Honecker privat
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Ein Personenschützer berichtet

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Honecker privat

Ein Personenschützer berichtet

About this book

Lothar Herzog arbeitete viele Jahre in Wandlitz und begleitete Erich Honecker auf Reisen. Er deckte nicht nur den Tisch und servierte die Speisen in Wandlitz, sondern sorgte auch sonst und an anderen Orten für das Wohlbefinden und die Sicherheit seines Chefs. Die anekdotisch reflektierten Jahre vermitteln einen gleichermaßen informativen und unterhaltsamen Einblick in das Privatleben der Mächtigen im Lande, auf die der Spruch des polnischen Aphoristikers Stanislaw Jerzy Lec selbstredend zutraf: "Auch auf einem Thron werden Hosen durchgesessen."

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Information

Year
2012
Print ISBN
9783360021434
eBook ISBN
9783360500175
Honecker: die frühen Jahre
Die Idee stammte von Jost Becker, ich fand sie reichlich bescheuert. Aber wenn der Leiter der Protokollabteilung beim Zentralkomitee Würste auf der Leine wollte, dann sollte er sie eben bekommen. EH machte Urlaub auf Vilm, und die Russen aus Wünsdorf hatten sich zum Besuch angesagt. Da musste es wieder mal was Ausgefallenes sein. Würste an der Wäscheleine – das war doch keine originelle Idee, das war zum Piepen. Ich musste unwillkürlich an Pieter Brueghels Schlaraffenland denken. Auf dem Gemälde hingen zwar keine Würste an der Leine, aber unter einer Tafel lagen drei vollgefressene, dickbäuchige Faulenzer und grunzten. Sie mussten nur den Mund öffnen, und schon landete alles in ihrem Schlund: Gebratenes und Gesottenes, auch Würste, und Wein floss aus einem umgestürzten Krug direkt in ihren Mund …
Welchen Eindruck würden die Generäle der GSSD, der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, davon mitnehmen? Wir hatten die Tische auf die Terrasse gezogen und für fünfzehn Personen eingedeckt: verschiedene Brotsorten aus unserer Bäckerei in Wandlitz, Aufschnitt, Bouletten, Zwiebel, Gurke und Tomaten, Bier, Korn und Weinbrand, nichts Übertriebenes, einfach und rustikal. Wenn nur nicht diese albernen Würste und das Bund Zwiebeln mit Lauch wären, die den Gästen dann dauernd vor der Nase baumelten. Die Wurst kam aus Eberswalde, im dortigen Kombinat verstand man sich darauf. Der Chef zog Eberswalder jeder ungarischen Salami vor. Warum er die Wurst aus der Puszta nicht sonderlich schätzte, habe ich nie zu ergründen versucht: Sie kam jedenfalls bei ihm nicht auf den Tisch. Einzig Thüringer Wurst schätzte er noch mehr als die aus Eberswalde, was auch nicht verwunderlich war: In Thüringen machte man seit Menschengedenken die beste Wurst in ganz Deutschland. Lag’s am Wasser, an den Gewürzmischungen, am Holz im Rauchfang?
Im Urlaub und auch sonst trank der Chef DAB aus der Büchse. Nur wenn Gäste kamen oder bei offiziellen Anlässen präferierte er Radeberger. Was er an dem Billig-Bier aus Dortmund mochte, noch dazu aus der Büchse, wussten die Götter. Aber es war halt eben so.
Im Sommer machten Honeckers immer Urlaub auf der Insel Vilm. Das Eiland lag wie ein Wal vor der Insel Rügen: Der südliche Teil zog sich breit auseinander wie eine Schwanzflosse, und der obere Teil war massig wie ein Walkörper. Von Kopf bis Schwanz maß sie zweieinhalb Kilometer. Alles in allem bedeckte die Insel keinen Quadratkilometer, die höchste Erhebung ragte knapp vierzig Meter übers Wasser. Etwas Strand, etwas Steilküste, Buchen- und Eichenwald – und dazu elf reetgedeckte Häuser und eine Schiffsanlegestelle für die beiden Boote der Volksmarine aus Lauterbach, die die Verbindung über die drei Kilometer zur Insel Rügen hielten. Das Festland im Süden war etwa zwanzig Kilometer weit weg.
Ausgerechnet die Nazis hatten Vilm 1936 unter Naturschutz gestellt. Der Badetourismus aus Putbus, genau ein halbes Jahrhundert zuvor eröffnet, hatte die Insel derart geschädigt, dass man sie schloss. Nach dem Ende des Krieges lebte der Tourismus wieder auf; allein an den Wochenenden drängten sich auf den wenigen Quadratmetern mitunter über tausend Ausflügler. Ende der 50er Jahre entschied Berlin, diese Art öffentliche Nutzung zu beenden. Fast drei Jahrzehnte wurde Vilm als Urlaubsinsel des DDR-Ministerrates genutzt. Das war nichts Ungewöhnliches: Staatsoberhäupter in aller Welt bevorzugten Inseln als Sommerresidenz. Auf Brioni, einer von vierzehn kroatischen Inseln in der Adria, empfing beispielsweise Josip Broz Tito seit 1947 Staatsgäste und Hollywoodstars. Auf Brioni wurde 1956 auch die Bewegung der Blockfreien mit Nehru und Nasser aus der Taufe gehoben.
Anders auf Vilm. Dort spannte man in der Abgeschiedenheit aus – auch wenn täglich ein Kurier Post und Zeitungen aus der Hauptstadt brachte. Es steht zu bezweifeln, dass alle diese Ruhe und den Müßiggang so schätzten wie EH. Von Gerhard Beil ist überliefert, dass er einmal von Honecker zum Urlaub eingeladen wurde und sich zu Tode auf der Insel langweilte, weshalb er, um Wiederholung zu vermeiden und um nicht unhöflich zu erscheinen, rechtzeitig unaufschiebbare Dienstreisen terminierte.
So hatte er immer einen Grund, bedauernd Honeckers Einladung abzulehnen. Dieser spulte sein Programm ab: Frühstück, Zeitungs- und Aktenstudium, ein wenig die Beine vertreten, Mittagessen und kleines Nickerchen, danach ein Stückchen Kuchen – entweder Kirsch- oder Apfelstreusel, auf keinen Fall Creme- oder Sahnetorten – und dazu Nescafé.
Auch dies eines der großen Welträtsel, warum Honecker auf löslichen Kaffee so abfuhr. Jeder Mensch trank Bohnenkaffee, nichts duftete angenehmer als frisch gemahlene, nicht zu scharf gebrannte Kaffeebohnen, und schließlich das feine Aroma von frisch Gebrühtem. Nein, es musste bitterer Instantkaffee sein, der den Namen »Kaffee nicht verdiente. Und jeden Abend gab es eine Filmvorführung.
Margot Honecker beschäftigte sich mit Tochter Sonja, später mit Enkel Roberto, sie war ein Familienmensch und, anders als ihr Mann, noch immer ein starker Raucher. Ich musste dafür sorgen, dass immer genügend HB im Haus waren. Mir schien das Verhältnis zwischen meinem Chef und seiner Frau ein wenig distanziert, ein turtelndes Liebespaar waren sie nicht. EH zeigte nie Gefühle, und auch sie war stets von kühler Ratio beherrscht. Das änderte sich nach meiner Beobachtung, als Enkel Roberto in ihrer beider Leben trat. Als Großeltern zeigten sie normale menschliche Regungen.
Dieser entschleunigte Tagesablauf im Urlaub, der für andere darum wenig attraktiv war, wurde mit der Unerbittlichkeit eines Uhrwerks absolviert. Deshalb drängte es nur wenige, mit EH gemeinsam den Urlaub zu verbringen, egal wo. Es wurden ohnehin allenfalls vier Häuser für urlaubende Familien auf Volm reserviert, denn in den übrigen Objekten wurden das Service-Personal, die Personenschützer, die Ärztin und eine Physiotherapeutin untergebracht.
Für mich begann der Tag mit der Vorbereitung des Frühstücks. Die Lebensmittel kamen frisch von Lauterbach herüber, die Brötchen aus unserer Bäckerei in Wandlitz. Er verzehrte davon zwei, dazu gab es Ei in unterschiedlicher Form: gekocht, gebraten mit Schinken, also very british, gerührt oder als Spiegelei.
Die Krönung der Tafel war Honig. Der musste von Langnese sein. Ich wurde den Verdacht nicht los, dass diese Affinität aus Kindheitstagen rührte.
Die Hamburger Biskuit-Firma des Exportkaufmanns V. E. H. Langnese produzierte seit 1888 Honig und dieser war schon bekannt und berühmt, als Honecker noch im Saarland in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs. Vielleicht erfüllte er sich mit dem täglichen Löffel Langnese-Honig einen seiner Kinderträume. Zuvor, natürlich, gab es die Zitrone.
Ich hatte den Eindruck, dass in jenem Sommer 1972 ein Experiment erfolgte, dessen Teil ich war. Im Jahr zuvor, auf dem VIII. Parteitag der SED, war Honecker zum Ersten Sekretär gewählt worden. Er brach mit allen Gewohnheiten seines Vorgängers und legte erkennbar Wert darauf, in der politischen Führung als Gleicher unter Gleichen zu gelten. Zu den wenigen Privilegien, die sich Staats- und Parteichef Ulbricht bewilligt hatte, gehörte eine Abteilung, die sich um sein Wohl und Wehe kümmerte – vom Personenschützer über Koch und Kellner bis hin zu medizinischem Personal. Honecker, keine sechzig und gesund, meinte darauf verzichten zu können und löste diese Abteilung auf. Er wollte bescheiden und unprätentiös erscheinen. Trotzdem bestand für den ersten Mann im Staate objektiv ein erhöhtes Sicherheitsrisiko und -interesse, und dass es auch im sonst friedlichen Zentraleuropa verheerende Terroranschläge geben konnte, sollte man in München während der Olympischen Sommerspiele nachdrücklich vorgeführt bekommen. Anfang Septembe 1972 starben dort 17 Menschen, übrigens unter Mitwirkung von deutschen Neonazis, wie im Juni 2012 vom Bundesamt für Verfassungsschutz freigegebene Akten offenbarten.
Als ich im Sommer ’72 erstmals zu Honeckers Urlaubsbetreuung abkommandiert wurde, war ich bereits zehn Jahre beim MfS. Meine Vorgesetzten, und da denke ich zuerst an den Minister, wollten wahrscheinlich die von Erich Honecker aufgelöste Ulbricht-Abteilung reanimieren: aus welchen Gründen auch immer. So schickte man mich als persönlichen Kellner auf die Insel Vilm. Ich war einfach da. Und meine Chefs wollten sehen, wie EH darauf reagierte. Er nahm mich wahr und sagte kein einziges Wort. Der Versuchsballon war erfolgreich gestartet. Schon bald sollte es wieder eine Betreuungsgruppe geben, die weitaus größer war als die aufgelöste Abteilung des Vorgängers.
Ich trug in der Hosentasche eine tschechische Pistole mit dem Namen »Duo«. Die Waffe mit dem Kaliber 6,35 mm war nicht größer als mein Handteller, weshalb sie von manchem nur abschätzig »Pistölchen« genannt wurde. Mich störte lediglich, dass es kein Holster gab, weshalb ich sie lose in der Hosentasche trug. Und damit sie beim Laufen nicht scheuerte, schlug ich sie in ein Taschentuch ein.
Meine einzige militärische Ausbildung erfolgte an drei Tagen im Jahr, dazu gehörte auch das Schießtraining.
Mit dem »Pistölchen« traf ich immer ins Schwarze. Trotzdem hatte ich kein Verhältnis zu dieser wie zu jeder anderen Waffe, ich empfand sie als störend. Wenn ich Honecker das Essen auftrug oder die leeren Teller abräumte, sperrte sich das Metall in meiner Hose.
Sofern sich Gelegenheit ergab, legte ich das Ding darum beiseite. So auch einmal, als wir mit dem Regierungszug unterwegs waren. Ich packte das Schießeisen in den Kühlschrank – und vergaß es dort beim Aussteigen. Am nächsten Tag durfte ich bei Generalleutnant Franz Gold antreten. Er leitete seit 1950, also faktisch seit Anbeginn, die Hauptabteilung Personenschutz. Gold war als Wehrmachtsoldat zur Roten Armee übergelaufen, gehörte zu den Mitbegründern des Nationalkomitees »Freies Deutschland« und hatte als Partisan in der Slowakei gegen die Nazis gekämpft. Er war eine Persönlichkeit mit Charakter.
General Gold zog ein Schubfach auf, holte meine Pistole hervor und legte sie vor mich auf die Platte. Wenn Sie sie nicht brauchen, sagte er ganz ruhig, dann geben Sie die Waffe eben ab. Mehr nicht. Jeder andere an seiner Stelle hätte mich möglicherweise zusammengefaltet, bestraft, degradiert, was weiß ich. Ich hatte meine Waffe verloren, was in den Augen der meisten Militärs unverzeihlich war. Franz Gold aber sagte seelenruhig, ich solle sie abgeben, wenn ich sie nicht brauche.
Natürlich brauchte ich sie nicht. Das hatte er sehr richtig erkannt. Warum also sollte ich beim Kellnern eine Pistole mit mir herumtragen? Ehe ich im Ernstfall den Teller fallengelassen und sie aus dem Taschentuch gewickelt hätte, wäre ich schon längst mausetot. Und Honecker gewiss auch.
Also gab ich nach zwei Jahren meine Pistole beim Waffenwart ab. Ich habe nie wieder eine getragen.
Ich war in den Folgejahren regelmäßig im Sommer auf der Insel und erfüllte meinen Auftrag, die Wünsche der mir Anempfohlenen von deren Augen abzulesen. Von Vilm ging es direkt auf die Krim zum Treffen mit Leonid Breshnew. Wir flogen mit dem Hubschrauber ab Lauterbach entweder nach Marxwalde, das heute Neuhardenberg heißt, oder nach Berlin-Schönefeld. Von dort starteten wir nach Simferopol.
In Marxwalde war die Regierungsfliegerstaffel stationiert. Die Start- und Landebahn war für IL 14 und IL 18 ausgelegt, den ersten Dienstfahrzeugen der Regierungsmannschaft. Danach wurde die TU 124 und die TU 134 für diese Zwecke genutzt. Als jedoch der Langstreckenflieger IL 62 in die Staffel kam, erwies sich die Piste in Marxwalde als zu kurz. Deshalb flogen wir, wenn der große Vogel genommen wurde, ab Schönefeld.
Dieser Flugzeugtyp, von dem die INTERFLUG nach meiner Erinnerung 15 Maschinen besaß, beförderte üblicherweise an die 180 Passagiere. Im umgebauten Regierungsflieger saßen beim Flug zur Krim nur Erich Honecker, sein persönlicher Begleiter Adelhart Winkler (oder sein Stellvertreter Frank Lompscher), die Ärztin – meist Prof. Dr. Helga Wittbrodt, die Leiterin des Regierungskrankenhauses, oder Dr. Hannelore Banaschak, Chefärztin für Anästhesie im Regierungskrankenhaus, seine Leibärztin – sowie der Steward, also ich.
Bei einem der ersten Flüge passierte mir ein Malheur.
Ich musste in der Pantry auch die Speisen zubereiten. Inzwischen waren die sogenannten Schnellkochtöpfe in Mode gekommen, und auch an Bord gehörten sie zur Ausstattung. In Wandlitz und auf Vilm benutzten wir traditionelles Kochgeschirr, ich kannte mich damit nicht aus. Dass in dem fest verschlossenen Behältnis Überdruck herrschte, wodurch die Kochzeit verkürzt wurde, merkte ich erst, als mir die Kartoffeln in zehntausend Meter Höhe um die Ohren flogen. Ich hatte den Deckel in Unkenntnis falsch geöffnet. Ersatzkleidung hatte ich nicht dabei, ich konnte mich also nur notdürftig von meiner Garnierung säubern. Das war jedoch kein Drama: Honeckers Augen studierten, wie üblich, nur die Akten und nicht meinen Anzug. Oder er unterhielt sich mit der Ärztin.
Im Vorjahr, 1971, hatte erstmals der erste Mann der KPdSU und Führer des sozialistischen Lagers die Parteichefs der verbündeten Staaten zum Gespräch in sein Urlaubsdomizil bei Jalta geladen. Jene Begegnung wie auch die 1972 und 1973 fanden kollektiv statt. Dann pausierte Leonid Breshnew zwei Sommer lang. 1976 nahm er die Treffen wieder auf, diesmal jedoch erfolgten sie bilateral und unter Teilnahme eines Dolmetschers und des DDR-Botschafters.
Diese Begegnungen schienen nach meiner Wahrnehmung ohne genaue Terminierung zu erfolgen. Nach unserer Landung in Simferopol wurden wir in einem dortigen Hotel einquartiert, Honecker fuhr an die Küste und kam unweit von Breshnews Sommerresidenz in einem Gästehaus unter – und wartete. Er konnte sich die Zeit mit Schwimmen, Filmvorführungen und Billardspielen vertreiben – die Ausstattung des Gästehauses war wie die in Wandlitz, aber da wie dort nahm Honecker keinen Queue in die Hand. In Wandlitz sah ich nie einen der etwa fünfzig Bewohner Billard spielen. Dort lochte nur das Personal ein.
Erich Honecker wartete also geduldig in der Datscha, bis er von Breshnew empfangen wurde. Das konnte zwei bis drei Tage dauern. Nach dem Treffen ging es sofort zurück in die DDR zur Fortsetzung des Urlaubs auf Vilm. Offen gestanden: Ich fand diesen Umgang mit Honecker, immerhin Staats- und Parteichef, skandalös. Es war stillos und entwürdigend, ihn stets wie einen zufällig des Weges Kommenden warten zu lassen. Nach meiner Überzeugung handelte es sich nicht um Schlamperei von Breshnews Stab, der die Termine koordinierte, auch nicht um Übermittlungsfehler – so etwas passierte allenfalls ein Mal –, sondern das hatte Methode. Offenkundig wollte man ihm zeigen, wer hier das Sagen und wer sich anzustellen hatte. Erich Honecker nahm diese Demütigung schweigend hin. Auf dem Rückflug benahm er sich wie immer. Keine Unmutsbekundung, keine schlechte Laune, nichts. Er schluckte alles runter und verlor darüber kein böses Wort. Da war er loyal bis zur Selbstaufgabe.
Ob diese persönlichen Begegnungen in Jalta politisch und menschlich tatsächlich etwas brachten, steht dahin. Die Wissenschaftler, die später die Protokolle auswerteten, stellen dies in Abrede. Im Wesentlichen habe es sich um zwei Monologe gehandelt, nicht um einen Dialog, kein entspanntes, in Urlaubsatmosphäre geführtes Gespräch zweier vermeintlich befreundeter Staatsmänner.
Wie wurde ich Personenschützer?
Auftraggemäß meldete ich mich Mitte Januar 1962 in der Hauptabteilung Personenschutz in Berlin. Ich fragte mich zu der Dienststelle in der Schnellerstraße in Treptow durch. Dort wurde ich zwei Tage unterwiesen, danach unterzeichnete ich eine Verpflichtungserklärung, die ich zuvor nach Diktat handschriftlich zu Papier gebracht hatte. Ich sollte fortan jederzeit und an jedem Ort meinem Staat DDR treu dienen, gegenüber jedermann über meine Arbeit Stillschweigen wahren (auch gegenüber den Eltern, dem Ehepartner und den Kindern), übertragene Aufgaben gewissenhaft erfüllen sowie Befehle und Weisungen ohne Diskussion pflichtbewusst ausführen und so weiter.
Ich bekam einen Dienstausweis mit dem Verbot ausgehändigt, mir unter keinen Umständen damit persönliche Vorteile zu verschaffen.
Somit war ich offiziell Mitarbeiter des MfS, aber eigentlich nur konspirativ: Es durfte ja niemand aus meiner Umgebung wissen.
Meine Arbeitsstelle sollte sich in der Waldsiedlung in der Nähe von Bernau befinden. Ich hatte davon noch nie etwas gehört und folglich keine Vorstellung, was mich dort erwartete.
Ich bezog ein Bett in einem Ledigenwohnheim in Karlshorst. Das Zimmer teilte ich mit einem Bäcker.
Der Raum war ziemlich groß und wurde mit einem Kohleofen beheizt. Unsere Wohngemeinschaft bestand nicht lange. Der Bäcker wurde morgens 3 Uhr mit einem Auto abgeholt und nach Wandlitz gefahren, wo er – wie jeder andere Bäcker in der Stadt – Schrippen und Brot in den Ofen schob. Ich hingegen arbeitete in einem sogenannten Zwei-Schicht-System, das hieß wochenweise entweder von 7 bis 16.30 Uhr oder von 15 bis 23 Uhr. Man quartierte mich um. Fortan teilte ich ein Zimmer mit einem Koch und einem Filmvorführer. Das waren umgängliche Leut...

Table of contents

  1. Cover
  2. Impressum
  3. Titel
  4. Inhalt
  5. Zitrone zum Kaffee
  6. Honecker: die frühen Jahre
  7. Über den Wolken
  8. Wir entdecken die Welt. Und die Welt entdeckt uns
  9. Per Bahn mit Willi zu Willy
  10. Diplomatenjagd und andere Abschüsse
  11. Die große Welt und der kleine Staatsmann
  12. Der Dollar fällt
  13. Blöde Töle