
- 120 pages
- English
- ePUB (mobile friendly)
- Available on iOS & Android
eBook - ePub
About this book
Eines Tages hört der Flötenspieler Nathan am Meer die Stimme des Windes. Zwölf Tage lang lauscht er jeden Morgen ihren geheimnisvollen Wahrheiten: Über die Einsamkeit, die Liebe, den Schmerz und das Vergessen und erfährt alles, was er wissen muss, um den Sinn des Lebens zu entdecken. Spirituell, poetisch und glaubensstark - ein Erzähler in der Tradition von Paulo Coelho, Sergio Bambaren und Khalil Gibran.
Frequently asked questions
Yes, you can cancel anytime from the Subscription tab in your account settings on the Perlego website. Your subscription will stay active until the end of your current billing period. Learn how to cancel your subscription.
At the moment all of our mobile-responsive ePub books are available to download via the app. Most of our PDFs are also available to download and we're working on making the final remaining ones downloadable now. Learn more here.
Perlego offers two plans: Essential and Complete
- Essential is ideal for learners and professionals who enjoy exploring a wide range of subjects. Access the Essential Library with 800,000+ trusted titles and best-sellers across business, personal growth, and the humanities. Includes unlimited reading time and Standard Read Aloud voice.
- Complete: Perfect for advanced learners and researchers needing full, unrestricted access. Unlock 1.4M+ books across hundreds of subjects, including academic and specialized titles. The Complete Plan also includes advanced features like Premium Read Aloud and Research Assistant.
We are an online textbook subscription service, where you can get access to an entire online library for less than the price of a single book per month. With over 1 million books across 1000+ topics, we’ve got you covered! Learn more here.
Look out for the read-aloud symbol on your next book to see if you can listen to it. The read-aloud tool reads text aloud for you, highlighting the text as it is being read. You can pause it, speed it up and slow it down. Learn more here.
Yes! You can use the Perlego app on both iOS or Android devices to read anytime, anywhere — even offline. Perfect for commutes or when you’re on the go.
Please note we cannot support devices running on iOS 13 and Android 7 or earlier. Learn more about using the app.
Please note we cannot support devices running on iOS 13 and Android 7 or earlier. Learn more about using the app.
Yes, you can access Der Prophet des Windes by Stefano Biavaschi, Carina Wörner in PDF and/or ePUB format, as well as other popular books in Theologie & Religion & Religion & Wissenschaft. We have over one million books available in our catalogue for you to explore.
Information
DER ZWÖLFTE SONNENAUFGANG
Gott

Nathan wusste, dass dies der letzte Tag war, an dem der Wind zu ihm sprechen würde: »Und nachdem ich an zwölf Tagen zu dir gesprochen habe und du die sieben Schritte zur Vollkommenheit kennst, wirst du zu den Deinen gehen und spielen«, hatte die Stimme gesagt. Aber auch wenn Nathan sie nicht mehr gehört hätte, so hatte er doch viele Dinge gelernt, über die zu meditieren der Rest seines Lebens nicht ausgereicht hätte.
Jetzt sah er die Zeit als etwas sehr Wertvolles an, wie ein kostbares Gut, das nicht vergeudet werden durfte, weil jeder Tropfen davon ihm neue Erkenntnis hervorbringen konnte, seinen Geist neu erhellen konnte, sein Herz erweitern konnte für neue Freuden. Vor allem sah er jetzt auch die Wichtigkeit noch so kleiner alltäglicher Entscheidungen: Gelegenheiten, seinen Willen anzuheben oder herunterzunehmen, so wie es der Wind mit seiner Hand getan hatte.
Nathan begriff, dass er es sich niemals mehr erlauben konnte, bei Entscheidungen neutral zu bleiben. In Wirklichkeit gab es diese Neutralität nämlich gar nicht, so wie es ihm nicht möglich gewesen war, seine Hand ruhig zu halten unter dem Druck des Windes, der sie nach oben hob oder nach unten zog.
Die Stimme hatte gesagt, dass jeder Augenblick des Lebens sehr viel zählte, weil der Mensch in jedem Augenblick mit seinem Willen sein Schicksal ändern könne. Und Nathan war jetzt fest entschlossen, sich für die Vollkommenheit, von der die Stimme gesprochen hatte, zu entscheiden.
Nathan hatte sich nie als jemand gesehen, der nach etwas strebte: Erst jetzt wurde er sich bewusst, dass er sich von einer statischen Sicht auf das Leben befreit hatte, die ihn über Jahre hatte denken lassen, nichts könne sich wirklich ändern und alles müsse sich wiederholen. Die Entdeckung des Lebens als eine dynamische Wirklichkeit, als eine fortschreitende innere Entwicklung, bewegte ihn sehr.
»Was wird passieren, wenn ich meinen Willen immer nach oben halte?«, fragte er sich. »Welche Höhen werden meine Gefühle dann erreichen?«
Während er dies dachte, durchrieselte ihn ein wohliger Schauer und er hatte fast ein Gefühl der Allmacht. Sofort gab er diesen Gedanken jedoch auf, weil er sich an einen Satz erinnerte, den er gehört hatte: »Erhebt euch in eure Höhen, auch wenn es nicht eure sind.«
Er versuchte deshalb, sich tief ins Herz zu schreiben, dass keine dieser möglichen Höhen die seine wäre, von ihm geschaffen, sondern dass ihm alles geschenkt war und er nur die »völlige Unfähigkeit, zu fliegen« besaß. Er fühlte, wenn er diese Lektion nicht perfekt lernte und sie nicht in seinen Stolz einbrannte, könnte ihm der Wind ganz plötzlich die Luft aus den Flügeln nehmen, in einem Moment, in dem er es am wenigsten erwartete. Dann würde er aus den daraus folgenden schmerzlichen Abstürzen lernen müssen. Der Wille war also nötig, aber er reichte nicht aus.
Er durfte die Vollkommenheit nicht als etwas sehen, das er nur mit seinen Händen, nur mit seinen Fähigkeiten erschaffen konnte. Die letzten Sätze, die er am Tag zuvor gehört hatte, waren ihm noch lebhaft in Erinnerung: »Die Vollkommenheit ist tatsächlich bereits erreicht. Lasst euch nun von der Vollkommenheit erreichen.«
Nathan hatte den Sinn dieser Sätze noch nicht ganz begriffen, aber er wusste, es musste etwas sehr Wichtiges sein, und deshalb schloss er sie ganz fest in sein Herz, um besser darüber nachdenken zu können.
Nathan setzte sich bei den ersten Strahlen des Sonnenaufgangs ans Meeresufer. Er holte tief Luft und versuchte, das ganze ihn umgebende Universum in sich aufzunehmen.
Er spannte alle seine Sinne an und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Dinge. Er hörte den Gesang der Meeresvögel: Bis jetzt war dieser Gesang für ihn einfach nur eine Aneinanderreihung von Tönen gewesen. Jetzt schien er ihm ganz anders, jetzt war er wie eine Sprache, die er verstand. Und er war glücklich darüber.
Auch sein Geruchssinn übermittelte ihm Botschaften. Es war ihm, als ob er den Duft ferner Blumen vernahm, und auch diesen empfand er als Sprache. Seine Sinne konzentrierten sich auf Dinge, die ihm zuvor entgangen waren; die Natur erschien ihm als eine einzige Harmonie, in der jeder mit jedem im Gespräch war.
Nathan empfand großen Respekt davor und er fragte sich, warum er bis zu diesem Moment nicht an diesem Gespräch teilgenommen hatte, aus welchem nicht ersichtlichen Grund er davon ausgeschlossen gewesen war.
Oft hatte er das, was seine Augen sahen, bewundert; jetzt aber erschien es ihm wie ein Frevel, sich nicht dazugehörig gefühlt zu haben. Jetzt, da er in sich hineinhörte und deshalb allmählich gelernt hatte, draußen zuzuhören, verstand er nicht nur mehr, sondern interpretierte das Gehörte auch. Er konnte das, weil er jetzt die Schlüssel dazu besaß.
Für einen Augenblick sah Nathan all die Anstrengungen jener Denker, die sich lange Zeit gefragt hatten, was Wissen sei und wie es funktioniere, und er erkannte, wie wenig die reine Beobachtung der Wahrnehmung genutzt hatte, ohne das Geschenk jener inneren Schlüssel, die es erlaubten, die großen Mengen an Informationen und Nachrichten in den Dingen aufzuschließen.
»Ihr seht das Wissen als ein Zimmer in eurem Verstand, das man mit großen und kleinen Dingen füllen kann«, hatte die Stimme gesagt, »während es in Wirklichkeit eine Pflanze ist, die in euch keimt und zum Baum heranwächst.«
Nathan begriff, dass jeder Satz, den er beim Sonnenaufgang gehört hatte, erst noch verstanden werden musste und dass er, je mehr er wachsen würde, desto mehr verstehen würde. Und dieses Geschenk gehörte nicht nur ihm allein: Würde es ihm gelingen, die Seinen an dieser Musik teilhaben zu lassen?
Er fand, dass viele von ihnen wie Musiker waren, die nicht nur immer dieselbe Melodie spielten, sondern die auch alle gleich spielten.
Nathan wurde traurig, wenn er sich vorstellte, wie viele und welche wunderbaren Melodien er von den Seinen hören könnte und welch monotonen Töne er von ihnen immer gehört hatte. Eine Monotonie, an die er sich so sehr gewöhnt hatte, dass er manches Mal glaubte, sie sei ein ganz natürlicher Zustand. Nur einige von ihnen, zumeist Dichter, stimmten etwas andere Melodien an, in die sie sich dann aber vertieften und so die Poesie in einen Ersatz für die Spiritualität verwandelten.
Auch die schönsten Wahrnehmungen drohten sich in puren Narzissmus zu verwandeln, wenn sie sich nicht weiterentwickelten.
»Warum flüchtet das Ich immer vor der Wahrheit?«, fragte sich Nathan. »Warum mag es nicht in sich hineinschauen? Vor welchen Entdeckungen fürchtet es sich? Hat es etwa Angst davor, seine innere Leere zu sehen? Hat es vielleicht Angst festzustellen, dass Gott in ihm nicht anwesend ist? Rennt es vielleicht deshalb ängstlich in alle Richtungen, stets darauf bedacht, nicht stehen zu bleiben?«
Nathan hatte noch niemals diese Art von Gedanken gehabt. Nur der Wind hatte ihm gezeigt, dass es sehr wohl andere Töne in den Herzen der Menschen gab, die man auf eine Weise zum Klingen bringen konnte, wie er sie sich niemals hätte vorstellen können; bis ihm die Sonne ihren unnachahmlichen Lichthauch geschenkt hatte.
»An was denkst du, Nathan?«
»Ich denke daran, dass viele nichts verstehen werden«, antwortete er und hob seinen Blick zum Wind, der zu wehen begann. »Wenn jemand etwas versteht, dann deshalb, weil er bereits danach lebt.« – »Hat dich das etwa umgetrieben als du dich unter die Deinen begeben hast und die Flöte spieltest?«
»Am Anfang genügte mir die Schönheit; jetzt wünsche ich mir die Wahrheit.« – »Gibt es da etwa einen Unterschied, Nathan?«
»Wenn sie von hundert Sachen, die ich erzähle, nur eine verstehen, wozu war es dann gut, sie alle zu lernen?« – »Auch wenn sie gar nichts verstehen, ist es doch deine Aufgabe, für sie zu spielen. Ob sie dir zuhören oder nicht, deine Aufgabe wird so oder so erfüllt werden.«
»Das wird mir niemals genügen.« – »Bist du von dem, was du gehört hast, noch nicht satt geworden?«
»Der Brocken ist zu groß, die Meinen können ihn nicht auf einmal hinunterschlucken.« – »Du wirst den Brocken für sie zerkleinern.«
»Aber ich habe auch nicht mehr als sie, was mir ermöglichen würde, dies zu tun. Ich bin nicht besser oder schlechter als sie. Und ich kann nichts außer Flöte spielen.«
»Was möchtest du also noch wissen, bevor dieser letzte Sonnenaufgang zu Ende geht?«
»Ich möchte Gott kennenlernen.«
»Der Brocken, den du von mir verlangst, ist noch größer, Nathan. Und ich kann ihn dir nicht geben.«
»Aber das brauchen sie am allermeisten. Sie haben keinen Appetit auf etwas, das nicht nach Absolutem schmeckt, und sie praktizieren das Gute nicht, wenn es nicht unendlich ist.«
»Du weißt nicht, was du von mir verlangst, Nathan. Du hast die sieben Schritte deiner Erkenntnis erfahren; wenn du diese Schritte gehst, kannst du deinen ganzen Weg gehen und bis zur Schwelle deines Geheimnisses gelangen. Aber solange deine Zeit währt, kannst du sie nicht überschreiten. Du kennst die sieben Schlüssel, um hier unten alle Türen zu öffnen: Es waren die sieben Töne, die deiner Flöte fehlten. Was du aber jetzt von mir verlangst, gehört zu einer höheren Oktave, und dein Herz wird niemals im Stande sein, diese Oktave zu vernehmen.«
»Dann lass mein Herz den achten Schritt gehen, sodass es mit diesem neuen Schlüssel auch die Musik dieses Wissens vernehmen kann.«
»Ich kann dir das, was hinter dem Schleier liegt, nicht geben, Nathan. Keiner darf wissen, woher der Wind weht. Und wenn dir sämtliche Wünsche erfüllt würden: die Flöte deines Herzens würde zerbrechen.«
»Was für ein Gott wäre das denn, der eine arme krumme Flöte aus Schilfrohr zerbrechen ließe?«
»Nathan, du fragst all diese Dinge für die Deinen, aber ich habe sie nicht ohne Musik zurückgelassen. Und wenn sie ab und zu mit ihren Händen ihre Ohren verschließen, statt die Öffnungen ihrer Flöten, so ist es ihre Entscheidung.«
»Sie leben nicht ohne Musik; wenn sie aber noch ein bisschen länger wie Weinschläuche ohne Öffnungen verharren, wird die Musik ohne Kinder sein.«
»Nathan, auch Weinschläuche ohne Öffnungen können sich jeden Moment in Resonanzkörper verwandeln, wenn sie nur die Töne des Windes vernehmen.«
»Wie können sie diese denn vernehmen mit dem Wissen, dass das launische Kind in ihnen das ihnen geschenkte Instrument zerbrochen hat? Auch wenn sie dies nicht zeigen, ist es doch ihr größter Schmerz.«
»Auch wenn sie sich von ihrem Baum gelöst haben wie lebensmüde Blätter, so kann der Wind sich über sie beugen und sie mit seinem Hauch emporheben, wenn sie das wirklich wünschen.«
»Aber ein vertrocknetes Blatt hat diesen Wunsch gar nicht mehr. Den einzigen Windhauch, den es sich wünscht, ist ein Luftzug, der in ihm die Illusion von Bewegung weckt.«
»Auch ein solcher Luftzug wird früher oder später Töne von sich geben, Nathan. Und auch wenn sie für sich die Dornen wählen, werden die Schmerzen sie das Wissen lehren und sie werden wieder aufstehen.«
»Die Schmerzen erniedrigen uns nur dazu, unsere Wunden zu zählen. Wenn wir leiden, sind wir nur noch verloren, und wir finden nirgends die Kraft, die es...
Table of contents
- Cover
- Titel
- Impressum
- Der Autor
- Einleitung ~ Nathan, der Prophet des Sonnenaufgangs
- Der erste Sonnenaufgang ~ Der Wind
- Der zweite Sonnenaufgang ~ Die Einsamkeit
- Der dritte Sonnenaufgang ~ Die Liebe
- Der vierte Sonnenaufgang ~ Das Leben
- Der fünfte Sonnenaufgang ~ Der Schmerz
- Der sechste Sonnenaufgang ~ Die Wolken
- Der siebte Sonnenaufgang ~ Das Vergessen
- Der achte Sonnenaufgang ~ Das Wissen
- Der neunte Sonnenaufgang ~ Die Wahrheit
- Der zehnte Sonnenaufgang ~ Die Freiheit
- Der elfte Sonnenaufgang ~ Die Vollkommenheit
- Der zwölfte Sonnenaufgang ~ Gott