A. Rezeption Trakls in der NS-Zeit
Forschungsstand
Angesichts der uneinheitlichen, ja widersprĂŒchlichen Rezeption bestimmter Autoren in der NS-Zeit hat Egon Schwarz schon vor Jahrzehnten betont, jede Rezeption sei eine Begegnung komplizierter KrĂ€fte, âdie von ökonomischen, sozialen, politischen, Ă€sthetischen und weltanschaulichen Faktoren abhĂ€ngtâ, sie entstehe nicht nur âaus den Reaktionen der EmpfĂ€nger auf einen Schriftstellerâ, sondern enthalte auch âmanches von dem, was sein Werk und seine Person beizusteuern habenâ.1 Obwohl diese Erkenntnis mittlerweile zum Allgemeingut geworden und durch Sozialgeschichtsschreibung der Literatur, RezeptionsĂ€sthetik oder Rezeptionstheorien wie die âkulturellen Modelleâ vertieft worden ist,2 hat Schwarzâ Forderung, âin jedem Fall die besonderen Rezeptionsbedingungen zu untersuchen und den KnĂ€uel von Motiven und Vorbehalten, Interessen und ZufĂ€llen zu entwirrenâ,3 nichts an AktualitĂ€t eingebĂŒĂt.
Die Rezeption Trakls in der NS-Zeit ist bisher kaum erforscht worden. Nur die (ungedruckte) rezeptionsgeschichtliche Dissertation ĂŒber Trakl von Diana Orendi-Hinze hat sich damit nĂ€her beschĂ€ftigt.4 Allerdings weisen sowohl die Methoden dieser Studie als auch die historischen Kenntnisse ihrer Verfasserin schwere MĂ€ngel auf, und das Korpus der untersuchten Texte aus der NS-Zeit ist viel zu rudimentĂ€r. Walter Methlagl ĂŒbernimmt in einem Aufsatz zur Wirkung Trakls einige Ergebnisse der Arbeit Orendi-Hinzes und gibt darĂŒber hinaus nur ein paar Rezeptionszeugnisse aus der NS-Zeit wieder.5 Die von ihm betreute (ungedruckte) Dissertation Brunhilde Schwabl-Wiesers untersucht die Rezeption Trakls in Anthologien, unter anderem in einigen aus der NS-Zeit, allerdings mit mangelnder Differenzierung.6 â All diese Studien scheinen von der PrĂ€misse geleitet zu sein, der Nationalsozialismus ist etwas durch und durch VerabscheuungswĂŒrdiges, mit dem die Lichtgestalt Trakl nicht in Einklang gebracht werden kann bzw. darf.
Abgesehen davon findet sich nur sehr wenig: ein Hinweis auf die positive Beurteilung von FrĂŒhexpressionisten wie Trakl durch einzelne NS-Germanisten7 sowie kurze Bemerkungen zur Rezeption Trakls in der NS-Zeit generell und in Salzburg speziell.8 Es spricht BĂ€nde, dass ein auf einem Grazer Symposion beruhender, aus zwei Dutzend AufsĂ€tzen bestehender Sammelband ĂŒber österreichische Literatur im Nationalsozialismus zum Thema âTrakl in der NS-Zeitâ einen einzigen Satz erĂŒbrigt: âGeorg Trakl blieb selektiv im Kanon.â Noch dazu erfolgt das nicht durch einen Germanisten, sondern durch den Historiker Ernst Hanisch, der in der Anmerkung zu dieser Aussage nur auf seinen eigenen Aufsatz ĂŒber die Rezeption Trakls in Salzburg verweist.9 In seiner umfangreichen Studie ĂŒber Salzburg in der NS-Zeit erwĂ€hnt jedoch Hanisch Trakl mit keinem Wort.10
Erst vor wenigen Jahren hat ein Forscher den Forschungsstand mit wichtigen Erkenntnissen bereichert. In seinem Aufsatz ĂŒber den literarischen Dialog von Autoren der 1930er- und 1940er-Jahre mit Trakl (von dem noch die Rede sein wird) vertritt Mark Elliott die Auffassung, in dem vom NS-Regime kontrollierten Bereich von Literaturgeschichten, Zeitschriften und Zeitungen sei die Rezeption Trakls gemischt gewesen; die mit der NS-Ideologie unvereinbaren Aspekte von Trakls Leben und Werk seien nicht schlankweg verdammt, sondern entsprechend umgedeutet worden.11
Wie ĂŒberrascht die gegenwĂ€rtige Trakl-Forschung von neuen Forschungsergebnissen zur Trakl-Rezeption in der NS-Zeit ist, zeigte sich unlĂ€ngst bei einer Tagung in Ljubljana, als ich die Frage erörtert habe, ob Grodek auch in der NS-Zeit als Antikriegsgedicht rezipiert worden ist.12
Dass sich die Forschung bisher nicht grĂŒndlicher mit der Rezeption Trakls im Nationalsozialismus beschĂ€ftigt hat, ist erstaunlich. WĂ€ren doch von einer Untersuchung dieses Themas nicht nur Erweiterungen des Bilds von der Rezeption eines der bedeutendsten deutschsprachigen Lyriker, sondern auch AufschlĂŒsse ĂŒber den Umgang eines totalitĂ€ren Staates (bzw. der Gesellschaft in einem solchen Staat) mit einem unpolitischen Autor und dessen Werk zu erwarten. Da Trakl auch in der NS-Zeit im Allgemeinen zu den Expressionisten gerechnet wurde und sein â von herkömmlichen Sprachstrukturen sich lösendes â Werk als modern galt, mĂŒsste eine solche Untersuchung auch die Rezeption der literarischen Moderne bzw. des Expressionismus berĂŒcksichtigen. Voraussetzung dafĂŒr sind freilich eine möglichst lĂŒckenlose Ermittlung und genaue Sichtung der zeitgenössischen Rezeptionszeugnisse. Walter Ritzers Trakl-Bibliographie13 ist dabei nur eine geringe Hilfe; sie ist vor allem im Nachweis von Abdrucken von Gedichten Trakls in Anthologien und Zeitungen sowie von Stellungnahmen zu Trakl in Literaturgeschichten höchst unvollstĂ€ndig; auĂerdem sind ĂuĂerungen zu Trakl in Briefen und TagebĂŒchern von Autoren ausgeklammert.
Einleitung
Schon bald nach der MachtĂŒbernahme der Nationalsozialisten vom 30. JĂ€nner 1933 initiierte die Deutsche Studentenschaft die Aktion Wider den undeutschen Geist, die in Zusammenarbeit mit dem NS-Studentenbund und mit finanzieller UnterstĂŒtzung von Joseph Goebbelsâ Reichsministerium fĂŒr VolksaufklĂ€rung und Propaganda durchgefĂŒhrt,14 aber auch von breiten Kreisen des antimodernen BĂŒrgertums getragen wurde.15 Bei der BĂŒcherverbrennung, in der diese Aktion gipfelte, wurde jenes als âjĂŒdischâ, âkunstbolschewistischâ oder âSchmutz und Schundâ bezeichnete Schrifttum, das laut der âSchwarzen Listeâ Wolfgang Herrmanns der âgeistigen Wehrhaftmachungâ und âtotalen Mobilmachung des deutschen Menschenâ im Wege stand,16 gebrandmarkt. Unter Schöner Literatur kamen neben den âartfeindlichenâ Schriften auch jene Werke auf den Index, die â wie es hieĂ â im Geist âdes bĂŒrgerlich-dekadenten Subjektivismus volkstumsfremder und landschaftsferner groĂstĂ€dtischer Literatenâ verfasst worden sind und âin ihrer Wirkung dahin fĂŒhren, daĂ volksbegrĂŒndende und volksgestaltende Einrichtungen und Werte als Bagatellen behandelt, ironisiert und verfĂ€lscht werdenâ.17 â Als dies geschah, stand wohl auĂer Streit, dass die Lyrik Trakls nicht darunter fiel; andererseits konnte man sie nicht gut fĂŒr die âgeistige Wehrhaftmachungâ reklamieren oder vom âdekadenten Subjektivismusâ freisprechen.
Hans Naumann, renommierter Germanistik-Professor an der UniversitĂ€t Bonn, erklĂ€rte bei seiner Ansprache zur BĂŒcherverbrennung auf dem Bonner Marktplatz am 10. Mai 1933, die Studenten verbrennten das, was sie bedrohe, verwirre und verfĂŒhre; das Fremde werde impulsiv abgeschĂŒttelt. Mit dem zum âSchutz der Ăffentlichkeitâ verbrannten Schrifttum sollte sich allenfalls die Wissenschaft befassen, um es mit ihren Mitteln zu entwaffnen. Deutsche Kunst komme hingegen aus irrationalen GrĂŒnden: ErwĂŒnscht sei ein Schrifttum, dem âFamilie und Heimat, Volk und Blutâ heilig sind, das âuns zum sozialen GefĂŒhl und zum Gemeinschaftsleben erzieht, sei es in der Sippe, sei es im Beruf, sei es in der Gefolgschaft oder in Stamm und Nationâ, das uns âzum FĂŒhrertum und zur Wehrhaftigkeitâ erzieht, ein âim besten und edelsten Sinne politischesâ Schrifttum, mit Vorbildern wie Friedrich Hölderlin, dem âlebendigen Gewissen unserer Nationâ.18
Das Urteil des Germanisten Max Kommerell, keiner der Dichter und WortfĂŒhrer der Zeit habe dem Deutschen âein so ungeheures Anrecht auf Macht, ein solches GefĂŒhl ausschlieĂenden Wertes und Ranges verleihen könnenâ wie Hölderlin,19 diente in der NS-Zeit quasi als GĂŒtesiegel. In seiner nordisch-völkischen Mythologie bezeichnet Alfred Rosenberg, âChefideologeâ des NS-Regimes, Hölderlin als âgröĂten SĂ€nger unter den Deutschen und zartesten KĂŒnder ihrer Seeleâ und preist ihn fĂŒr das âaesthetisch-willenhafte Sehnsuchtselement seines Schaffensâ.20 Hölderlin und andere GröĂen der bĂŒrgerlichen Literaturtradition wurden zu den wahren Ahnen der NS-Literatur erklĂ€rt, was vor allem darauf zurĂŒckzufĂŒhren sein dĂŒrfte, dass es den NS-Kulturpolitikern und -Germanisten nicht gelungen ist, fĂŒr die NS-Literatur eine genuine Vorgeschichte zu entwerfen.21 Mit Kriegsbeginn wurde Hölderlin âzur nationalen Erlöserfigur schlechthinâ, der SĂ€nger der Griechen wurde zum âVerkĂŒnder einer vaterlĂ€ndischen Sendung der Deutschenâ umgedeutet.22 (Kommerell hat diese Inszenierung ĂŒbrigens als Missbrauch kritisiert, freilich nur im privaten Kreis.)23 Dass Hölderlin zu âder Sinnfigur fĂŒr den heroischen Untergangâ wurde, ist allerdings nicht nur auf die Entwicklung des Kriegs zurĂŒckzufĂŒhren; die innerhalb wie auĂerhalb der Germanisten-Zunft gesteigerte Resonanz dieser Sinnfigur ist âdas Resultat eines Inszenierungskomplexes, in dem sich politische, disziplinĂ€re und bildungsbĂŒrgerliche sowie ökonomische Motivationslagen vermischen, einander wechselseitig bestĂ€rken und so Popularisierungseffekte erzeugenâ.24
Als die Kriegsverluste immer gröĂer wurden und die Niederlage des Dritten Reichs absehbar war, im âschicksalsreichen Hölderlin-Gedenkjahrâ 1943 anlĂ€sslich seines 100. Todestags, rief Heinz Kindermann, Ordinarius fĂŒr Theaterwissenschaft an der UniversitĂ€t Wien, mit Hölderlin zum Kampf auf: rings um uns tose das Chaos, eine âneue Rangordnung der Werteâ mĂŒsse gegen die âGewalten des Untergangsâ erkĂ€mpft werden; in âdiesem Ringen auf Tod und Lebenâ, in einer Zeit, âda jeder sein letztes geben muĂ, um das Kostbarste zu rettenâ, möge uns Hölderlin beistehen.25 Bei der Hölderlin-Reichsfeier in TĂŒbingen erklĂ€rte der Leiter des Hauptkulturamtes der NSDAP, Hölderlin werde gefeiert, âweil er der gute Kamerad unserer MĂ€nner ist, die im Kampfe fĂŒr Deutschland stehenâ.26 Den Gedichten Hölderlins wurde offenbar eine mentale Wirkung unter den Soldaten zugetraut, wie etliche Hölderlin-Ausgaben von 1943 belegen: ein BĂ€ndchen in der Reihe Feldpost bei Böhlau, eine Auswahl fĂŒr Soldaten mit dem Titel Heldentum bei Walter, eine Frontbuchhandelsausgabe bei Langewiesche-Brandt und eine Feldauswahl bei Cotta.27
Seit je wurde Trakl in Zeitungsartikeln mit Hölderlin verglichen, doch was hatte er mit der deutschen Nation zu tun? Das wird auch in einem Artikel eines NSDAP-Organs angesprochen: Hölderlin und Trakl hĂ€tten aus der gleichen GefĂŒhlssphĂ€re geschöpft, aber bei Hölderlin sei noch der Jubel der nationalen Idee ertönt.28 Und doch gibt es Parallelen im Image der beiden Dichter, wie sich in den groĂen Hölderlin-Ausgaben des Jahres 1943 zeigt. Die neugegrĂŒndete Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe erschien mit einem Geleitwort des WĂŒrttembergischen MinisterprĂ€sidenten und Kultministers, in dem es heiĂt, Hölderlins edler Geist âschaute mit seherischem Blick das deutsche Schicksalâ, wie es sich nun âim schwersten Ringen unseres Volkesâ um die Zukunft des Vaterlands offenbare.29 Friedrich SeebaĂ, (Mit-)Herausgeber der Neuauflage SĂ€mtlicher Werke Hölderlins, bekundete im Vorwort seine Verbundenheit mit Norbert v. Hellingrath, dem im Ersten Weltkrieg gefallenen ersten Herausgeber, und mit allen BlĂŒten der neuen Jugend, die im neuen Krieg ebenfalls âder Erde zu Danke fielenâ30 â was durch die Wahl eines Zitats aus Hölderlins Gedicht Mein Eigentum zwar ein Ignorieren des opferungswĂŒrdigen âVolksâ bzw. âVaterlandsâ, aber doch ein Andeuten von Opferbereitschaft darstellt. Beides, das Seherische wie die Opferbereitschaft, wurde in der NS-Publizistik auch Trakl zugeschrieben.
Seit je wurde in Zeitungsartikeln als ein zentrales Thema von Trakls Dichtung der Verfall erkannt. Doch zĂ€hlte sie deswegen gleich zur âartfremdenâ Literatur, in der der âGeist des Verfalls und der Zersetzungâ lebe31 â wie Hans Friedrich Blunck, PrĂ€sident der Reichsschrifttumskammer, deren UnterdrĂŒckung im Dritten Reich vor dem Ausland zu rechtfertigen versuchte? Und musste Verfallsdichtung mit âDekadenzâ gleichgesetzt werden, konnte sie nicht auch als Klage ĂŒber den Niedergang verstanden oder als Zeugnis fĂŒr Todesgewissheit gewĂŒrdigt werden? Wer in literarischen Texten Hinweise auf die ârassischeâ oder geographische Herkunft des Autors suchte, konnte ...