Erster Teil
Phasen eines Prozesses
GesprÀch mit Siegfried Bock
âEigentlich kann ich nicht viel zu dem Thema Ihrer Untersuchung sagen. NatĂŒrlich hatte man nach 1943 ĂŒber die Italiener kein gutes Wort mehr gehört: Es wurde gesagt, dass man sich nicht auf sie verlassen könne; dass sie VerrĂ€ter seien. Das war die Auffassung, die die Deutschen ĂŒber den ehemaligen VerbĂŒndeten in jenen Jahren hatten, wenigsten nach dem 8. September 1943. Im Ăbrigen standen wir alle, und zwar massiv, unter dem Einfluss der Nazi-Propaganda.â
Es ist Siegfried Bock, der hier zu Wort kommt. Bock, Jahrgang 1926, geboren in Meerane in Sachsen, war Diplomat im gehobenen Dienst der DDR. 1944, gerade 18 Jahren alt, wurde er eingezogen und an die Ostfront geschickt, die inzwischen bereits in Polen lag. Er blieb dort bis MĂ€rz 1945, wurde in den KĂ€mpfen um Breslau verwundet und in ein Lazarett eingeliefert, geriet dann in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Auf Grund seines Alters und seines Rangs â als einfacher Soldat der Wehrmacht â blieb dem jungen Siegfried eine lĂ€ngere Gefangenschaft erspart; er erhielt am Ende des Krieges nach seiner vollstĂ€ndigen Genesung die Erlaubnis, nach Deutschland zurĂŒckzukehren. Von 1947 bis 1950 studierte er Jura in Leipzig und trat dann 1951 in den Dienst des AuĂenministeriums der DDR. 1962 wurde Bock Botschaftsrat in RumĂ€nien, eine Funktion, die er bis 1966 innehatte. Von 1972 bis 1975 nahm er â zeitweise auch als Chef der DDR-Delegation â an der Konferenz ĂŒber Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) teil, heute OSZE. 1977 kehrte er nach RumĂ€nien zurĂŒck, diesmal als Botschafter, und blieb dort bis 1984. 1988 wurde er Botschafter in Jugoslawien, wo er seine letzten beiden Dienstjahre verbrachte. Die Auflösung der DDR im Jahre 1990 fiel mit seiner Pensionierung zusammen. Von 1993 bis 2007 war Siegfried Bock PrĂ€sident des Verbands fĂŒr Internationale Politik und Völkerrecht, dessen rege Veröffentlichungsarbeit unter anderem eine Untersuchung und Darstellung der AuĂenpolitik der DDR zum Ziel hat. Das folgende GesprĂ€ch mit dem Botschafter Siegfried Bock fand an einem Vormittag im Sommer 2010 in seiner Berliner Wohnung statt.
Herr Bock, was dachte man ĂŒber die Italiener vor dem 8. September? Es scheint ja, als ob schon wĂ€hrend des Afrika-Feldzugs wenig schmeichelhafte AusdrĂŒcke ĂŒber sie kursierten âŠ
âGanz richtig. Schon wĂ€hrend des Afrikakrieges fing es an, dass die Deutschen von den Italienern keine besonders gute Meinung hatten.â
Wurde Ihrer Ansicht nach dieser schlechte Ruf durch die Medien gefördert oder entstammte er den Auffassungen und Urteilen der Bevölkerung?
âAlles beides. Die Presse hatte sicherlich ihren Teil dazu beigetragen, indem sie ĂŒber dieses Thema schrieb und die öffentliche Meinung beeinflusste; die Propaganda hatte eine groĂe Rolle gespielt. Die Folge war, dass die breite Masse der Bevölkerung tatsĂ€chlich von Italien nicht allzu viel gehalten hat. Schon 1942 gab es hier die Diskussion um den Einsatz der italienischen Soldaten an der Ostfront: Und schon da wurde die Linie vertreten, die Italiener hĂ€tten die Front aufgemacht, so dass die Russen also reinstoĂen konnten. Italien und seine Soldaten galten kurz gesagt in der öffentlichen deutschen Meinung als unzuverlĂ€ssig.â
War das auch der vorherrschende Tenor in der deutschen Presse?
âSicherlich hing der schlechte Ruf der Italiener, wie ich schon sagte, auch mit der Tagespresse zusammen, und das blieb meiner Meinung nach ab â43 im wesentlichen auch weiter so.â
Spielten Ihrer Meinung nach auch die Erinnerungen an die Ereignisse 1915 eine Rolle?
âIn jenen Jahren war der Erste Weltkrieg noch sehr prĂ€sent, auch wenn er schon einige Zeit zurĂŒcklag. Deshalb spielte auch dieser Faktor bei der Zuschreibung der UnzuverlĂ€ssigkeit keine geringe Rolle. Und damals hatte es ja auch schon Probleme mit den Italienern gegeben. Verstehen Sie mich richtig: Ich habe diesen Standpunkt niemals geteilt; ich erzĂ€hle nur, wie das Denken damals war. Und ich glaube, dass sich in den Jahren zwischen 1915 und 1943, und wenn Sie so wollen bis 1945, ein Italienbild geformt hat, das auch heute noch in den Köpfen spukt. Viele Deutsche, vor allem die Ă€lteren, haben immer noch ein bisschen Vorbehalte gegenĂŒber Ihrem Land.â
Heute noch?
âJa. Warum, haben Sie einen anderen Eindruck bekommen?â
Nein, ich sehe das auch so. Und auf was beziehen sich heute diese Vorbehalte genau?
âZuallererst, nicht besonders zuverlĂ€ssig zu sein, leichtlebig; nicht alles so genau zu nehmen; ein âmediterranerâ Lebensstil eben.â
Und wie hat sich Ihrer Ansicht nach das Italienbild in Deutschland zwischen 1915 und 1945 gewandelt?
âIn den dreiĂiger Jahren war das VerhĂ€ltnis zwischen Italien und Deutschland gut und wurde nach und nach immer enger. Sicher, 1934 gab es wegen Ăsterreich Spannungen zwischen beiden LĂ€ndern, aber die AffĂ€re wurde rasch entschĂ€rft. Die Deutschen glaubten, dass die politischen Entwicklungen Italiens der zwanziger Jahre Hitler beeinflusst hatten und dass er sich daran orientierte. Auch heute glaube ich, wie ĂŒbrigens viele, dass der Nationalsozialismus seine Entstehung zu einem guten Teil dem italienischen Experiment verdankte. Der Faschismus und seine fĂŒhrenden Vertreter â Mussolini, Ciano, Balbo â hatten auf die Deutschen Eindruck gemacht; auch mir selbst als kleinem Jungen damals, erschien die Achse Rom-Berlin als eine politische Bewegung, mit deren Hilfe beide LĂ€nder wieder stark werden konnten. Italiener und Deutsche kĂ€mpften dann zwischen 1936 und 1939 gemeinsam in Spanien, aber man sah damals â meiner Meinung nach â dieses Ereignis mit anderen Augen als im Nachhinein: Ich will damit sagen, dass man heute dazu neigt, Spanien als den ersten Versuch eines wirkungsvollen BĂŒndnisses zwischen Nationalsozialisten und Faschisten zu betrachten. Stattdessen ging es meiner Ansicht nach darum, dass Deutschland und Italien aus Ă€hnlichen Motiven ein Versuchsfeld fĂŒr weitere und zukĂŒnftige Unternehmungen benötigten. Diese ganze Frage der UnzuverlĂ€ssigkeit und des Verrats ist dann erst im Laufe des Zweiten Weltkrieges entstanden. Sicherlich gab es einige, die das Verhalten der Italiener in Abessinien verurteilt haben, doch das waren einzelne Stimmen, die weder von der Bevölkerung aufgegriffen wurden, noch irgendwelchen Einfluss hatten. Im Gegenteil, jener Kriegseinsatz â im Ăbrigen siegreich â wurde allgemein als Beitrag zur Zivilisierung und als Fortschritt verstanden. Die Stimmung kippte jedoch im Verlauf des Krieges 1939 â45: Vor allem die Art und Weise, wie der deutschen Ăffentlichkeit das Handeln der italienischen Truppen an der Ostfront vermittelt wurde, trug doch wesentlich zum negativen Ansehen der Italiener und zu der Ăberzeugung bei, dass man mit ihnen keine Kriege gewinnen könne.â
Fand dieser Meinungsumschwung vor oder nach Stalingrad statt?
âIn der Masse der Bevölkerung ist diese Ansicht nach Stalingrad zu einem Allgemeinplatz geworden, als allen die Tragweite der deutschen Niederlage klar geworden ist. NatĂŒrlich hat auch der Versuch des Regimes, die Schuld fĂŒr das Geschehen Anderen in die Schuhe zu schieben, keine kleine Rolle gespielt: sowohl den Italienern als auch den RumĂ€nen wurde vorgeworfen, dass sie gar nicht richtig hĂ€tten kĂ€mpfen wollen. Es war wahrscheinlich ein schleichender Prozess der Abkehr von Italien, der zwischen â39 und â43 stattgefunden hat.â
Könnte man sagen, dass sich eine erste Distanzierung im September 1939 ereignete, das heiĂt also beim Ausbruch des Krieges und dem Ausbleiben der italienischen Beteiligung?
âWahrscheinlich ja, auch wenn in der allgemeinen Begeisterung angesichts der ersten groĂen Erfolge Deutschlands dieses fehlende Eingreifen im Hintergrund blieb und dem keine besondere Bedeutung beigemessen wurde. In dieser Situation dachten die Deutschen, dass sie das alleine schaffen; die Frage von VerbĂŒndeten spielte da keine groĂe Rolle. Im Ăbrigen haben die Deutschen zwischen â39 und â40 tatsĂ€chlich den Krieg alleine gefĂŒhrt. Als aber der Konflikt immer mehr zu einem Abnutzungskrieg wurde, waren sie gezwungen, sich immer mehr auf die VerbĂŒndeten zu stĂŒtzen; eine Notwendigkeit, die im Verlaufe des Krieges immer dringlicher wurde.â
Es gibt die These, dass der entscheidende Moment in dieser Phase die Schlacht von DĂŒnkirchen gewesen sein soll.
âIch halte DĂŒnkirchen nicht fĂŒr so entscheidend. Im Ăbrigen wĂ€re es nicht so leicht gewesen, dreihunderttausend Soldaten mit KriegsausrĂŒstung ins Meer zu jagen. Ich glaube, dass das Hitlerregime damals die feindlichen Truppen bestimmt aufgerieben hĂ€tte, wenn es ihm möglich gewesen wĂ€re. Es wird heute gerne so begrĂŒndet, dass man GroĂbritannien Luft lassen wollte, dass man es nicht erniedrigen wollte, aber da habe ich meine Zweifel: Ich denke hingegen, dass die Deutschen den EnglĂ€ndern so sehr schaden wollten wie nur möglich, und dass sie es nicht gemacht haben, weil es einfach nicht möglich war.â
Also halten Sie den Ausgang von DĂŒnkirchen fĂŒr eine militĂ€rische und nicht fĂŒr eine politische Entscheidung?
âBestimmt war auch von entscheidender Bedeutung, dass fĂŒr Hitler die Ostfront viel wichtiger war, auch wenn sie erst noch eröffnet werden musste; und sicherlich hatte er auch an die Möglichkeit gedacht, sich mit den WestmĂ€chten noch zu verstĂ€ndigen, um vielleicht noch ein BĂŒndnis gegen Russland in der Hand zu haben. Aber ich zweifle doch sehr, dass Hitler auf dreihunderttausend Gefangene verzichtet hat, um eine gute Tat zu tun.â
Erinnern Sie sich daran, welche Reaktionen es in Deutschland am 25. Juli 1943 gab, als Mussolini abgesetzt wurde?
âAlso, soweit ich mich erinnere, löste die Befreiung Mussolinis, das Werk von Otto Skorzeny, ein gröĂeres Echo aus als sein Sturz. Nicht wenige Deutsche glaubten, von nun an wĂŒrde Italien wieder ein stabilerer und entschiedenerer VerbĂŒndeter sein: ein Ergebnis der Propaganda natĂŒrlich und ein groĂer Erfolg! Aber zu dieser Zeit lagen unsere eigentlichen Probleme wo ganz anders: die Situation an der Ostfront, die andauernde Bombardierung der deutschen StĂ€dte⊠Dass die Front im SĂŒden hingegen â Griechenland, Italien â nicht entscheidend sein wĂŒrde, wussten wir von Anfang an.â
Sie sind 1944 eingezogen worden, als Italien bereits zweigeteilt war und im Norden die Republik von SalĂČ bestand. Welche Vorstellung hatte man â Sie und Ihre Kameraden â von dieser âItalienischen Sozialrepublikâ? Und hat man etwas ĂŒber den Partisanenkampf gehört?
âWir waren Soldaten an der Ostfront und hatten â mal abgesehen davon, dass wir praktisch ĂŒber keine Informationsquellen verfĂŒgten â schon genug mit russischen oder polnischen Partisanen zu tun, um uns auch noch fĂŒr die italienischen zu interessieren. Ein Freund aber, ein Kamerad, der bereits vor 20 Jahren gestorben ist und der in Italien gekĂ€mpft hatte, erzĂ€hlte mir von einigen Vorkommnissen. Nur diejenigen Soldaten, die tatsĂ€chlich dabei waren, wussten etwas ĂŒber die KĂ€mpfe gegen die Partisanen und kannten den Ablauf bestimmter Aktionen. In Deutschland sprach man nach dem Krieg ĂŒber solche Dinge nicht, vor allem als VorsichtsmaĂnahme und aus Selbstschutz.â
Wo wurde darĂŒber nicht gesprochen? In der DDR oder in ganz Deutschland?
âIn ganz Deutschland vermied man es, darĂŒber zu sprechen; in der DDR wĂ€re es vielleicht sogar noch gefĂ€hrlicher gewesen. In Westdeutschland wurden diese Dinge aus der Zeit des Krieges meistens als Kavaliersdelikte betrachtet, fĂŒr die man nicht vor ein Gericht gestellt worden wĂ€re.â
Gab es Unterschiede zwischen Ost und West in Bezug auf die Haltung zur Rolle Italiens im Krieg?
âAber natĂŒrlich: In der DDR zum Beispiel bekam der Begriff des âVerratsâ einen ganz anderen Aspekt, weil der Waffenstillstand von Badoglio 1943 vielmehr als Bruch mit Hitler als mit Deutschland verstanden und deshalb positiv gesehen wurde. Was im Osten insgesamt als Erkenntnisprozess und als mutige RĂŒckkehr zur Vernunft galt, wurde im Westen völlig anders, ja entgegengesetzt beurteilt.â
Diese Frage des âitalienischen Verratsâ war im Nachkriegsdeutschland aber doch eine verbreitete Auffassung innerhalb der Bevölkerung und niemals offizielle Position des Staates.
âNa gut, aber wenn Sie sagen: des Volkes Stimme, so ist das nicht ohne Zutun der politischen FĂŒhrung gewesen. Die ganze Problematik des Faschismus und des Krieges wurden im Osten völlig anders behandelt als im Westen. In der DDR dachten wir alle, wenn auch ohne rechten Grund, wir wĂ€ren Teil der Anti-Hitler-Koalition und wir waren nicht bereit, irgendeine Verantwortung fĂŒr das zu ĂŒbernehmen, was durch den deutschen Faschismus in der Welt geschehen war. In der Bundesrepublik hingegen bekannte man, dass unser Land schuldig war, fĂŒgte aber hinzu, dass auch die anderen LĂ€nder eine Mitverantwortung trĂŒgen. Man hatte daher auch verschiedene Vorstellungen davon, was in Italien passiert war. SelbstverstĂ€ndlich hat sich dann einiges geĂ€ndert im Laufe der Zeit; im Westen z.B. wandelte sich nach dem Kriege das Italienbild ganz und gar zu dem eines Traumlandes, wo die Leute zu leben verstehen und wo man gerne Urlaub macht. Ein Reiseziel eben. Die Ă€lteren Generationen, die den Zweiten Weltkrieg mitgemacht hatten, und vielleicht auch den...