Weniger Gehalt
Kaum ein Satz ĂŒber die Banker ist seit der Finanzkrise so oft geschrieben worden wie die Formulierung: »Das Casino ist wieder geöffnet.« Die Banker, so kann es mittlerweile jedes Kind aufsagen, langen nach der Krise wieder gierig zu.
Von Christian Siedenbiedel
SchlieĂlich liest man gerade aus Amerika laufend Berichte, dass etwa Investmentbanken wie Goldman Sachs die Bonusrekorde aus der Vorkrisenzeit lĂ€ngst ĂŒbertroffen hĂ€tten. Aber wie ist es in Deutschland? Wird in den Banken wirklich ĂŒberall mehr verdient als vor der Krise?
Einen ersten Anhaltspunkt fĂŒr die aktuellen GehĂ€lter zumindest fĂŒr die oberste Ebene liefern die GeschĂ€ftsberichte der Banken, die dieser Tage veröffentlicht werden. Commerzbank-Chef Martin Blessing durfte »nur« 500.000 Euro im Jahr verdienen â so hatte es der Bankenrettungsfonds Soffin festgelegt. »Das entspricht 2011 dem Betrag von 2010, dem von 2009 und dem von 2008«, sagt er selbst. Auf der Ebene darunter aber gab es sogar bei der staatlich gestĂŒtzten GroĂbank zum Teil deutlich mehr.
Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann musste immerhin seinen Spitzenplatz als Top-Verdiener unter den Dax-Bossen abgeben. Er kam auf rund neun Millionen Euro â was noch kein Grund fĂŒr Mitleid sein dĂŒrfte, aber immerhin rund sechs Prozent weniger war als 2009. Und er verdiente damit erstmals weniger als Volkswagen-Chef Martin Winterkorn, der nach einem Rekordjahr seines Konzerns rund 9,3 Millionen Euro eingestrichen hat. Industrie schlĂ€gt Banken â auch das ist ein Teil der Wirklichkeit nach der Finanzkrise.
Aber was ist mit den vielen anderen Bankern, die nicht reich und berĂŒhmt sind, aber auch nicht gerade hinter dem Schalter stehen? Immerhin trifft man in Frankfurt jetzt gestandene Privatbanker, die beim Mittagessen jammern, die GehĂ€lter in der Branche stĂŒnden mĂ€chtig unter Druck: Die vielen Auflagen zur Regulierung der Branche zeigten Wirkung â auĂerdem habe die Finanzkrise die Zahl der Stellen reduziert, auf die man sich bewerben könnte, um mehr Geld zu bekommen.
Ist das glaubhaft? Wenn man mit VergĂŒtungsexperten wie Jens Massmann von Ernst & Young oder Martin Emmerich von Towers Watson spricht, zeigt sich ein differenzierteres Bild. »Unser Eindruck ist, im Top-Management der Banken wird wieder sehr gut verdient«, sagt Massmann. »Auf vielen der unteren Managementebenen dagegen sind die Niveaus der Vorkrisenzeit noch nicht wieder erreicht â und es gibt keine so starke Differenzierung mehr wie frĂŒher.«
Soll heiĂen: StĂ€rker noch als vor der Krise werden die Superstars der Branche umworben. Ihre GehĂ€lter haben lĂ€ngst das Vorkrisenniveau erreicht, und wenn noch irgendwo ein paar tausend Euro fehlen, juckt das auch keinen groĂ. Dagegen sind die unteren Ebenen dichter zusammengerĂŒckt â egal, ob sie sich Associates, Direktoren, Exekutivdirektoren oder Vice Presidents nennen. Ihr Einkommen besteht jetzt stĂ€rker aus Festgehalt, weniger aus Bonus â mit dem Ergebnis, dass die Unterschiede geringer sind als frĂŒher. SchlieĂlich haben viele Banken, darunter die Deutsche, Boni gekĂŒrzt und ĂŒber mehrere Jahre gestreckt â dafĂŒr zahlen sie jetzt mehr Festgehalt.
GrundsĂ€tzlich scheint auĂerdem zu gelten: Genau die Bereiche in den Banken, die in der Krise prozentual die gröĂten EinbuĂen hinnehmen mussten, haben jetzt am schnellsten die alten Rekorde erreicht. VergĂŒtungsexperte Emmerich nennt allen voran â wen? Na, die Investmentbanker: »Da lĂ€uft der Aufholprozess viel schneller als im FirmenkundengeschĂ€ft«.
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 20.03.2011
Die Banker-Boni als moralischer Dauerbrenner
Die Logik der hohen Boni
Banker verdienten zuletzt 20 Prozent mehr als gleich Gebildete in anderen Jobs. Wieso nur?
Von Lisa Nienhaus
Es ist eine der Lieblingsstudien der Banker dieser Welt, zitiert auf jedem Bankenkongress und gerne erwĂ€hnt, wenn Bankchefs einmal wieder Boni-KĂŒrzungen anmahnen: eine Arbeit von Thomas Philippon von der New York University und Ariell Reshef von der University of Virginia. Sie behandelt die hohen Verdienste und die gute Ausbildung der Angestellten in der Finanzwelt. Und um es vorwegzunehmen: Die Studie geht nicht gerade schmeichelhaft fĂŒr die Banker aus.
Philippon und Reshef betrachten den Verdienst der amerikanischen Banker und ihre Bildung historisch, nĂ€mlich seit 1909. Kurz zusammengefasst zeigt sich dabei eins: Jeweils vor den groĂen Krisen der Finanzindustrie, also vor der Weltwirtschaftskrise von 1929 und vor der Finanzkrise von 2008, stiegen die GehĂ€lter und die Ausbildung der Banker schnell und steil an und lieĂen andere Branchen weit hinter sich. Dazwischen hingegen ging es stark nach unten. Sowohl die Entlohnung als auch die Bildung der Banker sank im Vergleich zu anderen Branchen seit Ende der 30er Jahre bis Anfang der 80er Jahre. 1980 lag sie dann etwa auf dem Niveau anderer Jobs.
Es war also keineswegs immer so, dass die Angestellten in der Finanzbranche mehr verdienten als anderswo. Und es war auch nicht immer so, dass die klĂŒgsten Harvard-Absolventen zu Goldman Sachs gingen. Das ist eine Entwicklung der letzten dreiĂig Jahre, die darin gipfelte, dass Banker 20 Prozent mehr verdienten als Gleichqualifizierte in anderen Branchen.
Mit diesen Zahlen haben die Forscher im Jahr 2009 groĂe Aufmerksamkeit erregt. Jetzt zeigen sie in einem neuen Papier, dass dieser Trend nicht nur fĂŒr Amerika gilt. FĂŒr die Zeit von dem Jahr 1970 bis heute haben sie die Bezahlung und Bildung der Angestellten im Finanzsektor in vielen IndustrielĂ€ndern untersucht. Ihr Ergebnis: Auch in Deutschland, DĂ€nemark, den Niederlanden, Schweden und Kanada stieg in den vergangenen Jahren die Bezahlung der Banker im Vergleich zu anderen Branchen kontinuierlich an. In einigen anderen LĂ€ndern wie ĂŒberraschenderweise GroĂbritannien waren die BankergehĂ€lter zwar auch durchweg höher als in anderen Branchen, stiegen aber nicht weiter. FĂŒr alle untersuchten westlichen Staaten zeigt sich auĂerdem: Seit den 70er Jahren wurden Banker relativ zu anderen Berufen immer besser gebildet.
Ein Zyniker könnte aus der Studie folgenden Schluss ziehen: Je besser ausgebildet die Banker und je höher ihre GehĂ€lter, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie am Ende eine Finanzkrise herbeifĂŒhren. Das ist natĂŒrlich etwas kurz gedacht (wenn auch vielleicht nicht ganz aus der Luft gegriffen) und wird von den Forschern als ErklĂ€rung gar nicht in Betracht gezogen. Was aber auf jeden Fall stimmt, ist Folgendes: Selbst die klĂŒgsten und bestbezahlten Banker konnten die Finanzkrise nicht verhindern.
Das zeigt, wieso die Diskussion ĂŒber Banker-Boni keine ĂŒberflĂŒssige Neiddebatte ist. Wenn alles gut liefe in Banken und Versicherungen, könnte man sagen: Die Banker sind offenbar ihr Geld wert, der Markt wird es wissen â so wie man das auch bei Profi-FuĂballern sagt. Doch angesichts der Finanzkrise muss man fragen: Wie konnte es sein, dass eine Branche jede Menge kluge Menschen gut bezahlt hat und sich trotzdem am Ende beinahe selbst zerstört? Was ist der Grund, dass die Menschen in der Finanzbranche so gut verdienten?
Philippon und Reshef fĂŒhren die Explosion der GehĂ€lter und die bessere Bildung der Banker vor der Finanzkrise auf zwei Dinge zurĂŒck: Deregulierung und Globalisierung der Finanzwelt. FĂŒr Ersteres finden sie vor allem fĂŒr die Entwicklung in Amerika seit 1909 Belege. Hier zeigt sich, dass die starke Regulierung der Branche nach der Weltwirtschaftskrise einherging mit sinkenden GehĂ€ltern und einer geringeren AttraktivitĂ€t der Branche fĂŒr UniversitĂ€tsabsolventen. Die Deregulierung ab den 80er Jahren fĂŒhrte hingegen zu steigenden GehĂ€ltern und höherer Bildung. Das ist nachvollziehbar. Denn je regulierter das Banking, desto langweiliger werden die Aufgaben, die man dort ausfĂŒhren kann. Hochkomplexe Finanzprodukte konstruieren auf Basis von mathematischen Modellen â das ist in einer stark regulierten Branche kaum möglich, also ist auch die AttraktivitĂ€t fĂŒr Mathematiker oder Physiker geringer.
Doch Regulierung ist nicht alles. Sie bestimmt nach Ansicht von Philippon und Reshef eindeutig darĂŒber, ob die Banken gut ausgebildete Angestellte anziehen können. FĂŒr die Bezahlung ist der Zusammenhang nicht ganz so klar. Etwas anderes halten die Forscher eher fĂŒr den wesentlichen Faktor, der die Gehaltssteigerungen begrĂŒndet: die Globalisierung der FinanzmĂ€rkte. Leider bleiben sie bei diesem Argument recht schwammig.
Das liegt vielleicht auch daran, dass sie selbst noch nicht ganz sicher sind, was eigentlich der Grund ist. In einer Arbeit von 2007 â also vor der Krise â hatten sie noch behauptet, die HĂ€lfte des höheren Gehalts der Banker im Vergleich zu anderen Branchen sei dadurch zu erklĂ€ren, dass die Wahrscheinlichkeit, den Job zu verlieren, in der Branche stark gestiegen sei. Die andere HĂ€lfte fĂŒhrten sie darauf zurĂŒck, dass es »nicht beobachtbare HeterogenitĂ€t der ArbeitskrĂ€fte« gebe, sprich: Banker sind irgendwie besser oder klĂŒger als andere, man kann es nur nicht an Zahlen und Fakten festmachen.
Mit der Krise Ànderten sie offenbar ihre Meinung. Durchaus zu Recht vermutlich. Jetzt fragen sie zur Ehrenrettung der Banker aber immerhin noch: Hat die Finanzbranche vielleicht vor der Krise so viel Gutes gebracht, dass man die GehÀlter der Banker trotz der spÀteren Finanzkrise rechtfertigen kann?
Hier haben die Forscher ein paar interessante Zahlen zu bieten. FĂŒr Amerika gilt nĂ€mlich: Wenn man die Zeit seit 1870 betrachtet, fĂŒhrte ein groĂer Finanzsektor keinesfalls automatisch zu einem besonders groĂen Wirtschaftswachstum. Vielmehr waren gerade die Zeiten mit einem kleineren, stark regulierten Finanzsektor diejenigen, in denen die Wirtschaft der betrachteten IndustrielĂ€nder besonders stark wuchs. Das muss Banker zutiefst beunruhigen, könnte man daraus doch ableiten: Das Wachstum des Finanzsektors bringt der Volkswirtschaft nichts, sogar im Gegenteil.
Um solch plakative SchlĂŒsse zu ziehen, sind Philippon und Reshef allerdings zu schlau (und auch zu vorsichtig). Sie glauben eher an den umgekehrten Zusammenhang. Wenn die Volkswirtschaft schon recht groĂ und entwickelt ist, braucht es mehr und kompliziertere Finanzprodukte, um ĂŒberhaupt noch Wachstum zu erzeugen. Das wĂŒrde auch erklĂ€ren, wieso gerade in solchen Zeiten Entlohnung und Bildung der Angestellten steigen. Ob das allerdings stimmt, bleibt vorerst eine Glaubensfrage.
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 02.12.2012
Wie Investmentbanker den Bonusdeckel umgehen wollen
Ein Gesetz soll in Europa PrĂ€mienexzesse der Banken verhindern / Die Finanzbranche ersinnt aber schon neue Zulagen fĂŒr Spitzenverdiener
Von Marcus Theurer
Das Wort klingt nach MĂ€Ăigung: Seit Jahresanfang gilt in der EuropĂ€ischen Union ein gesetzlicher »Bonusdeckel«, der die manchmal himmelhohen variablen ErfolgsprĂ€mien in der Finanzbranche eindĂ€mmen soll. Der zum Schimpfwort gewordene »Bonusbanker«, der halsbrecherische GeschĂ€ftsrisiken eingeht, um seine PrĂ€mie zu maximieren, soll der Vergangenheit angehören. Aber Fachleute erwarten nicht, dass deshalb fĂŒr Investmentbanker in London, Frankfurt und anderswo magerere Zeiten anbrechen werden. Die Personalabteilungen der Banken arbeiten lĂ€ngst an neuen, gesetzeskonformen Zulagen zum Grundgehalt als Kompensation fĂŒr die schmĂ€leren Boni ihrer Topverdiener.
Das Gesetz gilt nur fĂŒr Banker, deren jĂ€hrliches Gesamteinkommen gröĂer als eine halbe Million Euro ist. Es schreibt vor, dass Banken Mitarbeitern einen variablen Erfolgsbonus geben dĂŒrfen, der maximal zweieinhalbmal so hoch ist wie das fixe Grundgehalt. Die Boni sind in den vergangenen Jahren zwar gesunken. Aber fĂŒr das Jahr 2012 waren die variablen Erfolgszulagen fĂŒr Londoner Investmentbanker noch immer knapp viermal so hoch wie die GrundgehĂ€lter. In Frankfurt fielen sie kaum niedriger aus. Dem schiebt die EU nun einen Riegel vor.
In der Branche ist der Frust ĂŒber die Bonusgrenze groĂ. Er habe Â»ĂŒberhaupt kein VerstĂ€ndnis« fĂŒr den Eingriff der Politiker in die Gehaltsentscheidungen der Banken, schimpfte vergangenen Sommer JĂŒrgen Fitschen, der Co-Vorstandschef der Deutschen Bank. Er warnte vor gravierenden Nachteilen gegenĂŒber amerikanischen Konkurrenten im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter. Der Bonusdeckel gilt nĂ€mlich auch fĂŒr Angestellte, die europĂ€ische Institute wie Deutsche Bank und Barclays etwa in New York oder Singapur beschĂ€ftigen. Amerikanische Rivalen wie Goldman Sachs und Morgan Stanley mĂŒssen zwar in Europa den Bonusdeckel beachten, können ihren Leuten im Rest der Welt aber groĂzĂŒgigere Erfolgszahlungen gewĂ€hren. Weltfremd sei die Regelung, wetterte Fitschen.
Der britische Bankenverband schÀtzte im Herbst, der EU-Bonusdeckel werde global rund 35.000 Spitzenverdiener treffen. Die Regierung in London reichte aus Sorge um die Zukunft der Finanzmetropole an der Themse sogar eine Klage beim EuropÀischen Gerichtshof gegen das neue Gesetz ein. Das kollektive Wehklagen der Lobbyisten scheint Wirkung gezeigt zu haben: Kurz vor Weihnachten h...