Theoretische ZugĂ€nge â Beispiele wirksamer und nachhaltiger Lehrer/innenfortbildung
Willibald Erlacher & Isolde Kreis
Der Lehrberuf â eine Profession!
Es gibt einen Boom von BĂŒchern zur pĂ€dagogischen ProfessionalitĂ€t, schreibt Lempert 1998. Die Anzahl der Publikationen hat nach dem Erscheinen des Sammelbandes zum Thema âPĂ€dagogische ProfessionalitĂ€t in Organisationen. Neue VerhĂ€ltnisbestimmungen am Beispiel der Schuleâ von Helsper, Busse, Hummrich & Kramer (2008) an FĂŒlle abgenommen, dennoch gibt es nach wie vor ein anhaltendes Interesse, das als Indikator dafĂŒr gelten kann, dass die Professionsdiskussion zum Lehrberuf und damit die Frage, was eigentlich die Profession des Lehrberufs charakterisiert, noch nicht abgeschlossen sind.
Verschiedene wissenschaftliche Disziplinen beschĂ€ftigen sich seit Jahrzehnten mit der Thematik und Fragestellung (Helsper et al., 2008). Die Erziehungswissenschaften haben sich bis in die 1990er Jahre an Konzepten althergebrachter, anerkannter Professionen der Ărzt/innen, Jurist/innen und Kleriker orientiert. Die drei am meisten zitierten Theorienkonzepte in diesem Kontext sind der merkmalsorientierte Ansatz, der strukturfunktionalistische Ansatz und der strukturtheoretische Ansatz. Sie stellen eine historisch-chronologische Abfolge in der Auseinandersetzung mit Professionen in der wissenschaftlichen Literatur anhand bestehender Konzepte dar. In diesem Theoriediskurs wurde der Lehrberuf sehr lange als âSemiprofessionâ charakterisiert (Ilien, 2008).
Dewe und Wagner (2006) beantworten die Frage, ob der Lehrberuf eine Profession sei oder nicht, mittlerweile mit einem eindeutigen Ja. Dieser Ansicht ist auch Tenorth (2006), der die Bezeichnung der Profession fĂŒr den Lehrberuf fĂŒr angemessen hĂ€lt. Bauer, Kopka und Brindt (1996) meinen dazu, dass der Lehrberuf genau wie der Beruf der Jurist/innen oder Ărzt/innen alle Merkmale einer Profession aufweist. Laut Gehrmann (2003, S. 457) ist âder Professionalisierungsprozess heute letztlich abgeschlossenâ, indem er argumentiert, dass der Lehrberuf seinen eigenen Stand hat, wissenschaftlich ausgebildet ist und eine Gemeinwohlorientierung vorherrscht.
Neben der erziehungswissenschaftlichen Debatte wird die Diskussion geprÀgt von einer soziologischen und psychologischen Auseinandersetzung (Alisch, 1990; Dewe, Ferchhoff & Radtke, 1992; Combe & Helsper, 1999; Oevermann, 1999), die nach Gehrmann (2003) und Ilien (2008) von wenigen LÀngsschnittstudien und kaum historisch aufeinander bezogenen Betrachtungsweisen gekennzeichnet ist.
Bis heute hat sich trotz zahlreicher Versuche der genannten Autor/innen in keiner der wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit der Lehrer/innenprofession auseinandersetzen, ein allgemeingĂŒltiges Professionalisierungskonzept etabliert, auch wenn Gehrmann betont, dass die Diskussion zur Lehrer/innenprofessionsfrage inzwischen abgeschlossen ist. Damit wird eine Vielschichtigkeit des Themas sichtbar, die sich in den unterschiedlichsten Verwendungen der Begrifflichkeiten (Nittel & Seltrecht, 2008; Kreis, 2009) und der MehrdimensionalitĂ€t des Themas (BrĂŒsemeister & Eubel, 2003; Altrichter et al., 2007) ausdrĂŒckt, die im Folgenden aufgezeigt werden.
Begrifflichkeiten im Professionsdiskurs
Die Vielschichtigkeit des Themas spiegelt sich auch in der Verwendung der in diesem Zusammenhang benutzten Begriffe wider, insofern als es in der einschlÀgigen Literatur keine einheitliche Sprachregelung gibt. ProfessionalitÀt, ProfessionalitÀtsentwicklung und Professionalisierung werden in den wissenschaftlichen Publikationen unterschiedlich verwendet und interpretiert. Diese sprachlichen Ungenauigkeiten der Begriffe tragen zu MissverstÀndnissen und Unklarheiten bei (Kreis, 2009).
Nittel (2000) bezeichnet mit Professionalisierung den Prozess, in dem Berufe die Eigenschaften, Privilegien und Ausbildungsvoraussetzungen erlangen, die fĂŒr traditionelle Professionen maĂgebend sind. Die Aufwertung eines bereits existierenden Berufes in Anlehnung an die Attribute der bereits etablierten Professionen der Ărzt/innen, Jurist/innen und Kleriker wird dabei vollzogen.
ProfessionalitĂ€tsentwicklung hingegen wird nach Terhart (1991) fĂŒr den Prozess verwendet durch den ein Praktiker/eine Praktikerin die fĂŒr eine effektive professionelle Praxis notwendigen Kenntnisse und FĂ€higkeiten erwirbt oder verbessert. Dabei ist die professionelle Entwicklung ein individueller Prozess, in enger VerschrĂ€nkung mit dem kollektiven Prozess der Professionalisierung (Nittel & Seltrecht, 2008). In der Literatur wird das Wort ProfessionalitĂ€tsentwicklung seltener verwendet, die Professionalisierung an sich drĂŒckt dabei meist ebenfalls die ProfessionalitĂ€tsentwicklung einzelner Personen aus (Bauer, 2005).
ProfessionalitĂ€t hingegen wird nach Nittel (2000) als gekonnte Beruflichkeit und als Indikator fĂŒr qualitativ hochwertige Arbeit von Personen, so genannten Professionellen, verwendet, eng verbunden mit dem Individuum und seiner Handlungskompetenz im beruflichen Alltag. Demnach kann ProfessionalitĂ€t als ein spezifischer Modus im Vollzug des Berufshandelns definiert werden, der âRĂŒckschlĂŒsse sowohl auf die QualitĂ€t der personenbezogenen Dienstleistung als auch auf die Kompetenz des beruflichen RollentrĂ€gers erlaubt.â (ebd., S. 71)
Der Schwerpunkt der Auseinandersetzung mit dem Thema in der einschlĂ€gigen Literatur liegt einerseits auf der mehrdimensionalen Ebene, andererseits bei der individuellen Betrachtung. Die definierten Kompetenzen, die Lehrer/innen fĂŒr ihre ProfessionalitĂ€t haben mĂŒssen, werden dabei als Voraussetzung fĂŒr ein professionelles Handeln betrachtet, damit die Nachvollziehbarkeit und Transparenz der Lehrer/innentĂ€tigkeit erhöht wird. Basiskompetenzen und Handlungsrepertoires werden von Seiten der Erziehungswissenschaften definiert, klassifiziert und benannt sowie die bildungspolitische und gesellschaftliche Funktion von Schule und Bildung thematisiert, weiterentwickelt und erforscht (Bauer, 2005).
Ausgehend von einer klaren sprachlichen Regelung (Nittel, 2000; Nittel & Seltrecht, 2008; Kreis, 2009) ist es in der Auseinandersetzung mit Professionen von Bedeutung, unterschiedliche Ebenen der Profession zu berĂŒcksichtigen. Der Ansatz dazu ist der âMehrebenen-Ansatzâ, der die MehrdimensionalitĂ€t in der Professionsdiskussion berĂŒcksichtigt.
MehrdimensionalitÀt in der Professionsdiskussion
Im Zuge des Mehrebenen-Ansatzes werden Mehrebenen-Modelle, wie zum Beispiel bei BrĂŒsemeister und Eubel (2003) und im Ansatz des âEducational Governanceâ nach Altrichter et al. (2007), aufgestellt: BrĂŒsemeister und Eubel (2003) sprechen bei einer Modernisierung von Schule drei Ebenen an, benennen und charakterisieren sie. Die Mikroebene bezieht sich dabei auf das Rollenhandeln von LehrkrĂ€ften sowie von anderen Akteur/innen der Einzelschule. Die Mesoebene, die zweite Ebene des Modells, bezieht sich auf die Ebene der Einzelschule als Ganzes, die operative Agenden bei Personal-, Organisations- und Unterrichtsentscheidungen erhalten soll und damit fĂŒr die eigene Unterrichts- und Schulentwicklung Verantwortung zu ĂŒbernehmen habe. Die Makroebene, die dritte Ebene, bezieht sich bei den angefĂŒhrten Autoren auf das schulische Gesamtsystem, in einer engen Beziehung von Schulsystem, Staat und Gesellschaft. Der Staat engagiert sich dabei mit strategischen Zielsetzungen und UnterstĂŒtzungen.
âEducational Governanceâ ist ein Steuerungsmodell, das nach Altrichter, BrĂŒsemeister und Wissinger (2007, S. 10) âeine umfassende Beschreibung und Analyse von Steuerungs- und Umstrukturierungsfragen im Bildungswesen [âŠ] in einem Mehrebenensystem analysiert.â
Anhand der drei Strukturebenen Mikro-, Meso- und Makroebene und ihren ĂbergĂ€ngen, die âgrenzĂŒberschreitend verflochten [sind]â (Kussau & BrĂŒsemeister, 2007, S. 32), wird das Bildungssystem in seinen unterschiedlichen Koordinationsformen erforscht und bietet in der Forschung nach Altrichter âeine umfassendere, interdisziplinĂ€re Behandlung von aktuellen Fragen der Steuerung und Umstrukturierung des Bildungswesens [âŠ].â (Altrichter et al., 2007, S. 11) Ziel der Forschung sei es, die empirische Bildungsforschung in einer starken Interdependenz darauf auszurichten, dass Leistungen von zahlreichen Akteur/innen auf unterschiedlichen Ebenen passieren. Die Mikroebene wird dabei als eine Leistungsproduktion von Individuen und Gruppen festgelegt, die Mesoebene thematisiert organisatorische und interorganisatorische Strukturen und die Makroebene bildet das gesellschaftliche Subsystem ab (Altrichter & Heinrich, 2007).
Die Trennung in Ebenen lÀsst eine Verringerung der KomplexitÀt in der Auseinandersetzung mit dem Thema zu und verdeutlicht gleichzeitig die starke Wechselwirkung zwischen klar definierten Ebenen.
Die Bedeutung der Lehrer/innenfortbildung fĂŒr die Profession
WĂ€hrend vor einigen Jahrzehnten der Fokus der Forschung noch auf der Ausbildung der LehrkrĂ€fte lag, gewinnt seit den letzten drei Jahrzehnten die Lehrer/innenfortbildung vermehrt an Bedeutung (Zehetmeier, 2008; MĂŒller et al., 2010). Neuere Ergebnisse belegen aber, dass ĂŒber die Wirkung von Fortbildung in der Lehrer/innenbildung noch zu wenige empirische Erkenntnisse vorliegen (MĂŒller et. al., 2010; Lipowksy, 2004, 2010).
Die Lehrer/innenfortbildung ist eine Form berufsbezogener Erwachsenenbildung, bei der es um den Erhalt und die Weiterentwicklung professioneller Qualifikationen, Fertigkeiten, Einstellungen und Haltungen fĂŒr die TĂ€tigkeit als Lehrer/innen (vgl. die Mikroebene) an der Schule geht. Dabei sind zumindest zwei Handlungsebenen angesprochen, und zwar einerseits Lehrende als Personen und Subjekte von Fortbildungsprozessen und andererseits Lehrende und deren Schulund Unterrichtspraxis in der Organisation Schule (vgl. die Mesoebene). Eine qualifizierte Fortbildung von Fortbildungsanbietern (auf der Makroebene angesiedelt) soll drittens helfen, Lehrer/innen in die Lage zu versetzen, sich zukĂŒnftigen gesellschaftlichen Anforderungen zu stellen und Innovationsbereitschaft zu entwickeln (Wilding, 2001).
Im Anschluss an das Studium wird die als lebenslanger Prozess gesehene ProfessionalitĂ€tsentwicklung fortgefĂŒhrt und der Ăbergang in eine routinierte BerufstĂ€tigkeit begleitet. Die Aufgabe professioneller Lehrer/innen auf individueller Ebene wĂ€re hier, geeignete Fortbildungsangebote zu nutzen und damit den Anschluss an wissenschaftliche, ökonomische und technologische Entwicklungen in der Berufswelt zu halten. Die zeitgemĂ€Ăe ErfĂŒllung dieser Anforderung an die eigene LehrtĂ€tigkeit wĂŒrde dabei das Berufsethos und das Ansehen der Lehrerschaft in der Ăffentlichkeit prĂ€gen. Nach Meyer (1997, S. 206) ist
âLehrerfortbildung das Eigenlernen von Lehrer/innen als ergĂ€nzendes Lehr-, Lernsystem, das der Gesunderhaltung im Beruf, der Neuorientierung auf sich verĂ€ndernde SchĂŒler/innen, der Einstellung auf verĂ€nderte gesellschaftliche und fachliche Anforderungen an Schule sowie der Qualifizierung fĂŒr die Mitarbeit an der Schulentwicklung dient.â
Das historisch junge Konzept lebenslangen Lernens, das mit der dritten Phase der Lehrer/innenbildung in Zusammenhang gebracht wird, ist mittlerweile zu einem grundlegenden Prinzip der europĂ€ischen Bildungspolitik geworden und getragen von der Hoffnung, damit zur BewĂ€ltigung des sozialen und ökonomischen Wandels einen wesentlichen Beitrag leisten zu können. Im europĂ€ischen Memorandum von 2002 wird verkĂŒndet, dass lebenslanges Lernen im Vorschulalter beginne, bis ins Pensionsalter reiche und damit das gesamte Spektrum des formalen, nicht formalen und informellen Lernens umfassen solle bzw. mĂŒsse. Auch im Bologna-Prozess von 1999 und im Regierungsprogramm von Ăsterreich 2004 wird die Position vertreten, dass lebenslanges und lebensbegleitendes Lernen einen wichtigen Teil der europĂ€ischen Vereinbarung darstelle (Regierungsprogramm der österreichischen Bundesregierung, 2004).
Der Lehrer/innenfortbildung wird in der Kette des lebenslangen Lernens ein wichtiger Part in der Professionalisierung des Lehrberufs und in der ProfessionalitĂ€tsentwicklung der Lehrpersonen zugeschrieben (Radtke, 1999). Fullan (1999, S. 187) sieht dabei das individuelle Lernen im Sinne der Fortbildung als Suche nach âneuen Erkenntnissen, ĂberprĂŒfung und Anwendung vorhandenen Wissens sowie die Reflexion der eigenen Arbeitsweiseâ, die nur aus einem persönlichen BedĂŒrfnis heraus erfolgt. Ender und Strittmatter (2010) weisen hingegen darauf hin, dass Fortbildung aus einer ethischen Verpflichtung gegenĂŒber den SchĂŒler/innen, der Schule, den Eltern, dem Berufsstand und der Gesellschaft heraus passieren muss. In beiden FĂ€llen wird Fortbildung demnach als UnterstĂŒtzung kompetent Handelnder gesehen, wobei vorhandene Kompetenzen von Lehrer/innen weiterentwickelt und professionalisiert und auf unterschiedlichen Systemebenen handlungswirksam werden sollen.
In diesem Zusammenhang gibt es aber auch unterschiedliche Kritikpunkte an der praktizierten Lehrer/innenfortbildung. Oelkers (2000) spricht von MĂ€ngeln in der Fortbildung, die Lehrer/innen in der professionellen Entwicklung nicht genug unterstĂŒtzt, und fordert daher, dass sich die UniversitĂ€ten stĂ€rker in die Lehrer/innenfortbildung einbinden sollten. Krainer und Posch (1996) berĂŒcksichtigen in ihren Konzepten zur Lehrer/innenfortbildung die BedĂŒrfnisse der Lehrer/innen und stellen das berufliche Lernen von Lehrer/innen in den Mittelpunkt. Die Förderung einer selbstkritischen Reflexion bei Lehrer/innen wird als Beitrag zur Professionalisierung im Lehrberuf gesehen. Dabei wird eine Art von Fortbildung vertreten, die sehr nahe an der Praxis der Lehrer/innen angesiedelt ist. Buhren und Rolff (2002) sind zudem der Ansicht, dass sich Fortbildung vermehrt in innerschulische ZusammenhĂ€nge einbinden lassen muss und die Einzelschule zu adressieren habe, wo sie mit dem Kollegium abgestimmt wird, damit neben der Fortbildung einzelner Lehrer/innen auch die BedĂŒrfnisse und Erfordernisse der Schule und somit der Schulentwicklung mitberĂŒcksichtigt werden. Ein weiterer Aspekt, der auf der Makroebene ...