Erinnern um der Zukunft willen
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Erinnern um der Zukunft willen

Wie die katholischen Bischöfe Hitlers Krieg unterstĂŒtzt haben

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Erinnern um der Zukunft willen

Wie die katholischen Bischöfe Hitlers Krieg unterstĂŒtzt haben

About this book

Im Jahr 2015 jĂ€hrt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum siebzigsten Mal. WĂ€hrend des »Dritten Reiches« hatten die katholische Kirche und ihre WĂŒrdentrĂ€ger eine ambivalente Haltung gegenĂŒber dem NS-Regime - ein eindeutiges Nein zum Nationalsozialismus und zugleich ein ebenso eindeutiges Ja zur Nazi-StaatsfĂŒhrung mit der Forderung nach Gehorsam. Auch heute noch wird von den Amtsinhabern, Bischöfen in erster Linie, diese Rolle in kirchenamtlichen Verlautbarungen nicht zur Kenntnis genommen oder mit Schweigen ĂŒbergangen.Heinrich Missalla treibt die Frage um, welche GrĂŒnde es fĂŒr dieses Defizit geben mag. In seinem Buch verweist er auf VerdrĂ€ngtes oder Vergessenes, das das schöngefĂ€rbte Bild einer »Kirche im Widerstand« in Zweifel zieht. Und er fragt sich weiter, ob manche doktrinĂ€ren und strukturellen Probleme der heutigen Kirche ihre Wurzeln in der nicht aufgearbeiteten Vergangenheit haben könnten. Damals waren die kirchlichen AmtstrĂ€ger gegen Fehlurteile und irrige Belehrung der GlĂ€ubigen nicht gefeit. Auch heute gibt es keine Garantie dafĂŒr, dass ihre Weisungen den Herausforderungen dergeschichtlichen Situation gerecht werden.

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Information

Publisher
Publik-Forum
Year
2015
Print ISBN
9783880952812
eBook ISBN
9783880952812
Edition
1
Topic
History
Index
History
Heinrich Missalla

Erinnern um der Zukunft willen

Wie die katholischen Bischöfe Hitlers Krieg unterstĂŒtzt haben

Über dieses Buch

Im Jahr 2015 jĂ€hrt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum siebzigsten Mal. WĂ€hrend des »Dritten Reiches« hatten die katholische Kirche und ihre WĂŒrdentrĂ€ger eine ambivalente Haltung gegenĂŒber dem NS-Regime – ein eindeutiges Nein zum Nationalsozialismus und zugleich ein ebenso eindeutiges Ja zur Nazi-StaatsfĂŒhrung mit der Forderung nach Gehorsam. Auch heute noch wird von den Amtsinhabern, Bischöfen in erster Linie, diese Rolle in kirchenamtlichen Verlautbarungen nicht zur Kenntnis genommen oder mit Schweigen ĂŒbergangen.
Heinrich Missalla treibt die Frage um, welche GrĂŒnde es fĂŒr dieses Defizit geben mag. In seinem Buch verweist er auf VerdrĂ€ngtes oder Vergessenes, das das schöngefĂ€rbte Bild einer »Kirche im Widerstand« in Zweifel zieht. Und er fragt sich weiter, ob manche doktrinĂ€ren und strukturellen Probleme der heutigen Kirche ihre Wurzeln in der nicht aufgearbeiteten Vergangenheit haben könnten. Damals waren die kirchlichen AmtstrĂ€ger gegen Fehlurteile und irrige Belehrung der GlĂ€ubigen nicht gefeit. Auch heute gibt es keine Garantie dafĂŒr, dass ihre Weisungen den Herausforderungen der geschichtlichen Situation gerecht werden.

Über den Autor

Heinrich Missalla, geb.1926, ist aufgewachsen in einem katholisch-konservativen Arbeitermilieu im Ruhrgebiet und wurde geprÀgt durch die Jugendarbeit in seiner Heimatgemeinde.
Entscheidend fĂŒr sein weiteres Leben und Arbeiten waren seine Erfahrungen im Krieg und in der Kriegsgefangenschaft. Als Priester (seit 1953) und spĂ€ter als Hochschullehrer (von 1971 bis 1991) hat er sich vor allem friedenspolitisch engagiert und sich besonders mit der Frage befasst, wie die katholische Kirche sich im Ersten und Zweiten Weltkrieg verhalten hat.
Seit 1955 ist er Mitglied von »Pax Christi«; er hat den »Bensberger Kreis«, die Zeitung »Publik-Forum« und die »Initiative Kirche von unten« mit begrĂŒndet und hat in mehreren kirchenreformerisch engagierten Gruppen mitgewirkt.
Eine menschenfreundliche, an der biblischen Botschaft orientierte Kirche und Theologie, die Menschen ermutigt, Subjekte ihres Glaubens zu sein, ist Ziel seines theologischen und politischen Engagements.

Einleitung

Als der Zweite Weltkrieg begann, war ich ein 13-jĂ€hriger Junge, wenige Tage nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft im Juni 1946 wurde ich zwanzig Jahre alt. Ich gehöre also zu jener Generation, die von der StaatsfĂŒhrung belogen, verfĂŒhrt und betrogen wurde und deren Vertrauen und Opferbereitschaft auf ungeheure Weise missbraucht worden ist. Den ersten Toten sah ich als 16-JĂ€hriger: Der Luftdruck einer Fliegerbombe hatte einem Klassenkameraden – Luftwaffenhelfer wie ich – die Lunge zerrissen. Ein katholischer Kamerad, der mir in den Monaten der Rekrutenzeit und auf der Erd- und Nahkampfschule zum Freund geworden war, wurde aufgrund eines simplen AbzĂ€hlvorgangs an die Ostfront kommandiert und fuhr direkt in den Tod; ich musste die deutsche Westgrenze verteidigen und ĂŒberlebte.
Was ich in jenen Jahren erlebt habe – zumal wĂ€hrend des Krieges und in der Kriegsgefangenschaft –, hat mich all die Jahre nicht losgelassen und sowohl meine berufliche TĂ€tigkeit als auch mein Engagement in verschiedenen kirchenreformerischen Gruppen beeinflusst. Auch nach siebzig Jahren kann es noch geschehen, dass mir bei der Erinnerung an bestimmte VorgĂ€nge oder Erfahrungen die Sprache versagt und mir TrĂ€nen in die Augen treten. Immer wieder stellte sich mir die bohrende Frage, wie das deutsche Volk einem Menschen wie Adolf Hitler folgen konnte und ihm ĂŒber einige Jahre teilweise wie einem Messias zugejubelt hat. Vor allem bedrĂ€ngt mich die Frage nach dem Verhalten unserer Bischöfe zum und im Krieg, denn nicht zuletzt aufgrund ihrer Weisungen hatten wir katholischen Jungen uns trotz all unserer Vorbehalte gegen die nationalsozialistische Partei mit gutem – oder beruhigtem? – Gewissen die Uniform angezogen und uns – ohne es zu wissen, geschweige denn es zu wollen – zu willfĂ€hrigen Werkzeugen von Verbrechern machen lassen. Nach 1945 hat keiner meiner verehrten Lehrer und geliebten Seelsorger je wieder den Krieg thematisiert; ich kann mich auch nicht erinnern, dass wĂ€hrend meiner Studien- und Ausbildungszeit oder spĂ€ter auf einer Priesterkonferenz oder -tagung jemals ĂŒber den Krieg und unseren Einsatz im Krieg gesprochen worden wĂ€re.
Keiner meiner Lehrer, kein Personalchef und erst recht kein Bischof haben je danach gefragt, wie ich den Krieg erlebt habe oder wie ich jene Jahre – und unser christlich motiviertes Engagement im Krieg! – im Nachhinein beurteile. Waren es GleichgĂŒltigkeit oder Hilflosigkeit, Desinteresse, VerdrĂ€ngung oder Scham ĂŒber das eigene Verhalten, die keine Fragen ĂŒber diese Zeit zuließen? Oder hatten die heutigen Bischöfe die BefĂŒrchtung, dass eine kritische Position gegenĂŒber dem Verhalten der damaligen Oberhirten den Eindruck erwecken könnte, sie machten sich zu Richtern ĂŒber ihre VorgĂ€nger?
Mir ist keine pastoral-theologische Arbeit bekannt, in welcher der Frage nachgegangen wird, welche Auswirkungen die Weisungen der Bischöfe und Seelsorger oder die Kriegspredigten wĂ€hrend des Ersten und Zweiten Weltkrieges auf die Menschen gehabt haben, welche Irritationen und Verletzungen dadurch verursacht worden sind, wie viel Vertrauen in die kirchlichen AmtstrĂ€ger und in die VerkĂŒndigung der Kirche dadurch fĂŒr immer verloren gegangen ist. Nur am Rande sei vermerkt, dass die MĂŒtter und Ehefrauen, die Schwestern und Freundinnen der Soldaten nirgendwo ErwĂ€hnung finden; sie durften und dĂŒrfen weiterhin beten und opfern – und schweigen. Mich treibt die Frage um, welche GrĂŒnde es geben mag, dass in den kirchenamtlichen Verlautbarungen und in der Pastoraltheologie diese bedrĂŒckende Phase der deutschen katholischen Geschichte so wenig Aufmerksamkeit findet oder gar unterschlagen wird. Und mir drĂ€ngt sich auch die Frage auf, ob nicht manche Probleme der heutigen Kirche ihre Wurzeln in der nicht aufgearbeiteten Vergangenheit haben könnten.
Das Thema »Aufarbeitung« beschĂ€ftigt die Öffentlichkeit seit lĂ€ngerer Zeit in verschiedenen ZusammenhĂ€ngen, seien es die Missbrauchsskandale in Kirche und Gesellschaft oder der NSU-Prozess, die (Vor-)Geschichte der Partei »Die Linke« oder das Finanzgebaren der Banken und Konzerne, seien es Steuerhinterziehungen oder die Untersuchungen ĂŒber die Verstrickungen von Juristen oder Groß­unternehmen in das NS-System. Im Bereich der katholischen Kirche wird zwar das Fehlverhalten einzelner kirchlicher WĂŒrdentrĂ€ger (z. B. der Bischöfe Mixa oder Tebartz-van Elst) oder das Finanzge­baren der Vatikanbank ausfĂŒhrlich kommentiert. Dabei gĂ€be es doch eine Reihe anderer Fragen, die zu erörtern angebracht wĂ€re, die jedoch weniger aufmerksam verfolgt werden, zum Beispiel die Behandlung missliebiger Theologinnen und Theologen durch kuriale Behörden, die traditionelle leib- und lustfeindliche katholische Sexual­moral, unter der ganze Generationen von Frauen und MĂ€nnern gelitten haben, oder die Arroganz kurialer Behörden gegenĂŒber den Orts­bischöfen – und vor allem natĂŒrlich die bedrĂŒckende Phase deutscher und katholischer Geschichte zwischen 1933 und 1945.
Der frĂŒhere Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, hat sein Grundsatzreferat bei der Herbstvollversammlung dieses Gremiums im September 2010 mit den Worten eingeleitet: »Eins ist klar: Es gibt fĂŒr uns keinen anderen Weg als den der Offenheit, der Ehrlichkeit und den des Zuhörens.«1 Ein unter normalen Menschen selbstverstĂ€ndliches Verhalten wurde, als Erz­bischof Zollitsch es fĂŒr die Bischöfe ansagte und einforderte, von der Zeitschrift »Christ in der Gegenwart« mit Recht als »sensationell« bezeichnet.2 Der Erzbischof nennt im Einzelnen die Notwendigkeit des Hörens auf die Opfer sexueller Gewalt und im Zusammenhang damit die eine oder andere Lehre der Kirche im Bereich der menschlichen SexualitĂ€t. Er erwĂ€hnt die Verpflichtung der Priester zur Ehelosigkeit und manche katholische Positionen in der Ökumene. Er nennt ferner unehrliches Reden und Handeln, Mangel an Offenheit und Wahrhaftigkeit, Neigung zum Überdecken von Fehlern und insgesamt den Umgang mit unangenehmen Fragen. Des Weiteren seien die Bischöfe oft zu sehr als Wissende und Lehrende und zu wenig als Lernende, meist als Sprechende und selten als Hörende aufgetreten und hĂ€tten mangelnde Lernbereitschaft gezeigt. FĂŒr eine Kirche in einem neuen Aufbruch seien Dialog und gemeinsame Wegsuche unverzichtbar. Im Dialog entdecke man, wie verschieden die Wege sind, die zum Licht des Glaubens fĂŒhren. Als Zeichen der Offenheit in der Reflexion schlĂ€gt er einen GesprĂ€chsprozess vor, ĂŒber dessen genaue Ausgestaltung auf der Ebene der BistĂŒmer und auf der Ebene der Bischofskonferenz beraten werden mĂŒsse. Ein solcher Prozess dĂŒrfe jedoch nicht zu unrealistischen Erwartungen fĂŒhren und die Teilnehmenden nicht ĂŒberfordern. Unsere Kirche brauche ohne Zweifel eine vertiefte Sensibilisierung und eine neue WertschĂ€tzung des Miteinanders. In dem von ihm aufgestellten Themenkatalog listet er alle jene Fragen und Probleme auf, die seit Ende der 1960er-Jahre von den verschiedenen kirchlichen Reformgruppen benannt und als GesprĂ€chsthemen der Kirchenleitung vorgeschlagen wurden, auf die jedoch kaum je eingegangen worden ist.
Parallel zu den Priester- und SolidaritĂ€tsgruppen (AGP seit 1969) in der Bundesrepublik formierte sich in der Deutschen Demokratischen Republik der Aktionskreis Halle (AKH) als bedeutendste katholische Impulsgruppe im Osten Deutschlands, die durch ihr Engagement in Konflikt mit der Kirchenleitung und dem Staat geriet. Ihre GrĂŒndung 1970 stand in unmittelbarem Zusammenhang mit den im Detail beschriebenen Konflikten um die Nachfolge des damaligen Weih­bischofs und Diözesanadministrators von Magdeburg, Friedrich Maria Rintelen.
Der AKH gehört zur innerkirchlichen Aufbruchsbewegung im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil. Zum Programm des AKH zĂ€hlten u. a. Forderungen nach einer Wahl des Bischofs durch die Ortskirche und die BemĂŒhungen um mehr innerkirchliche PluralitĂ€t sowie ein stĂ€rkeres ökumenisches und friedenspolitisches Engagement. Am Beispiel des Aktionskreises Halle ist zum einen erkennbar, wie die katholische Kirche mit interner Kritik an ihrem Kurs der »politischen Abstinenz« umging. Zum anderen wird deutlich, wie und mit welch perfiden Methoden der SED-Staat versuchte, innerkirchliche AufbrĂŒche niederzuschlagen. Weil man den AKH als politischen Störfaktor identifiziert hatte, sollte er durch das Ministerium fĂŒr Staatssicherheit liquidiert werden. AusfĂŒhrlich werden die geheimpolizeilichen Repressionen und staatlichen Zersetzungsmaßnahmen beschrieben. Die Zusammenarbeit von Staat und Kirche gegen den AKH gehört zu den dunkelsten Kapiteln der ostdeutschen Kirchengeschichte. Eine spĂ€te amtskirchliche »Rehabilitierung« des AKH erfolgte erst 2010 durch ein Schreiben des Magdeburger Bischofs Feige. Ein solches EingestĂ€ndnis gegenĂŒber den Reformgruppen ist in Westdeutschland bisher nicht zu verzeichnen. Sebastian Holzbrecher liefert eine beeindruckende Darstellung und Herausarbeitung der nachkonziliaren Konflikte im Katholizismus der DDR und bietet ein beeindruckendes Bild des Ringens um die Gestaltung einer »Kirche von unten«.3
In der von Erzbischof Zollitsch angekĂŒndigten GesprĂ€chsoffensive ist die Frage nach dem Verhalten der kirchlichen AmtstrĂ€ger wĂ€hrend der Zeit der NS-Herrschaft und zumal wĂ€hrend des Krieges nicht unter den zu erörternden Themen zu finden. Das mag daran liegen, dass die heutigen Bischöfe sich nicht mit den Problemen ihrer VorgĂ€nger befassen möchten; vielleicht auch daran, dass es nicht mehr viele Menschen gibt, die von den damaligen Entscheidungen ihrer Bischöfe betroffen waren und aus eigenem Erleben ĂŒber das damalige Geschehen berichten können; vielleicht auch daran, dass die nach 1945 Geborenen an der speziellen Frage, wie denn die katholische Kirche sich im und zum Krieg Hitlers verhalten habe, nicht mehr interessiert sind. Möglicherweise haben die verantwortlichen MĂ€nner in der Kirche auch gar kein Interesse daran, an die Reden und an das Verhalten der damaligen AmtstrĂ€ger zu erinnern, weil es – und das ist meine Vermutung – dem Selbstbildnis der kirchlichen AutoritĂ€ten widerspricht und/oder weil sie fĂŒrchten, durch ein offenes EingestĂ€ndnis von Fehlern ihrer VorgĂ€nger das ohnehin seit lĂ€ngerer Zeit gestörte Vertrauen in das kirchliche Amt zusĂ€tzlich zu schwĂ€chen. Ich hingegen halte die Erörterung dieser Frage fĂŒr unabdingbar und rufe daher in diesem Beitrag in Erinnerung, was die Oberhirten »als Stellvertreter und Gesandte Christi [...] mit AutoritĂ€t und heiliger Vollmacht«4 uns einfachen GlĂ€ubigen in jenen Jahren gesagt und abverlangt haben.
Gut vierzig Jahre nach Ende des Krieges hat Christel Beilmann, die wĂ€hrend der Nazi-Zeit in einer katholischen MĂ€dchengruppe in Bochum engagiert war, ihre im Keller gelagerten Tagebuchnotizen, Briefe, Berichte, Protokolle, BĂŒcher und Zeitschriften aus der NS-Zeit wiederentdeckt.
»Je mehr ich las, um so erschrockener wurde ich ĂŒber die Art und Weise, wie wir beteiligt und doch nicht beteiligt waren. Manchmal wollte ich nicht weiterlesen, am liebsten hĂ€tte ich mich versteckt, aber wohin? [...] Ich hatte uns etwas anders in Erinnerung, stĂ€rker dem Nationalsozialismus die Stirn bietend, nicht so sehr im katholischen Milieu Gefangene. Ich merkte, wie Erinnerung sich fĂ€rbt in den WĂŒnschen von heute. Aber diese Briefe, Berichte usw. sind nicht zu fĂ€rben, vor diesem Spiegel werden hehre Vorstellungen kleiner, bittere Einsichten sind unvermeidlich. Der schale Geschmack der Erkenntnis, daß der Kampf gegen den Nationalsozialismus nicht stattfand, daß die Kirche und das katholische Milieu nur sich selber retteten, bleibt auf der Zunge.«5
Als Angehöriger jener Altersgruppe, die ihren angeblich pflichtgemĂ€ĂŸen Beitrag zur »Verteidigung des Vaterlandes« geleistet hat, kann ich mich nicht mit der seit 1945 zumindest in katholischen Kreisen gĂ€ngigen Feststellung abfinden, dass »die Kirche« sich wĂ€hrend der Zeit von 1933 bis 1945 widerstĂ€ndig verhalten und sich nicht dem Herrschaftsanspruch des Nationalsozialismus unterworfen habe. Als Beweise werden dafĂŒr meistens sowohl die vielfachen Behinderungen kirchlicher Arbeit durch Partei- und Staatsorgane wie auch die Inhaftierung zahlreicher Priester angefĂŒhrt. Wenn in kirchlichen Verlautbarungen einmal – selten genug – das Verhalten der Kirche zu Hitlers Krieg zur Sprache kommt, dann erfolgt das in der Regel nur kurz und verklausuliert; das Verhalten der AmtstrĂ€ger wird nicht problematisiert. AnlĂ€sslich der GrĂŒndung der Kommission fĂŒr Zeitgeschichte im Jahr 1962 hatte Kardinal Döpfner erklĂ€rt: »Die Kirche ist daran interessiert, daß die jĂŒngste Geschichte des deutschen Katholizismus umfassend erforscht und dargestellt wird. Sie scheut weder Ergebnisse noch Dokumente.«6 Die von den deutschen Bischöfen gegrĂŒndete Kommission sollte »systematisch die politische und soziale Geschichte des deutschen Katholizismus [...] erforschen«. Nach EinschĂ€tzung von Konrad Repgen war die Kommission einer einseitigen Schul- oder Lehrmeinung »nie verpflichtet«,7 doch die Grundtendenz ihrer Arbeit darf wohl beschrieben werden als Versuch einer Rechtfertigung der kirchenamtlichen Position und der Abwehr einer als ungerechtfertigt angesehenen Kritik, die seit Anfang der 1960er-Jahre sprunghaft angewachsen war. Wissenschaftliches und zum Teil auch apologetisch motiviertes Interesse an historischer Forschung fĂŒhrte zu einer FĂŒlle von Dokumentationen und Untersuchungen, wobei diejenigen, die von der Kommission fĂŒr Zeitgeschichte herausgegeben wurden, aufgrund ihrer Sorgfalt besonders hervorzuheben sind. In der bislang 140 BĂ€nde zĂ€hlenden Reihe »Forschungen« und den 60­ BĂ€nde zĂ€hlenden »Quellen« sind nach einem Urteil von Rudolf Lill »so gut wie alle Bereiche der Beziehungen und Kontraste zwischen Katholizismus und (nationalsozialistischem) Regime dargestellt« worden.8 Die Vielfalt der bearbeiteten Themen entspricht der »komplexe[n] Wirklichkeit«, die sich hinter dem Wort Katholizismus verbirgt. Es gibt Studien ĂŒber das Reichskonkordat, ĂŒber die Devisen- und Sittlichkeitsprozesse, ĂŒber den Schulkampf und den Kampf gegen die katholischen JugendverbĂ€nde, ĂŒber die Reglementierung und UnterdrĂŒckung des Pressewesens und vieles mehr. Doch bei der Frage nach dem VerhĂ€ltnis der katholischen Kirche zum Zweiten...

Table of contents

  1. Erinnern um der Zukunft willen