TEIL 1
KAPITEL 1
Das PhÀnomen der Psychovampire
«Gesund ist nicht derjenige, der keine Probleme hat, sondern der, der in der Lage ist, positiv mit ihnen umzu gehen.»
(aus der Positiven Psychotherapie)
Haben Sie auch schon folgende Situationen erlebt? Oder erleben Sie solche gar tagtÀglich?
Situation 1:
Die Ărztin Florence (34) kommt nach ihrem Urlaub erholt an ihren Arbeitsplatz in der Klinik zurĂŒck. Sie hat im Urlaub ihre Batterien aufgeladen und hat Lust und Energie, ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Eine Krankenschwester begrĂŒĂt sie auf dem Flur im Vorbeigehen mit den Worten: «Warum lĂ€cheln Sie so? Macht es Ihnen etwa SpaĂ, wieder zu arbeiten?» Florence verliert durch diese negative Bemerkung in Sekundenschnelle die Freude an der Arbeit. Sie fĂŒhlt sich ausgelaugt, hat keine Lust mehr und fĂŒhlt sich schon fast wieder urlaubsreif.
Situation 2:
Kai (38) hat eine Idee fĂŒr ein Buch, das er schreiben möchte, und erzĂ€hlt sie seiner Freundin. Diese reagiert umgehend mit Skepsis, ohne die HintergrĂŒnde zu kennen: «DarĂŒber gibt es doch bereits BĂŒcher, dann muss deines aber ganz besonders gut sein, und das wird schwierig.» Kai empfindet diese Bemerkung nicht nur als respektlos, sondern auch als niederschmetternd. Er verspĂŒrt ĂŒber die fehlende UnterstĂŒtzung seiner Freundin eine Mischung aus Wut und EnttĂ€uschung. Er fĂŒhlt sich durch ihre Reaktion ausgelaugt. Die Freundin wundert sich ĂŒber sein Verhalten («Du bist immer so empfindlich. Ich habe dir nur meine Meinung gesagt. Du willst doch immer, dass ich offen und ehrlich bin.»)
Situation 3:
Felicitas (24) studiert Psychologie in einer GroĂstadt und fĂ€hrt ĂŒbers Wochenende zu ihren Eltern aufs Land. Sie freut sich, ihnen ĂŒber ihre Erlebnisse an der UniversitĂ€t berichten zu können, darĂŒber, was sie erlebt und ĂŒber sich selbst in den Seminaren erfahren hat. Kaum zu Hause angekommen, legt sie gleich los, um sogleich von der Mutter jĂ€h unterbrochen zu werden: «Mein Kind, du siehst so blass und dĂŒnn aus. Isst du denn auch richtig in der Stadt? Wie ist denn das Wetter bei euch?» Keiner geht auf die Gedanken und WĂŒnsche von Felicitas ein. Sie hat das GefĂŒhl, dass ihre Eltern kein echtes Interesse an ihr haben, ist am Boden zerstört und Ă€rgert sich ĂŒber sich selbst, dass sie sich ihnen gegenĂŒber wieder geöffnet hat, obwohl sie es eigentlich hĂ€tte besser wissen mĂŒssen.
Wie wĂŒrden Sie in der Rolle von Florence, Kai oder Felicitas reagieren? Lassen Sie uns herausfinden, was hier passiert ist. In allen drei FĂ€llen haben sich die «Opfer» von Psychovampiren demoralisieren lassen, ohne den eigentlichen Grund zu kennen. Es sind typische Alltagssituationen, die eigentlich Kleinigkeiten darstellen. Aber je nachdem, was der Psychovampir als Person oder seine Kritik in mir auslöst, reagiere ich stĂ€rker oder schwĂ€cher.
Wie diese drei beschriebenen Personen hat jeder von uns grundsĂ€tzlich einige sensible Punkte, die sich im Laufe seines bisherigen Lebens entwickelt haben. Sie sind uns meistens nicht bewusst, oder wir glauben, dieses Problem bereits gelöst zu haben. Psychovampire erkennen scheinbar in Sekundenschnelle diesen sensiblen Punkt und drĂŒcken auf den «Knopf». Dieser löst jedes Mal die gleiche Reaktion aus â auch Jahre spĂ€ter. Psychovampire davon abzuhalten, auf den Knopf zu drĂŒcken, ist zwecklos bzw. unmöglich, wenn die eigene SchwĂ€che aus der Vergangenheit gar nicht erkannt ist. Unsere erste Reaktion ist zwar die, uns vor dem Psychovampir zu verteidigen, mit ihm zu reden und ihn sozusagen auf den Pfad der Tugend zurĂŒckzufĂŒhren. Die therapeutische Erfahrung zeigt jedoch, dass dies meistens ein recht zweckloses Unterfangen ist. Wie soll ich all diejenigen Personen, die mir Tag fĂŒr Tag begegnen, davon abhalten, ihre Kommentare abzugeben? Also geht es darum, die eigenen Angriffspunkte zu erkennen, sie zu bearbeiten oder zu lernen, sie zu kontrollieren. Nur so können wir der Opferrolle entfliehen und selbstbestimmte Menschen werden.
Weshalb haben die Psychovampire Krankenschwester, Freundin und Eltern zugeschlagen? Haben sie es ĂŒberhaupt bewusst getan? Wie stabil sind sie in ihrer eigenen Lebenssituation? Sind sie notorische Nörgler und Pessimisten, deren Zweifel ihr eigenes Leben bestimmen lassen? Wie selbstbestimmt sind Psychovampire, und in welchem AusmaĂ lassen sich die drei Opfer von den Vampiren in ihrem unmittelbaren Umfeld fremdbestimmen? Wie kann es sein, dass Psychovampire eine solche Macht ĂŒber andere haben, und warum geben ihre Opfer ihnen unbewusst und unbeabsichtigt diese Macht? Wie erkennen potenzielle Opfer die Spiele und Techniken der Psychovampire, und wie können sie sich schĂŒtzen und nachhaltig «immunisieren»?
Jeder strebt danach, als selbstbestimmter Mensch die eigene Energie nach eigener Dosierung zu nutzen und zu investieren. Der Psychovampir regiert ĂŒber die Selbstbestimmtheit anderer â er macht andere zu fremdbestimmten Wesen. Wer sich ĂŒber Jahre von Personen oder auch ganzen Situationen fremdbestimmen lĂ€sst, bezahlt spĂ€ter mit einer grundsĂ€tzlichen Lebensunzufriedenheit und mit wachsender PassivitĂ€t. In bestimmten FĂ€llen können diese Situationen zu Depressionen und zu einem RĂŒckzug aus dem Leben fĂŒhren sowie zu psychosomatischen Beschwerden und Unlust.
Eine nachhaltige Befreiung aus den Klammergriffen der Psychovampire kann nur durch Selbstreflexion und VerĂ€nderung der eigenen Einstellung entstehen. Haben wir die psychologischen Mechanismen bei uns selbst und bei unserem GegenĂŒber einmal erkannt, dann können wir uns konkrete Wege ĂŒberlegen, wie wir den Psychovampir loswerden. Wenn wir Entscheidungen treffen, ohne uns die Mechanismen bewusst gemacht zu haben, hĂ€lt der Effekt nur kurz an und wir sind anfĂ€llig fĂŒr den nĂ€chsten Psychovampir, der bestimmt auftauchen wird. Im Fokus der Betrachtungen stehen demnach nicht nur â wie so oft â die Profile der «TĂ€ter», also der Psychovampire, sondern vornehmlich die der Opfer. Wenn wir den Mechanismus erkennen, können wir an uns selbst arbeiten â ob als Psychovampir oder als Opfer.
KAPITEL 2
Psychovampirtypen
«Wer das Ziel kennt, kann entscheiden,
wer entscheidet, findet Ruhe,
wer Ruhe findet, ist sicher,
wer sicher ist, kann ĂŒberlegen,
wer ĂŒberlegt, kann verbessern.»
(Orientalische Weisheit)
Psychovampire kommen in unterschiedlichen GewĂ€ndern daher. Zur Verdeutlichung dieser Typen geben wir ihnen jeweils charakterisierende Namen und zeigen das Kurzprofil ihrer Opfer auf. Psychovampire und «Psychovampiressen» â es gibt sowohl die mĂ€nnliche als auch die weibliche Form â erscheinen in unterschiedlicher IntensitĂ€t. Auf manche Menschen treffen die Beschreibungen vollstĂ€ndig zu; andere zeigen vielleicht eher abgeschwĂ€chte Symptome eines Typs. Es gibt aber auch Menschen, auf die mehrere Typbeschreibungen zutreffen. Wer von der einen Person als Vampir wahrgenommen wird, der kann in seiner Beziehung zu einer anderen auch das Verhalten eines Opfers annehmen. Kurz gesagt, jeder Mensch kann Psychovampir und Opfer zugleich sein. Sowohl Vampir als auch Opfer kompensieren meistens LĂŒcken in ihrem SelbstwertgefĂŒhl. Dazu ausfĂŒhrlicher in der tiefer gehenden Analyse im therapeutischen Exkurs in Kapitel 6.
Der Fallstrick-Vampir
Dieser Typus ĂŒberschĂ€tzt sich grundsĂ€tzlich selbst. Er lĂ€sst so gut wie nie Widerspruch zu, ist uneinsichtig, despotisch und fĂŒhlt sich unersetzlich. Meist ist der Fallstrick-Vampir ein Narzisst. Sollte der Fallstrick-Vampir ein Chef sein, saugt er mit groĂer Wahrscheinlichkeit seine Mitarbeitenden aus, die es ihm nie recht machen können. Damit sind sie Opfer seiner Falle.
Der Ja-aber-Vampir
Seine Kraft erlangt dieser Psychovampir dadurch, dass er seine Reaktion auf Ideen oder allgemeine ĂuĂerungen anderer mit dem Leitsatz beginnt: «Ja, aberâŠÂ» Diese Grundhaltung wird als negativistisch und anstrengend erlebt, da der Psychovampir viele GrĂŒnde anfĂŒhrt, warum er etwas nicht Ă€ndern oder tun kann.
Der depressive Psychovampir
Er trĂ€gt die Last der ganzen Welt auf seinen Schultern, lĂ€uft stĂ€ndig mit einem leidenden Gesicht herum. Alles ist ihm zu schwer, im Grunde auch sein ganzes Dasein. Er hat zwar viel Zeit, erledigt aber kaum etwas und bekommt wenig geregelt. Dabei ist er ich-zentriert und lebt in der Grundhaltung: «Mir geht es schlecht und ihr mĂŒsst mich aufbauen, begeistern, ermutigen, Freude bringen etc.» Er quĂ€lt sich durch den Tag und zieht somit das Umfeld emotional und stimmungsmĂ€Ăig herunter.
Der Denkmalpflege-Vampir
Diesem Typen wĂ€re es am liebsten, wenn die Welt stehen bliebe. Er folgt seinem Leitsatz: «Das haben wir immer schon so gemacht.» Er hasst VerĂ€nderungen und hĂ€lt es mit dem Slogan: «Wenn es eine andere gute Idee gegeben hĂ€tte, dann hĂ€tte ich sie schon lĂ€ngst gehabt.» Die Zeiten Ă€ndern sich fĂŒr den Denkmalpflege-Vampir nicht. Seine Opfer sind kreative Menschen und Nachfolger an Firmenspitzen, die mit ihren Innovationen bei ihm auf Granit beiĂen.
Der KĂŒhlschrank-Vampir
Wer kennt nicht die Szenen, in denen eine «Du hörst mir nie zu, wenn ich ein Problem habe»-schluchzende Ehefrau am Esstisch sitzt, wĂ€hrend ihr Ehemann nach flĂŒchtigem Zuhören plötzlich verkĂŒndet, den Hund noch ausfĂŒhren zu wollen. Dieser emotional kĂŒhle Vampir ist vermutlich in seiner AuĂenwelt anerkannt und hoch geschĂ€tzt, aber auf der Beziehungsebene mehr sach- als personenorientiert. Er lĂ€sst seine â meist sehr sensiblen â Opfer im Regen stehen.
Der ignorante Vampir
Das PhĂ€nomenale an diesem Gesellen ist, dass er zwar fragt, wie es einem geht, an einer Antwort aber ĂŒberhaupt nicht interessiert ist und seine Opfer völlig ins Leere laufen lĂ€sst. Der ignorante Vampir Ă€uĂert etwas, man möchte Stellung nehmen, aber er hört gar nicht zu, wendet sich stattdessen anderen Personen zu. Potenzielle Opfer dieses Typs werden von einem GefĂŒhl der Leere befallen und glauben, langweilig zu sein. Sie suchen die Fehler bei sich.
Der Himalaja-Vampir
Dieser Vampir will hoch hinaus, nĂ€mlich immer wieder den höchsten Gipfel erklimmen. Er tut dies mit einer erstickenden Erwartungshaltung an seine Umwelt. Ob von den eigenen Kindern oder von Mitarbeitenden â er fordert stets eine unmöglich zu erbringende Leistung. Und falls diese unerwartet erreicht werden sollte,dann wertet er sie sogleich ab («Das kann doch jeder. Das war doch nicht schwer»). Wer keinen Erfolg hat, den lĂ€sst der Himalaja-Vampir links liegen. Er zermartert andere und auch sich selbst, denn er will immer höher hinaus und kommt doch nie ans Ziel, weil er dieses immer wieder neu steckt. Er kommt innerlich nie zur Ruhe und gibt sein GefĂŒhl der Unzufriedenheit an andere weiter.
Der höfliche Vampir
Zu viel Höflichkeit kann auch Energie absaugen. Obwohl dieser Vampir niemandem zur Last fallen will, fĂ€llt er gerade deshalb besonders zur Last. Da er stĂ€ndig helfen möchte, ĂŒberfordert er sich und schafft dadurch neue Probleme fĂŒr andere. Wenn er sich als nicht-ITversierter Mensch trotz der angebotenen Hilfe eines Kollegen einen Computer kauft, der völlig veraltet ist, dann betreibt letztlich der Kollege einen gröĂeren Aufwand, wenn er das Modell in ein neues umtauschen muss. Wenn man den höflichen Vampir in ein Restaurant einlĂ€dt und fragt, was er trinken möchte, dann lautet die Antwort: «Was trinkst du denn? Mir ist egal, was.» So muss man immer wieder nachfragen, bis der andere sich endlich entscheidet. Die zurĂŒckhaltende Art des Psychovampirs wird als extrem anstrengend erlebt.
Der Nasen-Vampir
Dieser steckt seine Nase so ziemlich ĂŒberall da hinein, wo sie nicht hingehört. Mit seinem Drang, sich in die Angelegenheiten anderer einzumischen, sorgt er, wenn auch meist ungewollt, fĂŒr Chaos und zahlreiche MissverstĂ€ndnisse unter den vielen, unnĂŒtz involvierten Opfern, die er in eigentlich belanglose Geschichten hineinzieht. Eigentlich will der Nasen-Vampir mit seiner Einmischung Ordnung schaffen, erreichen tut er das Gegenteil. Meist kommt er als nicht identifizierter Drahtzieher ungeschoren davon.
Der Wolf-im-Schafspelz-Vampir
Diese Person wirkt zunÀchst freundlich und unauffÀllig, hat es aber sozusagen faustdick hinter den Ohren. Man fÀllt immer wieder auf sie herein. HÀufig ist die Person bösartig und nur oberflÀchlich freundlich und angepasst. Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten Menschen diesen Psychovampir nicht erkennen.
Der Ich-bin-es-nicht-gewesen-Vampir
Genossen dieser Art sind beispielsweise die Chefs, die es ĂŒber Jahre versĂ€umt haben, die richtige Strategie zu fahren und die dann beim Konkurs der Firma alle Schuld auf die Belegschaft schieben. Sie «hĂ€tten nicht genĂŒgend Arbeit geliefert, sonst wĂŒrde der Laden noch gesund sein». Dieser Vampir erkennt sein eigenes Defizit nicht, nĂ€mlich dass er unfĂ€hig ist, Verantwortung zu tragen und die Kontrolle zu behalten.
Der Experten-Vampir
Er hat keine Ahnung, hĂ€lt sich aber fĂŒr einen Experten. Er weiĂ auf jede schwierige Situation eine Antwort, ist ein Besserwisser und verletzt und verĂ€rgert mit seinen oberflĂ€chlichen RatschlĂ€gen die anderen. Der Experten-Psychovampir frisst die Zeit seiner Opfer, denn er holt mit seinem angeblichen Wissen weit aus. Wer es wagt, ihm zu sagen, dass er keine Ahnung hat von dem, was er sagt, riskiert ein dauerhaft kompliziertes VerhĂ€ltnis mit diesem Vampir.
Sind Ihnen einige dieser Situationen bekannt â als Opfer oder als Vampir? Dann sollten Sie weiterlesen (falls nicht, dann trotzdem weiterlesen). Wir zeigen Ihnen, wie Sie sich als potenzielles Opfer von diesen Psychovampirtypen nachhaltig abgrenzen können. Sie verĂ€ndern Ihr Verhalten, und der Vampir sieht Sie nicht mehr als mögliches Opfer bzw. er verliert seine Macht ĂŒber Sie, obwohl er sein Verhalten vielleicht gar nicht verĂ€ndert hat. Haben Sie sich hingegen gerade selbst als einen Psychovampir enttarnt, dann ist es ebenfalls ratsam, weiterzulesen, um zu verstehen, wie andere Sie sehen und warum gewisse Situationen so sind, wie Sie sie vielleicht noch gar nicht wahrgenommen haben.
Die genauen Mechanismen, wie ein Psychovampir die Schwachpunkte seiner potenziellen Opfer erkennt, bleiben trotz allen psychologischen ErklÀrungsversuchen ein Mysterium. Sie sind vergleichbar mit dem PhÀnomen der Liebe auf den ersten Blick. Deshalb ist der Mechanismus bei Vampiren gefÀhrlich. Und deshalb liegt es an den Opfern, die Situationen zu verÀndern, indem sie an sich arbeiten.
Paradoxerweise finden sich die Psychovampire fast immer in der unmittelbaren Umgebung. Sie sind der GefĂŒhlswelt ihrer Opfer sehr nah, ob als direkter Vorgesetzter oder als Familienangehöriger. Dadurch erklĂ€rt sich der rasche Zugang zum Herzen und zu den Schwachpunkten des jeweiligen Opfers. Und da uns der Vampir so nahesteht, reagieren wir ĂŒbermĂ€Ăig sensibel auf Handlungen oder ĂuĂerungen, die vielleicht in anderen FĂ€llen mit weniger nahestehenden Menschen an uns vorbeigerauscht wĂ€ren. Gleichzeitig macht es den Umgang mit den Psychovampiren so schwierig, denn viele von ihnen kann man halt nicht feuern und sich von ihnen vollstĂ€ndig zurĂŒckziehen. Den Partner, die Kinder, den Chef, die Schwiegermutter oder den Nachbarn zu entlassen, ist kaum möglich. Also bleibt nur der Aufbau eines Selbstschutzes.
Die Allegorie mit Psychovampiren verhilft zu einer positiven Sichtweise von unausgeglichenen zwischenmenschlichen Beziehungen. Man könnte sagen, dass Psychovampire jedem von uns zu einer schnellen kostenlosen Selbsterfahrung, einer Kurzanalyse, die in Therapien mehrere Jahre dauern könnte, verhelfen â leider ohne dass wir sie darum gebeten haben. Mit den folgenden Fallbeispielen, die aus dem Leben und den Erfahrungen der Autoren gegriffen sind, verstehen Sie wĂ€hrend des Lesens viele Situationen, die Sie seit Jahren erleben, aber vielleicht nie zu analysieren oder richtig einzuordnen vermochten.
KAPITEL 3
Geschichten hÀufiger Psychovampirtypen
Theorie und Praxis der Menschenkenntnis
Ein gelehriger junger Mann, den es nach Wissen und Weisheit dĂŒrstete, hatte unter vielen Entbehrungen fern seiner Heimat, in Ăgypten, die Physiognomie, die Wissenschaft der Ausdruckskunde, studiert. Sechs Jahre hatten seine Studien gedauert. SchlieĂlich legte er seine PrĂŒfung mit bestem Erfolg ab. Voll Freude und Stolz ritt er in seine Heimat zurĂŒck. Jeden, den er unterwegs traf, sah er mit den Augen seiner Wissenschaft an, und um seine Kenntnisse zu erweitern, las er im Gesichtsausdruck aller, die ihm begegneten.
Eines Tages traf er einen Mann, in dessen Gesicht er folgende sechs Eigenschaften ausgeprĂ€gt fand: Neid, Eifersucht, Gier, Habsucht, Geiz und RĂŒcksichtslosigkeit. «Bei Gott, was fĂŒr ein ungeheurer Gesichtsausdruck, so etwas habe ich noch nie gesehen und gehört. Ich könnte hier meine Theorie prĂŒfen.» WĂ€hrend er dies dachte, kam der Fremde mit einer freundlichen, gĂŒtigen und demĂŒtigen Haltung auf ihn zu: «O Scheich! Es ist schon spĂ€t am Tage, und das nĂ€chste Dorf ist weit weg. Meine HĂŒtte ist klein und dunkel, aber ich werde dich auf meinen Armen tragen. Welche Ehre wĂ€re es fĂŒr mich, wenn ich dich diese Nacht meinen Gast nennen dĂŒrfte, und wie glĂŒcklich wĂŒrde mich deine Anwesenheit machen!» Verwundert dachte unser Reisender: «Wie erstaunlich! Welch ein Unterschied besteht zwischen den Reden dieses Fremden und seinem abscheulichen Gesichtsausdruck.»
Diese Erkenntnis erschreckte ihn zutiefst, er begann an dem, was er ĂŒber sechs Jahre gelernt...