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eBook - ePub
About this book
Was uns trotz aller AufklĂ€rung heute noch fehlt, ist ein Lebenskult, der den Körper mit seinen Empfindungen verehrt, der partnerschaftlichen, ekstatischen Austausch zwischen den Menschen befĂŒrwortet und zu individueller Lebenslust geleitet, eine Kunst, die vor 4.000 Jahren noch gelehrt wurde und auch heute noch in manchen Völkern praktiziert wird.
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Information
LUST

Lustreiche Vorzeit
Bis zu den AnfĂ€ngen der patriarchalen Gesellschaftsstrukturen sind keine Werkzeuge zu finden, die das gewaltsame Verletzen und Töten beweisen wĂŒrden. Nirgends sind Spuren zu finden, die darauf schlieĂen lassen, dass die Menschen gegeneinander gekĂ€mpft hĂ€tten. Mit allergröĂter Wahrscheinlichkeit haben Menschen in Gruppen und Gemeinschaften einmal anders gelebt, als es die zivilisierten Kulturen heute gewohnt sind. Um sich heute frĂŒheres Zusammenleben vorstellen zu können, sind alternative Ideen fĂŒr hierarchische Organisation, fĂŒr Recht und Schuld notwendig.
WĂ€re Gottvater eine Frau, mit langem, silbern gewelltem Haar und groĂen runden BrĂŒsten, einem weichen GesÀà und gĂ€nzlich nackt, wĂ€re die PrĂ€sidentin von den geeinten europĂ€ischen Völkern eine geduldige Familienoma, wĂ€re die technologische Forschung nicht von der Wirtschaft beherrscht, wie verschieden wĂ€ren unsere Einstellungen dann? Unsere Vorstellungen, Ăberzeugungen und WĂŒnsche sind konstruiert â durch die Wirklichkeit, in der wir leben. Bisher haben sich viele, auch gegensĂ€tzliche Ăberzeugungen abgelöst, nachdem scheinbar stichhaltige Beweise die alten Vorstellungen als falsch beschrieben haben. Spinat zum Beispiel war eine unter vielen GemĂŒsesorten, bis sein erhöhter Eisengehalt festgestellt wurde, was zum allgemeinen Wissen wurde. Von da an war Spinat der Inbegriff gesunden Essens. Vor nicht allzu langer Zeit stellte sich nun heraus, dass es sich bei der Rechnung, die das Umdenken hervorrief, um eine fĂ€lschliche Verschiebung der Kommastelle handelte, um einen simplen Tippfehler. Der Eisengehalt von Spinat sei recht durchschnittlich im Vergleich zu anderen GemĂŒsesorten, heiĂt es nun, und auch dann nur von der menschlichen Verdauung zu verwerten, falls mit Zitrone angerichtet â schmackhaft oder nicht. Es war also völlig unnĂŒtz, ganze Generationen von Kindern mit Spinatgerichten zu jagen.
Viele Frauen und MĂ€nner schĂ€men sich heute fĂŒr ihren nackten Körper. Das bedeutet, dass wir uns fĂŒr das, was und wie wir sind, schĂ€men, uns schmutzig und unwohl empfinden. Unsere steinzeitlichen Vorfahren haben sexuelle Praktiken mit Sicherheit anders genutzt, als es unseren heutigen Vorstellungen entspricht. Und doch geht gleichzeitig unsere Gegenwart aus der Vergangenheit hervor. Alles, was jetzt ist, hat einen Entstehungsgrund in der Geschichte.
Nachdem die Sonne untergegangen und die Vögel ihren Kopf in die Federn gesteckt hatten, blieb noch Zeit fĂŒr Lagerfeuer, Hautpflege, das gemeinsame Zusammenhocken. Vielleicht haben die Menschen damals die Zeit genutzt, sich zu lieben â allein, als Paar und als Gruppe. Vielleicht gab es keine Regeln und Normen, vielleicht weder Eifersucht noch Treue noch Scham, vielleicht war vieles normal. Wie es wirklich war, werden wir durch rationale Forschung allein nie erfahren.
Wissenschaftliches
Um unsere Gegenwart zu verstehen, ist ein Blick in die Vergangenheit notwendig. Woher kommen wir? Was hat uns geprĂ€gt? Wieso sind wir heute so, wie wir sind? Diese und Ă€hnliche Fragen geben Aufschluss ĂŒber uns und unsere zwischenmenschlichen Beziehungen, ob in privaten oder globalen ZusammenhĂ€ngen. Doch die Interpretation der Vergangenheit hat ihre Fallstricke: Immer werden vergangene Zeiten durch die Brille aktueller Vorstellungen interpretiert. Deshalb sagt die Geschichtsschreibung vielfach mehr ĂŒber die Gegenwart ihres Schreibers aus als ĂŒber die Vergangenheit. Jeder Historiker â egal, ob sein Interesse der FrĂŒhgeschichte gilt oder den jĂŒngeren Entwicklungen â muss sich bewusst sein, dass alle Rekonstruktionen wie in Nebel gehĂŒllt bleiben, weil die aktuellen Grenzen der Wahrnehmung auf alles Vergangene ĂŒbertragen werden. Die Wahrheit bleibt unbekannt.
Jede Generation von Experten und Forschern ist von den jeweils gĂŒltigen Ansichten beeinflusst. Die Haltung der machthabenden AutoritĂ€t, welche die Forschung antreibt und die finanziellen Mittel liefert, beeinflusst die Entdeckungen und gibt der Wissenschaft Inhalt und Richtung vor. Anhand dieser Denkmuster werden die Kunst- und GebrauchsgegenstĂ€nde der frĂŒheren Epochen gedeutet. MissverstĂ€ndnisse rĂŒhren allzu oft daher, dass die Interpretationen von Vergangenem als Wirklichkeit anerkannt werden. Viele IrrtĂŒmer mussten durch diesen unprĂ€zisen Forschungsansatz schon beseitigt werden â vielleicht nur, um durch eine neue FehleinschĂ€tzung ersetzt zu werden.
Die Wissenschaft konstruiert ein Bild von unserer Vergangenheit: Aus Scherben werden Töpfe, aus Kriegen Eckdaten der Menschheit, aus Maschinen Fortschritt. Nur Einzelne haben Zugang zu den Orten, wo Geschichte gemacht wird, wo Zeitungsartikel diktiert und ausgewĂ€hlt, Bilder vor öffentlichen Blicken versteckt werden. Unsere Vorstellung von der Vergangenheit ist eine Interpretation von Quellen und Zeugnissen. Die Lehrherren der Geschichte haben den Blick auf diese Vergangenheit nicht immer nur gefördert. Viele Quellen und Zeugnisse wurden bewusst zerstört oder verfĂ€lscht. Denn frĂŒh schon erkannten die jeweils Regierenden, dass die Interpretation der Vergangenheit eines ihrer hervorragendsten Instrumente des Herrschens ist. Besonders in den Darstellungen der Urgeschichte sind unterschiedliche Interpretationen von Vergangenem gang und gĂ€be, weil Funde viele Möglichkeiten der Deutung offen lassen. Es kann gut möglich sein, dass gröĂere IrrtĂŒmer passieren als das flĂŒchtige Verschieben einer Kommastelle. Die Folgen von irrigen ZusammenhĂ€ngen innerhalb der Geschichtsschreibung können im Vergleich mit den Wirkungen des kleinen Spinat-Fehlers nur erahnt werden.
Die ersten Menschen, die wie wir heute zur Art des Homo sapiens sapiens zĂ€hlen, wurden gegen Ende der Altsteinzeit geboren. Die Steinzeit gilt als erste Phase der Menschheitsgeschichte. Diese lang andauernde Periode begann vor etwa 2,5 Millionen Jahren und endete, als die Menschen die Verarbeitung von Metallen entdeckten. Sie wird in drei Abschnitte gegliedert: Altsteinzeit (PalĂ€olithikum), Mittelsteinzeit (Mesolithikum) und Jungsteinzeit (Neolithikum). Die Menschen dieser frĂŒhen Epoche hatten Ă€hnliche intellektuelle FĂ€higkeiten wie wir heute â aber nicht unsere technischen Möglichkeiten. Ihre Lebensweise war anders. Das Verhalten der damaligen Menschen scheint unserem fremd zu sein, genauso wie ihre Lebenseinstellungen, Wissenschaften und Religionen.
Der Lebensraum der frĂŒhen Kulturen war die Natur in ihrer ursprĂŒnglichsten und direktesten Form. Mit groĂer Wahrscheinlichkeit haben diese Kulturen versucht, sich natĂŒrliche VorgĂ€nge zu erklĂ€ren, damit das Ăberleben einfacher und sicherer werden konnte. Vor allem in Höhlen und auf PlĂ€tzen finden sich auĂergewöhnliche Merkmale, die auf frĂŒhe wissenschaftliche Versuche schlieĂen lassen. Ăberbleibsel wie Malereien, abstrakte Figuren, Feuerstellen ohne offensichtlichen lebensnotwendigen Sinn bekamen den Namen âReligionâ oder âKultâ. Die Menschen von einst wandten keine sogenannten âempirischenâ Methoden an. Die Ziele ihrer und unserer Wissenschaft und Forschung scheinen jedoch dieselben zu sein: Gesundheit, Leben und Tod begreifen und fĂŒr das Wohl der Menschen sorgen.
Die ursprĂŒnglichsten symbolischen Darstellungen von einer Kraft, die ĂŒber Leben und Tod entscheidet, sind frĂŒheste Statuetten, die in naturalistischer oder abstrakter Weise menschliche Figuren darstellen. Wir wĂŒrden sie heute als Götterfiguren bezeichnen. Unserem Denken entsprechend, sehen wir die Figuren als personifizierte Idealisierungen einer allmĂ€chtigen Kraft, als einen Gott, der ĂŒber allem steht, eine mĂ€nnliche Person, die ĂŒber GlĂŒck und Elend richtet. Diese Interpretation klingt sehr abstrakt und sieht auch die Steinfigur als abstrakte Abbildung. Vielleicht ist schon in dieser Interpretation eine TĂ€uschung verborgen.
Phalluskult
Die erste religiöse Form von Wissenschaft wird als âPhalluskultâ bezeichnet. Dieser Begriff stammt aus der ArchĂ€ologie, einer Wissenschaft, die genau wie alle anderen das zu Untersuchende aus einem bestimmten Blickpunkt betrachtet â meist ist dieser mĂ€nnlich gefĂ€rbt. Die Kulte, in denen ein Phallus im Zentrum stand, sollten angeblich dazu dienen, mit der göttlich schöpferischen Kraft Kontakt aufzunehmen und natĂŒrliche VorgĂ€nge positiv zu beeinflussen. Das erigierte mĂ€nnliche Glied schien laut diesen wissenschaftlichen Interpretationen der Allmacht am nĂ€chsten zu kommen. Ăberall, wo Zeugnisse des Phalluskultes gefunden wurden, wird seine Anwesenheit durch stehende SteinsĂ€ulen, sogenannte Megalithen, gekennzeichnet. Gefunden wurden sie von Indien ĂŒber das gesamte europĂ€ische Festland bis nach GroĂbritannien. Durch ihre Form und ihre Platzierung an wichtigen Wegstrecken gelten sie als ein Abbild der wohlwollenden, allmĂ€chtigen Gottheit und ihr Sinn soll sein, diese zu wĂŒrdigen.
Zwischen dem 7. und 5. Jahrtausend und darĂŒber hinaus wurden in Europa SĂ€ulentempel und Höhlen, die Stalagmiten und Stalaktiten enthielten, zu zeremoniellen Zwecken genutzt. Fruchtbarkeitskulte sollten eine Verbindung zur göttlichen Lebenskraft herstellen. Die AnfĂ€nge der in Höhlen verwendeten sogenannten LebenssĂ€ulen reichen allerdings noch viel weiter zurĂŒck. In jungpalĂ€olithischen Höhlen wurden Tonfiguren in Phallusform gefunden. Diese Funde belegen, dass Symbole der Lebenskraft in religiösen Zeremonien eine zentrale Rolle spielten. Bis einige hundert Jahre v. Chr. tauchen plastische Darstellungen des erigierten mĂ€nnlichen Gliedes auf. Diese anthropomorph phallischen Skulpturen lassen eine Verbindung zu den Ritualen erkennen, in denen die damalige Bevölkerung den Tod und das Leben feierte. Das Symbol des Phallus steht also fĂŒr die Lebenskraft.

LebenssÀule mit phallischem Aussehen Verona, einige Jahrhunderte v. Chr.
Viele Plastiken, die gefunden wurden, werden diesem Phalluskult zugeschrieben und werden dahingehend interpretiert, dass das mĂ€nnliche Glied â und ausschlieĂlich dieses â verehrt wurde. Wir könnten meinen, dass das Geschlechtsteil Penis verehrt wurde. Die Kraft, die von der göttlichen Figur reprĂ€sentiert wird, wĂ€re somit die mĂ€nnliche Potenz.
Symbolische Einheit
Weibliche Wissenschaftlerinnen der neueren Zeit weiten unser VerstĂ€ndnis. Sie öffnen den Blick von einer mĂ€nnlichen zu einer menschlichen Sichtweise. Der Lebenskult soll in den ersten groĂen Zivilisationen entstanden sein, die sich zu Beginn des Neolithikums bis zum Ende der Eiszeit um 8.000 v. Chr. ĂŒber den fernen Osten bis in die heutigen westlichen Grenzen Europas hinein ausgeweitet haben. Spuren und Symbole dieser Kulturen fĂŒhren ĂŒber Mesopotamien nach Ăgypten, zu den Griechinnen und Griechen, zu den Römerinnen und Römern bis zu den Ăberresten des etruskischen und keltischen Volkes und â versteckt â bis in die Gegenwart.
Phalluskulte und deren Ăberreste wurden meist innerhalb eines Steinkreises, in einer Höhle oder in Ă€hnlichen besonders gekennzeichneten RĂ€umen gefunden. Es ist also naheliegend, die dort aufgefundenen Phallussymbole als Teil eines gröĂeren Ganzen zu verstehen. Die heiligen Orte könnten dabei das Weibliche darstellen, ein Innenraum also, in dem Leben und Fruchtbarkeit möglich sind. Die frĂŒhesten Formen einer Weltanschauung feierten demnach das Leben in der V...
Table of contents
- Cover
- Impressum
- Widmung
- Titel
- Vorwort
- Einladung
- LUST
- LAST
- FRUST
- LEBEN
- LEBENSLUST
- Dank
- Literaturverzeichnis
- Bildnachweis
- Inhalt