Das Projekt Sozialdemokratie
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Das Projekt Sozialdemokratie

Gescheitert? Überholt? Zukunftsweisend?

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Das Projekt Sozialdemokratie

Gescheitert? Überholt? Zukunftsweisend?

About this book

Die europĂ€ische Sozialdemokratie wurde einst von der aufsteigenden Arbeiterklasse nach oben getragen, Anfang der 1970er Jahre stand sie am Gipfel politischer Macht. Seither haben aber andere Leitvorstellungen und Ziele jene der Sozialdemokratie verdrĂ€ngt, wodurch deren Einfluss sukzessive geschmĂ€lert wurde. Die Versuche der sozialdemokratischen Parteien, sich dem neuen, von Individualismus, Egoismus, Entsolidarisierung und Gewinnstreben geprĂ€gten Zeitgeist anzupassen, haben deren Niedergang sogar noch beschleunigt. Verstrickt in politische Taktik haben sie viel von ihrem einstigen Gestaltungsanspruch verloren. Wie Thomas Nowotny anhand vielfacher Beispiele darlegt, wĂ€re es aber gerade die praktische Anwendung sozialdemokratischer Werte und Zielvorstellungen, mit der sich Krisen wie wachsende Arbeitslosigkeit, zunehmende Ungleichheit und andere Probleme der heutigen Zeit eindĂ€mmen ließen. Das Buch versteht sich damit als Beitrag zur laufenden Diskussion um ein zeitgemĂ€ĂŸes Programm der Sozialdemokratie und liefert verschiedenste AnsĂ€tze, wie die Sozialdemokratie zu neuer StĂ€rke finden kann und muss.

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1. Die Sozialdemokratie verliert Macht und Ansehen

1.1 Der scheinbar unaufhaltsame Abstieg

Die Sozialdemokratie profitierte einst von der vollen Entfaltung des „industriellen Zeitalters“. Sie hat offenbar Schwierigkeiten, auch im „postindustriellem Zeitalter“ attraktiv zu bleiben.
Emporgetragen vom sozialen Aufstieg der Industriearbeiter und in Einklang mit einem durch das rasche Wachsen von Wohlstand gefestigten Zukunftsglauben, stand die Sozialdemokratie vor vierzig Jahren am Gipfel ihrer Macht. Damals – in den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts – schien die Selbstsicherheit der Sozialdemokratie auch wohl begrĂŒndet. Die Wirtschaft war in dem vorhergegangenen Vierteljahrhundert rasch gewachsen. Dieses Wachstum war der Entfaltung der Industrie geschuldet. Die damals reicheren Staaten nannten sich demnach auch „Industrie-Staaten“. Sie unterstrichen damit die weit verbreitete Meinung, dass es ihr industrielles Potential war, welches sie von den Ă€rmeren Staaten der Welt1 abhob. Mit diesem Prestige der industriellen Produktion und mit diesem Aufschwung der gesamten Nachkriegswirtschaft verband sich ein ausgeprĂ€gtes Selbstbewusstsein der Industriearbeiter. Sie bildeten die „Kernschicht“ der Sozialdemokratie und waren deren verlĂ€sslichste WĂ€hler.
Dank des schnellen Wachstums der Wirtschaft2 war der Wohlstand so rasch gestiegen, dass man daraus neben persönlichem Konsum und Investitionen unschwer auch die TĂ€tigkeit des Staates und insbesondere staatliche Sozialmaßnahmen finanzieren konnte. Die Einkommensunterschiede waren relativ gering und die gesellschaftliche SolidaritĂ€t demnach noch dicht. Der Staat, der einen durch die harten Kriegs- und Nachkriegsjahre gesteuert hatte, war geachtet. Die Behauptung, dass man das eigene Wohlbefinden nur durch ein ZurĂŒckstutzen des Staates steigern könnte, hĂ€tte damals nur wenig Zustimmung gefunden.
Ein „sozialdemokratischer Diskurs“ bestimmte allenthalben die Politik. Selbst konservative Parteien bekannten sich zu den sozialen Aufgaben des Staates. Ein Ă€hnliches Bekenntnis kam damals in den USA von der dortigen linkeren Partei – den „Demokraten“. Ihr PrĂ€sident Lyndon Johnson hatte in dem von ihm erklĂ€rten „Krieg gegen die Armut“ die staatlichen Sozialausgaben stark ausgeweitet. Weltweit war die WĂ€hrungs- und Finanzpolitik im Sinne des „Keynesianismus“ dadurch „links“, dass sie die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steuerte und auf möglichst hohem Niveau hielt.
Kurzum – es war das ein sozialdemokratisches Zeitalter und die Sozialdemokratie stand am Gipfel ihrer Macht. In Österreich erzielte sie im Jahre 1979 mit 51 Prozent der abgegebenen Stimmen den bis dahin grĂ¶ĂŸten Wahlerfolg ihrer Geschichte. Das war aber auch der Wendepunkt. Von dort aus ging es bergab – sowohl in den Wahlen wie auch in der Organisationsdichte und PrĂ€gekraft der Partei.
Abb. 1 – Ergebnisse der Nationalratswahlen der 2. Republik Österreich
illustration
Quelle: Privatarchiv Thomas Nowotny
Die Entwicklungen seither scheinen die Vorhersagen Ralf Dahrendorfs ĂŒber das herandĂ€mmernde „Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts“3 zu bestĂ€tigen.
Dennoch und trotz des nach 1979 andauernden Machtverlustes blieb die Sozialdemokratie in Österreichs weiterhin die stĂ€rkste politische Partei. In ihrem letzten Programm aus dem Jahre 1998 ließ sie sich sogar noch zur selbstgefĂ€lligen Feststellung verleiten, dass „die Sozialdemokratie zur grĂ¶ĂŸten politischen Kraft in Europa aufgestiegen ist“.
Diese Behauptung lĂ€sst sich heute nicht wiederholen. Überall in Europa ist die Sozialdemokratie auf dem RĂŒckzug. Die skandinavischen Sozialdemokraten haben trotz ihrer erfolgreichen Sozial- und Wirtschaftspolitik laufend an Einfluss verloren. Die stolzen französischen Sozialisten sind hinter den Konservativen und den National-Populisten auf den dritten Platz zurĂŒckgefallen. In den neuen östlichen Mitgliedsstaaten der EuropĂ€ischen Union ist die Sozialdemokratie weitgehend verkĂŒmmert. Stark geschwĂ€cht ist sie auch in den sĂŒdlichen Staaten der Union.
Der Niedergang in Österreich war dramatisch. Der 51-prozentige Anteil an WĂ€hlerstimmen, den sich die SPÖ im Jahre 1979 noch zurechnen konnte, ist in den Wahlen des Jahres 2013 auf die HĂ€lfte geschrumpft. Die Anzahl der Parteimitglieder hat sich von einem Höchststand von 721.000 auf 243.000, also auf ein Drittel verringert4.
In Reaktion auf diesen Niedergang wollte man ihm durch eine Anpassung an den von Konsumstreben und Egozentrik bestimmten Zeitgeist entgegenwirken. Man meinte, das durch eine Preisgabe traditionell „linker“ politischer Ziele tun zu können. In einigen seiner wichtigsten Passagen dokumentiert das Parteiprogramm aus dem Jahre 1998 dieses AbrĂŒcken von einst zentralen Forderungen der Sozialdemokratie.
 
________________
1 VerstĂ€ndlicherweise wollten die Ă€rmeren Staaten dieses Defizit an industriellem Potential rasch beseitigen. Dazu bedienten sie sich auch des Werkzeugs einer geplanten Wirtschaft. Diesem Streben entsprach im November 1966 eine Resolution der Vereinten Nationen mit der die jetzt in Wien ansĂ€ssige UNIDO (United Nations Industrial Development Organisation) gegrĂŒndet wurde.
2 BegĂŒnstigt wurde das rasche Wirtschaftswachstum durch einen Prozess des Aufholens nach dem Weltkrieg, aber auch durch den Anstieg der BeschĂ€ftigungsquote.
3 Ralf Dahrendorf, Die Chancen der Krise, Stuttgart 1983, S. 16ff.
4 Jens Gmeiner, Matthias Micus, Der lange Weg zur Bewegungspartei, Die Zukunft 2/2015, S 22ff.

2. Statt Gestaltungswillen: Taktische Anpassung an Bestehendes

2.1 Das SPÖ Parteiprogramm 1998 – die SPÖ will nicht lĂ€nger eine linke Partei sein

Einige Kernaussagen aus dem SPÖ Programm des Jahres 1998 belegen die versuchte Anpassung an einen durch Egoismus bestimmten Zeitgeist und die damit einhergehende Preisgabe einst zentraler politischer Forderungen
a) Im Paragraph mit der Überschrift „Gleichheit“ findet sich im Parteiprogramm der SPÖ aus dem Jahre 1998 folgende Feststellung: Wir wollen fĂŒr alle Menschen Chancengleichheit 
 unabhĂ€ngig von ihren 
 Einkommen“.
Gegen diese Forderung lĂ€sst sich wohl nichts einwenden, außer dass sie nicht weit genug geht. Unterschiede im Einkommen und Vermögen schaffen nĂ€mlich so große Unterschiede in Entfaltungsmöglichkeiten, dass diese durch nachfolgende Maßnahmen nicht korrigiert werden können. Das ist nicht eine bloß theoretische Vermutung. Das bestĂ€tigt auch die Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Trotz staatlicher Maßnahmen zur HerbeifĂŒhrung von Chancengleichheit hat sich die Kluft zwischen Arm und Reich fast ĂŒberall geweitet. Gleichzeitig wurde es fĂŒr jene am unteren Ende der Einkommenspyramide schwerer, nach oben zu gelangen.
Allenthalben hat man versucht, dieser Abriegelung des sozialen Aufstiegs entgegenzuwirken – etwa durch Stipendien, welche jungen Menschen aus Ă€rmeren Schichten den Zugang zur UniversitĂ€t ebnen sollten. Aber auch bloße Chancengleichheit hat man dadurch nicht hergestellt. Die kann es nur geben, wenn es zugleich auch ein höheres Maß an Gleichheit in der Verteilung von Einkommen und Vermögen gibt. Die Sozialdemokratie mĂŒsste eine solche effektive Gleichheit ebenso nachdrĂŒcklich einfordern, wie sie es frĂŒher und durch die lĂ€ngste Zeit ihrer Geschichte getan hat und bevor sie dieses Ziel aus politischem Opportunismus und der Furcht aufgegeben hat, als „Gleichmacher“ gebrandmarkt zu werden. Seither will sie mehr Gerechtigkeit auf einfachere Weise und sozusagen unter Anwendung homöopathischer Medizin erreichen. Gleichheit könne man auch schon dadurch schaffen, dass man Menschen die Hindernisse auf dem „Weg nach oben“ beseitigt. Gerade die Erfahrung der letzten Jahrzehnte lehrt jedoch: Trotz des BemĂŒhens um Herstellung von „Chancengleichheit“ werden aus TellerwĂ€schern selten MillionĂ€re. In der schon weit, seit 40 Jahren, zurĂŒckliegenden Zeit von ĂŒberaus raschem Wirtschaftswachstum und sehr tiefgreifendem gesellschaftlichem Wandel mag man der Hoffnung erlegen sein, dass dieses Ziel der Einebnung gesellschaftlicher Unterschiede dadurch erreichbar wĂ€re, dass man eine natĂŒrliche Dynamik walten lĂ€sst und alles beseitigt, was ihr entgegensteht und dadurch den „Aufstieg der Arbeiterklasse“ behindert. Diese Hoffnung beziehungsweise Illusion durchtrĂ€nkte dann auch noch das SPÖ-Programm aus dem Jahre 1989, obwohl sich die UmstĂ€nde damals bereits völlig gewandelt hatten und sich der „Aufstieg der Arbeiterklasse“ bereits in deren Abstieg verkehrt hatte. Der Ruf nach bloßer „Chancengleichheit“ lenkt aber nicht bloß vom Ziel ab, dieser Dynamik steigender Ungleichheit und Ent-Solidarisierung entgegenzuwirken. Das Schlagwort impliziert nĂ€mlich auch die Vorstellung, dass eine „leistungsgerechte“ Gesellschaft notwendiger Weise eine hierarchische ist und sein muss. Man könne es Menschen leichter machen, auf dieser hierarchischen Leiter nach oben zu klimmen, aber daran, dass es ein „Oben“ und „Unten“ gibt, daran könne man auch dann nichts Ă€ndern, wenn sich die AbstĂ€nde zwischen den Sprossen dieser Leiter weiten (siehe dazu ausfĂŒhrlich der Abschnitt 5.3).
b) „UngezĂŒgelte MĂ€rkte lassen 
 gefĂ€hrliche Kapitalakkumulation und neue Monopole entstehen“ (Paragraph II/2.3). Diese Formulierung im Parteiprogramm kann man unterschiedlich interpretieren. Sie kann entweder als Aufforderung an die Politik verstanden werden, den MĂ€rkten einen Rahmen zu setzen. Das wĂ€re eine Feststellung von fortdauernder GĂŒltigkeit. Man kann den Passus aber auch anders und dahingehend verstehen, dass es im VerhĂ€ltnis zu den MĂ€rkten die ausschließliche Funktion des Staates sein sollte, auf diesen MĂ€rkten fĂŒr freie Konkurrenz zu sorgen und durch gesetzliche Vorgaben das Entstehen von Monopolen, Oligopolen und Kartellen zu verhindern. WĂŒrde das geschehen, dann kĂ€me es auf den MĂ€rkten auch zu keinen die Wirtschaft und das soziale GefĂŒge belastenden Verzerrungen.
Falls diese zweite Interpretation die Absicht hinter dem Text besser erfasst, dann wĂŒrde die Sozialdemokratie damit Leitbilder des konservativen „Ordo-Liberalismus“ ĂŒbernehmen. Dieser erachtet es ja auch als die hauptsĂ€chliche Aufgabe des Staates, dafĂŒr zu sorgen, dass auf den MĂ€rkten die Konkurrenz frei und unbehindert ist. Der „Ordo-Liberalismus“ stellt diese Forderung gestĂŒtzt auf die Ansicht, dass eine solche dann freie und durch den Staat freigemachte Konkurrenz das Entstehen von ungerechtfertigten „Rentengewinnen“ und damit eine ungerechtfertigte AnhĂ€ufung von Kapital unterbindet.
Die bisherige Entwicklung zeigt, dass dies nicht zutrifft. Denn staatliche Gesetze und Behörden können nicht verhindern, dass es zu einer AnhÀufung von Kapital in den HÀnden jener wenigen kommt, ...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. Inhaltsverzeichnis
  4. Vorwort – Das Ende einer Ära
  5. 1. Die Sozialdemokratie verliert Macht und Ansehen
  6. 2. Statt Gestaltungswillen: Taktische Anpassung an Bestehendes
  7. 3. Die traditionellen Ziele der Sozialdemokratie sind zukunftstauglich
  8. 4. Linke Parteien mĂŒssen sich an Programmen orientieren
  9. 5. Ungleichheit im Zugang zu bezahlter Arbeit, in Einkommen und Vermögen
  10. 6. Politik kann sich zunehmender Ungleichheit entgegenstellen
  11. 7. Moderne gerechte Gesellschaften verlangen nach einem starken Staat
  12. 8. Wirtschaftliche Dynamik ist unerlÀsslich
  13. 9. Eine starke Wirtschaft – ohne ideologische Scheuklappen
  14. 10. Österreich ist ein Einwanderungsland
  15. 11. Eine Aufgabengerechte Ordnung der Verwaltung
  16. 12. Weltordnungs- und Europapolitik
  17. 13. FĂŒr gesellschaftlichen Zusammenhalt
  18. 14. Die drohende Aushöhlung von Demokratie und die Rolle von Medien und Parteien
  19. Schlussbemerkungen
  20. Abbildungsverzeichnis
  21. Verzeichnis aller Boxen
  22. Zum Autor
  23. Impressum