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About this book
Die Südstaaten in den frühen sechziger Jahren, irgendwo zwischen Maisfeldern: Dort ziehen Bobjay Crell, ein einfacher Farmarbeiter, und seine Frau Ellen fünf Kinder groß. Das ländliche Idyll ist nicht ungetrübt. Zwischen Flüchten und Standhalten kämpft die Mutter um das Überleben der Familie. Sohn Danny an ihrer Seite lernt von ihrer Kraft: für die Zukunft."Hier spricht Amerika mit einer Stimme, die bei uns selten vernommen wird." (Der Tagesspiegel)Jim Grimsley moderne Südstaaten-Trilogieals E-Books in der Edition diáWintervögelISBN 9783860345115Das Leben zwischen den SternenISBN 9783860345122DreamboyISBN 9783860345139… und zum Weiterlesen: Ellens GeschichteISBN 9783860345320
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Information
III
In jenen Tagen, Danny, schliefst du mit deinen Brüdern und Amy Kay im selben Zimmer, in einem Bett mit Allen, der dich nie ganz nah an sich heranlassen wollte, es sei denn, ihm war kalt. Im Haus am Fluss war es immer kalt, der Wind strömte durch die Ritzen von Türen und Fenstern herein, die Schornsteine hinab und aus vernagelten Kaminen hervor. Die Familie, die früher in diesem Haus lebte und die Felder bestellte, hat das Land vor langer Zeit verkauft, und der neue Besitzer kennt nicht mal mehr ihren Namen.
Ihr seid vor über einem Monat hier eingezogen. Es ist das siebte Haus, in dem du seit deiner Geburt lebst. Wenn du es wieder verlässt, wirst du mit deiner Familie noch in sieben weiteren Häusern leben, bevor du alt genug bist, dich niederzulassen, wo du es für richtig hältst.
Du und Amy Kay, ihr habt gleich am Anfang einen Namen für das Haus gefunden, das Kreishaus, weil man bei offenen Türen im Kreis gehen konnte, endlos von einem Zimmer ins nächste. Amy Kay und du, ihr habt allen Häusern Namen gegeben, in denen ihr gewohnt habt, auch wenn es nicht immer einfach war, den richtigen Namen zu finden.
Dieses Spiel habt ihr zum ersten Mal im Schlangenhaus gespielt, einem grünen Holzhaus auf Zementblöcken mit rotem Schindeldach. Mama mochte dieses Haus mehr als alle anderen Häuser, die nachher kamen, weil das Wohnzimmer und der Flur mit poliertem Kirschbaumholz getäfelt waren und weil es in der Küche Einbauschränke gab.
Das Schlangenhaus stand in einem Kieferndickicht am Rand eines Wäldchens, wo es von Schlangen wimmelte. Das Haus erhob sich auf einem niedrigen Betonsockel, und durch Ritzen und Löcher konnten die Schlangen hineinkriechen. Mama versuchte, die Löcher, so gut es ging, mit Steinbröckchen und alten Lumpen zu verstopfen, und noch Jahre später erzählte sie euch Geschichten von den Schlangen, die sie überall im Haus fand. Einmal machte sie im Flur den Wandschrank auf, um frische Laken zu holen, und ihre Hand lag auch schon auf der Kante der zusammengefalteten Bettwäsche, als sie eine zusammengerollte schwarze Kletternatter obendrauf entdeckte, die mit ihrer Zunge Feuer spie. Kaum trat Mama vom Schrank zurück, da war die Schlange auch schon verschwunden.
Mama holte tief Luft und zählte bis zehn, dann durchsuchte sie den Schrank von oben bis unten und nahm jedes Laken und jedes Handtuch langsam und vorsichtig aus den Regalen. Keine Schlange, selbst als der Schrank leer war. Also durchsuchte sie das ganze Haus, räumte alle Kleider aus den Kommodenschubladen, rückte Sofas und Sessel von den Wänden, rollte sogar den abgetretenen Teppich in ihrem Schlafzimmer zusammen, die Schlange konnte sich ja darunter versteckt haben. Doch die Schlange fand sie nirgendwo.
Sie ging ins Bad. Wenn irgendetwas sie nervös machte, musste sie alle fünf Minuten Pipi machen, sagte sie. Sie hatte sich gerade auf die Toilette gesetzt, ihre Hosen um die Fußknöchel, als sie die Schlange neben sich in der Badewanne sah, wie sie mit ihrer Zunge am Rand des Abflusses entlangfuhr. Mama rannte, hastig die Hosen hochziehend, aus dem Badezimmer und schnappte sich die Gartenhacke, die neben der Hintertür hing, und hieb der Schlange ihren schwarzen Kopf ab, während diese panisch versuchte, sich in den Abfluss hineinzuzwängen.
Ein andermal hörte sie ein trockenes Rascheln unter dem Spülstein und brachte den Rest des Morgens damit zu, alles aus den Schubladen und von den Regalen zu räumen, bis sie am Mittag eine Hühnerschlange fand, die sich hinter den Abflussrohren zusammengerollt hatte. Sie zerschmetterte ihren Kopf mit einem Schmalzfass und verbrannte den Kadaver mit den Abfällen des Tages auf dem Müllhaufen.
Und einmal erschoss Mr Luther, dem die Saatfarm gehörte, wo Papa arbeitete, und auch euer Haus, eine zwei Meter lange Klapperschlange auf dem Feldweg in der Nähe eures Briefkastens. Mama, Amy Kay und du, ihr saht über den Straßengraben hinweg zu. Mama hielt dich an der Schulter fest, damit du nicht auf die Straße liefst. Du starrtest gebannt hin, wie die sterbende Schlange mit ihrem dicken Schwanz, der Musik machte, den Staub aufpeitschte. Der Anblick dieses langen, schlagenden Etwas machte dir solche Angst, dass Mama in jener Nacht an deinem Bett sitzen musste, bis du endlich einschlafen konntest.
Später, im gleichen Sommer, faltete Mama gerade Wäsche zusammen, die sie von der Leine in der Sonne genommen hatte, als Amy Kay ihr zurief, »Mama, da ist eine Schlange bei Danny auf dem Bett!« Mama rannte zur Tür.
Du hast einfach bloß dagesessen, Danny, und etwas angestarrt, das nichts weiter als ein blödes, zusammengerolltes braunes Seil hätte sein können. Mama wisperte dir zu, dich ja nicht zu rühren. Wenn sie diese Geschichte dann erzählte, betonte sie immer, wie entsetzt sie gewesen sei, dass du so vollkommen reglos dagesessen hättest, vollkommen fasziniert von der Schlange. Sie holte eine Steppdecke aus dem anderen Zimmer. Ruhig trat sie hinter die Schlange und warf die Decke über den trockenen, schuppigen Körper. Und ohne auch nur Atem zu holen, riss sie dich vom Bett herunter, du steif und mit weit aufgerissenen Augen, ohne einen Mucks, und schlug die Tagesdecke und die Steppdecke übereinander. Die wütende Schlange rollte und schlängelte sich in der Stoffhülle um sich selbst und zerrte das ganze Bündel nach draußen. Mama ließ sie allein herausfinden und schlug ihren Kopf mit der Hacke ab, zerhieb den Körper noch ein Dutzend Mal und beobachtete, wie die Schlangenstücke hilflos im Gras zuckten und zappelten. Eine Mokassinschlange. Drinnen zog sie dich splitternackt aus und suchte deinen ganzen Körper sorgfältig nach Bissen ab. Du hieltest ihren Arm fest und stiertest sie wortlos an. Amy Kay stand auf der Schwelle, ihre Fingerknöchel an den Mund gepresst.
Am selben Abend redete Mama mit hoher, gepresster Stimme mit Papa. »Du solltest Mr Luther endlich dazu bringen, die Löcher in diesem Haus zu verstopfen. Es ist mir egal, ob wir Eisenplatten dazu brauchen, Hauptsache, die Schlangen lassen meine Kleinen in Ruhe.« Als Papa sie in den Arm nahm, zitterte sie. Er fragte, sanfter als gewöhnlich, was diesmal wieder passiert sei.
Ob er jemals mit Mr Luther über die Schlangen sprach, ist eine andere Sache. Papa hatte viel zu tun und keine Zeit, sich über Schlangen aufzuregen. Er war Vormann auf Mr Luthers Farm, und die Arbeit hielt ihn von morgens bis abends auf Trab. Hier, auf Mr Luthers Farm, hier verlor Papa auch das Stück von seinem Arm.
Du hast niemals die ganze Geschichte gehört, Danny, und deine Geschwister auch nicht. Papa hat nie von diesem Tag gesprochen und das grüne Haus oder Mr Luthers Farm nur ganz selten erwähnt. Mama hat dir davon erzählt. Sie sagte, sie war gerade dabei, Wäsche aufzuhängen, als sie Mr Luthers blauen Cadillac sah, wie er voller Leute in einer grauen Staubwolke über die Felder davonbrauste. An der Geschwindigkeit des Autos merkte sie, dass irgendetwas nicht stimmte, und dachte, Mr Luther hätte vielleicht wieder einen Herzanfall gehabt. Sie war ganz traurig darüber, denn Mr Luther war immer nett zu ihr gewesen. Jedenfalls hängte sie weiter ihre Wäsche auf und dachte, Papa würde ihr schon alles erzählen, wenn er zum Mittagessen nach Hause kam.
Ein paar Minuten später fuhr Mrs Luther in ihrem weißen Cadillac vor. Sie stieg langsam aus dem Wagen, als wüsste sie nicht genau, wo sie war. Ihr Gesicht war aschfahl. »Es hat einen Unfall gegeben«, sagte sie und wich Mamas Blick aus. »Weiß der Himmel, wie es passiert ist, Bobjay wusste doch genau, dass er die Mähmaschine abstellen musste, bevor er sie sauber machen konnte.« Mama ließ ihren Wäschekorb fallen und packte Mrs Luther am Arm. Mrs Luther schnellte zurück wie eine Schlange vorm Zustoßen. »Bobjay hat sich schwer an der Mähmaschine verletzt«, sagte sie. »Mr Luther hat ihn selber ins Krankenhaus gefahren. Keine Zeit, auf den Krankenwagen zu warten. Bobjay war allein hinten im Maisfeld und ist mit seinem Arm in der Mähmaschine hängen geblieben … Der Riemen hat ihn abgerissen.«
Mama ließ den Arm der Frau los und wandte sich langsam ab. Mrs Luther betrachtete sie ohne sonderliches Mitgefühl. »Sie haben ihn in mein Haus gebracht. Mitten in meine Küche, wo doch jeder Idiot sehen konnte, dass ich nicht das Geringste für ihn tun konnte. Alles voll Blut. Die Jungs sagten, er wäre fast einen Kilometer allein über die Felder gelaufen, nur sein Hemd hätte er gehabt, um den Arm abzubinden. Mr Luther sagt, ich soll Sie ins Krankenhaus fahren, sobald die Nigger vom Feld zurück sind.«
»Die Nigger?«
Mrs Luther holte tief Luft. »Mein Mann hat drei von ihnen zu der Maschine geschickt, um das … um den … sauber zu … da rauszuholen.«
Etwa einen Monat später seid ihr in ein rotes Schindelhaus gezogen, das nach Fisch roch. Mama hatte dieses Haus für euch aufgetrieben, nachdem Mr Luther ihr gesagt hatte, Papa könne nicht länger auf der Farm arbeiten, wo er nur noch einen Arm gebrauchen konnte. Mama verkaufte ihren Ehering, um die erste Monatsmiete zu bezahlen. Mr Luthers Hilfsarbeiter luden eure Möbel auf einen Lastwagen, während Papa im Auto saß, rauchte und auf die leere Einfahrt vor sich starrte. Mama beobachtete ihn nervös und brüllte die aufladenden Männer an, dass sie vorsichtig mit ihren Möbeln umgehen sollten.
Das neue Haus konnte man eigentlich gar nicht richtig als Haus bezeichnen, mit seinem einzigen großen Raum, einem Fenster an jeder Wand und einem Waschbecken in der Ecke. Das Plumpsklo stand mitten in wucherndem Unkraut, von der Hintertür ging man ein Stückchen über einen Pfad, der mit Vogelmiere und Schafskletten bewachsen war. Ihr Kinder kanntet so ein Klohäuschen noch nicht, und am Anfang hattet ihr alle Angst, ihr könntet in eins der dunklen, stinkenden Löcher fallen. Aber Mama erzählte euch, dass es keine anderen Toiletten gab, als sie noch klein war, und beim ersten Mal kam sie mit euch, hielt euch mit einer Hand fest und bedeckte mit der anderen ihre Augen.
Ihr nanntet es das Fischhaus, weil die Besitzerin, Mrs Edna Crenshaw, dort einen Fischladen gehabt hatte, bevor ihr kamt, und der Fischgestank war in jede Holzplanke eingezogen. Mrs Crenshaw, eine breite Frau mit einer Haut wie Puder, verkaufte schon seit vielen Jahren Fisch, kaufte frische Meerestiere von Lastwagen, die auf dem Highway direkt von der Küste heraufkamen. Ihre Kunden waren die Farmer und Händler aus der Gegend, die den Rückenspeck, die Brathähnchen und die fetten Schweinekoteletts ihrer Frauen leid waren. Mit der Zeit hatte Mrs Crenshaw so gut verdient, dass sie das nötige Geld auf die hohe Kante hatte legen können, um sich ein nagelneues Fischgeschäft aus Backstein zu bauen, gleich auf der anderen Seite des Highways, dem alten Laden gegenüber. Ihr konntet es vom Fenster eures Hauses sehen, ein kleiner, rechteckiger Backsteinbau mit einem bunten Schild vorne dran, das Mrs Crenshaws Mann jede Woche liebevoll aus den selben vier Farbeimern auffrischte. Amy Kay nannte ihn Mister Fischgesicht, weil seine Augenlider sich so komisch um seine Augäpfel strafften und das Weiße völlig bloß legten.
Du und Amy teiltet euch ein Bett in einer Ecke des Zimmers, Allens Wiege daneben, an den Sofas und Sesseln, die euch von Mamas und Papas Bett in der anderen Ecke trennten. Am ersten Abend in diesem Haus packte Mama Geschirr aus, während Papa sie vom Bett aus anstarrte. Sein leerer Ärmel baumelte an der Seite. »Die ganze Bude stinkt so verdammt nach Fisch.«
Mama verstaute das Geschirr in den frisch geschrubbten Wandschränken, ohne zu antworten oder sich umzudrehen. An Papas finsterem Gesichtsausdruck konntest du ablesen, dass es nachts noch Streit geben würde. Du hattest ein Gefühl im Magen, einen Schmerz, als müsstest du tief in deinem Inneren weinen. Du beobachtetest Papa. Warten. Als er anfing zu schreien, über die blöde Ziege, die nichts Besseres zum Wohnen auftreiben konnte als diese Hundehütte, wo eine fettärschige Schlampe von der Sonntagsschule ihren Fisch verkauft hatte, bist du zur Fliegengittertür gerannt, um dem Lärm zu entfliehen. Du bist gestolpert und hingefallen. Keiner hat es bemerkt. Draußen in der Kälte hörtest du dir Papas Geschrei an, noch lange nach dem Dunkelwerden. Mama packte Kisten aus und wischte sich die Augen. Irgendwann hatte Papa genug getrunken, um in seinem Sessel einzuschlafen. Erst dann kamst du ins Haus zurück. Doch selbst als Mama Papa ins Bett gebracht und das letzte Licht ausgemacht hatte, lagst du noch wach, mit gespitzten Ohren.
Am nächsten Morgen war dein Knöchel von dem Sturz geschwollen. Mama legte ein kaltes Tuch voll Eis um die verletzte Stelle und streichelte dir die Stirn. »Der Doktor sagt, dein Blut ist besonders«, erklärte sie. »Es macht nicht dasselbe, was das Blut von anderen Leuten macht. Ist das nicht toll, wenn man besonderes Blut hat? Auch wenn es ein bisschen wehtut?«
Papa, finster und mürrisch hinter ihr, schaute deinen Knöchel an, als wäre er unberührbar.
Als die Wunde an seinem Armstumpf abgeheilt war, nahm Papa eine Arbeit bei einer Gasfirma an, die fünfunddreißig Dollar die Woche zahlte. Er lieferte Gasflaschen zum Kochen an Farmersfrauen und Großladungen Gas an die Farmer, zum Trocknen der Tabakblätter, und nebenbei reparierte er Öfen und Herde und Kühlschränke. Selbst mit nur einer Hand konnte Papa fast alles wieder zum Laufen bringen, wenn er bloß genug Zeit hatte, sich durchzufummeln. Er war etwas glücklicher, als er wieder arbeitete. Aber er verdiente nicht annähernd so viel Geld wie bei Mr Luther. Jeden Abend gab es Kartoffeln, jedes Mal anders gekocht. Papa sprach fast nie, starrte nur auf seinen Teller. In seiner Gegenwart wurdet ihr Kinder still und furchtsam, weil er immer finster dreinschaute und weil die Stelle, wo früher sein ganzer Arm war, jetzt leer und merkwürdig aussah. Oft erwischte er euch dabei, wie ihr hin- und schnell wieder weggucktet. Früher war er einmal alle zwei Wochen betrunken nach Hause gekommen, jetzt betrank er sich zwei-, dreimal die Woche zu Hause. Aus seinen Augen blickte stumpfer, grauer Stein.
Mama beobachtete ihn wachsam quer durch den großen Raum, ständig die Entfernung abschätzend.
Keiner von den Nachbarn kam zu Besuch, nur Mrs Crenshaw, am Ersten jedes Monats. Sie stand in der Tür, trug ihr Lächeln und ihre blutbefleckte Schürze, erzählte aufgeräumt von Erweckungsversammlungen und streckte ihre käsig weiße Hand aus, damit Mama grüne Scheine hineinzählte. Mama sah dem Geld hinterher, wie es in die Schürzentasche glitt, dann machte Mrs Crenshaw kehrt und wischte sich die Hand an derselben Schürze ab. Bis Mama ihr eines Tages ein Lächeln entgegenhielt, kein Geld. Papa hatte seine Krankenhausrechnung abzubezahlen, sonst würde ihn das Krankenhaus verhaften lassen. Ob Mrs Crenshaw wohl ein bisschen auf die Miete warten könnte? Eine Woche oder zwei?
Mrs Crenshaw war eine Frau mit klarem Geschäftssinn und schüttelte ihren Kopf. Nein. Kurz darauf seid ihr wieder umgezogen, fort von dem Fischhaus.
Amy nannte eure nächste Bleibe das Eishaus, weil es in dem ganzen Bau nur eine Heizung gab, in der Küche. Den Winter über saßt du mit den anderen dort drinnen, vor dem Fernseher, bis es Zeit fürs Bett war, und die restlichen Zimmer waren alle abgeschlossen und stockdunkel, zu kalt, um sie zu bewohnen. Allen Raymond war jetzt groß genug, um auf Mamas Schoß zu sitzen und am Daumen zu lutschen; ein Baby konnte man ihn nicht mehr nennen. Aber Mama würde bald ein neues bekommen. Ihr Bauch wurde immer dicker.
Mama und Papa stritten sich den ganzen Winter lang über dieses Baby. Papa konnte sich nicht vorstellen, wie Mama vorhatte, ein weiteres Maul zu stopfen, mit bloß vierzig Dollar in der Woche, das verdiente er nämlich jetzt, wo er schon eine Weile bei der Gasfirma arbeitete. Mama fragte, was sie denn nach Papas Meinung jetzt noch unternehmen sollte. Der Zug war längst abgefahren. Das neue Baby war unterwegs, sie konnten es jetzt nur noch lieb haben. Teure Liebe, knurrte Papa, wenn alle hungern mussten, um es durchzufüttern.
Später sahst du ihn, wie er auf der Schwelle zu ihrem Schlafzimmer stand, seinen Armstumpf anstierte und mit den Zähnen knirschte. Du konntest ihren ewigen Streit nur verschwommen begreifen, aber du wusstest, was dieser seltsame, dumpfe Ausdruck auf Papas Gesicht bedeutete. Er hatte wieder aus der Flasche getrunken, die Mama so hasste. Er trank immer öfter aus dieser Flasche, je dicker Mamas Bauch wurde. Während der kalten Monate ging ein Streit in den nächsten über.
Einmal kam er spätabends nach Hause, mit einer Schnittwunde über dem Auge und einer Geschichte über eine Schlägerei in den Downs, dem Schwarzenviertel von Potter’s Lake. Papa sagte, ein Nigger hätte ihn mit dem Deckel einer Tomatendose geschnitten. Der Hilfssheriff wäre dazwischengegangen, bevor der Kampf weiter ausartete, aber er hätte keinen verhaftet, weil er mit Papa befreundet war. Mama versorgte die Wunde und steckte Papa ins Bett, froh, dass er wenigstens an einem Abend mal jemand anders zum Streiten gefunden hat...
Table of contents
- Über dieses Buch
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- III
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- V
- VI
- VII
- VIII
- IX
- X
- XI
- XII
- Impressum