Serena, oder: Wie Menschen ihre Schule verändern
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Serena, oder: Wie Menschen ihre Schule verändern

Schulentwicklung und Selbstevaluation in Europa

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Serena, oder: Wie Menschen ihre Schule verändern

Schulentwicklung und Selbstevaluation in Europa

About this book

Dieses Buch ist eine einzigartige Mischung aus Erzählung und fundierter Studie. Es erzählt im ersten Teil die Geschichte einer Schule aus der Perspektive einer Schülerin, deren Mutter, eines Lehrers, der Direktorin und eines kritischen, außenstehenden Freundes. Serenas Geschichte macht den Prozess der Schulentwicklung auf faszinierende Art lebendig.Der zweite Teil enthält eine Reihe der besten Werkzeuge zur Selbstevaluation für besseren Unterricht, auf die Lehrer und Direktoren in der täglichen Praxis zurückgreifen können. Dieser Teil basiert auf einem bekannten und gut dokumentierten Projekt mit TeilnehmerInnen aus 18 europäischen Ländern, was den gesamteuropäischen Anspruch hervorhebt."Serena, oder: Wie Menschen ihre Schule verändern" ist eine lebendige und nützliche Quelle guter Ideen, herausfordernder Einsichten und praxisnaher Strategien für wirkliche Schulentwicklung.

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Information

1

Serena

illustration
Serena betrachtete sich im großen Spiegel ihres Hotelzimmers. Vielleicht war sie doch recht hübsch. Erst kürzlich hatte sie zufällig mitbekommen, wie ihre Mutter zu Frau Reyna – diesem Tratschweib von einer Nachbarin – sagte, sie – Serena – habe sich zu einer ‚bildhübschen jungen Frau‘ entwickelt. Serena sah sich ihr Make-up an. Mutter war natürlich dagegen, dass sie sich schminkte – ‚in ihrem Alter‘ – und vor allem an gewöhnlichen Schultagen! Aber das Make-up verdeckte vor allem den Pickel unten auf ihrer linken Wange. Und der Augenbrauenstift unterstrich das Braun ihrer Augen. Serena überlegte, ob sie sich vielleicht doch noch gefallen könnte.
Serena ging vom Spiegel weg und zog die Vorhänge auf. Alles, was sie in der Dunkelheit sehen konnte, waren die Weihnachtsbeleuchtung draußen in der Stadt und die Lichter, die den winterlichen Garten unter ihrem Fester erhellten. Es war erst das zweite Mal, dass Serena ohne ihre Mutter verreist war, und sie beschloss, jede Sekunde in dieser märchenhaften Stadt zu genießen: den Weihnachtsmarkt, die Schatzkammer der Habsburger, den Besuch in der Hofreitschule.
Serena ging zum Spiegel zurück. Aber sie betrachtete nicht ihr Bild, sondern sie sah gleichsam durch den Spiegel hindurch, in der Hoffnung, dass sich dort auch das eine oder andere von dem widerspiegeln könnte, was sie hierher nach Wien gebracht hatte: Morgen würde sie vor 300 Leuten über ein Thema sprechen, von dem sie vor einem Jahr noch nicht gewusst hatte, dass es so etwas überhaupt gab: „Selbstevaluation“, ein Begriff, der heute für sie voller Bedeutung war und mit dem sie vieles verbinden konnte.
Serena hatte gerade die vierte Klasse in ihrer ‚neuen‘ Schule hinter sich. Sie ist im achten Schuljahr. Ihre Mutter verwendete noch immer diesen Begriff – ‚neue Schule‘. Dies war wohl ein Versuch, sich hartnäckig an jene Zeit festzuklammern, als Serena noch die „kleine Serena“ und alles neu war. Serena schien es wie eine lange Reise seit diesen ersten Tagen und Wochen vor vielen Jahren, diesem Hochgefühl damals: neue Lehrerinnen und Lehrer, neue Gegenstände, Bücher fast ohne Bilder, wie sie auch Erwachsene lasen, und ‚richtige‘ Hausaufgaben.
Serena erinnert sich noch ganz deutlich an ihren ersten Geographieunterricht. Eine zarte, fast zerbrechlich wirkende Frau mit einem Kneifer auf der Nase hatte sie damals auf die Reise mitgenommen – auf die Reise zu allen möglichen Orten bis ans Ende der Welt. Mit geschlossenen Augen – und das war Frau Kiesels einzige eiserne Regel – führte sie sie durch einige große Städte dieser Erde. Dort begegneten sie Menschen und sprachen mit ihnen – mit Bürgermeistern, Stadtplanern und Architekten, mit Journalisten und Obdachlosen. Sie fuhren in einem Bateau mouche die Seine hinab, und als ihre Augen wieder in jeder Hinsicht offen waren, sprachen sie darüber, wie Paris wohl aussehen würde, wenn nicht ein Fluss durch die Stadt fließen würde.
Heute noch, vier Jahre später, konnte Serena ihre Augen schließen und diesen Ort wieder besuchen: Sie erinnerte sich sogar an die Geräusche und Gerüche, die Frau Kiesel in ihrer Vorstellung erzeugt hatte. Im zweiten und dritten Jahr, Frau Kiesel hatte leider die Schule verlassen, war Geographie immer langweilig. Alles Leben und alles Lebendige hatte dieses Fach verloren. Es war nur mehr Papierund Bleistiftarbeit. Verschnörkelte Linien sollten auf einmal Flüsse sein, von denen Serena noch nie etwas gehört hatte; Namen von Hauptstädten wurden auswendig gelernt, von denen sie nichts wusste; sie schrieb Aufsätze über Dinge, die sie nicht verstand. Aber Serena bestand die Tests, und wenn sie gefragt wurde, brachte sie meistens irgendwie die richtige Antwort heraus.
Es gab nichts, was Serena hoffen ließ, dass das vierte Jahr in dieser Schule anders sein würde. Sie konnte sich an den Beginn dieses neuen Schuljahres erinnern, so als ob es gestern gewesen wäre.

Eröffnung

Das vierte Jahr an dieser Schule begann zuerst auch wenig aufregend: Einige neue Lehrerinnen und Lehrer, viele alte und all die anderen längst bekannten Gesichter. Serena sah schon, wie sich die Wochen hinziehen würden bis zu den Ferien, weit hinten am Horizont. Sie freute sich zwar schon darauf, aber es gab auch Höhepunkte, erinnerte sie sich. Die Zeichenstunden waren immer ein Vergnügen. Während sie arbeiteten, hörten sie Musik. Sie redeten viel miteinander und lobten gegenseitig ihre Arbeiten. Irgend jemand hatte immer wieder eine neue Idee und setzte sie auch gleich um. Serena versuchte herauszufinden, was das Besondere an diesen Stunden war. Vielleicht lag es daran, dass Frau Hopp immer wieder sagte, dass jeder und jede von ihnen ein Künstler, eine Künstlerin sei, und in dieser Klasse waren sie wirklich alle Künstler.
Die Wände im Zeichensaal wurden mit ihren Arbeiten dekoriert. Ihre bunten, oft eigenartigen Kreationen hingen von der Decke und das, was an freier Fläche verfügbar war, glich einem Flohmarkt: alte Teekessel, Teile von Fahrrädern, Radkappen und alte Kaffeemühlen. Der Zeichensaal war der Ort in der Schule, an dem man nicht Angst haben musste, die falsche Antwort zu geben oder wo man sich nicht damit trösten konnte, dass es immer noch jemanden gab, der dümmer war als man selber. Der Zeichenunterricht war der einzige, von dem Serena wirklich etwas mitnehmen konnte, etwas, dem man die Arbeit ansah, die sie dafür investiert hatte oder etwas, an dem sie wirklich ‚ihre‘ Spuren hinterlassen hatte.
Zu Hause ging alles so weiter, wie es nicht anders zu erwarten war. Nach der Schule setzte sich Serena vor das Fernsehgerät. Mutter würde sie fragen, ob sie denn keine Hausaufgaben zu machen hätte. Serena würde mit Ja antworten, aber dass sie diese später erledigen würde. Mutter würde sagen, dass sie nicht verstünde, warum sich Serena diesen Mist im Fernsehen ansähe. Und noch vor dem Ende der Sendung würde das Telefon läuten. Jemand von ihren Schulfreunden würde sich nach einer Hausaufgabe erkundigen oder fragen, ob sie nicht Lust hätte auszugehen.
Die Hausaufgaben erledigte Serena gewöhnlich nach dem Abendessen. Sie ging in ihr Zimmer, schloss die Tür, schaltete die Stereoanlage auf volle Lautstärke und erledigte ein Fach nach dem anderen. Ihre Mutter würde irgendwann auftauchen und sie bitten, die Musik leiser zu stellen. Die Mutter würde sagen, dass sie keine Ahnung hätte, wie Serena neben diesem Höllenlärm arbeiten könne, und Mutter würde auf eine Broschüre verweisen, die Serena von der Schule heimgebracht hatte: „Wie erledige ich meine Hausaufgaben effektiv“. Darin wurde vor allem auf einen ruhigen Ort verwiesen, der für das Erledigen der Hausarbeiten notwendig sei. „Unterstreiche dir das Wort ‚ruhig‘, Serena!“, würde Mutter sagen, und Serena würde vielleicht die Musik abschalten, aber fünf Minuten später wieder einschalten, weil sie fand, dass ihre Gedanken kreuz und quer durcheinander gingen.
Die Mathe-Hausaufgaben waren einfach. Serena war gut in Mathe und kam ohne Mühe mit. Bei anderen Gegenständen rief sie Freunde an, wenn sie Hilfe brauchte. Das Angenehmste behielt sich Serena immer für den Schluss auf:die Hausarbeiten in Zeichnen. Die konnte sie auch beim Fernsehen machen: Sie skizzierte die Katze, die auf dem Fernsehgerät schlief, einen Strauß Blumen oder die im Schoß gefalteten Hände ihrer Mutter.
Einer der Aufträge, die sie im Rahmen ihrer Hausaufgaben zu erledigen hatte, war es, das ‚Tagebuch der Anne Frank‘ zu lesen. Geschichte und Literatur waren zwei Fächer, in denen es im vierten Jahr ab und zu erfreuliche Momente gab. Beide Fächer wurden vom gleichen Lehrer unterrichtet, von Herrn Erikson. Serena tat sich manchmal schwer zu unterscheiden, welches Fach gerade dran war. Herr Erikson hatte sie gebeten, Anne Frank zu lesen, aber Serena konnte sich nicht mehr erinnern, ob das im Rahmen des Literatur- oder des Geschichtsunterrichts war. Sie rief ihre Freundin Barbara an, diese meinte: „Selbstverständlich ist es Literatur. Wir müssen ja einen Aufsatz darüber schreiben, was wir von dem Buch halten. In Geschichte fragt man nicht danach, was man wovon hält; Geschichte handelt von dem, was wirklich passiert ist.“
Serena lag in ihrem Bett und überlegte, was Anne Frank „wirklich passiert“ war. Sie hatte im Fernsehen kürzlich erfahren, dass man daran ging, das Buch neu zu verlegen. Dabei sollten auch wieder einige Stellen eingefügt werden, die früher ausgelassen worden waren, weil Anne Frank bei diesen in keinem allzu guten Licht erschien. Beim Einschlafen dachte sie noch darüber nach, ob Herr Erikson auch da und dort etwas ausließ, weil er nicht wollte, dass sie es erfuhren. Später träumte Serena eine ganz neue Version der Schlacht von Waterloo, die in den Straßen von Paris geschlagen wurde, durch die keine Seine floss.
Am nächsten Tag frage Herr Erikson Serena, ob ihr das Tagebuch der Anne Frank gefallen hätte. Sie sagte, das Buch sei ganz in Ordnung.
„Was genau hat dir daran gefallen?“, fragte Herr Erikson.
„Es war einfach interessant. Ich habe es gern gelesen“, antwortete Serena.
Sehr beeindruckt schien Herr Erikson von Serenas Antwort nicht zu sein, und Serena ärgerte sich über seine Hartnäckigkeit. Warum konnte er ihre Antwort nicht einfach gelten lassen und mit dem Unterricht weiter machen? Dann, um das Maß voll zu machen, gab er ihr noch eine Stück Extra-Hausarbeit: Ein ‚kurzer‘ Text, ‚nur etwa 200 Wörter‘ zum Thema ‚Weshalb das Tagebuch der Anne Frank ein gutes Buch ist.‘ Wenn sie vorhin eine andere Antwort gegeben hätte, wäre ihr das vermutlich erspart geblieben,überlegte Serena. Das war ein weiterer Grund, warum sie an diesem Abend zu Hause bleiben musste, anstatt Barbara im Café zu treffen. Nach der üblichen Fragerei der Mutter und einem betreten schweigsamen Abendessen zog sich Serena in ihr Zimmer zurück und versuchte, über das Buch nachzudenken. Sie schaltete Musik ein, aber mehr als dreißig Wörter brachte sie nicht zusammen. Sie rief Barbara an. Gott sei dank war die auch nicht ins Café gegangen, weil auch sie etwas über ein Buch schreiben sollte. Leider war das aber ein anderes Buch und so konnte sie ihr auch nicht helfen. Bis zur Abgabe des Textes blieben Serena noch drei Tage Zeit, also ließ sie es bleiben und wandte sich anderen Arbeiten zu. Mathe war Routine. Es war, als könne sie ihr Gehirn abschalten, in die Musik eintauchen und mechanisch Aufgabe für Aufgabe lösen.
Am nächsten Tag berichtete Serena Herrn Erikson, dass ihr leider nichts Vernünftiges einfalle zu der Frage ‚Warum das Tagebuch der Anne Frank ein gutes Buch ist‘. Und weil die anderen in der Klasse alle andere Bücher zu lesen hätten, könne man nicht einmal zusammenarbeiten.
„Sie erinnern sich doch“, maulte Serena, „dass Sie sagten, wir könnten Arbeiten gemeinsam erledigen. Aber das ist nicht einfach, wenn alle etwas anderes zu erledigen haben.“
„Ich glaube nicht, dass ich dir da zustimmen kann, Serena“, sagte Herr Erikson. Warum musste er immer eine andere Meinung haben? ...obwohl, das musste sie im nachhinein zugeben, er eine feine Art hatte, mit einer Meinungsverschiedenheit umzugehen. Herr Erikson, der gerne schlafende Hunde weckte, schlug vor, dass die ganze Klasse zu dem Thema ‚Was macht ein gutes Buch aus?‘ ein Brainstorming durchführen sollte.
„Irgend ein Buch. Was macht ein gutes Buch grundsätzlich aus? ...Vorschläge bitte! Und zur Erinnerung: Welche Regeln gelten für ein Brainstorming?“
Serena konnte die Regeln auswendig, und ihr fiel plötzlich ein, dass die Stunden von Herrn Erikson die einzigen waren, in denen diese Methode angewandt wurde. Und auch das – verwunderlich – fiel ihr ein: Auch sie selbst wandte diese Methode nicht an, wenn sie bei einer Hausarbeit stecken geblieben war oder bei einem Test nicht weiter wusste. ...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. In diesem Buch ...
  7. 1 Serena
  8. 2 Sarah Kaur – Serenas Mutter
  9. 3 Thomas Erikson – Der Geschichtslehrer
  10. 4 Hanna Barr – Die Schulleiterin
  11. 5 Ursula – Die kritische Freundin
  12. 6 Kaffee mit dem Professor
  13. 7 Nochmals beim Professor
  14. 8 Geschichte wandelt sich
  15. 9 Die drei Stützen der Selbstevaluation
  16. 10 Das Selbstevaluationsprofil:Was es ist und wie es verwendet wird
  17. 11 Methoden zur Selbstevaluation
  18. 12 Die Arbeit des kritischen Freundes
  19. 13 Die Schulen
  20. 14 Was wir gelernt haben
  21. Literatur