1. Theoretische HinfĂŒhrung
1.1 Abschattungen der Macht â eine begriffliche AnnĂ€herung
Als flĂŒssig und flĂŒchtig, dem Foucaultâschen Panoptikum totaler Kontrolle entwichen, beschreibt Zygmunt Bauman (2003: 18) die Macht in der Postmoderne, und ebenso schemen- und wechselhaft zeigt sich auch ihre Begriffsgeschichte bis in die Gegenwart. âDer SelbstverstĂ€ndlichkeit des PhĂ€nomens steht eine totale Unklarheit des Begriffes gegenĂŒberâ, so leitet Byung-Chul Han (2005a: 7) seine Studie zur Macht ein â genauer mĂŒsste man wohl von der vermeintlichen SelbstverstĂ€ndlichkeit eines PhĂ€nomens sprechen, dessen Bedeutungen zwischen UnterdrĂŒckung und Freiheit, zwischen destruktiver Gewalt und produktiver KreativitĂ€t schwanken (ebd.). Zwar finden sich in den allermeisten Definitionen von Macht auch konstruktive Aspekte, meist aber allein schon semantisch ins Negative gewendet. FĂŒr Niklas Luhmann kann Macht zwar Entwicklungen beschleunigen und wie ein âKatalysatorâ wirken (1975: 12), zugleich aber beschreibt er ihre Funktion so, dass âes fĂŒr den Unterworfenen gerade sinnlos [ist], ĂŒberhaupt einen Willen zu habenâ; Macht stelle âmögliche Wirkungsketten sicher unabhĂ€ngig vom Willen des machtunterworfenen Handelnden â ob er will oder nichtâ (ebd. 11f). Das knĂŒpft an Max Weber an, der Macht zwar von Herrschaft abgrenzt und als âsoziologisch amorphâ definiert, weil âalle denkbaren QualitĂ€ten eines Menschen und alle denkbaren Konstellationen [...] jemanden in die Lage versetzen [können], seinen Willen in der gegebenen Situation durchzusetzenâ, wĂ€hrend Herrschaft prĂ€ziser die Chance bedeute, âfĂŒr einen Befehl FĂŒgsamkeit zu findenâ (Weber 1921: 28f). Webers Definition von Macht hebt sich dann aber nur in Nuancierungen von Herrschaft ab: âMacht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruhtâ(ebd. 28). Macht bietet also diese âChanceâ, erlegt freilich jenen, die sie nutzen wollen, die Aufgabe der Durchsetzung auf â letztlich ein offener Kampf, dessen Ausgang von der Ausstattung oder auch MobilisierungsfĂ€higkeit der Macht abhĂ€ngt. In der Herrschaft ist dagegen schon klargestellt, âfĂŒr einen bestimmten Befehl bestimmten Inhalts bei angehbaren Personen Gehorsam zu findenâ (ebd.). Disziplin steht, als dritte Kategorie bei Weber, im Dienste der Herrschaft, âsoll heiĂen die Chance, kraft eingeĂŒbter Einstellung fĂŒr einen Befehl prompten, automatischen und schematischen Gehorsam bei einer angehbaren Vielfalt von Menschen zu findenâ (ebd.).
Das Dilemma, dass Macht einerseits produktiv zu sein scheint, andererseits immer wieder als Macht gegen jemanden verstanden wird, hat zu einer Reihe dichotomer Definitionen gefĂŒhrt, im Sinne einer âJanusköpfigkeit der Machtâ (Hailer 2006: 154). Stellvertretend genannt seien das Modell der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) nach Marshall B. Rosenberg (2009) und die Unterscheidung in âinstruktive Machtâ und âdestruktive Machtâ bei Björn Kraus (2011: 97), wobei die positiv besetzte Definition auf die Möglichkeit verweist, andere Menschen im Denken und Handeln zu beeinflussen, wĂ€hrend die negative Form der Macht auf die Reduktion des Anderen abzielt (ebd. 105). Rosenberg geht von strafender und beschĂŒtzender Anwendung der Macht aus: Erstere stellt bei VerstöĂen gegen herrschende Regeln die Ordnung wieder her, die zweite schafft â auch mittels des BemĂŒhens um gewaltfreie Kommunikation â Konsens, Zustimmung und Frieden (ebd. 118). Das prinzipielle Problem dichotomer Unterscheidungen ist, dass die Frage, welche der Machttypologien nun jeweils zur Anwendung kommt, vom guten Willen jener abhĂ€ngt, die ĂŒber die Macht verfĂŒgen. Die Asymmetrie der Machtachse bleibt unverĂ€ndert: Wenn A die Macht hat, kann B nur hoffen, dass A sorgsam damit umgeht (etwa mit âSoft Powerâ nach Nye 2004) oder, im noch gĂŒnstigeren Falle, genau das will, was B sowieso auch möchte.
Diese Latenz der Macht, dass sie aufrichtend sein kann oder zerstörerisch, ist fĂŒr Georg Picht â vor allem bekannt fĂŒr seinen Alarmruf von der deutschen Bildungskatastrophe (Picht 1964) â ihr eigentliches Substrat: âMacht ist am stĂ€rksten, wenn sie latent und eingeschrĂ€nkt zur Disposition steht [...], wo sie latent bleibt, aber droht.â (Picht 1981: 300) In der Ambivalenz der Erscheinungsformen von Macht erkennt Picht das Muster der göttlichen Allmacht, die fĂŒr den glĂ€ubigen Menschen jederzeit vernichtend auf ihn hereinbrechen oder ihn mit Gnade erfĂŒllen konnte â Macht sei âvon solchem Glanz umgeben, dass die Menschen immer in Versuchung waren, sie als Manifestation des Göttlichen zu bestaunenâ (ebd. 301).
Es ist Friedrich Nietzsche, der mit seinem Aufbegehren zum Willen zur Macht die Dichotomie zerbricht. Schon im Zarathustra (Nietzsche 2010) entwirft Nietzsche sein Programm, das von da an immer aufs Neue in sein Werk gestreut ist und auf der Grundlage vieler Skizzen im fragmentarischen Teil des Nachlasses noch einmal aufgegriffen wird (vgl. Nietzsche 1988, KSA 7â12). Der Wille ist eng mit dem Ăbermenschen verbunden. âDer Ăbermensch ist der Sinn der Erdeâ, lĂ€sst Nietzsche Zarathustra schon in der Vorrede proklamieren, um dann zu prĂ€zisieren: âEuer Wille sage: der Ăbermensch sei der Sinn der Erde!â (Nietzsche 2010: 12)1 Das Bekenntnis zum âWillenâ ist eine AufkĂŒndigung des Gehorsams: âWelches ist der groĂe Drache, den der Geist nicht mehr Herr und Gott heiĂen mag? âDu-sollstâ heiĂt der groĂe Drache. Aber der Geist des Löwen sagt âIch willâ.â (ebd. 23) Zur Verdichtung des Gedankens kommt es im Abschnitt âVon der Selbst-Ăberwindungâ, in dem Zarathustra nicht spricht, sondern singt: âDas ist euer ganzer Wille, ihr Weisesten, als ein Wille zur Machtâ (ebd. 94); und weiter: âWo ich Lebendiges fand, da fand ich Willen zur Macht; und noch im Willen des Dienenden fand ich den Willen, Herr zu sein.â (ebd. 95)
Nietzsches âPolemologieâ (Han 2005a: 41) ist zum einen von Schopenhauers Werk âDie Welt als Wille und Vorstellungâ (2006) inspiriert, auf das er fast wörtlich Bezug nimmt, um darĂŒber hinauszugehen. Spricht Schopenhauer vom âWillen zum Lebenâ (ebd. 291), den er am stĂ€rksten in der Tierwelt, etwas gehemmt beim Menschen wahrnimmt, begnĂŒgt sich Nietzsche nicht mit dem Leben allein: âNur, wo Leben ist, da ist auch der Wille: aber nicht Wille zum Leben, sondern â so lehre ichâs dich â Wille zur Macht!â (Nietzsche 2010: 96) Zum anderen greift Nietzsche mit dem Verweis auf den Dienenden, der den Willen zum Herr-Sein hat, zumindest indirekt das Gleichnis von Herr und Knecht auf, mit dem Friedrich W. Hegel seine PhĂ€nomenologie der Macht begrĂŒndet. Wo Hegel den Knecht auf den Kampf verzichten lĂ€sst, postuliert Nietzsche den Willen zur Befreiung.
Die Begegnung von Herr und Knecht bei Hegel ist eine âBewegung des Anerkennensâ (Hegel 1986a: 146), die Hegel als Metapher fĂŒr die Not des âSelbstbewusstseinsâ dient, âein Anderesâ (ebd. 145) vorauszusetzen, um die eigene Existenz zu begrĂŒnden â dadurch gerĂ€t es âauĂer sichâ (ebd. 146), es ex-sistiert. Dieses AuĂer-sich-Sein des Bewusstseins als Voraussetzung, um sich selbst zu erkennen und ĂŒber sich selbst zu reflektieren, fĂŒhrt fĂŒr Hegel in eine doppelte Verstrickung des Selbstbewusstseins: âerstlich, es hat sich selbst verloren, denn es findet sich als ein anderes Wesen; zweitens, es hat damit das Andere aufgehoben, denn es sieht auch nicht das Andere als Wesen, sondern sich selbst im Anderenâ (ebd.). Um sich seiner selbst vergewissern zu können, muss es das Andere aufheben, was aber bedeutet, âsich selbst aufzuheben, denn dies Andere ist es selbstâ (ebd.) â ein unlösbares Dilemma, das Jean-Paul Sartre (1995) âHegels Scheiternâ nennt, weil er die Spiegelung des âIchâ im âAnderenâ als Gleichheit setzt und damit auf eine IdentitĂ€tsbeziehung reduziert (ebd. 434).
Aber selbst wenn Hegel sich, nach Sartre, in seiner eigenen Metapher verfangen hat, fĂŒhrt das philosophische Problem des Selbstbewusstseins, sich ĂŒberhaupt erst durch die Annahme eines Anderen erkennen und konstituieren zu können, zu einer produktiven Urstiftung fĂŒr die Frage der Machtverteilung. Hegel verteilt an die âzwei entgegengesetzte[n] Gestalten des Bewusstseinsâ zwei unterschiedliche Rollen: âdie eine das selbstĂ€ndige, welchem das FĂŒrsichsein, die andere das unselbststĂ€ndige, dem das Leben oder das Sein fĂŒr ein Anderes das Wesen ist; jenes ist der Herr, dies der Knechtâ (Hegel 1986a: 150). Entschieden wurde die Rollenverteilung nicht durch Kampf, sondern dadurch, dass der Herr seine âBegierdeâ (ebd.) behauptet hat, wĂ€hrend der Knecht den Kampf scheute, weil er âum sein ganzes Wesenâ fĂŒrchtete (ebd. 153). Die Gefangenheit des Selbstbewusstsein, das sich behauptet hat, und des Anderen, das sich untergeordnet hat, ist damit aber nicht aufgelöst: Der Herr ist auf die Anerkennung durch den Knecht angewiesen, es ist dieser, der ihm â durch sein Dienen, durch seine Arbeit â den Status sichert; der Knecht bezieht aus seiner âfreien Unterwerfungâ (Han 2005a: 82), wenn auch dienend, ebenfalls sein Dasein.
Von einer Unterwerfung, die nicht erst in historischen VerteilungskĂ€mpfen entsteht, sondern im Menschen verinnerlicht ist, ja eigentlich mit dem Menschen entsteht und diesen hervorbringt, geht auch Foucault aus (1976: 42). Ebenso wie Hegel ist Foucaults Sichtweise der Macht nicht a priori und nicht ausschlieĂlich negativ geprĂ€gt, wenngleich Foucaults âdrei Technologien der Machtâ (ebd. 170) dies zunĂ€chst suggerieren könnten: die SouverĂ€nitĂ€tsmacht, die sich mit dem Schwert, dem Krieg, der Todesstrafe, der Folter durchsetzt (ebd. 175f), jene des Gesetzbuches, die â mit dem Griffel â ĂŒber die Zeichen herrscht und die Deutungshoheit ĂŒber das Recht innehat; diese Technologie reicht weit in das Private hinein und kontrolliert die Vorstellungen der Menschen, wie sie zu leben haben, was sie fĂŒr richtig oder falsch zu halten haben, wie ihre Körper sein sollen (ebd. 129â131); und als dritte Technologie jene der Disziplinarmacht, die am tiefsten ins Subjekt eindringt, indem sie ihren Einfluss hinter vermeintlicher AlltĂ€glichkeit und ĂŒber etablierte Gewohnheiten ausĂŒbt; sie erfasst den gesamten Körper, fĂŒhrt zur Selbstdisziplinierung und Anpassung des âGehorsamssubjektsâ (ebd. 167). Trotz seiner Kritik an Institutionen der Macht wie dem GefĂ€ngnis, der Anstalt, der Kaserne, dem Strafapparat des Staates, birgt Macht fĂŒr Foucault âstrategischen Reichtum und [...] PositivitĂ€tâ (ebd. 106). Macht sieht er nicht als Besitzstand, der einseitig verortet und gebunden wĂ€re, sondern als âVielfĂ€ltigkeit von KrĂ€fteverhĂ€ltnissenâ; sie wirkt âin der ganzen Dicke und auf der ganzen OberflĂ€che des sozialen Feldes gemÀà einem System von Relais, Konnexionen, Transmissionen, Distributionen etc.â (ebd. 113f), deren Ineinandergreifen er auch âDispositiveâ (Foucault 1978) nennt. Trotz der von Foucault unermĂŒdlich aufgezeigten Ăbergriffe von Macht, auf direkte und subtile Weise, wehrt er sich (beinahe vergeblich) dagegen, âdie Wirkungen der Macht immer nur negativ zu beschreiben, als ob sie nur âausschlieĂenâ, âunterdrĂŒckenâ, âverdrĂ€ngenâ, âzensierenâ, âabstrahierenâ, âmaskierenâ, âverschleiernâ wĂŒrde. In Wirklichkeit ist die Macht produktiv und sie produziert Wirklichkeitâ (Foucault 1976: 250). Ihr hohes MaĂ an Durchsetzung fĂŒhrt Foucault darauf zurĂŒck, dass âsie Dinge produziert, Lust verursacht, Wissen hervorbringtâ (Foucault 1978: 35). Ohne Macht gĂ€be es keine Lust, kein Wissen, keine Möglichkeit der Selbstsorge, keine Gestaltung des eigenen Lebens.
Ist bei Hegel durch sein Herr-Knecht-Gleichnis die DualitĂ€t zwischen einem Selbstbewusstsein und einem Anderen personifiziert, lösen sich bei Foucault die Subjekte der Macht Ă€hnlich auf, wie er es in seinem Schlusssatz von Die Ordnung der Dinge fĂŒr den Menschen prophezeit: âdaĂ der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht am Sandâ (Foucault 1974: 462). Durch die â weitgehende â Entsubjektivierung von Macht befreit Foucault den Machtdiskurs aus jener Dichotomie, die bei Hegel noch eine Unausweichlichkeit ergibt â das Eigene und das Andere in ewigem Konflikt und unlösbarem AbhĂ€ngigkeitsverhĂ€ltnis. Macht wird zum WirkungsverhĂ€ltnis, das fĂŒr UnterdrĂŒckung, Kontrolle und Disziplinierung missbraucht, aber auch positiv genutzt werden kann. Letztlich verdankt sich die Macht der Zustimmung des Unterworfenen: Solange dieser Ja oder Nein sagen kann, unterscheidet sich fĂŒr Foucault die Macht von der Gewalt. Selbst ein Sklave stehe zum Herrn in einer Macht- und nicht in einer Gewaltbeziehung, sofern er prinzipiell die Möglichkeit der Flucht hat (vgl. Foucault 1994: 255f). Han dreht das Beispiel, mit kritischem Kommentar ĂŒber die teilweise zu spielerische Konzeption der Macht bei Foucault, um eine dramatische Nuance weiter: Stringent gedacht, wĂŒrde es sich in Foucaults Logik noch um eine Machtbeziehung handeln, wenn der Sklave die Möglichkeit hĂ€tte, Nein zu sagen zur Sklaverei, auch um den Preis, getötet zu werden (vgl. Han 2005a: 125f). Solange der Sklave die Möglichkeit habe, den Befehl zu verweigern und anstelle des Gehorsams seinen Tod zu provozieren, wĂ€re er nicht machtlos. Es ist letztlich eine RĂŒckkehr in das Gleichnis von Herr und Knecht in Nietzscheanischer Heroik: nicht der Wille zum Leben macht die Freiheit aus, sondern der Wille zur Macht auch um den Preis des Todes.
Eine Zuordnung der Macht zum sozialen Feld, in dem sich âsoziale Akteureâ bewegen, findet sich bei Pierre Bourdieu, dessen soziologisches Habitus-Modell auf subtile Mechanismen der Macht verweist und dadurch an die freiwillige Unterwerfung von Hegels Gleichnis anknĂŒpft. So âverabscheuenswert und empörendâ die soziale Ungleichheit fĂŒr Bourdieu auch immer ist, haftet den âBeherrschtenâ trotzdem eine âhingenommene Komplizenschaftâ mit ihrer eigenen Benachteiligung an (Bourdieu 1989: 52). Ăber den Habitus als Inkorporation von Zugehörigkeitsmerkmalen, Werten, Stilen und Ausdrucksformen erfolgt eine teilweise unbewusste Einpassung in die herrschende Ordnung, die â dies ist ein BerĂŒhrungspunkt mit Foucault â nicht nur in Kleidung, Auftreten, Haltung ĂŒbergeht, sondern sich auch in den Körper einprĂ€gt (ebd. 43). Wohl sind Exklusionsmechanismen â ĂŒber die ungleiche Verteilung nicht nur von ökonomischem und sozialem, sondern auch von kulturellem und symbolischem Kapital (1992: 50 ff) â am Werk, doch die Ausgeschlossenen und ZurĂŒckversetzten stilisieren ihren Status als âaus freier Wahl geborenen Geschmackâ (1989: 42). Gerade dadurch, dass die von Bourdieu wahrgenommenen Ausschlussmechanismen vielfach jeder Gewalt entbehren (es sei denn einer verborgenen strukturellen Gewalt), ja sogar die âIllusion der Chancengleichheitâ (Bourdieu/Passeron 1971) anbieten und die Benachteiligten auf diese Weise blenden, wird die Macht unangreifbar.
So klingt es zunĂ€chst beinahe zynisch, wenn Han in seiner bestechenden Dekonstruktion westlich geprĂ€gter Theoriemodelle der Macht schon einleitend vorwegnimmt, worin sich die absolute Macht Ă€uĂert â nicht in der gewaltsamen Unterwerfung, die auf eine schwache Macht, ja sogar auf Ohnmacht verweist, sondern im Zusammenfallen von Freiheit und Unterwerfung (vgl. Han 2005a: 14). Ein solches Moment macht Han schon bei Hegel aus, wo es noch im âGeistâ angesiedelt ist, der durch Vermittlung âein Wir, eine Gemeinsamkeit, eine KontinuitĂ€t des All-Gemeinenâ stiftet (ebd. 101). UnterdrĂŒckung und Gewalt stellen ânur eine bestimmte, nĂ€mlich eine vermittlungsarme oder vermittlungslose Form der Macht darâ (ebd. 44). Aber was ist unter Vermittlung zu verstehen? WĂ€re damit allein die Verschleierung der Machtmechanismen, die Gewinnung der Ăbervorteilten fĂŒr die Mechanismen der Ăbervorteilung gemeint, dann liefe auch das Konzept der âVermittlungâ auf Manipulation hinaus, auf TĂ€uschungsmanöver und Listenreichtum der MachtausĂŒbenden. FĂŒr Han tut sich in der Vermittlung die Idee einer Macht auf, die sich selbst vermittelt und dadurch zur âFreundlichkeitâ gelangt (Han 2005b: 135). Darin bestĂŒnde, was zu vertiefen sein wird, ein Handlungsspielraum, der besonders auch fĂŒr die Reflexion pĂ€dagogischer Haltungen von Bedeutung wĂ€re. Es geht um nichts weniger als um die Frage, ob und, wenn ja, wie Herr und Knecht einen Ausweg aus ihrer Verstrickung finden.
BrĂŒcken zur Vorstellung einer freundlichen oder zumindest politisch emanzipatorisch gestaltbaren Macht haben JĂŒrgen Habermas und Hannah Arendt in je unterschiedlichen, aber sich berĂŒhrenden Konzepten geschlagen. In seiner Theorie des kommunikativen Handelns (1981a) analysiert Habermas strategische Machteingriffe aus der Systemebene auf die Lebenswelt, wodurch er deren BefĂ€higung zum kommunikativen Handeln einer âKolonialisierungâ (ebd. 9) ausgesetzt sieht. So stehen sich die strategische Kommunikation auf der Ebene der Systeme und das kommunikative Handeln in der Lebenswelt, mit der BĂŒrger/innen auf eine Problematisierung ihrer Lebenswelt aktiv reagieren können, weitgehend Âdichotom gegenĂŒber. In der Ausarbeitung seines kommunikativen Machtbegriffs greift Habermas auf einen gedanklichen Entwurf von Arendt zurĂŒck, der zunĂ€chst in einem Akt zivilgesellschaftlicher Selbstbestimmung besteht: âAn emanzipatorischen Bewegungen interessiert sieâ, schreibt er zu Arendts Vita activa (1981), âdie Macht der gemeinsamen Ăberzeugung: die AufkĂŒndigung des Gehorsams gegenĂŒber Institutionen, die ihre Legitimation eingebĂŒĂt haben; die Konfrontation der durch freien ZusammenschluĂ erzeugten Macht mit den physischen Zwangsmitteln eines gewaltsamen, aber ohnmĂ€chtigen Staatsapparates; der Entstehungsakt einer neuen politischen Ordnung und der Versuch, das Pathos des neuen Anfangs, die revolutionĂ€re Ausgangssituation festzuhalten, die kommunikative Erzeugung der Macht institutionell auf Dauer zu stellen.â (Habermas 1981b: 238) Es findet sich darin ein zweifacher Gedanke: jener des Zusammenschlusses der Knechte, die den Kampf aufnehmen und den Gehorsam verweigern, wobei dafĂŒr die Bedingung gilt, dass die angestrebte Macht kommunikativ ausgehandelt wird. So zeigt sich in Arendts Ăberlegung ein Ausweg auch fĂŒr die bei Habermas leicht als ausweglos deutbare GegenĂŒberstellung mĂ€chtiger Systeme mit einer kolonialisierten Lebenswelt â durch den Zusammenschluss der Vielen in der Zivilgesellschaft tritt ein neuer Akteur als Dritter im Diskurs um die Macht auf.
Theoretisch bedeutungsvoll ist an Arendts kommunikativem Programm, dass sie die Macht in einem âZwischenâ ansiedelt, das sowohl sozialrĂ€umlich-öffentlich als auch zwischenmenschlich zu verstehen ist. Dieses Zwischen, das auf einen zwischenmenschlichen, sozialen Raum pĂ€dagogischen Handelns und Vera...