin gehöre ich, wo bin ich zu Hause? Viele Menschen fragen sich das, mehr, als man denkt. Esra verließ die Türkei, als sie dort nicht mehr studieren konnte. Ihre Generation war im Aufbruch und sie war es auch.
Esra ist eine leidenschaftliche junge Frau, die das Große im Leben sieht. Sie ist in Deutschland offiziell kein Flüchtling, aber eine Heimat hat sie nicht. Sie hat viele Heimaten. Deutschland ist so eine, Istanbul, ihre Familie, Literatur, Musik. Die Liebe. Esra liebt Rumi, einen mystischen Dichter, der als Dichter und Geistlicher die Sufitradition in der muslimischen Kultur begründete. Rumi hatte einen Lehrmeister und Freund, der ihm genommen wurde, danach entstanden Gedichte um Gedichte tiefster Suche und Sehnsucht nach dem Freund, der für Gott steht.
Als Mädchen war sie in einem muslimischen Internat und sehr religiös gewesen. So religiös, dass sogar ihre liberalen Eltern strenggläubige Muslime wurden. Danach wurde der Sufismus ihr Weg. Was sie heute ist, sagt sie in eigenen Worten:
„Als ich nach Deutschland kam, fragte ich mich, wie ich in diesem Land ohne Meer und ohne Geruch des Meeres leben kann. In Deutschland gibt es aber Meer in allen Augen. In jedem Auge kann man das wunderbare Meer sehen. Ihr Deutschen habt im Herzen das Meer, das verdammt schöne Meer. Wusstet ihr das? Ihr solltet euch alle einmal mit meinen Augen sehen, dann könnt ihr merken, wie einzigartig ihr seid. Hier habe ich sogar ein Meer gefunden, von dem ich ein Teil sein kann.
Ein Jahr im Refugio zu sein ist eine große Chance auf dieser Erde. Ich habe meine anderen Seiten entdeckt … Wir lernen im Leben immer weiter und ich finde es eine Entdeckung, ein Geschenk vom Vater zu sein … Ich habe hier im Refugio gelernt, wie man tief leben kann … Wir sind alle ein Teil vom Vater und ein Teil der Geschichte vom Sohn. Wir müssen nicht sagen, woran wir glauben oder womit wir leben. Wir müssen nur leben, woran wir glauben. Das ist das Wasser für unseren Garten. Damit zeigen wir, dass wir Harmonie haben. Aber ich will trotzdem sagen, ich bin sehr froh, Jeremia kennengelernt zu haben, und den Sohn des Vaters und die Geschichte der Namen, die in der Bibel stehen. Ich habe akzeptiert und verstanden, dass ich ein Teil der ganzen Geschichte bin. Deswegen verhalte ich mich entsprechend zu dem, woran ich glaube. Aber wenn ich eine Religion hätte, hätte ich die christliche Religion gewählt. Vielleicht bin ich ja auch schon Christin, aber habe es noch nicht laut gesagt … Ich bin Esra, die hier im Herzen eine Revolution gemacht hat …“
Sie ist Anfang zwanzig und was man eine alte Seele nennen würde. Sie ist gar nicht groß, aber sie kann den Raum beherrschen. Als Co-Managerin des Cafés scheuchte sie manchmal Lieferanten herum wie ein strenger Schulmeister seine Erstklässler. Dann drehte sie sich um und fragte Menschen freundlich: „Bist du glücklich? Was suchst du? Hast du jemals geliebt?“ Sie liebt starke Gegensätze.
Im Refugio trifft man sie manchmal um 4 Uhr morgens im Café, durch das alle Bewohner gehen müssen, und dort liest sie oder schreibt. Sie schreibt viel auf. Und sie postet viele Bilder. Sie ist eine junge Frau auf der Suche nach ihrem Lebensweg, der oft unterbrochen und versperrt wurde. Und die Welt hatte oft keine Alternative, sie steckte fest. Wohin mit mir? Was soll ich auf dieser Welt? Was ist meine Aufgabe, was ist mein Glück?
Für Esra ist das Refugio ein Haus der Heilung. Sie gerät oft mit ihren Nachbarn aneinander, weil sie leidenschaftlich ist. Aber genauso ist sie für die anderen da, auch für die Kinder im Haus, die Familie. Sie streitet, sie lacht, sie versöhnt sich gerne, sie will Frieden.
Das Refugio ist für Esra eine neue Heimat, die Gemeinschaft des Sharehauses wird immer für sie eine Familie sein. Hier wird sie ernst genommen. Hier muss sie keine Angst haben. Hier darf sie glauben, denn es ist gar nicht einfach, in einer so religiös radikalisierten Welt ein Mensch zu sein, der sich durch keine Religion zu sehr einengen lassen will. Und die jeden Tag mit ihrem Vater spricht, nämlich Gott, der der Schöpfer ist, allmächtig und doch ihr Freund, der ihr geduldig zuhört, wenn sie stundenlang mit ihm streitet, jammert, sich freut und lacht. Gott sagt oft nichts, schweigt, das ist hart, sagt sie. Aber er hört zu. Er ist immer da. Sie weiß die Antwort auf so viele Fragen nicht, und er sagt auch nichts, aber er ist da, und er ist voller Liebe, wie Rumis geliebter Freund, der weggegangen ist, und doch in jeder Zeile von Rumis Gedichten präsent ist.
Esra schreibt. Sie schreibt sogar auf Türkisch eine Geschichte über das Haus für einen Verlag. Sie ist Schriftstellerin und lernt Deutsch. Türkisch ist ihre Poesie, auch weil die Sprache blumiger ist, im Deutschen muss sie noch viele ungewohnte Worte lernen, die groß klingen wie: Entscheidungsfreiheit, Entwicklungssprung, Vorschuss, Liebesschwur. Dafür bereichert sie das Deutsche mit Redewendungen aus dem Türkischen wie: Du hast Teufelshaare! Was heißt, dass jemand sehr beliebt und begünstigt ist.
Esra betet auch mit. Sie liebt unsere christlichen Gebete bei Teamsitzungen, unsere Heilungsgebete, Umarmungen, Ermutigungen, denn sie hat eine tiefe Liebe für ihren heiligen Gott, den liebenden Vater. Zum ersten Geburtstag des Refugios hielt sie eine sehr poetische Rede, in der sie beschreibt, wie sie das blaue Meer, das sie hier so vermisst, in den Augen der Deutschen wiederfindet. Und dass sie keine Integration will, sondern dass alle Menschen wie Blumen in einem Garten in Harmonie leben.
Die wilde Esra. Sie erlaubt sich inzwischen sogar Demut. Als junge Frau in der Türkei war das nichts für sie. Dort muss man sich behaupten. Als Frau zählt man da nicht viel. Aber hier, hier ist sie jemand, egal ob Frau, Sufi, Christin, Türkin, klein oder groß, sie ist wichtig und wertvoll. Darum traut sie sich auch, demütig zu sein. Sie widerspricht nicht gleich, sie hört zu, sie greift nicht mehr an, und langsam, aber immer mehr heilt der Bruch mit ihrer Familie, was ein kleines Wunder ist.
Gott, sagt sie, ist ihr wahrer Reichtum. Nur Jesus ist ihr noch nicht ganz klar, warum der Vater seinen Sohn schickt zum Sterben.
Für solche Fragen gibt es den „Basiskurs Christlicher Glaube“, den wir als Refugio mit unserer Kooperationsgemeinde Kreuzbergprojekt anbieten. Wir laden nicht nur Taufbewerber ein, sondern auch alle die, die viele Fragen haben. Das sind Geflüchtete und auch Einheimische. Fragen haben nicht nur sie, sondern auch wir...