Soziale Strategien für morgen
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Soziale Strategien für morgen

Ein Plädoyer für die Menschenwürde

  1. 320 pages
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Soziale Strategien für morgen

Ein Plädoyer für die Menschenwürde

About this book

Ein tiefgreifender Wandel kennzeichnet unsere Gesellschaft. Ökonomisierung und Technisierung praktisch aller Lebensbereiche verändern das Leben bis tief in den Privatbereich hinein. Dabei schreiten die Veränderungen so rasant voran, dass es kaum mehr möglich scheint, Folgen rechtzeitig abzuschätzen, die Entwicklungen zu steuern oder sie angemessen zu reflektieren.Die genannte Dynamik hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten auch die Arbeitsfelder der sozialen Begleitung und Betreuung erfasst: Krankenpflege, Altenbetreuung und die Begleitung beeinträchtigter Menschen unterliegen zunehmend behördlichen Vorgaben. Begründet werden diese Vorgaben damit, dass die "Sozialkosten" ein inakzeptables Ausmaß erreicht hätten. Sparmaßnahmen sind die Folge. Für nicht wenige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bedeutet diese Entwicklung eine immer größere körperliche und psychische Belastung und zugleich immer weniger Zeit für die jeweiligen Klienten und Klientinnen.Mit dem Buch Soziale Strategien für morgen soll die beschriebene Entwicklung reflektieret werden. Ziel des Projektes ist es, vielen Menschen in unserer Gesellschaft ein kritisches Bewusstsein im Blick auf Lebens- und Arbeitswelten zu ermöglichen. Die Beiträge dieses Buches wollen inspirierende Impulse zu wirksamer und dringend notwendiger Veränderung geben.

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Information

Publisher
Müller, Otto
Year
2016
eBook ISBN
9783701362363
Edition
1
1. HERAUSFORDERUNGEN
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MARTIN SCHENK
Ist mehr Armut ein Naturgesetz? Spielregeln für eine solidarische Gesellschaft
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Entwicklung und den Ursachen von Armut im Kontext des österreichischen Sozialstaatsmodells. Dabei werden Stärken und Schwächen herausgearbeitet. Weiters kommen die Auswirkungen europäischer Austeritätspolitiken und die Perspektiven für ein Europa mit weniger Armut in den Blick.
1. Armut in Österreich: Keine Entspannung, aber hohe Prävention durch den Sozialstaat
Einige Armutsindikatoren sinken seit 2008 – aber nur auf das hohe Niveau von vor der Krise. Die langfristige Entwicklung seit 2004 zeigt konstant hohe Armutslagen, auch im Vergleich mit dem letzten Jahr bleibt die Höhe von Armut und Deprivation konstant. Die Gruppe von Menschen, die als einkommensarm, depriviert und erwerbsarbeitslos ausgewiesen wird, ist seit 2004 gleichbleibend hoch, bis 2008 stark angestiegen, seitdem leicht sinkend – aber weiter auf und über dem Niveau von vor 2008. 400.000 Menschen in existentiell schwierigsten Lebensbedingungen sind für ein reiches Land wie Österreich in jedem Fall zu viel. Sie sind oft von einem sehr schlechten allgemeinen Gesundheitszustand, chronischer Krankheit und starken Einschränkungen bei Alltagstätigkeiten betroffen – dreimal so stark wie der Rest der Bevölkerung. Auch die Wohnqualität ist prekär und die Wohnkostenbelastung hoch (vgl. Abbildung 1).
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Abb. 1: Erscheinungsformen von Armut und Mehrfachausgrenzung (Martin Schenk nach Statistik Austria: EU SILC 2013)
Es sind nicht nur die Belastungen ungleich verteilt, sondern auch die Ressourcen diese zu bewältigen.1 In den aktuellen Auswertungen der Statistik Austria (2014) wird die Abhängigkeit des Wohlbefindens vom sozialen Status ersichtlich (vgl. Abbildung 2). Müdigkeit und Erschöpfung, Niedergeschlagenheit, Bedrücktheit und Nervosität steigen mit sinkendem Haushaltseinkommen.
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Abb. 2: Psychisches Wohlbefinden nach Einkommensgruppen (Martin Schenk nach Statistik Austria: EU SILC 2013)
Steigende Ausgaben in den zentralen Positionen Wohnen, Energie und Ernährung führen zu großen Problemen, gesundheitliche Beeinträchtigungen und psychische Erkrankungen, schlechte und prekäre Jobs, Einsamkeit und Beschämung machen einer großen Zahl von Menschen zu schaffen.
Dabei werden diese Lebenslagen unterschätzt, da es sich hier um eine Statistik von Privathaushalten handelt und Notunterkünfte, Heime, Psychiatrien etc. nicht erfasst sind.
Es fällt auf, dass die Haushalteinkommen in Österreich insgesamt stabil bleiben. Die Höhe der Einkommensarmut bleibt konstant. Das ist sehr ungewöhnlich im Vergleich zu anderen europäischen Staaten. Ohne Sozialleistungen wären auch mittlere Haushalte massiv unter Druck und stark abstiegsgefährdet.
Bei der Einkommensmessung sind aber die Ausgaben nicht ersichtlich. Besonders die Bereiche Wohnen, Energie und Ernährung sind inflationsbedingt am stärksten gestiegen. Das sind genau jene Ausgaben, die bei einkommensärmeren Haushalten den größten Teil des Monatsbudgets ausmachen.
2. Stärken und Schwächen des österreichischen Sozialstaatsmodells
Was sind die Stärken und was sind die Schwächen, fragt man sich, wenn man etwas verbessern will? Im besten Fall führt dies dazu, dass die Schwächen korrigiert und die Stärken optimiert werden. Das gilt auch für den Sozialstaat. Dort, wo soziale Probleme steigen, müssen wir gegensteuern, dort, wo soziale Probleme präventiv vermieden werden, müssen wir weiter investieren. Oft passiert das Gegenteil: Die Stärken werden abgeschwächt und die Schwächen verstärkt.
Zu den Stärken:
Sozialleistungen wirken als automatische Stabilisatoren: Während Industrieproduktionen, Exporte und Investitionen in Folge der Finanzkrise stark gesunken sind, ist einzig der Konsum der privaten Haushalte stabil geblieben, teilweise sogar gestiegen.
Ein stabiles Sozialsystem fördert stabile Erwartungen: Der Sozialstaat bedeutet eine Risikoabsicherung bei Arbeitslosigkeit, Krankheit und im Alter. Die Verlässlichkeit der sozialen Institutionen verhindert Angstsparen.
Länder mit hohen Sozialstandards performen besser: Sämtliche wirtschaftliche Indikatoren (Beschäftigung, insbesondere Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum, Armutsgefährdung, Staatsfinanzen) zeigen, dass skandinavische und kontinentaleuropäische Länder die besten Ergebnisse vorweisen.
Der Großteil wohlfahrtsstaatlicher Leistungen stellt eine Umverteilung im Lebenszyklus dar. Wir befinden uns im Laufe unseres Lebens auf verschiedenen Einkommensstufen. Die meisten wandern im Laufe des Lebens die Einkommensleiter hinauf und im Alter wieder eine gewisse Strecke zurück. Der kontinentaleuropäische Sozialstaat legt hohen Wert auf Versicherungsleistungen und Statuserhalt; daher profitiert die Mittelschicht stark von den sozial- und wohlfahrtsstaatlichen Leistungen.
Monetäre Transfers tragen entscheidend zum sozialen Ausgleich bei und wirken armutspräventiv. Sie reduzieren die Armutsgefährdung von 40% auf 12%. Am progressivsten wirken klassische Sozialausgaben wie Arbeitslosengeld, Notstands- und Sozialhilfe sowie Wohnbeihilfe. Staatliche Umverteilung erfolgt in Österreich fast ausschließlich über die Ausgabenseite: Ins erste Drittel der Haushalte fließen 44% aller Sozial- und Wohlfahrtsausgaben und belaufen sich dort auf 84% des Markteinkommens. Auch ohne Berücksichtigung der Haushaltsgröße fließen fast 90% der Arbeitslosenversicherungen, der Notstands- und Sozialhilfen sowie der Wohnbeihilfen ins untere Drittel bzw. der Hinterbliebenenpensionen in die unteren zwei Drittel. Deutlich weniger umverteilend wirken die übrigen wohlfahrtsstaatlichen Ausgaben für Gesundheit, Bildung und Familienförderung, die im Wesentlichen nach der Anzahl der kranken Personen bzw. Kinder, Schüler und Studenten verteilt werden. Aber auch sie wirken progressiv, d. h. ihre Bedeutung in Relation zum Einkommen nimmt in den höheren Einkommensschichten ab.2
Zu den Schwächen:
Wir können eine Reihe von Fehlentwicklungen und Problemstellen des österreichischen Wohlfahrtsstaates identifizieren, die auch gleichzeitig für die höchsten Armutsrisken verantwortlich sind. Reformstrategien für sozialen Ausgleich lassen sich aus diesen sozialstaatlichen Fehlsteuerungen wie ein gewendetes Negativ ableiten. Was sind nun die Fehlentwicklungen im hiesigen Sozialstaatsmodell?
Nach dem Krieg wurde der Sozialstaat auf vier Säulen errichtet:
1.Der Annahme eines männlichen Ernährerhaushalts
2.Der Annahme eines Normalarbeitsverhältnisses
3.Der Vorstellung einer kulturell homogenen Bevölkerung
4.Dem Prinzip der Statussicherheit – plus einem Schuss Ständismus
In den letzten Jahren hat sich aber einiges geändert:
Auch Frauen sind Familienerhalterinnen und es gibt vielfältigste Formen des Zusammenlebens
Unterbrochene Erwerbsbiografien und unsichere McJobs nehmen zu
Viele Menschen sind nach Österreich zugewandert
Bildung ist im Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft entscheidender geworden.
Auf jede dieser vier Entwicklungen wurde sozialpolitisch nicht rechtzeitig reagiert:
1.Das Festhalten am männlichen Ernährerhaushalt führt zu hohem Armutsrisiko von Alleinerzieherinnen und zur Mindestpension für ein Drittel aller Frauen.
Laut OECD (2008, 2010, 2015) stellt in Österreich vor allem der Status Ein-Eltern-Haushalt ein Armutsrisiko dar: Denn nimmt man alle Haushalte in denen Kinder leben zusammen, liegt Österreich im Bezug auf die Armutsquote mit 6% am fünften Platz hinter Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland. Nimmt man nur die Haushalte Alleinerziehender mit Kindern, fällt Österreich auf den achten Platz zurück. In den nordischen Ländern ist die Situation anders: Dort haben Alleinerziehende ein weit geringeres Armutsrisiko.
Weiter wirkt sich die Verteilung der Familienaufgaben zwischen den Geschlechtern auf die soziale Lage einer Familie aus. Die sorgenden Tätigkeiten wie Kinder betreuen, Großmutter pflegen, waschen und kochen, sind rhetorisch gewürdigt, in der Praxis aber gering bewertet und Frauen zugeteilt. Im Schnitt verrichten 92% der Frauen und 74% der Männer Arbeiten im Haushalt. Frauen wenden rund vier Stunden täglich für kochen, waschen, putzen und einkaufen auf, bei Männern sind es beinahe anderthalb Stunden weniger. Baden, Zähne putzen, wickeln, Tätigkeiten, die die Körperpflege des Kindes betreffen, werden von 16% aller Frauen, jedoch nur von 8% aller Männer verrichtet. Auch füttern, kuscheln, mit dem Kind lernen, das Kind zu Hause oder am Spielplatz beaufsichtigen und zu Schul- oder Freizeitveranstaltungen begleiten ist mehrheitlich Frauensache.3
2.Die Fixierung auf die klassische Erwerbsarbeit übersieht die steigende Zahl der Working Poor und die Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse.
Jetzt schon leben an die 200.000 Menschen in Österreich in Haushalten in denen der Verdienst trotz Erwerbsarbeit nicht reicht, um die eigene Existenz und die der Kinder zu sichern.4 Unfreiwillige Ich-AGs, Generation Praktikum, Abstiegsbiografien sind hier die Stichworte. Ein niedriges Erwerbseinkommen schlägt sich weiters in nicht-existenzsichernden Sozialleistungen bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und in der Pension nieder. Wer sein Leben lang in prekären Jobs arbeitet, wird keine ausreichende Pension erhalten, das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe sind so gering, dass man im Falle eines Jobverlusts damit keinen Tag überleben kann. Und die eigene Krankenversicherung kann unsicher werden.
3.Die jahrelange Konzentration auf die Herkunft (Gastarbeiterpolitik) schafft soziale Ausgrenzung und mangelnde Aufstiegschancen von MigrantInnen.
Lange wurde am Gastarbeitermodell und seiner Vorstellung temporärer Arbeitskräfte festgehalten. Maßnahmen zu Integration und Inklusion haben relativ spät in den 90er Jahren eingesetzt. Drittstaatenangehörige müssten heute ihrer Ausbildung entsprechend eigentlich um 30%, Eingebürgerte um 20% mehr verdienen. Sie werden weit unter ihrer Qualifikation beschäftigt. Nach der erfolgten Dequalifizierung findet kein beruflicher Aufstieg mehr statt. Die Dequalifizierung nach der ersten Beschäftigung wird im Lebenslauf nicht mehr überwunden.5
4.Ein sozial selektierendes Bildungssystem mit Tendenz zu homogenen Gruppen blockiert sozialen Aufstieg.
Trotz der im europäischen Vergleich geringen Kinderarmut schneidet Österreich in den sozialen Aufstiegschancen nach oben nur durchschnittlich ab. Die soziale Herkunft entscheidet überaus stark den weiteren Lebensweg. Hohe Bildung und damit hohes Einkommen und hohe berufliche Position der Eltern bedeuten für deren Kinder im hiesigen Schulsystem eine um 90 Punkte bessere Testleistung als von Kindern aus Elternhäuser mit weniger Bildung und Einkommen. In anderen Ländern beträgt dieser Abstand weniger als 40 Punkte.6
5.Zu geringe Investitionen in Dienstleistungen lassen z.B. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen allein und Potenziale im Dienstleistungssektor brach liegen.
Nirgendwo im Sozialsystem gibt es so hohe Selbstbehalte, nirgendwo wird so rigoros auf das eigene Vermögen und das der Angehörigen zugegriffen, wie im Falle einer Pflegebedürftigkeit. Wird im Krankenhaus noch auf hohem Niveau für uns gesorgt, sind wir, sobald wir als austherapiert gelten, auf uns allein gestellt oder werden im Alter zum Fall für die Sozialhilfe. Österreich gibt 1,3% des Bruttoinlandsprodukts für Pflege aus, Dänemark 2,6%, Finnland 2,9%. Die sozialen Dienstleistungen wie Kinderbetreuung oder Pflege liegen in Österreich unter dem EU-Durchschnitt. Auch der Anteil der Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitssektor ist unterdurchschnittlich (vgl. Abbildung 3).
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Abb. 3: Anteil der Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitssektor an den Beschäftigten insgesamt, 1995-2012, ausgewählte Länder (Eurostat online database)
6.Der Paternalismus des Sozialstaats schafft mangelnde Transparenz und Mitbestimmung: Arbeitslose am Arbeitsamt, Patienten in Spitälern, Migranten ohne Wahlrecht, Mitbestimmung in den Sozialversicherungen etc.
Hier wirkt auch der Dschungel des föderalen Systems mit seinen unterschiedlichsten Regelungen, die in vielen Fällen sachlich nicht begründbar sind und eine Verwaltungs- und Vollzugspraxis, die nicht den Bürger, sondern den Untertanen sieht. Vieles atmet den obrigkeitsstaatlichen Wohlfahrtsstaat, Vater Staat, der seinen minderjährigen Kindern Gaben zuteilt.
Besond...

Table of contents

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort der Herausgeber
  6. 1. Herausforderungen
  7. 2. Reflexionen
  8. 3. Ethik – Menschenwürde
  9. 4. Gesellschaft – Politik
  10. Die Autoren