Ich war ein Blitzmädel
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Ich war ein Blitzmädel

Frauenkameradschaft in der Wehrmacht

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Ich war ein Blitzmädel

Frauenkameradschaft in der Wehrmacht

About this book

"Da hätten sie mir den Kopf abreißen können", sagt die heute 95-jährige Hilde Kerer, die 1939 für Deutschland optierte. Weil sie die Freundschaft zu einer Dableiberin nicht aufgeben wollte, wurde die Brixnerin von Gleichgesinnten geschnitten. Dieser Druck, der sich in der Zeit zwischen italienischem Faschismus und aufkeimendem Nationalsozialismus in der Südtiroler Gesellschaft aufbaute, war prägend für Kerer.1940 wanderte sie ins Deutsche Reich aus und wurde zu einem sogenannten Blitzmädel, einer Nachrichtenhelferin der Wehrmacht. Ab 1943 fand sie sich mitten im Krieg vorerst in Russland und dann in Frankreich wieder, wo sie nach der Invasion der alliierten Streitkräfte einen Bombenabwurf überlebte, der zwei ihrer Kolleginnen das Leben kostete.Die weibliche Kameradschaft war für Kerer ein geschütztes Umfeld, in dem sie die Schrecken des Krieges und der deutschen Besatzung ausblenden konnte. Das Erlebte vertraute sie zwischen 1942 und 1944 ihrem Tagebuch und Jahrzehnte später dem Publizisten Thomas Hanifle an, der ihre Erinnerungen in das vorliegende Buch einarbeitete.

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Information

Siglinde Clementi

Sich wehren und hartnäckig sein

Zum autobiografischen Gedächtnis und Selbstbild von Hilde Kerer

Hilde Kerer wäre von sich aus wohl nie auf die Idee gekommen, ihr Leben in schriftliche Form zu gießen, obwohl ihr Schriftlichkeit nicht fremd war: Sie hat zahlreiche Briefe geschrieben, sie hat zeitweise Tagebuch geführt und sie hat im Zuge ihres umweltpolitischen Engagements viele Leserbriefe verfasst. Viel zu stark ist Hilde Kerers Selbstbild von Schlichtheit und Zurückhaltung geprägt, um sich in einem zu publizierenden Selbstzeugnis in den Mittelpunkt zu stellen.1 Und doch hat Hilde Kerer, nachdem sie Fotomaterial für die 2005 erschienene Brixner Frauenstadtgeschichte2 zur Verfügung gestellt hatte, ihren Vorlass mit Briefen und Fotografien an das Frauenarchiv Bozen abgegeben und hat einige Jahre später zusammen mit Thomas Hanifle ihr Leben Revue passieren lassen. Das Ergebnis ist eine Collage aus Selbsterzählung und Tagebucheintragungen aus den Jahren 1942 bis 1944, den Schlüsseljahren ihrer autobiografischen Erzählung, als sie als Wehrmachtshelferin in der Sowjetunion und in Frankreich tätig war.

Autobiografisches Gedächtnis

Die biografische Kohärenz ist in diesem Buch dialogisch entstanden.3 Im wiederholten Gespräch mit dem Publizisten Thomas Hanifle hat Hilde Kerer auf ihr Leben zurückgeblickt und im Prozess des Erinnerns ihre historischen Erfahrungen sortiert, gedeutet und mithilfe des Interviewers und Aufzeichners in eine kohärente Form gebracht. Unabhängig von den Entstehungsbedingungen ist jede lebensgeschichtliche Erzählung eine „konstruierte Erfahrungssynthese“4. Die Funktionsweise des autobiografischen Gedächtnisses kann als komplexer Selektions- und Konstruktionsprozess beschrieben werden, bei dem gewisse Erfahrungen verworfen werden, andere unterstrichen, neu erinnert oder zum wiederholten Mal erzählt und neu gedeutet werden.5 Die autobiografische Erzählung ist das Endprodukt dieses komplexen Prozesses des Erinnerns und Vergessens, der im vorliegenden Fall im Dialog mit dem Interviewer verstärkt in Gang gekommen ist und sich in Interaktion mit ihm entfaltet hat. Thomas Hanifle hat Hilde Kerers Erzählungen aufgezeichnet, transkribiert und strukturiert und Hilde Kerer die Geschichte anschließend zur Begutachtung vorgelegt. Quellenkritisch ist zu beachten, dass das Gedächtnis im Prozess des Erinnerns und Vergessens auch all das einbeziehen kann, was seither über die historischen Erfahrungen ausgesagt wurde. Die autobiografische Erzählung kann auch aus diesem Grund nicht als unmittelbarer Ausdruck authentischer historischer Erfahrung gewertet werden, sondern muss als im Nachhinein elaborierte und reflektierte Geschichte betrachtet werden, die genauso viel über den Deutungsprozess aussagt wie über die historische Erfahrung.6
Quellenkritisch anders zu werten sind Tagebücher. In diesem Buch wurden in die autobiografische Erzählung von Hilde Kerer ihre Tagebuchaufzeichnungen eingeflochten, die vom 28. Oktober 1942, ihrem Aufbruch zur Ausbildung als Wehrmachtshelferin, bis zum 8. August 1944, bis kurz vor ihrer Flucht aus Frankreich, reichen. Hilde Kerer hat nur in dieser Zeit Tagebuch geführt und steht damit in einer Tradition gehäuften Tagebuchschreibens in den Ausnahmesituationen Krieg, Nationalsozialismus und Verfolgung.7 Nun können Tagebuchaufzeichnungen als bruchstückhaftes Festhalten des Tageserlebnisses umschrieben werden; in der historischen Forschung, die Tagebücher als historische Quellen verwendet, gelten diese Schriftstücke dennoch wie alle anderen autobiografischen Quellen als Erinnerungsbausteine mit eigenem Konstruktionscharakter und eigener Konstruktionsdynamik.8 Die Tagebucheintragungen Hilde Kerers folgen keinem genauen Schema: In unregelmäßigen Abständen, aber konstant über eineinhalb Jahre hält Kerer in teils sehr kurzen, teils längeren Abschnitten ihre Eindrücke fest. Es geht dabei vor allem um ihr alltägliches Erleben, um ihre Freundschaften und, wie in Tagebüchern häufig, um Introspektion, also um ihre seelische Befindlichkeit und charakterliche Selbsteinschätzung.

Widerständigkeit

Das Selbstbild Hilde Kerers, wie es in ihren Selbstzeugnissen zutage tritt, ist nicht allein auf Bescheidenheit ausgerichtet, sondern fußt ganz im Gegenteil wesentlich auch auf Freiheitsliebe und steter, aktiver Widerständigkeit. Hilde Kerers Lebensmotto könnte man einer Passage aus dem letzten Abschnitt ihrer Erzählung entnehmen: „Seit meiner Jugend hatte ich gelernt, dass man sich wehren und auch hartnäckig sein muss, wenn man etwas verändern oder erreichen wollte, vor allem als Frau.“ Im Folgenden sollen nun in der Selbsterzählung genannte Momente dieser Widerständigkeit aufgespürt und ihr Ausbleiben problematisiert werden. Während die von Faschismus und Nationalsozialismus gezeichnete Kindheit und Jugend Hilde Kerers von widerständigen Handlungen durchzogen sind, ist die offene Form der Widerständigkeit und das dazugehörige politische Bewusstsein in ihrer Zeit als Wehrmachtshelferin wie weggeblasen und kehrt erst im umweltpolitischen Engagement in der Nachkriegszeit zurück.
Die jugendliche Widerständigkeit Kerers äußerst sich in ihrer Erinnerung in einzelnen Episoden, zunächst im Kontext ihrer Schulausbildung. Hilde Kerer wurde im Herbst 1926 eingeschult, nachdem sie vorher „bei den Klosterfrauen“ in den deutschen Kindergarten gegangen war. Bereits die Beendigung ihrer Kindergartenzeit war ein Akt weiblicher Widerständigkeit: Ihre Mutter ließ sie nach Weihnachten nicht in den Kindergarten zurückkehren, weil „die Klosterfrauen von italienischen Erzieherinnen abgelöst wurden“.9 Während ein Entzug vor der Italianisierung im Kindergarten noch möglich war, gab es in Bezug auf die Schule keinen Ausweg. Die Schulpolitik war ein Kernstück der faschistischen Entnationalisierungspolitik in Südtirol, weil über die Schule und die Kinder ein direkter Zugriff auf die Menschen und ihr Denken möglich schien. Das staatliche Schulwesen war in Südtirol bereits 1923 italianisiert worden und wurde in der Folge schrittweise faschisiert, wobei zwei Strategien vorgegeben wurden, um die Südtiroler Kinder zu „echten Italienern“ zu machen: die Politisierung von Schullalltag und Lerninhalten und die Einbindung in die faschistischen Jugendorganisationen der Opera Nazionale Balilla.10
Hilde Kerer ist nicht in die faschistischen Jugendorganisationen integriert worden, wohl weil ihre Mutter dem mehr oder weniger starken Druck vonseiten der Schulbehörden widerstanden hat (so hat die Mutter zum Leidwesen ihrer Tochter auch die Geschenke der befana fascista abgelehnt), und wohl auch, weil ihre Familie aus Sicht der italienischen Schulfunktionäre als unzuverlässig galt: „Tu non sei degna“, „Du bist nicht würdig“, sagte die Lehrerin zu Hilde Kerer, als sie provokativ um Aufnahme in die piccole italiane bat.11 In dieser Episode wird das gängige Bild des repressiven, faschistischen Staatsapparates, dessen Zwangscharakter sich in der Schule und im Bereich der Jugendorganisationen deutlich äußerte, relativiert, wohl auch im Dienste der eigenen Selbstrepräsentation als widerständige Schülerin.
Hilde Kerer hat die italienische Schule generell nicht als besonders repressiv erlebt: „Ich kann nicht behaupten, dass einer unserer Lehrer ein fanatischer Faschist gewesen wäre.“ Vor allem ihrer ersten Lehrerin, einer Trentinerin, fühlte sie sich sehr verbunden und ein weiterer Lehrer war deutschsprachiger Südtiroler, der selbstredend größtenteils in Italienisch unterrichten musste. Mit den italienischen Kindern verstand sich Hilde Kerer gut und pflegte mit ihnen auch außerhalb der Schule Kontakte: „Damals gab es zwischen uns Kindern keinen Fanatismus und keine Grenzen und das war gut so. Nur wenn es um politische Einstellungen ging, war klar: Der Faschismus hatte in unserem Haus keinen Platz und wir wehrten uns dagegen.“
Auch wenn der repressive Charakter der italienischen Schule nicht unterstrichen wird, ist die Erinnerung Hilde Kerers daran wie jene an ihre Kinder- und Jugendzeit überhaupt von Widerständigkeit geprägt, die sie als Hauptmerkmal ihres Charakters schildert und die sich in einzelnen Episoden äußert. Sie stellt sich als beeinflusst von ihrem großen Bruder Sepp dar, der „mit einer Gruppe Gleichgesinnter die Faschisten in der Stadt ärgerte, und (der) später, als Hitler in Deutschland die Macht ergriff, an der Propaganda für das Deutsche Reich beteiligt (war). Diese Einstellung prägte mich natürlich, außerdem zeichnete mich schon bald ein freches Mundwerk aus und ich sagte immer und überall meine Meinung.“ Sie provozierte die ideologietreue Lehrerin, die aber nur verbal reagierte und äußerte ihre ablehnende Haltung in kleinen widerständigen Aktionen: So legte sie ihren ausgestreckten Arm beim faschistischen Gruß auf die Schulter der Schulkollegin vor ihr und beim Spalierstehen beim Aufmarsch anlässlich der Ernennung des Bischofs Geisler 1930 schrie sie nicht „Evviva“ wie von den Lehrern aufgetragen, sondern „Hoch“, was der Lehrer mit dem Zuhalten des Mundes quittierte, der Bischof aber mit einem Lächeln belohnte: „Er hatte verstanden und ich damit gesiegt.“
Die deutsche Geheimschule wird als großer Akt des Ungehorsams und des Widerstands gegen die faschistische, staatliche Macht gezeichnet, mitunter aufregend und gefährlich. Hilde Kerers Haus war selbst Teil des dichten Netzes von Geheimschulen, das sich auf Initiative des Deutschen Verbandes und unter der Leitung von Kanonikus Michael Gamper seit 1925 über das ganze Land spannte.12 Kerers Schwester Paula fungierte als Geheimschullehrerin und hielt im eigenen Haus Nachmittagsunterricht ab, den Hilde Kerer selbst drei Jahre lang genoss. Nach einer polizeilichen Kontrolle, die glimpflich ausging, zog es Paula aus Angst vor der Verbannung vor, den Unterricht einzustellen und sie zog als Kindermädchen nach Bassano del Grappa. Daraufhin besuchte Hilde Kerer den nachmittäglichen Geheimunterricht im befreundeten Haus Kofler, wo Midl Kofler, die als beste Freundin noch eine besondere Rolle in ihrem Leben spielen sollte, den Deutschunterricht leitete. Auffallend an Hilde Kerers Erzählung ist der nahtlose Übergang von der Geheimschule zu den geheimen Jugendtreffs an Wochenenden und den „Heimabenden“ sowie den Jugendgruppen des Völkischen Kampfrings Südtirols. Auch die zunehmende Hinwendung zur nationalsozialistischen Ideologie, die sowohl die Geheimschule als auch die Jugendgruppen des Völkischen Kampfringes Südtirols in den 1930er-Jahren charakterisierten13, schildert Hilde Kerer im Rückblick mit großer Offenheit: „In den Kreisen, in denen ich verkehrte, war man über die Ereignisse in Deutschland immer gut informiert (…). Damals allerdings strahlte er (Hitler) eine Faszination aus, die schwer zu erklären i...

Table of contents

  1. Cover
  2. Impressum
  3. Inhaltsverzeichnis
  4. Thomas Hanifle: Schöne Momente im Krieg
  5. Geboren im Rösslwirt
  6. Italienische Schule
  7. In der Geheimschule
  8. Deutsch werden
  9. Von der Heldin zur Verräterin?
  10. Neue Freiheiten
  11. Auf zur Wehrmacht
  12. In Minsk
  13. „Du Hitler, ich Stalin“
  14. Wieder in Gießen
  15. Riss in der Gemeinschaft
  16. Versetzung nach Frankreich
  17. Traurige Weihnachten
  18. Ein überschaubares Städtchen
  19. Schlimmer als ein Alptraum
  20. Das Ende naht
  21. Endlich nach Hause
  22. Der Kern meines Lebens
  23. Siglinde Clementi: Sich wehren und hartnäckig sein