Der Wittwenstand.
1793—1814.
Frau von Voss blieb nach dem Tode ihres Mannes allein in ihrer ländlichen Zurückgezogenheit und schien fest entschlossen, dieselbe nicht wieder zu verlassen. Ihre Schwiegertochter hatte sich zum zweiten Mal vermählt mit einem Herrn von Schack, und die Großeltern hatten die Erziehung des einzigen ihnen gebliebenen Enkels übernommen. Aber dieser, damals bereits dreizehn Jahre alt, ein schöner und begabter Knabe und die ganze Freude seiner Großmutter, war auf der Ritterakademie in Brandenburg und konnte sie daher nur während seiner Ferien besuchen. Sie war jetzt vierundsechzig Jahre alt; das äußere Leben lag abgeschlossen hinter ihr und vor ihr der trübe Abend eines vereinsamten Alters, den es ihr bestimmt schien in der Erinnerung an das Vergangene und Verlorene hier langsam verrinnen zu sehen. Doch es sollte nicht so sein. Am 24. April dieses Jahres 1793 hatte die Verlobung des Kronprinzen von Preußen mit der am 10. März 1776 geborenen Prinzessin Louise von Mecklenburg-Strelitz stattgefunden und der König, getreu seiner nie erkaltenden Verehrung für die Freundin seines Vaters, hatte sogleich den Wunsch gefaßt, diese möchte die Stellung als Oberhofmeisterin bei seiner zukünftigen Schwiegertochter übernehmen. Bei der großen Jugend der fürstlichen Braut schien es doppelt wünschenswerth, eine ältere Frau an die Spitze ihres Hofstaates zu setzen, und wer konnte mehr durch die genaue Kenntnis aller Sitten und Pflichten, aller äußeren Formen und Traditionen des Königlichen Hofes, und zugleich durch ihre seltenen Herzenseigenschaften das unbedingte Vertrauen des Königs rechtfertigen, als Frau von Voss? Noch in der Trauer um ihren Mann und mit Geschäften zur Regelung der Vermögensverhältnisse und der Neueinrichtung der Administration der Güter überhäuft, lehnte Frau von Voss zwar anfangs die Berufung des Königs auf das Entschiedenste ab; Friedrich Wilhelm II. jedoch ließ sich nicht abweisen, er verfolgte seinen Willen der verwittweten Obersthofmeisterin gegenüber mit einer Art huldvollen Eigensinnes, redete ihr zu, entkräftete ihre Gegengründe, und nach längerem Hin- und Herschreiben bestimmte er sie endlich doch, sich seinem Wunsche zu fügen und die in Rede stehende Stellung anzunehmen. Ein Brief des Königs, der sich noch vorfindet, behandelt diese Sache als eine nunmehr abgeschlossene. Er datirt denselben aus dem Hauptquartier Türkheim vom 6. August 1793:
Madame,
J’ai reçu avec votre lettre du 27 Juillet les marques de l’ordre de l’aigle rouge dont j’avais décoré votre défunt mari. Je regrette sincèrement qu’il n›ait pu porter plus longtemps cette marque de mon éstime, et ma façon de penser à son égard vous était trop connue pour que vous doutiez de la part que j’ai prise à votre affliction. Du reste vous ferez très bien, comme vous le dites, d’écrire à la future princesse Royale et de lui faire part vous même du choix que j’ai fait de vous pour remplir auprès d’elle la place de grande-maitresse. Cette attention ne pourra que lui faire plaisir et la préparer d’avance à l’amitié que, je ne doute pas, elle vous porte bientôt! — Je prie Dieu qu’il vous ait, Madame de Voss, en sa sainte et digne garde.
Frédéric Guillaume.
Folgender Brief des Kronprinzen dankt ihr für ihre Glückwünsche zu seinem Geburtstag:
Quartier général Türkheim 13 Août 1793.
Madame,
Je suis sensible à l’attachement que vous avez bien voulu me marquer par votre obligeante lettre du 30 de Juillet, à l’occasion du jour de ma naissance. Soyez persuadée, Madame, que je fais également les vœux les plus sincères pour votre bien-être et que je saisirai toutes les occasions de vous prouver l’éstime parfaite avec la-quelle je ne cesserai d’être
Madame,
Votre bien affectionné ami
Frédéric Guillaume.
Den Sommer und Herbst über blieb Frau von Voss noch auf ihren Gütern, machte von dort aus einen Besuch beim Neustrelitzer Hofe, der zur Zeit in Neu-Brandenburg residirte, wo die nachmalige Kronprinzessin ebenfalls mit ihrer Großmutter anwesend war, und ging im December nach Berlin. Sie ward sogleich in dem für die Kronprinzlichen Herrschaften neu hergerichteten Palais logirt, demselben, das auch jetzt der Kronprinz des Deutschen Reiches und von Preußen bewohnt, und erhielt die Parterre-Zimmer, links vom Eingang, welche sie fortan bis zu ihrem Ableben inne hatte. Ein Blatt von ihrer Hand, mit der Überschrift: »Eine Obersthofmeisterin wie sie sein soll« stammt wahrscheinlich aus dieser Zeit; als eine Art Selbst-Instruktion ist es immerhin merkwürdig und darf wohl hier einen Platz finden.
»Was die äußere Haltung anbetrifft, so soll eine Obersthofmeisterin ihren Kopf aufrecht halten, grade gehen, ein leutseliges, aber würdiges Wesen haben und sich anständig verbeugen, nicht, wie man jetzt thut, mit dem Kopfe, sondern mit den Knien sich ehrbar und feierlich herabsenken und langsam und stattlich wieder erheben.
Sie muß höflich gegen Jedermann und ehrerbietig gegen ihre Herrschaften sein, es mag geschehen was da will, und muß sich nie vergessen. Gegen ihre Untergebenen und ihre Dienstleute freundlich und ohne Hochmuth, nicht zu streng gegen die Jugend, ihr aufrichtig und herzlich die Wahrheit sagen, aber nicht vergessen, daß auch sie einst jung war und auch die Macht der Liebe gefühlt hat. Wohl ist es ihre Pflicht, sich Achtung und Vertrauen zu erwerben; aber dennoch muß sie nicht zu vertraut und familiär mit Anderen sein und muß in der Welt und an Hof auf gute Sitten und die hergebrachten Regeln der Etikette sehen; aber im häuslichen und täglichen Verkehr darf sie dieselben bei Seite setzen und nur trachten, Allen das Leben angenehm zu machen. So viel als möglich soll sie sich befleißigen, eine recht gleichmäßige heitere Stimmung zu haben, denn weil die Jugend eine Obersthofmeisterin gemeiniglich nicht mehr zu drücken pflegt und sie deren Reize entbehrt, muß sie dieselben durch jene Liebenswürdigkeit ersetzen, die eine immer gute Laune und heitere Unterhaltung mit sich bringt, und auch die langen Erzählungen und Wiederholungen vermeiden, die Jedermann ermüden. Vor allem darf sie sich in nichts mischen, was ihr Amt nicht von ihr fordert: sollte aber Jemand ihren Rath begehren oder ihre Meinung in einer Sache wissen wollen, dann muß sie unverzagt und ohne Scheu sagen, was sie für recht hält. Ferner sei es ihr eine Regel, über Kleinigkeiten nicht viele Worte zu machen und nicht leicht etwas übel zu nehmen; denn wenige Menschen in der Welt bereiten oder sagen Einem mit Absicht Unannehmlichkeiten; wenn uns indes einmal solche begegnen, so muß man ihr Thun oder Lassen verachten und vergessen, oder es gar nicht beachten.
Mit ganzem Herzen und ganzer Seele muß sie der Fürstin ergeben und zugetan sein, bei der sie ist. Ist dieselbe jung, so muß sie mit Sorgfalt ihre Jugend und Unerfahrenheit behüten, ihr ohne Strenge und mit Ehrerbietung allzeit die Wahrheit sagen und sie erinnern, daß ihr Beispiel in Betreff der Moral und der Sitten sicher ist, nachgeahmt zu werden. Sie muß gegen ihre Gebieterin höflich, artig und ehrfurchtsvoll sein, nicht vorgreifend noch anmaßend, aber auch wissen, was sie sich selbst schuldig ist. Zurückhaltend, nicht viel sprechend, sich keine unpassende, ausgelassene Heiterkeit erlauben oder gedankenlose triviale Bemerkungen, aber bemüht sein, wenn es der Augenblick verlangt, eine angenehme Conversation zu machen. Und auch bei dieser muß sie immer bedacht sein, den Respekt gegen die Fürstin nicht zu vergessen, den sie ihr schuldig ist, und sich ganz ebenso gegen Untergebene weder Mangel an Rücksicht noch eine zu große Vertraulichkeit gestatten.«
Der zweite Sohn des Königs, Prinz Louis, hatte sich bekanntlich zu gleicher Zeit wie der Kronprinz mit der Schwester der zukünftigen Kronprinzessin verlobt. Am 21. December sollten die beiden Fürstlichen Bräute mit ihrer Großmutter, der verwittweten Land-Gräfin von Hessen-Darmstadt, von Hildburghausen aus in Potsdam eintreffen. Die Prinzen waren denselben bis Potsdam entgegengefahren und ebenso der Hofstaat beider Fürstinnen. Derjenige der zukünftigen Kronprinzessin bestand außer der Obersthofmeisterin nur aus den beiden Hofdamen von Viereck und dem Kammerherrn von Schilden, welche sämmtlich bis zum Tode ihrer Herrin in diesen Ämtern geblieben sind. Nachdem die Prinzessinnen bereits in Baumgartenbrück von berittenen Bürgern Potsdams im Schmuck der Mecklenburgischen Farben begrüßt worden waren und 18 Postillone ihnen das erste Willkommen geblasen hatten, fuhren sie durch eine prachtvolle Ehrenpforte und wurden im Königlichen Schloß von den beiden Prinzen, ihren Verlobten, empfangen. Andern Tages eilten diese den Prinzessinnen voraus nach Berlin, um sie auch dort im Schlosse wieder zu erwarten. Es war dies der 22. December, ein sehr milder, kaum winterlicher Sonnen-Tag, und der ganze Weg von Potsdam bis Berlin war von der Bevölkerung der Umgegend und den entgegen gezogenen Berlinern dicht umdrängt. Besonders in Schöneberg, wo der Zug der fürstlichen Wagen gegen ein Uhr eintraf, empfing ihn der Jubel einer unübersehbaren fröhlichen Menge; auch wurde hier dem Wagen der beiden Prinzessinnen ein neues Gespann von acht Pferden vorgelegt und die berittenen Gilden, sowie die hier aufgestellte Militair-Eskorte defilirten an demselben vorbei und gaben ihm von nun an das Geleite. Sechs und vierzig blasende Postillone eröffneten den Zug; an diese reihte sich die Gilde der Frachtfuhrleute, das Schlächter-Gewerk, die Schützen-Corporation, ein Fähnlein junger Berliner Bürger in altdeutscher Ritter-Tracht, die vereinigte Brauer- und Brenner-Gilde, zwei Züge berittener junger Kaufleute und zum Beschluß die Kaufherren von den drei großen Zünften der Kaufmannschaft, außerdem ein Theil des Regiments Garde du Corps in der großen Uniform als Eskorte. Am Potsdamer Thor war der Magistrat zum Empfang namens der Stadt aufgestellt; die Leipzigerstraße entlang bis zur Wilhelmstraße und diese entlang bis zu den Linden stand die Berliner Bürgerwehr in Spalier. Wo jetzt das Standbild Friedrichs des Großen steht, war eine riesenhafte Ehrenpforte errichtet, eine Art Siegesthor, das alle bis dahin auf dem Festwege befindlichen Ehren-Pforten an Pracht übertraf, und wo 80 weißgekleidete Kinder die Blumengewinde hielten und Blumen und Gedichte darbrachten. Hier war es auch, wo bekanntlich die jugendliche Kronprinzessin die liebliche kleine Sprecherin zum allgemeinen Entzücken des sie umwogenden Volkes, von der eignen Rührung übermannt, in die Arme schloß und küßte. Bis zum Königlichen Schloß waren wiederum Gewerke aufgestellt, und dicht gedrängt um dies alles jauchzte die ...