Rezensionen
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Aktuelle Fragen
⊠Burkard, Dominik (Hg.): Die christliche Ehe â erstrebt, erlebt, erledigt? Fragen und BeitrĂ€ge zur aktuellen Diskussion im Katholizismus (WĂŒrzburger Theologie 15). Echter Verlag, WĂŒrzburg 2016. (419) Pb. Euro 29,00 (D) / Euro 29,90 (A) / CHF 30,43. ISBN 978-3-429-04313-1.
Das Thema âEhe und Kircheâ hat in den letzten Jahren nichts an AktualitĂ€t eingebĂŒĂt. Davon zeugt das Erscheinen einer Reihe einschlĂ€giger Publikationen im Vor- und Umfeld der beiden römischen Bischofsynoden 2014 und 2015. Aber erst die Veröffentlichung des nachsynodalen Schreibens Amoris laetitia durch Papst Franziskus hat der Diskussion eine zusĂ€tzliche Note und weithin unerwartete Wendung verliehen. Ging es zuvor vornehmlich um die Frage, wie die Kirche mit der zunehmenden Diskrepanz zwischen ihrer LehrverkĂŒndigung zu Ehe und Familie und dem moralischen Empfinden und abweichenden Verhalten ihrer GlĂ€ubigen umgehen solle, so ist seit Amoris laetitia mit der Ehe- und Familienthematik das SelbstverstĂ€ndnis der Kirche selbst ins Fadenkreuz der Aufmerksamkeit gerĂŒckt. Darauf macht in dem hier anzuzeigenden Sammelband der letzte Beitrag aus der Feder des Freiburger Soziologen Michael N. Ebertz aufmerksam (âDer Kampf um Amoris laetitia â im soziologischen Blickâ, 385 â 414). Ebertz dokumentiert zunĂ€chst akribisch, wie das nachsynodale Schreiben in der deutschsprachigen Kirchenpresse und Theologenzunft von BefĂŒrwortern und Gegnern aufgenommen und kommentiert wurde. Angesichts der unbestreitbaren Tatsache, dass die katholische Kirche âdie Kontrolle ĂŒber die Katholikenkörper verloren [habe] und [âŠ] vor der gesellschaftlichen Entsakralisierung, ja SĂ€kularisierung bzw. Entkirchlichung der Ehe, wenn nicht des Körpersâ stehe (403), belege die Rezeption einen Kampf um die zukĂŒnftige â mit E. Troeltsch gesprochen â Sozialgestalt der Kirche, bei dem es darum gehe, ob âdie Kirche zur Sekte mutiert oder in der Lage bleibt, Einzelne wie Massen zu bewegen und mit dem Evangelium in BerĂŒhrung zu bringenâ (414).
Der Beitrag von Ebertz ist allerdings der einzige in diesem vom WĂŒrzburger Kirchenhistoriker Dominik Burkard in der Reihe âWĂŒrzburger Theologieâ herausgegebenen Band, der nach dem Erscheinen von Amoris laetitia geschrieben wurde. Alle anderen Artikel â mit einer weiteren Ausnahme allesamt verfasst von Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern der WĂŒrzburger Katholisch-Theologischen FakultĂ€t â entstammen dem Diskussionsstand im zeitlichen Umfeld der beiden Synoden. Dies hat zur Folge, dass einige BeitrĂ€ge aus heutiger Sicht zwar nicht ĂŒberholt sind, aber doch einer begrenzten Perspektive verhaftet bleiben. So nehmen zwei aus religionspĂ€dagogischer Sichtweise verfasste Artikel die Lineamenta von 2015 zum Ausgangspunkt, um die dort vorausgesetzten kirchlichen Vorstellungen zur christlichen Erziehung in der Familie einerseits und zum Ehe- und FamilienverstĂ€ndnis anderseits an der Lebenswirklichkeit zu messen. Hans-Georg Ziebertz (âChristliche Erziehung in der Familie â Ideal und Wirklichkeitâ, 93 â134) nimmt Bezug auf seine frĂŒheren empirischen Untersuchungen zu Weltbildern Jugendlicher (Youth in Europe, 2005 â 2009), um den Lineamenta eine vereinfachte und weltfremde Perspektive zu bescheinigen, da dort die sĂ€kularen Denk- und Einstellungsmuster heutiger Elterngenerationen nicht in Rechnung gestellt wĂŒrden. In âEhe, Familienkonstellationen und SexualitĂ€t: Empirische Analysen unter deutschen Katholiken zu soziokulturellen Annahmen in den Lineamentaâ, 297â 337) zeigen Alexander Unser, Boris Kalbheim und H.-G. Ziebertz, dass die Trennlinien zwischen dem kirchlichem Idealbild von Ehe und Familie und der heute vorherrschenden Lebenspraxis zumindest in Deutschland nicht so sehr zwischen GlĂ€ubigen und UnglĂ€ubigen verlaufen â wie das Vorbereitungsdokument der Synode noch vielfach unterstellt â, sondern jenseits ideologischer Einstellungen vielmehr alters- und geschlechterspezifisch variieren. In beiden FĂ€llen werden wichtige Einblicke in die soziokulturellen Voraussetzungen heutiger Einstellungen zu Ehe und Familie geboten, aber es bleibt doch zu fragen, ob aus Amoris laetitia nicht ein differenzierteres Problembewusstsein spricht als aus den Synodendokumenten.
Ebenfalls auf dem Stand der Synodenberatungen stellt Michael Sievernich SJ die Frage: âWie geht es weiter mit der Pastoral in Sachen Familie nach der Synode?â (339 â 361), und dokumentiert Erich Garhammer die innerkirchliche Diskussion zur Problematik von Scheidung und Wiederheirat seit Familaris consortio bis zur Schlussansprache Papst Franziskusâ von 2015 (âWider das vertikale Schisma: Zur Frage der wiederverheirateten Geschiedenen vor und nach der römischen Bischofssynodeâ, 363 â 384). Keiner der beiden Autoren hĂ€tte vermutlich Grund, seine Erwartungen bzw. Desiderata durch Amoris laetitia enttĂ€uscht zu sehen, aber man wĂ€re aus heutiger Sicht doch gespannt zu erfahren, ob das Schreiben nicht nur den richtigen Tenor anschlĂ€gt, sondern sich daraus auch konkrete Konsequenzen fĂŒr das Handeln der Kirche ergeben, wie Garhammer zu Ende seines Beitrags fordert.
Daneben finden sich weitere BeitrĂ€ge, die weitgehend unabhĂ€ngig von der tagespolitischen Diskussionslage unterschiedliche Perspektiven und theologische AnsĂ€tze zur Ehethematik bieten. So wĂ€hlt Dominik Burkard fĂŒr seinen umfangreichen historischen Einblick in die Ehelehre einen ungewöhnlichen Zugang, indem er stichprobenartig 500 Jahre Katechismusgeschichte durchforstet und dabei in auf den ersten Blick eindeutigen lehramtlichen Festlegungen auch VariabilitĂ€t und Dissonanzen erblickt (ââTraditionelleâ kirchliche Lehre oder Doktrin im Wandel? Ehe, Partnerschaft und SexualitĂ€t im Spiegel katholischer Katechismen [16.â20. Jhd.]â, 9 â 91). Dietmar Kretz (âFreiheit und Liebe â eine Signatur des Ehesakramentesâ, 135 â157) argumentiert, dass auch eine zweite Verbindung nach dem Scheitern der Ehe als ein Ereignis gottgeschenkter Freiheit und Liebe begriffen und deshalb Gott zur Sprache gebracht werden mĂŒsse bei der Wiederheirat ebenso wie bei der schmerzhaften Erfahrung des Scheiterns. Chibueze D. Udeani beleuchtet aus missionswissenschaftlicher Perspektive âDas nachwirkende traditionelle EheverstĂ€ndnis im Kontext der afrikanischen Gesellschaften von heuteâ (259 â 268), wĂ€hrend Karl Kreuzer in seiner Studie zur Entwicklung konkordatĂ€rer Vorschriften ĂŒber die Ehegerichtsbarkeit zeigt, wie die Kirche sich in der Neuzeit allmĂ€hlich aus dem bĂŒrgerrechtlichen Bereich der Ehe zurĂŒckgezogen und sich in diesem Sinne âentweltlichtâ hat (âKonkordatĂ€re Anerkennung kirchlicher Ehegerichtsbarkeit: Ein Beispiel fĂŒr die Entstaatlichung der katholischen Kircheâ, 269 â 296).
Drei BeitrĂ€ge seien hier besonders hervorgehoben. Stephan Ernst bietet in âWert und Unwert â Nichteheliche Partnerschaften aus moraltheologischer Perspektiveâ, 159 â181) eine kompakte Darstellung und eingehende moraltheologische Bewertung nichtehelicher Partnerschaften, die als theologische Fundierung der in Amoris laetitia empfohlenen wohlwollenden pastoralen Haltung gelesen werden kann. Umfassend, nuanciert und gut dokumentiert widmet sich Thomas Mark NĂ©meth dem Umgang mit Scheidung und Wiederheirat in der orthodoxen Tradition und vor allem dessen Bewertung in der katholischen Kirche (âEhe, Scheidung und Wiederheirat: Die orthodoxe Praxis im Blick der katholischen Kircheâ, 217â 258). Wenn er abschlieĂend der katholischen Kirche rĂ€t, Gott in seinem Heilshandeln nicht zu sehr auf rechtliche Vorgaben seiner Kirche festzulegen, sondern vielmehr den Vorrang der Barmherzigkeit gegenĂŒber der strafenden Gerechtigkeit anzuerkennen, kann er sich nach Amoris laetitia darĂŒber freuen, dass Papst Franziskus wenigstens implizit ein Charakteristikum orthodoxer Theologie aufgegriffen hat. Auch der Beitrag des Kirchenrechtlers Heribert Hallermann (âAbgewiesen â geduldet â eingeladen? Zur Rechtsstellung von geschiedenen und zivil wiederverheirateten Katholikenâ, 183 â 216) kann im Nachhinein als Lesehilfe fĂŒr das nachsynodale Schreiben gesehen werden. Hallermann weist ĂŒberzeugend nach, dass die geltenden kirchenrechtlichen Bestimmungen eine generelle Verweigerung oder Nichtzulassung von geschieden Wiederverheirateten durch einen Kommunionspender aufgrund des Fehlens eines entsprechenden Straftatbestandes nicht rechtfertigen. Entscheidend sei hingegen die Selbstbeurteilung hinsichtlich des Vorliegens einer schweren SĂŒnde, die der KommunionempfĂ€nger in seinem eigenen Gewissen vornehmen mĂŒsse. Genau in diesem Sinne aber weist Amoris laetitia wiederholt darauf hin, dass eine objektiv sĂŒndhafte Situation keinerlei RĂŒckschlĂŒsse auf das subjektive Schuldbewusstsein zulasse und dass deshalb der Regelungsbedarf des Rechts dort aufhöre, wo mit der Gewissensbildung und -entscheidung die moralische und pastorale Unterscheidung gefragt sei.
Allein aufgrund der drei letztgenannten BeitrĂ€ge lohnt die LektĂŒre dieses Sammelbandes auch in der Zeit nach Amoris laetitia.
Thomas Knieps-Port le Roi (Leuven)
⊠Waldenfels, Hans: Wann, wenn nicht jetzt? Papst Franziskus: Weckrufe an die Kirche. Butzon & Bercker Verlag, Kevelaer 2017. (240) Klappbrosch. Euro 15,29 (D) / Euro 15,50 (A) / CHF 15,00. ISBN 978-3-7666-2412-3.
Behutsamer könnte man kaum argumentieren. Dem âWeckrufâ des Titels zufolge wĂŒrde man ein leidenschaftliches PlĂ€doyer dafĂŒr erwarten, sich den Intentionen von Papst Franziskus zu öffnen und sie begeistert mitzutragen. TatsĂ€chlich lĂ€sst der Verfasser kaum Emotionen erkennen, sondern geht nĂŒchtern und systematisch vor. Er rekonstruiert in den ersten Kapiteln (Biblische Fakten, Die frĂŒhe Kirche aus heutiger Sicht, Das Zweite Vatikanische Konzil: Aggiornamento und Ressourcement) die katholische Kirche von ihren UrsprĂŒngen her bis in die Gegenwart. Spannend wird es, wenn das Programm von Papst Franziskus entwickelt wird (76 ff.). Geschrieben ist das PlĂ€doyer in einfacher und verstĂ€ndlicher Sprache. Freilich fragt man sich, ob Nicht-Insider mit langen âAhnenreihenâ (131; Ă€hnlich 55), in denen VorgĂ€nger des Papstes im Hinblick auf die Erneuerung der Kirche aufgelistet werden, etwas anfangen können. Hier wĂ€re es sicher sinnvoll gewesen, jeweils einen erklĂ€renden Satz zur Vorstellung dieser Personen anzufĂŒgen. Exzellent ist die argumentative Strategie des Verfassers, zwischen Papst Franziskus und seinem VorgĂ€nger, Papst Benedikt XVI., keinen Gegensatz zu konstruieren (der ohne MĂŒhe aufzuzeigen wĂ€re!), sondern Benedikt gleichsam in der Rolle eines theologischen Vorbereiters des kirchenpolitischen Kurses seines Nachfolgers zu sehen. So steht bezeichnenderweise am Ende des PlĂ€doyers fĂŒr die Intentionen von Papst Franziskus ein Benedikt-Zitat (132). Den Darlegungen des Verfassers ist ein umfangreicher, fast einhundert Seiten umfassender Anhang beigefĂŒgt. Hier kommen sehr unterschiedliche Positionen zu Wort, was grundsĂ€tzlich interessant ist. Es wĂŒrde zu weit fĂŒhren, in die hier eröffnete Diskussion einzusteigen. Zu denken gibt, dass der Verfasser auf sein engagiertes Eintreten fĂŒr eine VerĂ€nderung der kirchlichen Strukturen nach seiner eigenen Bekundung ein groĂes Echo erfahren hat, jedoch gerade nicht von denen, die in erster Linie fĂŒr die Erhaltung bzw. VerĂ€nderung dieser Strukturen verantwortlich sind. Kurz: es handelt sich bei der vorliegenden Publikation gerade nicht um das Dokument eines zornigen alten Mannes, der seinen Emotionen Luft zu machen sucht, sondern um ein sehr lesenswertes PlĂ€doyer im Dienst der Sache, der sich Papst Franziskus verschrieben hat. Ob man damit dem schweigenden passiven Widerstand beikommt, der heute allenthalben in der katholischen Kirche gegen die Politik des Papstes anzutreffen ist, das steht auf einem anderen Blatt. Es ehrt jedoch den Verfasser, das Seine beigetragen zu haben, um engagiert Kirche in der Gegenwart aufzubauen.
Hanjo Sauer (Bamberg)
Bibelwissenschaft
⊠Liwak, RĂŒdiger: Die Psalmen. Aus der HebrĂ€ischen Bibel ĂŒbersetzt von Rabbiner Ludwig Philippson. Mit einem Vorwort von Walter Homolka. Unter Mitarbeit von Susanne GrĂ€bner und Zofia H. Nowak. Herder Verlag, Freiburg i. Br.âBaselâWien 2017. (191, LesebĂ€ndchen) Geb. Euro 22,00 (D) / Euro 22,70 (A) / CHF 29,90. ISBN 978-3-451-38037-2.
Von der so genannten Philippson-BibelĂŒbersetzung sind bisher in zweisprachiger, leicht ĂŒberarbeiteter Form bereits die Tora (2015 â vgl. ThPQ 164 [2016], 201 f.) und die Propheten (2016 â vgl. ThPQ 165 [2017], 311 f.) erschienen. Nun liegt eine Ausgabe der Psalmen vor, dieses Mal bedauerlicherweise nicht zweisprachig, dafĂŒr jedoch mit einem Vorwort von W. Homolka, welches kurz die Verwendung der Psalmen in Magie, Liturgie und persönlichem Gebet anspricht (9 â12), und zum Schluss mit einer Ausl...