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About this book
Im August 1950 wurde der zweifache Frauenmörder Guido Zingerle auf einer AlmhĂŒtte bei Vals gefaĂt. Damit ging eine beispiellose Hetzjagd zu Ende, die die Bevölkerung von Nord- und SĂŒdtirol ĂŒber Wochen in ihren Bann gezogen hatte. Von den Medien als "Ungeheuer von Tirol" tituliert, wurde der in Tschars geborene Zingerle bei der Bevölkerung zum sprichwörtlichen Schreckgespenst. Er lauerte seinen Opfern im Wald auf, verschleppte sie in Höhlen, vergewaltigte sie, deckte sie mit Steinen zu und lieĂ sie eines langsamen Todes sterben.Anhand von Gerichtsakten, Zeitzeugen und Zeitungsberichten zeichnet der Autor Heinrich Schwazer die Lebensgeschichte des Guido Zingerle von der bitteren Kindheit bis zu seinem Tod im GefĂ€ngnis nach.
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Information
Maiausflug
23. Mai 1946. Ein Donnerstag. Die Volksschullehrerin Gertrud Kutin steigt um 8.00 Uhr frĂŒh in den ersten Zug der Guntschnabahn und fĂ€hrt in die Höhe. Um diese Zeit sind noch wenig FahrgĂ€ste unterwegs. Nur ein Bauernbub, der die Milch nach Bozen gebracht hat, und ein alter Mann sind mit ihr in der Bahn.
Die Lehrerin hat es eilig. Bis zu ihrer Schule in Glaning braucht sie bei zĂŒgigem Gehen durch den Waldweg etwa eine Dreiviertelstunde. An diesem Tag steht der Maiausflug auf dem Programm, eine Wanderung durch die WĂ€lder oberhalb von Glaning. Die Kinder wĂŒrden schon auf sie warten.
Kutin hat sich fĂŒr diesen Tag ein Dirndlkleid mit schwarzem Rock, schwarz-rot kariertem Leibchen mit weiĂen Ărmeln und einer blauweiĂ gestreiften SchĂŒrze ausgesucht. In die Tasche hat sie einen Regenmantel gepackt, da das Wetter nichts Gutes verheiĂt. An den Fingern trĂ€gt sie wie gewöhnlich zwei Brillantringe, ein Geschenk ihres Vaters, und am Hals ein silbernes Kettchen.

Gertrud Kutin und Rosa Gasser in Salzburg
Den Abend davor hat sie mit ihrer besten Freundin Rosa Gasser, Lehrerin in der Volksschule St. Jakob, in der Stadt verbracht, in fröhlicher Stimmung. Gertrud hat vor kurzem einen jungen Mann kennen gelernt, den sie öfters bei der Maiandacht trifft.
Die Stelle in der Volksschule von Glaning ist Kutins zweiter Lehrauftrag. FĂŒnf Klassen hat sie gleichzeitig zu betreuen. Im Jahr davor hat sie ein paar Monate in der Volksschule von Unterinn unterrichtet, frisch von der Lehrerbildungsanstalt Salzburg weg, wo die SĂŒdtiroler Lehrerinnen wĂ€hrend des Faschismus zur Ausbildung hingeschickt wurden. Vier Jahre dauerte die Ausbildung, das letzte Studienjahr mussten sie in Innsbruck absolvieren, damit die Junglehrerinnen sofort nach Abschluss in SĂŒdtirol eingesetzt werden konnten.

Da in Innsbruck damals akute Bombengefahr bestand, wurde der Unterricht nach Mayrhofen ins Zillertal verlegt. Im Februar 1945 maturierte sie â das letzte Schuljahr wurde wegen der Kriegswirren um die HĂ€lfte verkĂŒrzt â und unmittelbar danach ĂŒbernahm sie eine Klasse in der Volksschule Unterinn.
Die Stelle am Ritten war ideal fĂŒr Gertrud Kutin. Ihre Mutter wohnte in der NĂ€he, wenn sie in Bozen bleiben wollte, konnte sie bei ihrer GroĂmutter in der Rauschertorgasse ĂŒbernachten. Dennoch wurde sie im zweiten Schuljahr nach Glaning versetzt. Wahlmöglichkeiten wurden den jungen Lehrerinnen in der Zeit akuten Lehrermangels keine eingerĂ€umt. Trude, wie sie von ihren Freundinnen genannt wurde, war todunglĂŒcklich mit der Stellenzuteilung.
Der abgelegene Ort mit seinen weit verstreuten Höfen behagt ihr nicht. Sie ist ein Stadtmensch, geht gern ins Kino und trifft sich hĂ€ufig mit ihren Freundinnen. Im Pfarrwidum von Glaning hat sie ein Zimmer, das ihr als Dienstwohnung zur VerfĂŒgung gestellt wurde, doch sie benĂŒtzt es selten. Nach der Schule geht sie öfters nach Bozen. Der Weg durch den Wald kommt ihr ein bisschen unheimlich vor. Abends benĂŒtzt sie ihn nur, wenn der âWirts-Toniâ, Sohn des âMeĂnerwirtesâ in Glaning, dabei ist. Sonst ĂŒbernachtet sie in Bozen bei ihrer GroĂmutter in der Rauschertorgasse oder bei ihrer Freundin und fĂ€hrt am nĂ€chsten Tag frĂŒh mit der Guntschnabahn wieder hinauf.
An diesem Tag warten die Glaninger VolksschĂŒler vergeblich auf ihre Lehrerin. Nach einer Weile gehen sie ihr bis zur Bergstation der Bahn entgegen. Umsonst. Keine Spur von der Lehrerin. Der Maiausflug findet nicht statt.
Zehn Monate spĂ€ter, am 15. MĂ€rz 1947, fahren der Koch Vincenzo Fratti, seine Frau Ida und Frattis Vater mit der Guntschnabahn hinauf, um in der Gegend von Altenberg Brennholz zu sammeln. Am frĂŒhen Nachmittag haben sie einen Haufen beisammen, den sie ĂŒber einen ĂŒberhĂ€ngenden Felsen hinunterwerfen, um das Holz von dort bis zum Weg zu transportieren. Da einige PrĂŒgel im dichten GestrĂŒpp hĂ€ngen bleiben, muss Fratti sich durch das Unterholz bis unter den Felsen heranmachen. Dort angekommen, bemerkt er einen starken Verwesungsgeruch. Als er sich genauer umschaut, sieht er zwei menschliche FĂŒĂe aus dem Laub herausragen, die oberhalb der Knöchel zusammengebunden sind. Erschrocken ruft er seiner Frau zu: âHier liegt ein Toter!â
Lebendig begraben
Warum Guido Zingerle sich am 23. Mai in Glaning aufhielt, konnte nie eindeutig geklĂ€rt werden. Die Gegend war ihm bekannt. Als er in den letzten Kriegsmonaten von der Deutschen Wehrmacht desertiert war und sich in die Schweiz absetzen wollte, hatte er den Buschwald oberhalb von Bozen durchquert. Damals war er in Taufers im MĂŒnstertal heillos betrunken vom SĂŒdtiroler Ordnungsdienst geschnappt und in Bozen zum Tode verurteilt worden. Das Kriegsende hatte ihm das Leben gerettet. Seither war er nicht mehr in SĂŒdtirol gewesen.
Er war 43 Jahre alt, verheiratet, hatte eine 14-jĂ€hrige Tochter. Seit der Umsiedlung wohnte er in Innsbruck. Seinen Lebensunterhalt verdiente er offiziell als Zeitungskolporteur, die Haushaltskasse fĂŒllte er aber mit Schmuggeltouren. Der Familie ging es in den Jahren der Not âziemlich gutâ. Auch in den fraglichen Tagen war Zingerle mit einem Rucksack voll Schmuggelgut nach Bozen gekommen, das er bereits an den Mann gebracht hatte â Sacharin, Tabak, Stoffe.
Vor seiner RĂŒckkehr nach Innsbruck wollte er noch etwas erleben. Die warme Jahreszeit lieĂ sein Verlangen nach einer Frau ĂŒbermĂ€chtig werden. Mit seiner eigenen Frau hatte er schon seit ĂŒber zehn Jahren keinen Verkehr mehr gehabt. Sie war nach der Geburt ihrer Tochter âausgesprochen gefĂŒhlskaltâ geworden. Er selbst hatte sich wĂ€hrend des Abessinienfeldzugs im Jahr 1935 den Tripper geholt. Seither hatte er hĂ€ufig wechselnde Geschlechtspartnerinnen gehabt. WĂ€hrend des Krieges hatte er in Innsbruck erstmals auch Gewalt angewandt, um zwei Frauen seinen Willen aufzuzwingen. Einmal sogar in seiner Wohnung. Doch das war folgenlos geblieben. Die Frauen hatten ihn nicht angezeigt. Jetzt war der Trieb wieder in ihm erwacht. Eine ârichtige Frauâ sollte es sein, keine Prostituierte. Die verachtete er.
Er hatte in einem Stadel ĂŒbernachtet und war frĂŒh aufgestanden, um nicht vom Bauer ĂŒberrascht zu werden. Etwa auf halber Wegstrecke zwischen der Bergstation der Guntschnabahn und Glaning setzte er sich auf einen groĂen, pyramidenförmigen Felsblock, von dem aus er den Weg in beiden Richtungen ĂŒberblicken konnte. Ein idealer Platz fĂŒr einen Hinterhalt, wie geschaffen fĂŒr einen Wegelagerer. Gegen halb neun bemerkte er eine junge Frau, die eilig in Richtung Glaning unterwegs war. Eine groĂ gewachsene, hĂŒbsche junge Frau, die einen Rucksack trug. Er schĂ€tzte sie auf etwa 22 oder 23 Jahre.
Zingerle zögerte keinen Moment: Das war sein Opfer. Er versperrte ihr den Weg und forderte sie ohne Umschweife auf, mit ihm zu gehen: âIch hielt sie auf und machte ihr LiebeserklĂ€rungen. Da sie aber Widerstand leistete, nahm ich sie unter den Arm und zog sie in den nahen Wald, zirka 200 Meter entferntâ, sagte er vier Jahre spĂ€ter nach seiner Verhaftung beim ersten Verhör.
Weiter oben liegen die FelsenhĂ€nge des Altenberges, eine völlig unwegsame Gegend, zu der man nur mit gröĂter MĂŒhe hinaufsteigen kann. Dorthin will er sie bringen, um ungestört ĂŒber sie herfallen zu können. Als die Leiche spĂ€ter gefunden wurde, ging man aufgrund der Steilheit des GelĂ€ndes zunĂ€chst davon aus, dass sie von mindestens zwei Personen dorthin gebracht worden sein musste.
Da die junge Frau sich erbittert wehrte, drohte er ihr mit einem Messer. Ăber die Ăngste, die sie ausstand, machte er sich keine Gedanken. Sie flehte ihn an, sie gehen zu lassen: âIch kenne Sie nicht, ich weiĂ nicht, wer Sie sind. Lassen Sie mich zu meinen Kindern in die Schule gehen.â
Unter den Felsen angekommen, zwang er sie, sich auszuziehen. Da sie sich noch immer wehrte, fesselte er ihr die HĂ€nde mit ihren StrĂŒmpfen auf dem RĂŒcken. Dann vergewaltigte er sie ein erstes Mal. Befriedigung verschaffte ihm die Vergewaltigung nicht, âweil das MĂ€dchen nicht mitgearbeitet hatâ. Das versetzte ihn in Rage. Er will NĂ€he erzwingen. Je mehr sie ihn anfleht, sie gehen zu lassen, desto gewaltsamer versucht er, ihre Leidenschaft zu wecken. Der Innsbrucker Psychiater Dr. Karl Vorderwinkler wird spĂ€ter in seinem Gutachten schreiben: âNun wurde er immer aufgeregter, weil er wegen ihres kĂŒhlen und ablehnenden Benehmens keinen Genuss hatte und sich nicht geschlechtlich austoben konnte.â
Er vergewaltigte sie noch mehrmals. Drei- oder viermal, an die genaue Zahl konnte er sich spĂ€ter nicht mehr genau erinnern. Erinnern konnte er sich noch, dass sie ihn gebettelt habe, sie nicht zu quĂ€len, sie nicht umzubringen. Zingerle im ersten Verhör: âIch habe ihr nicht mehr zugehört. Irgendwann habe ich einen Stein genommen und ihr damit so lange auf den Kopf geschlagen, bis sie still war und sich nicht mehr gerĂŒhrt hat. Danach habe ich sie mit Steinen zugedeckt und bin nach Bozen hinuntergegangen.â
Diese Version des Tathergangs ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Bis zum Prozess bestritt Zingerle auf das Heftigste, dass Trude Kutin noch gelebt habe, als er den Tatort verlassen hat. Erst im Gerichtssaal gab er zu, dass sie noch gelebt haben könnte.
In Wahrheit war Gertrud Kutin keineswegs tot. Sie lag lebendig begraben unter einer Schicht von Steinen und versuchte verzweifelt, sich zu befreien. Ihre Schreie und Hilferufe, die sehr bald nur mehr ein Wimmern waren, waren bis zum Weg hinunter zu hören. Sie starb eines grausamen, langsamen Todes. Fast drei Tage dauerte ihr Todeskampf unter den Steinen. Die Autopsie ergab spĂ€ter, dass ihr SchĂ€del unverletzt war. War er nicht fĂ€hig, sie umzubringen? Oder wollte er sie langsam sterben hören, um seine sadistischen GelĂŒste zu verlĂ€ngern?

An der Stelle auf dem Weg nach Glaning, wo Gertrud Kutin von Zingerle ĂŒberfallen wurde, erinnert ein Kreuz an die Ermordete
Nachdem er sie unter der Steinhalde begraben hatte, setzte Zingerle sich wieder auf den Stein oberhalb des Weges, von dem aus er sie beobachtet hatte. Ihre Brieftasche mit 500 Lire, die Uhr und die Ringe hatte er ihr noch abgenommen. Auch ein Schulbuch aus ihrer Tasche nahm er mit.
Es war frĂŒher Morgen. Zingerle saĂ auf dem Stein und las in dem Buch. Irgendwann am Vormittag kam eine Ă€ltere Frau vorbei. Rosa Brugger aus Gries ging damals fast tĂ€glich auf den Guntschnaberg, um Holz zu sammeln. An diesem Tag geschah etwas, was ihr noch Jahre spĂ€ter das Gewissen belasten sollte. Als sie eben an der Stelle vorgehen wollte, bemerkte sie einen Mann in italienischer MilitĂ€rjacke, der auf dem Stein saĂ und so tat, als wĂŒrde er in einem Buch lesen. Rosa Brugger grĂŒĂte auf Italienisch und bekam einen GruĂ zurĂŒck. Als sie weiterging, hörte sie aus dem Wald Hilfeschreie: âHelft mir, ich liege unter Steinen.â Einmal auf Italienisch, dann wieder auf Deutsch. Brugger zögerte nicht lang und wandte sich in die Richtung, von wo die Schreie kamen. Aber da herrschte sie der Uniformierte auf Italienisch an: âVai avanti!â
Aus Angst vor dem Mann und aus Respekt vor der Uniform ging sie weiter. In Glaning erzÀhlte sie ihr Erlebnis einem Bauern, der ihr jedoch nur antwortete, dass in der Gegend oft Kinder spielten und die Stimmen von ihnen stammen könnten.
Am Nachmittag machte sie denselben Weg in umgekehrter Richtung und wieder hörte sie das Wimmern im Wald. Auch der Mann saà noch immer an derselben Stelle. Die Szene wiederholte sich in den nÀchsten zwei Tagen: Der Mann saà auf dem Stein, im Wald hörte Rosa Brugger die leiser werdenden Rufe einer Frauenstimme. Einmal fasste sie Mut und fragte ihn, was er hier mache und wohin er zum Essen gehe. Der Mann antwortete, er habe hier zu tun, das Essen werde ihm aus der Grieser Kaserne gebracht. Rosa Brugger wurde die Sache unheimlich, und sie wÀhlte von nun an einen anderen Weg.
Stutzig wurde sie erst wieder, als sie vom Verschwinden der Glaninger Lehrerin hörte. Sie begann die Sache genauer zu verfolgen, da aber die Zeitungen wiederholt schrieben, dass Gertrud Kutin in Innsbruck gesehen worden sei, redete sie mit niemandem mehr darĂŒber.
Als zehn Monate spĂ€ter die Leiche von Gertrud Kutin genau an der Stelle gefunden wurde, hatte Rosa Brugger die Gewissheit, dass sie indirekt Ohrenzeugin eines Verbrechens geworden war und Kutin vielleicht gerettet worden wĂ€re, wenn sie ihre Beobachtung rechtzeitig gemeldet hĂ€tte. In ihrer Seelennot wandte sie sich an ihren Beichtvater und beichtete ihm, was sie damals in Glaning gehört hatte. Ihre Gewissensbisse waren so groĂ, dass sie noch einen zweiten Pfarrer aufsuchte und die Geschichte ein zweites Mal beichtete. Als dann schlieĂlich der âWirts-Toniâ wegen Mordverdachts verhaftet wurde, rief der Pfarrer sie zu sich und sagte, er werde sie nur lossprechen, wenn sie ihre Beobachtungen der Polizei meldete.
ZunĂ€chst fĂŒhrte ihre Beobachtung aber nur zu weiterer Verwirrung im Mordfall Gertrud Kutin.
Unschuldig verhaftet
Die Erste, die Gertrud Kutin vermisste, war ihre Freundin Rosa Gasser. Die beiden hatten tags zuvor vereinbart, sich nach dem Maiausflug zu treffen und zur Maiandacht zu gehen. Doch an diesem Abend kam Trude, ein Muster an VerlĂ€sslichkeit, nicht zum vereinbarten Treffen. Rosa Gasser war sofort beunruhigt, lieĂ sich aber von ihrer Schwester dazu ĂŒberreden, vorerst nichts zu unternehmen. Tags darauf war in Glaning eine Schulkonferenz angesagt. Rosa Gasser telefonierte mit einer Lehrerin und bekam die Auskunft, dass ihre Freundin nicht zur Konferenz erschienen sei. Zunehmend besorgt, suchte sie Trudes GroĂmutter in der Rauschertorgasse auf, wo zufĂ€llig auch Trudes Mutter anwesend war. Und wieder lieĂ sie sich dazu ĂŒberreden, nichts zu unternehmen. Trude werde schon irgendetwas dazwischengekommen sein. Am nĂ€chsten Tag jedoch, es war bereits Freitag, wollte sie sich selber an Ort und Stelle ĂŒberzeugen und begab sich nach dem Unterricht nach Glaning hinauf.
Die HĂ€userin im Widum versetzte ihr den ersten groĂen Schrecken. Die Lehrerin sei zum Maiausflug gar nicht gekommen, die Kinder hĂ€tten vergeblich auf sie gewartet. Gasser: âDa habe ich gewusst, es ist etwas passiert.â
Auf dem RĂŒckweg rief sie immer wieder in den Wald hinein, in der Hoffnung, dass Trude irgendwo liegen könnte. Bei den ersten Höfen neben der Bergstation der Guntschnabahn bekam sie die erste konkrete Auskunft.
Der letzte Mensch, der sie gesehen hatte, war der Bub, der mit ihr in der Bahn heraufgefahren war. Die Lehrerin sei wie immer sehr rasch vorausgegangen. Zuerst die Lehrerin, dann der alte Seebacher und dann er. Beim Kuihof, wo sich der Weg gabelt, habe er sie aus den Augen verloren.
Rosa Gasser begab sich sofort nach Bozen zur QuĂ€stur. Weinend und völlig aufgelöst berichtete sie, dass ihre Freundin verschwunden sei. Die Polizei nahm sie nicht weiter ernst. Gasser: âSie haben mir ins Gesicht gelacht und gesagt: Sie wird halt mit einem jungen Mann sein.â Tags drauf startete sie mit den gröĂeren SchĂŒlern der Volksschule St. Jakob auf eigene Faust eine Suchaktion in Glaning. Vergeblich. Gertrud Kutin blieb unauffindbar.
Wenige Tage spĂ€ter schaltete sich die QuĂ€stur doch ein und suchte das Gebiet mit Hunden ab. Mit dabei waren Rosa Gasser und deren Bruder. Der Bruder wollte oberhalb des Weges suchen, wurde aber vom Einsatzleiter eines Besseren belehrt. Man sehe schon, dass er kein Kriminalist sei, sonst wĂŒsste er, dass man immer unterhalb eines Weges suchen muss. Niemand trage eine Person nach oben. Da es in diesen Tagen stark geregnet hatte, konnten die Hunde keine Witterung aufnehmen. Die Suche wurde ergebnislos abgebrochen. Kein KleidungsstĂŒck, kein verlorener Gegenstand, nicht der Schatten von einer Spur deuteten auf Kutins Verbleib hin.
Brodelnde GerĂŒchtekĂŒche
Kutins spurloses Verschwinden löste in Bozen eine Lawine von Vermutungen, GerĂŒchten und auch VerdĂ€chtigungen aus. Alles Mögliche konnte in diesen Jahren nach Kriegsende passiert sein, nur an ein Verbrechen wollte niemand glauben. So wurde vermutet, dass sie entfĂŒhrt worden sei, weil der Vater wĂ€hrend der deutschen Besatzung Direktor des Bozner GefĂ€ngnisses gewesen war. Wehrmachtssoldaten, die sich nach Kriegsende in den WĂ€ldern oberhalb Bozens versteckt hielten, könnten sie verschleppt haben.
Von den Medien und den Behörden wurde hingegen die Auffassung vertreten, dass sie mit einem jungen Mann aus Liebe nach Innsbruck oder in die Schweiz durchgebrannt sei. Mehrmals publiziert...
Table of contents
- Cover
- Zum Buch
- Titel
- Widmung
- Inhalt
- Vorbemerkung
- Maiausflug
- Impressum
- Der Autor