Teil 1
Akteure, ProzeĂkomponenten und Gestaltungsformen
Wilfried Schley
Change Management: Schule als lernende Organisation
1. Wie lernen Organisationen?
Schulen sind in Bewegung gekommen. Schulen Ă€ndern sich, d.h. sie reformieren ihr Profil, ihr Programm, ihre Methoden, sie entwickeln neue Formen der Kooperation mit den Eltern, öffnen sich gegenĂŒber den Gemeinden, den Stadtteilen und untereinander. Ganz gleich, ob es aufgrund von Druck oder Zug, von innen oder auĂen kommend, aus einem Bedarf oder BedĂŒrfnis heraus geschieht (vgl. Schratz/Steiner-Löffler 1998), Schulen haben vielfĂ€ltige AnlĂ€sse gefunden, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Die Aufgabe der Schulentwicklung ist mehr und mehr als eigene Entwicklungsaufgabe der Schulen erkannt und anerkannt.
Die zunehmend drÀngender werdenden Fragen der knappen materiellen Ressourcen bei steigenden inhaltlichen Anforderungen und Erwartungen beschreiben das konflikthafte KrÀftefeld, in dem sich diese Aufgabe abspielt. Die Schulaufsicht driftet mit ihren Aufgaben in Richtung Schulberatung. Eine neue Profession der Schulberater und Moderatoren hat sich entwickelt, und auch die Lehrerbildung wird vom Thema der Schulentwicklung bestimmt.
Entgegen aller ImmobilitĂ€tsthesen haben sich Schulen als erstaunlich lernfĂ€hig und wandlungsfĂ€hig erwiesen, haben neue Funktionen ĂŒbernommen, Integrationsaufgaben bewĂ€ltigt und die internen Strukturen weiterentwickelt.
Dennoch: Lust und Frust liegen dicht beieinander. Was den einen gut gelingt, scheitert bei den anderen, wo sich auf der einen Seite Freiwilligkeit erreichen lĂ€Ăt und sich Motivationen entwickeln konnten, versandet der ProzeĂ auf der anderen Seite oder kommt gar nicht erst in Gang.
Die sprunghaft gewachsene Zahl der Veröffentlichungen zum Change Management, zur VerĂ€nderung in Organisationen, zum organisatorischen Lernen in allen Lebens- und Arbeitsbereichen verweisen auf eine letztlich noch nicht bewĂ€ltigte, aber fĂŒr lösbar gehaltene Aufgabe. Trotz vieler gelungener Beispiele ĂŒberwiegt allerdings immer noch der programmatische Charakter der neueren Publikationen (Morgan 1997, Senge 1996, Argyris 1996, Handy 1993, Glasl/Lievegoed 1996, Doppler/Lauterburg 1996, ReiĂ/v. Rosenstiel/Lanz 1997).
Das SchlĂŒsselthema in allen Projekten, ProzeĂreflexionen und Veröffentlichungen stellt die Frage dar: Wie gelingt der strukturelle, organisatorische und inhaltliche Wandel? Wie erreichen wir eine mentale, aktionale und emotionale Neuorientierung? Wie schaffen wir damit eine nachhaltige Reform? Wie können dabei die Betroffenen zu Beteiligten werden? Letztlich lĂ€uft die gesamte Fachdiskussion darauf hinaus,
⹠rationale und emotionale Faktoren zu verbinden (Problemlösung und emotionale Intelligenz),
⹠Strukturfragen zu lösen und Kulturentwicklung zu betreiben,
⹠Leistungskompetenz zu stÀrken und Mitarbeiterbeteiligung zu ermöglichen.
Der Umgang mit KomplexitĂ€t und systemeigenen WidersprĂŒchen steht im Mittelpunkt. Dabei geht es nicht um Systemanalyse als Diagnose- und ErkenntnisprozeĂ, sondern um die zielgerichtete, systematische, prozeĂorientierte Intervention als eigene soziale Handlungsform.
1.1 Bilder der Organisation
WÀhrend in der Zeit des Wiederaufbaus nach dem 2. Weltkrieg Familienmodelle der Organisation den Zeitgeist am treffendsten zum Ausdruck brachten und patriarchalische Kulturen die stÀrkste Bindung und Identifikation erreichten, wurden spÀter andere Bilder zu Orientierungen.
Die technokratische Moderne versprach ein hohes MaĂ an RationalitĂ€t. VerĂ€nderungsprozesse brauchten nur in Ist-Soll-Differenzen operationalisiert zu werden und schon schien es möglich, entlang eines Zeitkontinuums die VerĂ€nderung und die Umsetzung durchzufĂŒhren. Damit sollte gleichzeitig auch die AbhĂ€ngigkeit von âvĂ€terlichenâ Leitfiguren ĂŒberwunden werden. Das Prinzip hieĂ RationalitĂ€t, ihre Methoden Projektarbeit, Problemlösung und Controlling.
Eine andere Variante der Gegenbewegung zum autokratischen GrundverstĂ€ndnis formulierte sich im Gedanken der Autonomie. Selbstbestimmt leben und arbeiten hob gleich zwei Negativbilder auf: AbhĂ€ngigkeit und Entfremdung. Dem entsprechend wurden offene Formen bevorzugt, um einen Wandel herbeizufĂŒhren: Initiativen, LernwerkstĂ€tten, Workshops. Die negative Seite dieser offenen Strukturen, die ja befreien sollten von Bevormundung und Fremdbestimmung, wurde in vielen sozialen und pĂ€dagogischen Institutionen deutlich: z.B. in Beratungsstellen ohne ein gemeinsames Konzept, aber mit vielen interessanten EinzelansĂ€tzen oder in Schulen mit einem bunten Nebeneinander offener, projektartiger, klassischer, erweiterter, integrierter, ganzheitlicher etc. Lernformen.
Konsens zu bilden fÀllt immer noch schwer. Einigung klingt vielen nach Einordnung und Funktionieren nach Vorgaben. Und hier taucht wieder ein Negativmodell auf: Arbeit nach dem Maschinenmodell der Organisation mit klaren Input-Output-Relationen. Niemand möchte gern ein Zahnrad im Getriebe sein und wie geölt funktionieren. Damit bleiben als Entscheidungsmechanismen demokratisch erscheinende Mehrheits-Minderheits-Abstimmun-gen oder offene unverbindliche Handlungsrahmen mit Individualver-antwortung.
Bereits Begriffe wie Organisation, Organisationsentwicklung, Change Management klingen vielen PĂ€dagogen schrill im Ohr. Das gehört in Unternehmen, die Profit zu erwirtschaften haben, aber nicht in Schulen. DemgegenĂŒber wird dann eine Theaterwerkstatt oder eine KĂŒnstlervereinigung als Analogie sehr geschĂ€tzt. Aber auch diese weisen ihre MĂ€ngel auf, ein Zuwenig an Struktur und ZustĂ€ndigkeit, da haben manche Aspekte einer guten BĂŒrokratie doch auch ihre Vorteile. Vor allem entfallen die bĂŒhnenreifen Selbstdarstellungen, ob sie nun gekonnt oder langweilig vorgetragen werden.
Es lohnt sich, die in einem Kollegium einer Schule, einem Team des Beratungszentrums, einem Gremium der Schulaufsicht oder einer Einrichtung zur Lehrerbildung bestehenden Bilder der Organisation Schule einmal aufzunehmen und zum Gegenstand der Reflexion zu machen, um die darin enthaltenen Werte und Leitgedanken zu entschlĂŒsseln. Organisationsbilder können Motivationen wecken und durchaus schon Teil des Diagnoseprozesses sein und eine Bereitschaft zur Entdeckung der âWahrheit der Situationâ fördern.
Organisationen sind soziale Systeme, die â mit Sinn- und Existenzgrund versehen â relevante Aufgaben auf professionelle Weise wahrnehmen. Sie bilden dazu ineinandergreifende und aufeinander bezogene Subsysteme.
1.2 Was sind Systeme? Wie wirken sie?
Systeme sind Abstraktionen und Konkretionen zugleich:
⹠sie bilden Ordnungen: Klassen, JahrgÀnge, Zweige, Niveaus ...
⹠sie strukturieren Aufgaben: BildungsplÀne, FÀcherinhalte ...
âą sie regeln AblĂ€ufe: Aufnahmeverfahren, Klassenarbeiten, PrĂŒfungen ...
âą sie verbreiten Informationen: Unterricht, Lehr- Lernformen, ...
âą sie entwickeln eigene Kulturen: Schulklima, Schulkultur, Lernkultur ...
⹠sie reduzieren KomplexitÀt: Unterrichtseinheiten, Stunden ...
âą sie durchlaufen Phasen: Pionier-, Differenzierungs-, Integrations-, Transformationsphasen.
Systeme haben ihre eigene Dynamik, charakteristische Muster der ProblembewĂ€ltigung, sie entfalten sich, haben BlĂŒtezeiten, ĂbergĂ€nge und Krisen.
Systeme sind lebendige, funktionsfĂ€hige Einheiten, die in den Schulen aus kommunizierenden und kooperierenden Menschen bestehen, die damit gesetzte Aufgaben wahrnehmen, bestimmte Zwecke verfolgen und spezifischen Zielen dienen. Die Systemabstraktionen konkretisieren sich in Menschen: LehrkrĂ€fte, SchĂŒler, Eltern, Schulaufsicht, Dienstleister. Die Menschen sind es, die Schulen machen. Schule ist eine komplexe Organisation, die Struktur und Kultur, Formelles und Informelles, Geplantes und Spontanes, Vorgabe und Freiheit verbindet. Das macht sie vielseitig, entwicklungsoffen und gestaltbar.
1.3 Fallstudien I
Fall 1: VerÀnderung der Stundentafel
An einem humanistischem Gymnasium mit einer langen Tradition hat sich eine Diskussion ĂŒber das Profil und die zukĂŒnftigen Schwerpunkte entwik-kelt. Eine Arbeitsgruppe zur Reform der Stundentafel hat sich nach langen Beratungen zu einem Vorschlag durchgerungen, im 8. Schuljahr eine weitere Wochenstunde im Fach Chemie anzubieten und das Kontingent den Stunden fĂŒr Latein zu entnehmen.
Die Ausarbeitung war gut begrĂŒndet, mit Hinweisen auf Elternerwartungen versehen und mit Standortfaktoren begrĂŒndet. Die Stadt, in der sich die Schule befindet, lebt von der Chemie. Naturwissenschaften haben einen hohen Stellenwert.
Die Vorlage wurde gelobt, die AnstöĂe als interessant befunden. Doch letztlich fand sie keine Mehrheit. Nicht nur die Lateinlehrer â sie waren aus GrĂŒnden der Besitzstandswahrung dagegen â, sondern auch die anderen Sprachlehrer â sie solidarisierten sich â und weitere Fachvertreter â sie wehrten den AnfĂ€ngen und folgten eigenen BefĂŒrchtungen â bildeten eine Ablehnungsgemeinschaft. Der Status quo wurde gewahrt und fĂŒr mehrere Jahre einer VerĂ€nderung der Stundentafel der Boden entzogen.
Wie kam es zu diesem Scheitern?
Fall 2: EinfĂŒhrung einer landesweiten Reform
Die Grund- oder Primarschule soll die Eingangsbedingungen ins Bildungssystem sichern und zugleich fĂŒr teilzeitberufstĂ€tige MĂŒtter berechenbar sein. Das jedenfalls war das Rational, eine von allen Seiten grundsĂ€tzlich befĂŒrwortete Reform.
Die EinfĂŒhrung wurde in Schritten vorbereitet. Eine eigene Projektorganisation mit Projektleiter sollte die Umsetzung begleiten und steuern. Die inhaltliche Seite einer VerĂ€nderung des schulischen Angebots, der schulischen Zeitstruktur und die kollegiale Weiterbildung war bereits mitgedacht.
Nach kurzer Zeit brach ĂŒber das Projekt eine umfassende Kritik herein, die den Zwangscharakter, die Art der Vorbereitung, die materiellen Vorgaben, die zusĂ€tzliche Arbeitsleistung und die mangelnde Beteiligung bereits bestehender Konzepte und Initiativen hervorhob.
Einige, in der Anfangsphase auf Veranstaltungen gefĂŒhrten Diskussionen und AuskĂŒnfte der Projektleitung sorgten fĂŒr Verunsicherung und Irritation. Alles, was irgendwie falsch verstanden werden konnte, wurde auch falsch verstanden. Aus WeggefĂ€hrten wurden Kontrahenten, aus motivierten Mitstreitern und Gestaltern wurden Nörgler und Verweigerer: So nicht!
Wieso konnte die Anfangsmotivation nicht erhalten werden? Was hat die Situation kippen lassen?
Fall 3: OE-Begeisterung an einer Fachschule, oder: Die Autonomie wird in die Schranken verwiesen
Eine ĂŒber mehrere Jahre vom Scheitern bedrohte Fachschule fĂŒr sozialpĂ€dagogische Berufe hatte Wind unter die FlĂŒgel bekommen. Die Anmeldungszahlen stiegen, es konnten in jedem Jahr zwei weitere Klassen eingerichtet werden. Ein neuer Leiter sorgte fĂŒr eine systematische Zukunftsentwicklung, ein Schulentwicklungsprojekt unterstĂŒtzte diese Neuorientierung, es kam Schwung auf.
Die Lernorganisation sollte innovativer werden, integrierte Praxisprojekte in Verbindung mit fĂ€cherĂŒbergreifender Projektstruktur bildete den Kern. Die Fachschule blĂŒhte auf und stel...