Die Welt ohne Hunger
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Die Welt ohne Hunger

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Die Welt ohne Hunger

About this book

Der Chemiker Alfred Bell steht kurz vor der Vollendung einer Formel, die den Hunger der Welt ein für alle Mal besiegen soll. Allerdings fehlt ihm jemand, der an seine Arbeit glaubt und sie finanziert. So reist Bell auf den abenteuerlichsten Wegen von Paris nach London und New York, trifft eitle Professoren, reiche Unternehmertöchter und zwielichtige Dema­gogen. Mit der Weigerung, seine Erfindung wirtschaftlich auszubeuten oder in den Dienst der Populisten zu stellen, macht er sich bald gefährliche Feinde.Der einzige Roman des viel zu jung verstorbenen Schriftstellers Alfred Bratt sorgte bei seinem Erscheinen 1916 für Aufsehen. "Die Welt ohne Hunger" erlangte innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Auflagen und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Auch heute hat der Roman nichts von seiner Spannung und Aktualität verloren.

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Information

Vierter Teil

Erstes Kapitel

Das Begräbnis Vivian Grahams hatte mit ungewöhnlichem Gepränge stattgefunden.
Alle Welt hatte die junge Vivian gekannt und bewundert. Nicht wenige hatten sie beneidet. Die Berühmtesten und Reichsten Alt-Englands wetteiferten, ihr das letzte Geleit zu geben. Seit der Bestattung der Herzogin von Connought hatte man in der St. Pauls Kathedrale keine so glanzvolle Messe erlebt. Die Residenzen der Adligen und Großindustriellen des Westend waren schwarz geflaggt, und das bekannte Geschäftshaus der Meat Company in Regent Street war vom Dach bis zum Erdgeschoß in wallenden Trauerflor gehüllt.
Viel besprochen wurde die Haltung Grahams am Begräbnistag.
C. W. Graham wohnte dem Hochamt nicht in der bekannten Kirchenloge der Familie bei, sondern unsichtbar in einer der hintersten Nischen. Auf dem Friedhof erwartete man vergeblich eine Ansprache an die Trauergäste. Ungebrochen, aber stumm hatte C. W. Graham vor der offenen Marmorgruft gestanden, und nur einmal hatte er die zusammengepreßten Lippen bewegt, um dem zur Grabrede bereiten Priester die Worte zuzumurmeln: »Machen Sie es kurz!«
Dann war Graham verschwunden – unmöglich, ihm auch nur die Hand zu drücken – und die zahllosen Kondolenzbesucher, die vor dem Grosvenor Palace vorfuhren, wurden nicht empfangen. So konnte man nur in der Gartenhalle dem Haushofmeister Karten und Blumen übergeben, und man schüttelte den Kopf über die Extravaganzen des amerikanischen Geldmagnaten, der sich selbst bei solchem Anlaß nicht der heiligen Tradition beugen wollte.
Graham hatte sich mit Gewalt aufrechtgehalten. Aber als er draußen auf dem nebligen Friedhof stand und die Trauertoiletten, die strahlenden Frühjahrszylinder neuester Form um sich versammelt sah, hatte er den Friedhof durch eine einsame Seitenallee verlassen und war allein mit sich und seinem Schmerz nach Hause gefahren.
In seinem Palast angelangt, befahl er, niemand einzulassen und die Blumen, deren Duft ihm schon im Treppenflur entgegenschlug, augenblicklich zu entfernen.
Dann schloß C. W. Graham sich in seinen Gemächern ein. Vergeblich suchte der Kammerdiener zu melden, daß das Lunch bereit sei, und auch das Dinner wurde unberührt wieder abgetragen. Kein Laut drang aus den Zimmern, kein Schritt, kein Atemzug.
Als auch abends nicht das geringste Lebenszeichen Grahams wahrnehmbar geworden war, versammelte sich die ängstlich gewordene Dienerschaft flüsternd in der Gartenhalle. Man beriet sich tuschelnd und mit den scheu verhaltenen Gebärden, die sich in jedem Haus einstellen, das der Tod besucht hat. Der Haushofmeister schlug vor, einen Arzt holen zu lassen, als plötzlich Graham erschien. So unerwartet stand er in der Treppentür, daß alle zusammenfuhren.
C. W. Graham trug einen Reisemantel und eine Handtasche. Er übergab dem Haushofmeister ein Bündel Papiere.
»Für meinen Sekretär in Regent Street.«
Wie seltsam heiser und verbraucht Grahams Stimme doch klang …
Dann schritt er zum Ausgang. Niemand hatte gewagt, ihm die Reisetasche abzunehmen. Das Schweigen blieb zurück.
»Für meinen Sekretär in Regent Street.« Kein Wort mehr. Kein Befehl, keine Adresse. Nichts.
»Gott straf mich«, murmelte der Kammerdiener, als die Schritte auf dem Kies des Vorgartens unhörbar geworden waren, »Gott straf mich, wenn der Herr nicht zu Fuß zum Bahnhof geht! …«
Graham erreichte auf der Charing Croß Station noch den letzten Kontinentalzug. Während der Fahrt durch die nächtliche Landschaft blickte er unverwandt zur Wagendecke, als erwarte er von dort die Antwort auf eine nicht zu Ende geformte Frage. Er sah nicht hinaus, aber an der Verminderung des Fahrtlärms stellte er in einer Art automatischer Sinneswachheit fest, daß der Zug die letzten Vorstadthäuser hinter sich gelassen hatte und das freie Land durchfuhr.
Das Gefühl des Losgelöstseins legte sich wie ein Schleier um Grahams Bewußtsein, während im Vobeisausen die Nacht von kühlen Feldern und Wiesen in das Abteil kroch.
In Dover erwachte Graham aus seiner Erstarrung erst, als ein Schaffner mit der Laterne in sein Gesicht leuchtete und ihn aufforderte, den leeren Zug zu verlassen. Und als er als letzter den Kanaldampfer betrat, wurde im nächsten Augenblick die Laufbrücke von dem bereits wendenden Schiff gezogen. Der Finsternis des Landes folgte die Finsternis der See. Eine Nacht rollte in die andere.
Graham war bereits in Calais zu ermüdet und vor allem zu gleichgültig, um die Reise ins Planlose fortzusetzen. Er hatte den Kanal zwischen sich und London gebracht, und das war alles, was sein Körper und seine Nerven gegenwärtig zu leisten vermochten. Er wollte Ruhe, nichts weiter …
Wahllos ging er in das erstbeste Haus am Strand. Es war ein großes Badehotel, und schon am ersten Tag wurde ihm der Aufenthalt hier unerträglich.
In seinem Zimmer, in den Gesellschaftsräumen, auf der Strandterrasse – überall richteten sich fast greifbar deutlich die Erinnerungen auf, um jeden seiner Schritte zu begleiten, um mit ihm aus dem Fenster zu lehnen, mit ihm über die Brüstung auf die gleichmütige Dünung zu blicken, neben dem Strandkorb zu rasten, in dem er saß. Sie erwachten am Morgen, wenn er sich nach quälendem Halbschlummer erhob, sie lasteten auf seinen Schultern, legten Eisenklammern um seine Stirn und brannten trocken in seinen Augen.
Da die toten Gegenstände sich mahnend zu beleben schienen, wandte Graham sich den Menschen zu. Aber auch hier trat ihm ein ähnliches, fast gespenstisches Phänomen entgegen. Es war, als besitze jedes Mädchen etwas – irgendeine kleine, unter anderen Umständen kaum bemerkbare, oft auch in Wirklichkeit gar nicht vorhandene Art der Bewegung, eine Rundung der Schulter, ein Streichen der Hand über die Rockfalten, eine Einzelheit der Haartracht, einen bezeichnenden Zug im Profil, die so und nicht anders bei Vivian gewesen waren.
Selbst die Kinder, die zwischen Sandburgen spielten, gaben Grahams Gedanken die gleiche schmerzlich-süße Richtung. Dieses kleine Mädchen – es mochte etwa zwölf Jahre alt sein –, das mit wehenden Locken barfuß der Flut entgegensprang – glich es nicht Vivian … Vivian vor sechs oder sieben Jahren, wenn sie in Norderney oder San Sebastian ihrem »Pa« entgegenlief, der zwischen zwei Geschäftssitzungen herbeigeeilt war, um seine Viv in die Arme zu drücken? Und diese Liliputprinzessin, die im Badeanzug umherkroch, um Muscheln zu suchen … war nicht auch sie ein geisterhaft hervorgezaubertes Bild aus Klein-Vivians Zeiten? …
Bald konnte Graham auch die Menschen nicht mehr betrachten, ohne in starres Sinnen zu verfallen, in dessen Abgründe er sich nicht verlieren konnte, nicht verlieren durfte, wenn er dem, was ihn noch an diese Welt fesselte, nicht für immer entsagen sollte!
Denn tief in den Kammern des Bewußtseins, dort wo die Gedanken keine feste Form, sondern nur noch verschwindende, tastend zu ahnende Umrisse haben, verstummte auch jetzt noch ganz das eingewurzelte Gefühl, daß ihm noch Aufgaben verblieben, die erfüllt werden mußten. Seinem Leben? … nein; aber seiner Arbeit, die in Zukunft nur noch harte Pflicht sein konnte, Vollendung einer Linie, die selbst ein Mann wie Graham nicht abzuschneiden wagte. Aber dieses Empfinden bot keine Erleichterung, war nur ein Band zu einem Dasein, das – einmal übernommen und so weit geführt – selbständige Macht erlangt hatte.
Nein – die Ruhe, die Graham suchte, war hier nicht zu finden.
Graham begann den Badestrand, das Hotel, die Promenaden zu fliehen. Er unternahm weite Spaziergänge am Meer; aber auch dann traf er manchmal noch Menschen aus seiner Welt; auch dann war er nicht völlig allein mit sich, der Natur und … dem anderen.
Auf einem dieser immer weiter ausgedehnten Streifzüge gelangte Graham in ein Fischerdorf. Er war lange und schnell ausgeschritten – er hatte keine Eile, aber das Ausnützen der Zeit lag ihm im Blut – und dann stand er auf einer Klippe, zu deren Höhe der heidnische Ton der See drang. Unten, zwischen Sand und Meer gebettet, lag das Dorf. Nur ein paar winzige Fischerhäuser, mit Schilf und Torf gedeckt, ein ärmliches Dorf in einem vergessenen Winkel.
Beim Anblick dieser bescheidensten aller Fischersiedlungen verspürte Graham zum ersten Mal wieder einen Hauch des Friedens. Dort unten waren Ruhe und Vergessen, dort stieg blauer Rauch über salzdurchtränkte Torfziegel, dort war das Leben erträglich und lind in seiner primitiven Anspruchslosigkeit.
Graham stieg den Hang hinab … Strandgräser raschelten unter seinen Füßen, und der Sand rieselte vor ihm her, als wollte er den Weg weisen.
Auch hier lebten Menschen … ach ja; aber es waren Fischer – der Heide, den Riffen und dem Meer verwandt. Sie saßen auf der Bank vor der Tür und schwiegen, während sie ihre Pfeifen rauchten. Ja … hier schwiegen die Menschen, einzig die Wellen hatten das Wort.
Ob ein Zimmer zu vermieten sei.
Ach, du guter Gott – eine Kammer, allerdings – aber das war nichts für den Herrn – zu gering und eng und keinerlei Bequemlichkeit …
Graham besah die Kammer. Das Fenster war eine Luke, aber groß genug, um den Geruch des Torfes und das Brausen der See hereinzulassen; und klein genug, daß man das Gefühl haben konnte, von allem Leben abgeschlossen zu sein.
Graham blieb. Ein halbwüchsiger Junge wurde gerufen und riß die Augen auf beim Anblick der Scheine, die er bekam, um nach Calais zu laufen und eine Handtasche zu holen.
Graham blieb zwischen den Fischern und ihren Hütten. Und als er auf der Bank neben dem alten François saß – er war Lotse gewesen in jüngeren Tagen, ach ja, er hatte die feinen Leute gekannt, die auf den Dampfern fahren –, da lehnte Graham auch die Pfeife nicht ab, die mit einem dunklen Kraut gefüllt wurde, das knisterte und Funken gab.
Graham rauchte, der greise Fischer rauchte.
Das Meer glitt in den Abend hinein.
Und während die Sandwehen vom Hügel zum Dorf herniederwanderten, besann Graham sich auf manches, das er seit Jahren vergessen hatte … auf den Atem der Natur, der nichts ist als Atem und Ursprünglichkeit, und der darin Genüge findet, den Sand raunen zu machen und das Schilfgras zu wiegen. –
Viele Wochen vergingen, und bald hatte das Fischervolk sich an den fremden Gast gewöhnt, als wäre er seit jeher hier gewesen. Die Jungen, die zwischen den Strandpflöcken mit dem Reinigen der Boote beschäftigt waren, ließen sich nicht in ihrer Arbeit stören und gafften auch nicht mehr erstaunt, wenn er vorüberkam. Und die Frauen nickten einen stummen Gruß, während sie sich über die Netze beugten, deren Risse sie mit geübten Händen zusammenflickten.
Langsam fand Graham eine Art notdürftigen Gleichgewichts. In der Hast der Jahre Vergessenes tauchte wieder auf. Er dachte an das bescheidene Heim bei Chicago, in dem er aufgewachsen war, an seine ersten kleinen Unternehmungen, an das Expeditionsgeschäft in der Chicagoer South Water Street und an die ersten, geringfügigen Abschlüsse, die er mit dem bewunderten Beherrscher der Stadt, dem Fleischkönig Armour, gemacht hatte. Seither war er selbst viel größer geworden als Armour es jemals gewesen; er hatte Armour und Swift und alle die anderen Fleischexporteure aufgekauft, aber jene glücklichen Anfänge dünkten ihn die schönsten Erfolge. Er dachte an die schlaflosen Nächte und die Anstrengungen jener Zeit; an das kurze Glück seiner Ehe. Sei...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. Inhalt
  4. Erster Teil
  5. Zweiter Teil
  6. Dritter Teil
  7. Vierter Teil
  8. Von Kaffeehausprinzen und Maggiwürfeln: über das viel zu kurze Leben des Schriftstellers Alfred Bratt
  9. Anmerkungen
  10. Impressum