Von der Eugenik zur Euthanasie
Die Grundlage der Eugenik war die Lehre vom Sozialdarwinismus, der international verbreitet war: Das schwÀchere Lebewesen wird vom stÀrkeren verschlungen.
Nach der MachtĂŒbernahme der Nationalsozialisten in Deutschland wurden Gesetze zur âVerhĂŒtung erbkranken Nachwuchsesâ (1933) und zum âSchutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehreâ (âBlutschutzgesetzâ, 1935) zum âSchutze der Erbgesundheit des deutschen Volkesâ (1935) samt vielen Verordnungen die Wegmarkierungen zur Euthanasie. Die Vernichtung âlebensunwerten Lebensâ war die Folge.
Es wurden ein âEhetauglichkeitszeugnisâ und die Zwangssterilisation eingefĂŒhrt, die durch Erbgesundheitsgerichte (EGG) administriert wurden. Zur praktischen Umsetzung wurde das gesamte Gesundheitssystem verpflichtet.
Gesundheitspolitisches Ziel der Nationalsozialisten war die Bildung eines ârassenreinenâ, erbgesunden und leistungsfĂ€higen deutschen âVolkskörpersâ. Die Umsetzung dieses Ziels sollte einerseits durch die âAusmerzungâ â und somit den Ausschluss des âMinderwertigenâ von der Fortpflanzung â andererseits durch unterstĂŒtzende MaĂnahmen zur Förderung der Produktion âerbgesunderâ und âhochwertiger Volksgenossenâ erreicht werden. DiesbezĂŒgliche Vorgaben des NS-Staates wurden von den GesundheitsĂ€mtern umgesetzt.1
âNicht nur der anthropologische Rassismus gegen âFremdvölkischeâ, auch die eugenische Verfolgung von âerbkranken Volksgenossenâ war eine [radikale, Anm.] Variante des Rassismus. Die nationalsozialistische Eugenik war integraler Bestandteil der nationalsozialistischen Rassenpolitik. Alle von ihr Betroffenen waren Opfer von Rassismus.â2
Eugenik:
Schenkt dem FĂŒhrer Kinder â aber âŠ
FĂŒr âdeutsche, rassenreineâ Frauen war die Abtreibung streng verboten. Der Zugang zu VerhĂŒtungsmitteln wurde erschwert. Auf gewerbsmĂ€Ăige Abtreibung stand die Todesstrafe.
Sukzessive wurde das Abtreibungsverbot bei AuslĂ€nderinnen aufgehoben. Himmler war anfĂ€nglich gegen diese Lockerung. Er befĂŒrchtete damit einhergehend auch eine Lockerung des Abtreibungsverbotes bei deutschen Frauen und sah [andererseits] im âfremdvölkischenâ Nachwuchs zukĂŒnftige Billig-ArbeitskrĂ€fte.3
Der ReichsĂ€rztefĂŒhrer Dr. Gerhard Wagner lieĂ auf dem Reichsparteitag im September 1934 die Abtreibung aus eugenischen GrĂŒnden mit Hitlers âFĂŒhrerermĂ€chtigungâ straffrei stellen. âHitlerâ, so sagte Wagner, âsei der oberste Gerichtsherr.â Im Januar 1935 entschied das Hitler-Kabinett, die Abtreibung von vermutlich behinderten Kindern durch eine Novelle (26.7.1935) zum Sterilisationsgesetz durchzusetzen. Sie machte unter bestimmten Voraussetzungen die Abtreibung auch gegen den Willen der Schwangeren bis zum 6. Monat gesetzeskonform. Die Fruchttötung durfte nun nicht nur auf Grund medizinischer Indikation durchgefĂŒhrt werden. In der Praxis wurden die Begrenzungen im Sinne der Parteilinie aufgeweicht bzw. weit ĂŒberschritten.
Laut Gesetz konnte die betroffene Person selbst, deren gesetzliche Vertreter, AmtsĂ€rzte oder Anstaltsleiter AntrĂ€ge auf Sterilisation stellen. Da sowohl die Anzeigen als auch die folgende ErmittlungstĂ€tigkeit ohne das Wissen des Betroffenen betrieben wurden, blĂŒhte die WillkĂŒr, und es war der Denunziation TĂŒr und Tor geöffnet.
Formal waren zwar nur Ărzte und Personen aus Pflegeberufen zur Anzeige verpflichtet, es kamen jedoch vielfach auch Hinweise aus der Bevölkerung. Insbesondere die lokalen ParteifunktionĂ€re taten sich hier hervor. Ermittlungen und Recherchen koordinierte der Amtsarzt zentral. Um ihm dazu den nötigen Handlungsspielraum einzurĂ€umen, wurde sogar die Ă€rztliche Schweigepflicht aufgehoben.4
Eheverbot
Das nationalsozialistische âErbgesundheitsgesetzâ galt in der âOstmarkâ ab dem 1. JĂ€nner 1940.5 Eheverbot bestand, wenn bei einem der Partner eine mit Ansteckungsgefahr verbundene Krankheit, geistige Störungen oder eine Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes vorlag oder eine EntmĂŒndigung. Es verbot die Ehen von Gesunden mit Erbkranken6 und sollte verhindern, dass âerbkrankeâ Nachkommen geboren werden. Das heiratswillige Paar musste mittels eines Ehetauglichkeitszeugnisses, das vom Gesundheitsamt auszustellen war, nachweisen, dass kein derartiges Ehehindernis vorliegt.7
ZusĂ€tzlich bestand ein Eheverbot nach dem mit 24. Mai 1938 eingefĂŒhrten âBlutschutzgesetzâ, wenn aus der Ehe âeine die Reinhaltung des Deutschen Blutes gefĂ€hrdende Nachkommenschaft zu erwartenâ war: Beispielsweise bei EheschlieĂung mit Juden, âNegerbastardenâ oder âZigeunernâ.8
Auch bei Entbindungen starben unerwĂŒnschte Kinder. Die Waldzellerin Katharina Frickh erinnert sich in ihrem Buch an die Dirn Maruschka in Schildorn: âDie ukrainische Zwangsarbeiterin beim Binder zâ Ottenberg wurde zur Entbindung nach Ried ins Krankenhaus9 gebracht, kam jedoch ohne Kind wieder zurĂŒck. âNix gesehen, Kind tot!â, berichtete sie.â10
Stellte das Gesundheitsamt das âEhetauglichkeitszeugnisâ nicht aus, kam es nicht selten zu schicksalhaften Folgen: Die Tragödie des Alois Bauer wird im Anschluss geschildert.
Der Eferdinger BĂŒrgermeister verlangte vom Amtsarzt eine Verweigerung der Ehetauglichkeit fĂŒr ein Paar, weil der BrĂ€utigam an KinderlĂ€hmung leide.
Eheverbot war nach einem Erlass von 1943 auszusprechen, wenn die Braut infolge fortgeschrittenen Alters nicht mehr oder nicht mehr ausreichend fruchtbar, der Verlobte dagegen zeugungsfÀhig war.
Die Untersuchungen durch die GesundheitsĂ€mter auf Ehetauglichkeit eröffneten dem NS-Selektionssystem erstmals âbreiten Zugang zur freilebenden Bevölkerungâ. Im Gegensatz zu den AnstaltsinsaĂen galten gerade die âfreilebenden leichten FĂ€lleâ infolge ihrer höheren Fortpflanzungsgefahr als unverhĂ€ltnismĂ€Ăig gefĂ€hrlicher.11
Die Erbgesundheitsgerichte (EGG)
Ăber Sterilisationen mussten die Erbgesundheitsgerichte entscheiden. Sie bestanden aus einem Richter â dem formalen Vorsitzenden â und zwei Ărzten, die unter Ausschluss der Ăffentlichkeit entschieden â oft ohne Zeugenbefragung und in Abwesenheit der Betroffenen. Letztere konnten beim Erbgesundheitsobergericht Berufung einlegen. Die eigentlichen EntscheidungstrĂ€ger waren in einer âbislang ungekannten MachtfĂŒlleâ die Ărzte. Die AntrĂ€ge auf Zwangssterilisation waren auch gegen die gesellschaftlichen Unterschichten (Landarbeiter, Knechte, Obdachlose, Bettler, Hausierer âŠ) gerichtet.
Um eine âfreiwilligeâ Einwilligung der Betroffenen zur Operation zu erreichen, erklĂ€rte man z. B., dass eine Bruchoperation notwendig sei oder drohte mit dem Konzentrationslager.12
Oft war der Unfruchtbarmachung eine Abtreibung voraus gegangen.
Zeitzeugen berichten ĂŒber einen Todesfall nach einer Abtreibung. Eine Frau aus Friedburg starb nach einer Abtreibung zuhause. Die Operation soll im Krankenhaus Ried erfolgt sein. Belege dafĂŒr lieĂen sich bislang aber ...