Hauptstadt der Spione
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Geheimdienste in Berlin im Kalten Krieg

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Hauptstadt der Spione

Geheimdienste in Berlin im Kalten Krieg

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Fast ein halbes Jahrhundert verlief die heißeste Front im Kalten Krieg quer durch Berlin. Von Sommer 1945 bis 1990 lieferten sich die Geheimdienste von Nato und Warschauer Pakt hier ein fortwährendes Duell im Dunklen. Doch auch deutsche Spione mischten auf beiden Seiten mit: Erich Mielkes Stasi und Reinhard Gehlens Bundesnachrichtendienst zum Beispiel. Der Bau der Mauer 1961 veränderte die politische Situation. Dennoch blieb Berlin bis zur Friedlichen Revolution die Hauptstadt der Spione. Der Journalist Sven Felix Kellerhoff und der Historiker Bernd von Kostka beschreiben die spektakulären Erfolge verschiedener Geheimdienste in der Stadt und ihr Scheitern bei anderen Vorhaben.- Spionagetunnel, Horchposten, Aufklärungsfahrten durch die DDR – so versuchten die westlichen Nachrichtendienste Informationen aus dem Osten zu erlangen- Entführungen, Gefängnisstrafen und Doppelagenten – die gefürchteten Methoden der Staatssicherheit- Neue Erkenntnisse gestützt auf erst kürzlich freigegebene Akten der Stasi und des BND, aus britischen und amerikanischen Archiven- Einmalige Einblicke in die Praxis des geheimen Krieges in Berlin

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Information

SVEN FELIX KELLERHOFF

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Abb. 51

FRÜHE KONFRONTATION

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Abb. 52. Berlin im Mai 1945: Adolf Hitlers Porträt-kopf ist nur noch ein Fall fürs Recycling. Kaum schweigen die Waffen, beginnt ein neuer Kampf an unsichtbarer Front.

DIE ANFÄNGE DES GEHEIMEN KRIEGES

DIE »GRUPPE ULBRICHT« IM EINSATZ
Die Waffen schwiegen in Berlin gerade einmal wenige Stunden, Hitlers Krieg dauerte formal sogar noch sechs weitere Tage an. Doch schon rief Walter Ulbricht, etwa 40 Kilometer östlich der zerschossenen Reichshauptstadt in einem säulengeschmückten Landhaus in der Buchholzer Straße 8 im brandenburgischen Ort Bruchmühle bei Strausberg, den nächsten Krieg aus. Diesmal allerdings insgeheim und nur vor seinen engsten Vertrauten: »Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand behalten.«1 Zwei Tage zuvor, am 30. April 1945 um sechs Uhr morgens, waren die zehn Mitglieder der »Gruppe Ulbricht« in Moskau gestartet, um direkt nach dem Sieg über das nationalsozialistische Deutschland die Umgestaltung im Sinne Stalins zu beginnen. Wolfgang Leonhard, mit 24 Jahren der Junior in der Gruppe aus Exilkommunisten, erinnerte sich später an den ersten Auftrag, den die heimgekehrten Funktionäre bekamen: »Wir sollten in Berlin die Bezirksverwaltungen aufbauen und dazu die geeigneten Antifaschisten auswählen. Die Bezirksverwaltungen sollten aus sechzehn Dezernaten bestehen. Soweit wie möglich sollten dabei ›Bürgerliche‹ — vor allem frühere Mitglieder der Demokratischen Partei und des Zentrums und, falls möglich, Akademiker — sowie Sozialdemokraten und Parteilose herangezogen werden.«2 Doch neben diesem offenen Auftrag verfolgten die Kader-Kommunisten eigene, verdeckte Ziele: Die formal erst fünf Wochen später überhaupt wieder begründete KPD sollte, taktisch klug, möglichst jeweils nur drei der Stadtratsposten für sich beanspruchen – allerdings stets die wichtigsten: alle stellvertretenden Bürgermeister, alle Personal- und alle Volksbildungsstadträte. Selbst wenn das qualifiziertere Personal aus Kommunisten bestand, sollte, so legte es Ulbricht fest, nur maximal ein Drittel der Bezirksräte mit ihnen besetzt werden.
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Abb. 53. Ausnehmend gut sah Wolfgang Leonhard aus, als er in der »Gruppe Ulbricht« seine ersten Parteiaufträge erfüllte. Er sollte sogar Gattinnen skep-tischer SPD-Funktionäre becircen.
Täglich fuhren Ulbrichts Männer von nun an nach Berlin, um in den ihnen zugeteilten Bezirken scheinbar überparteiliche, in Wirklichkeit jedoch kommunistisch dominierte Bezirksämter aufzubauen. Von der ersten Fahrt erzählte Leon hard: »Es war ein infernalisches Bild. Alle denken nur an die zerstörten Häuser, die Ruinen. Das war gar nicht mal das Schlimmste. Das Schlimmste war der Rauch. Es war unglaublich schlimmer Rauch. Über den Alexanderplatz konnte man kaum gehen vor Rauch. Die überschwemmten U-Bahnschächte und dann die deutschen Soldaten, die vollkommen wirr blickten und umhergingen und überhaupt nicht mehr verstanden, was nun los war. Einige jubelnde Sowjetsoldaten. Und das eindringlichste Bild: die Schlangen vor den Pumpen. Man hatte natürlich kein Wasser, kein Licht, kein Gas, es gab ja nichts, aber Wasser brauchte man unbedingt. Abgehärmte Menschen standen vor den Pumpen. Ja, dann sah man sich um und sah fast überall weiße Fahnen aus den Fenstern. Nach dem Motto: Wir kapitulieren, unabhängig wer wann was kapituliert, wir wollen nicht mehr! Und man sah, viele hatten auch weiße Armbinden: Ich kapituliere.«3
In Bruchmühle begann die unheilvolle Zusammenarbeit zwischen deutschen Kommunisten und sowjetischen Geheimdienstlern in Berlin, die bis 1989 anhielt. Denn das brandenburgische Dorf war nicht zufällig als erster Standort der »Gruppe Ulbricht« ausgewählt worden: Hier hatte die politische Hauptverwaltung der Ersten Weißrussischen Front unter Marschall Georgi Schukow während der Schlacht um Berlin ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Und entsprechend standen neben dem Hauptauftrag der eingeflogenen Kommunisten von Anfang an kleinere, aber aus Sicht der Sowjets wichtige geheimdienstliche Aufgaben. Einmal zum Beispiel musste Leonhard alles stehen und liegen lassen, weil gerüchteweise bekannt geworden war, dass in Berlin-Reinickendorf eine trotzkistische Gruppe gegründet worden sei: »So mussten wir, wenige Tage nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches, in dem zerstörten, hungernden Berlin Trotzkisten suchen — eine groteske Situation!«4 Echte oder angebliche »Trotzkisten«, in Wirklichkeit ein Sammelbegriff für möglicherweise unangepasste Kommunisten, die sich der absoluten Befehlsgewalt der Parteiführung nicht unterwerfen mochten, waren innerhalb und außerhalb Russlands seit Ende der zwanziger Jahre eines der Hauptziele der verschiedenen stalinistischen Geheimdienste. Ein zweiter besonders wichtiger Geheimauftrag der »Gruppe Ulbricht« war, zum Haus des Rundfunks in der Masurenallee in Charlottenburg zu fahren, um dort im Archiv Aufnahmen über die Gespräche des sowjetischen Außenministers Wjatscheslaw Molotow mit den Naziführern vom Oktober 1940 sicherzustellen. Sie sollten nicht in die Hände der westlichen Alliierten fallen. Als Leonhard und seine Begleiter ankamen, war die Aufgabe allerdings bereits erledigt — von einer nicht genannten sowjetischen Institution.
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Abb. 54. Walter Ulbricht war ein treuer Schüler Stalins. Als Apparatschik brachte er alles auf Parteili-nie, was sonst Eigenleben hätte entwickeln können.
Nach sechs Tagen in Bruchmühle verlegte Ulbricht den Sitz seiner Geheimtruppe nach Lichtenberg, in die Prinzenallee 80 (heute Einbeckerstraße 41). Von hier aus ging die Arbeit weiter; nach den Bezirksämtern stand nun die Besetzung des Magistrats an, natürlich nach denselben Kriterien der konspirati ven Machtübernahme. Innerhalb einer guten Woche erledigte die »Gruppe Ulbricht« auch diesen Auftrag. Zum Oberbürgermeister wurde der parteilose Ingenieur Arthur Werner ernannt, der zwar von Verwaltung keine Ahnung hatte, aber »von seinen Manieren und seinem Aussehen her« als »typischer Bürgerlicher« erschien, wie Ulbricht später höhnte: »Natürlich haben wir uns oft darüber amüsiert.«5 Gleich drei von Werners vier Stellvertretern waren Kommunisten, außerdem unterstanden fünf der 15 Magistratsabteilung früheren KPD-Mitgliedern: die Referate für Personal, für Finanzen und für Volksbildung sowie die besonders wichtigen Abteilungen Sozialfürsorge und Arbeitseinsatz. Wichtigstes Kriterium bei der Personalauswahl war die Verlässlichkeit in der machtpolitischen Auseinandersetzung, weshalb Ulbricht gleich zwei Männer seiner Gruppe in den Magistrat eintreten ließ.
Wie sie nahm Stalins Statthalter in Deutschland auch alle nicht aus dem Exil heimgekommenen Kommunisten von Beginn hart an die Kandarre. Wenn Ulbricht in den ersten zwei Maiwochen 1945 in Berlin früheren KPD-Mitgliedern begegnete, von denen viele während der Nazizeit für ihre Überzeugung im Gefängnis oder sogar im KZ gelitten hatten, entsprachen die Treffen nicht einem freundlichen Wiedersehen mit politischen Freunden, sondern eher dem Termin eines Chefs mit seinen Untergebenen: Ulbricht gab kurz, nüchtern und hart Befehle, denen unmittelbar Folge zu leisten war. Deshalb lehnte er auch die von Hitler-Gegnern nach dem Ende der Kämpfe in fast allen Bezirken eingerichteten »Antifa-Büros« ab. Das waren Selbsthilfe-Initiativen, die dringende Sofortmaßnahmen wie das Löschen noch brennender Häuser, die Säuberung der Straßen, die vorläufige medizinische Versorgung und ähnliches organisierten. Als Nebenzweck beabsichtigten die Nazi-Gegner, ihre Nachbarn politisch aufzuklären und in ihrem Sinne zu beeinflussen. Wolfgang Leonhard erwartete, die »Gruppe Ulbricht« würde mit diesen eindeutig KPD-dominierten Komitees freundschaftlich zusammenarbeiten, doch er irrte sich: »Unnachgiebig forderte Ulbricht von uns, diese Komitees aufzulösen.« Erst viel später, nach seiner inneren Lösung vom Kadersozialismus nach SED-Art, begriff Leonhard den Grund: »Ulbrichts tiefes Misstrauen gegenüber allen selbstständigen Richtungen und Initiativen, gegenüber allem, was er nicht genau kontrollieren konnte.«6

DER KAMPF UM DIE POLIZEI BEGINNT

WARUM KARL HEINRICH »VERSCH-
WAND«
Fast genauso wichtig wie die Verwaltung war zur Beherrschung der Stadt die Polizei. Die sowjetische Besatzungsmacht, noch bis zum plangemäßen Einmarsch der Westalliierten in Berlin Anfang Juli allein verantwortlich für die Sicherheit in der Reichshauptstadt, stellte rasch wieder eine deutsche Polizei auf, als deren oberster Chef am 19. Mai 1945 der frühere Regimentskommandeur der Wehrmacht und Ritterkreuzträger Paul Markgraf eingesetzt wurde. Diese Ernennung war eine der ersten Amtshandlungen des neuen Magistrats, in Wirklichkeit aber war der neue Polizeipräsident direkt dem sowjetischen Stadtkommandanten unterstellt. Markgraf war nach der Schlacht um Stalingrad Anfang 1943 in Kriegsgefangenschaft geraten und hatte sich entschieden, dem »Nationalkomitee Freies Deutschland« beizutreten, einer kommunistisch dominierten, dennoch dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus zuzurechnenden Gruppe in der Sowjetunion. Nach mehreren Umschulungslehrgängen wurde der Geheimdienst NKWD auf Markgraf aufmerksam, der angesichts seiner in kommunistischen Kreisen sehr seltenen Qualifikation für wichtige Aufgaben im künftigen Sowjet-Deutschland prädestiniert war. Kurz nach der »Gruppe Ulbricht« wurden Markgraf und neun weitere umgeschulte Kriegsgefangene aus Moskau nach Berlin geflogen. Die Aufgabe des neuen Polizeipräsidenten war zunächst, die seit Anfang Mai in verschiedenen Bezirken von den jeweiligen sowjetischen Kommandanten vor Ort eingerichteten deutschen Polizeikräfte unter ein gemeinsames Kommando zu bringen.
In Spandau hatte sich besonders Karl Heinrich um die rasche Wiederherstellung geordneter Verhältnisse bemüht. Der Sozialdemokrat, bis 1932 als Polizeimajor ein engagierter Verteidiger von Demokratie und Rechtsstaat, hatte im Dritten Reich acht Jahre in Gefängnissen und verschiedenen KZs gesessen. Im Herbst 1942 war er wegen ärztlich attestierter Haftunfähigkeit freigelassen worden und hatte insgeheim wieder Kontakte zu sozialdemokratischen Widerstandskreisen geknüpft. Sofort nach dem Ende der Kämpfe begann er, vertrauenswürdige Polizisten zu sammeln und mit ihnen unter Aufsicht des Ortskommandanten für öffentliche Sicherheit zu sorgen. Heinrich stieg innerhalb weniger Tage zum Reviervorsteher auf, was er schon 1926/27 in Dortmund gewesen war, und wurde Ende Mai 1945 zum Kommandeur der Berliner Schutzpolizei ernannt, also de facto zum zweiten Mann nach Polizeipräsident Markgraf. Diese Karriere war überraschend, denn Heinrich hatte zwischen 1929 und 1932 als Chef der uniformierten Polizei im Regierungsviertel mehrfach sowohl ungenehmigte NSDAP- wie KPD-Demonstrationen mit massivem Druck unterbunden, was ihm den Schmähnamen »Knüppelheinrich« eingebracht hatte.7 Trotzdem wurde das bekennende Mitglied der wiederbegründeten SPD auf die wichtige Position des Schutzpolizeichefs berufen, der 180 Reviere und alle uniformierten Einsatzkräfte befehligte. Allerdings wurde Heinrich in geheimdiensttypischer Weise überwacht: Sein Personalreferent Hans Seidel und seine Sekretärin Hildegard Tepper waren Spitzel des NKWD, möglicherweise auch Heinrichs Stellvertreter Rudolf Wagner.
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Abb. 55. Acht Jahre Haft in Gefängnissen und KZs der Nazis haben in Karl Heinrichs Gesicht Spuren hinter-lassen. Umso strikter stellt er sich gegen die KPD.
Die Informanten hatten einiges zu berichten, denn »Heinrich sammelte Material über Korruptionsfälle, an denen Polizisten beteiligt waren, die der KPD angehörten«.8 Er war unzu frieden mit den zahlreichen Kommunisten, die auf Druck des Polizeipräsidenten in die Reihen der Schutzpolizei aufgenommen wurden. Heinrich wollte diese politische Ausrichtung der Polizei verändern. Offenbar versuchten einige betroffene kommunistische Polizisten, sich durch Denunziationen zu wehren: Sie beschwerten sich bei NKWD-Offizieren über »Knüppelheinrich«. Doch noch hatte der sowjetische Stadtkommandant kein Interesse, Karl Heinrich loszuwerden, auch weil die inzwischen in Berlin eingetroffenen britischen Besatzungsoffiziere den Kommandeur der Schutzpolizei offensichtlich schätzten. Eine Verschärfung trat ein, als im Juli 1945 Erich Mielke am Schutzpolizei-Chef vorbei zum Leiter der Polizeiinspektion Lichtenberg ernannt wurde. Es ist wahrscheinlich, dass Heinrich ein brisantes Detail aus dem Vorleben des neuen Inspektionschefs bekannt war: Mielke hatte am 9. August 1931 zusammen mit einem anderen Angehörigen des »Parteiselbstschutzes« der KPD die beiden Polizeioffiziere Paul Anlauf und Franz Lenk erschossen; seit September 1933 waren die Namen der Mörder bekannt, und es wäre sehr merkwürdig gewesen, wenn der hervorragend vernetzte Heinrich davon nichts mitbekommen hätte. Dennoch muss es Spekulation bleiben, ob Karl Heinrich tatsächlich die Absetzung Mielkes vorbereitete.9
Jedenfalls endete seine Karriere bei der Berliner Polizei nun schnell und in typischer Geheimdienstmanier: durch spurloses »Verschwinden«. Am 2. August 1945 wurde Heinrich zu einer Besprechung zu Markgraf ins Polizeipräsidium bestellt. Mitten in diesen Termin platzte ein sowjetischer Major und bat den Schutzpolizei-Chef, ihn zum Berliner NKWD-Quartier zu begleiten. Heinrich dachte sich nichts Böses; er vergaß seine Brille auf dem Tisch in Markgrafs Büro und ließ seine Aktentasche im Vorzimmer des Polizeipräsidenten stehen. Darin fand man später eine Pistole und drei geladene Magazine, was nachträglich den willkommenen Vorwand für die Festnahme lieferte. Heinrich wurde im NKWD-Quartier in der Elsässer Straße in eine Kellerzelle gesperrt, verhört und offensichtlich auch gefoltert. Man warf ihm illegalen Waffenbesitz vor, denn im Sommer 1945 durften deutsche Polizisten in Berlin nicht einmal einen Schlagstock haben, geschweige denn eine Schusswaffe. Offiziell bestätigt wurde Heinrichs Verhaftung durch den sowjetischen Geheimdienst zunächst nicht. Doch weil der Schupo-Chef einer der bekanntesten Sozialdemokraten der Stadt war, mussten die Sowjets schließlich doch auf eine Anfrage des US-Stadtkommandanten Floyd Parks antworten. Sechs Tage nach Heinrichs Verschwinden begründeten sie die Festnahme mit dem Verdacht, der Schupo-Chef sei ein Agent der Gestapo gewesen; das hätten inzwischen mehrere ehemalige Häftlinge jener KZs ausgesagt, in denen auch Heinrich gesessen hatte — angesichts der Biografie Karl Heinrichs eine leicht durchschaubare Diffamierung. Trotzdem schlug der Vernehmer des NKWD vor, den verhafteten Polizei-Offizier anzuklagen, wegen bewaffnetem Widerstand gegen die UdSSR und wegen konterrevolutionärer Sabotage. Beide Vorwürfe waren laut Artikel 58 des gültigen Strafgesetzbuches der Russischen Sowjetrepublik mit der Todesstrafe bedroht. Doch zum Prozess kam es nicht mehr: Heinrichs Gesundheitszustand verschlechterte sich in der erneuten Folterhaft nach acht Jahren Qualen unter den Nazis rapide. Er wurde ins Krankenrevier des NKWD-Speziallagers Nr. 3 in Hohenschönhausen verlegt, wo er am 3. November 1945 starb. „Beerdigt wurde er sang- und klanglos wie alle übrigen verstorbenen Insassen in den Karbidkalkgruben in der Höhe des Güterbahnh...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. IMPRESSUM
  4. INHALT
  5. VORWORT ZUR NEUAUSGABE
  6. VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE
  7. BERND VON KOSTKA
  8. SVEN FELIX KELLERHOFF
  9. FINALE
  10. ANHANG