Im Leben gibt es keine Proben
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Im Leben gibt es keine Proben

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Im Leben gibt es keine Proben

About this book

Blonder Strubbelkopf, aus den Augen blickt der Schalk, Lebensspuren im hellwachen, klugen Gesicht. Von dieser Frau lässt man sich gern etwas erzählen über das Leben und über die Kunst, der sie sich mit Haut und Haar verschrieben hat. Als Elfjährige wurde sie fürs Fernsehen entdeckt, trat in der Kinderkabarettgruppe auf, bekam erste Filmrollen. Mit der Gage brachte sie den Familienhaushalt auf Vordermann und nahm auch sonst die Zügel in die Hand. Noch vor Beendigung der Schule wurde sie als jüngste Studentin an die Film- und Fernsehhochschule Potsdam aufgenommen. "In der DDR war sie ein Star", schrieb "Die Zeit". Wer sie als Grusche, als Shen Te, als Eva im "Puntila", wer sie in den großen Besson-, Marquardt- und Langhoff-Inszenierungen erlebt hat, widerspricht da nicht. Aber ein Star? Nebbich. Es geht um Schauspielkunst, um eine einzigartige Wandlungsfähigkeit, um Präzision und Disziplin und Wortgenauigkeit, die das Spiel der Antoni auf der Bühne und noch in der kleinsten Filmnebenrolle unverwechselbar und unvergesslich machen.

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Information

Year
2013
eBook ISBN
9783360500359
Westwind weht
Eine der ersten Handlungen der fünf neuen Herren bestand darin, den Rundhorizont auf der Bühne entfernen zu lassen, den Brecht einst wegen seiner wunderbaren Akustik hoch gelobt hatte. Die zweite Handlung: Der Zuschauerraum wurde teilweise Spielfläche.
Die Intendanten liefen durch das Haus und über den Hof, mieden Gespräche mit uns, überließen dem Geschäftsführer, mit dem Ensemble zu verhandeln, zu schlichten und zu glätten.
Der Westwind wehte neue Regisseure ins Haus, und die brachten ihre eigenen Protagonisten mit aus Bonn, Hamburg, Bochum, München und sonst woher, Martin Wuttke, Volker Spengler, Margarita Broich, Gert Voss und viele andere.
Regieassistenten aller Art wuselten im Haus herum, keiner von ihnen aber vermochte es, den Glanz des einst so berühmten Ensembles aufzupolieren. In jener Zeit spielte das BE im Berliner Theaterleben keine Rolle. Sensationelles gab es am Deutschen Theater, wo Thomas Langhoff inszenierte. Man sprach über Frank Castorfs Volksbühne, der Christoph Marthaler und Christoph Schlingensief engagiert hatte, und über Leander Haußmanns Klassiker-Inszenierungen am Schillertheater, so lange es das noch gab.
Die alten Herren nahmen bewährte Brecht-Stücke – bis auf Baal und Galileo Galilei – aus dem Spielplan, eine weitere fatale Entscheidung. Allein Heiner Müllers Inszenierung des Arturo Ui mit Martin Wuttke wurde, wie einst die Aufführung mit Ekke Schall, ein Welterfolg. Über vierhundert Mal wurde es gespielt. Aber sonst? Shakespeares Kaufmann von Venedig und Antonius und Cleopatra, Charly Chaplins schwarze Komödie aus dem Jahr 1947 Monsieur Verdoux, George Cesare Zavattinis Wunder von Mailand. Unaufregende Theaterkost eben. Und wenige Frauenrollen.
Nur Wessis in Weimar in der Regie von Einar Schleef lief mit Erfolg, aber mit Schleef konnte Zadek nicht.
Was für Stücke sollte man jetzt spielen, die irgendeine Wirkung haben könnten? Über die menschlichen Katastrophen jener Zeit gab es keine Stücke.
Damals sagte ich mir, nun, da ich nicht wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen gekündigt worden bin, gehe ich nicht weg. Ich freute mich, dass all jene zu uns kamen, mit denen ich schon immer gern gearbeitet hätte. Wir kannten die meisten ihrer Arbeiten, denn wir hatten uns in der DDR Videos von Inszenierungen geborgt und bestaunt, von Peter Zadek und Peter Stein, von Andrea Breth und Claus Peymann, hatten Rezensionen ihrer Arbeiten gelesen, uns informiert. Ich glaubte fest, sie hätten sich auch über uns informiert, wo sie es doch nun mit uns zu tun bekamen.
Wie naiv! Wir waren ihnen offenbar egal.
Peter Palitzsch hielt mich für eine Maskenbildnerin.
Peter Zadek bat mich an einem späten Nachmittag, bei ihm vorzusprechen. Am Abend stand Der gute Mensch von Sezuan auf dem Spielplan, ich gab die Shen Te. Sagte: »Sehen Sie sich doch nachher die Vorstellung an.«
Er kam, aber schon nach kurzer Zeit hörte ich die Regielogentür klappen, er war verschwunden.
Am nächsten Tag begegneten wir uns auf dem Hof, ich fragte arglos: »Hat es Ihnen gefallen?« Da sagte er: »Wissen Sie, ich kann so starke Frauen wie Sie nicht so gut leiden.«
»Und ich kann schwache Männer nicht so gut leiden.«
Das schoss spontan aus mir raus, obwohl ich seine Arbeit bewunderte. War es die Arroganz, die in seiner Stimme mitschwang, fühlte ich mich provoziert, empfand ich seine Worte als Frechheit, ich weiß es nicht mehr, vielleicht alles zusammen. Jedenfalls hatte sich damit eine Zusammenarbeit erledigt. Er grüßte mich nicht mehr, strafte mich mit Missachtung. Sehr männlich.
Einar Schleef kam ans Haus zurück, wieder hoffte ich vergeblich auf eine Besetzung, erst viel später bekam ich im Puntila eine Rolle.
Nur Fritz Marquardt besetzte mich noch, ich spielte in Der arme Vetter und in Juno und der Pfau mit Hermann Beyer und Dieter Montag, den alten Volksbühnen-Kollegen.
Fritz und ich sind einen langen Weg gemeinsam gegangen, schon als ich an der Filmhochschule war, unterrichtete er dort hin und wieder. Wir hatten zusammen Filme gedreht, Platow und Kindheit zum Beispiel, und ich spielte in seinen Volksbühnen-Inszenierungen Avantgarde und Weiberkomödie.
Fritz ist ein Unikum, klug, besessen, ein Wahrheitsfanatiker, ein Clown, ein bodenständiger Eigenbrötler, unbestechlich und mit einer großen Liebe zu den dunklen Theaterstücken, denen von Barlach und Ibsen. Vielleicht interessierten ihn auch nur besonders die Gescheiterten, die tragischen Figuren. Denke ich an jene Zeit zurück, lag das sicher nahe. Jedenfalls war Fritz Marquardt damals einer der wenigen, mit denen man über Theater reden konnte, auch wenn seine Finsternis zunahm, was sicherlich dieser unseligen Konstruktion der Intendanz geschuldet war.
Er trug, solange ich mich erinnern kann, eine schwarze Mütze. Wenn er sie lüftete, glich das dem Ätna – er spie Feuer oder Kritik. Fritz mit den buschigen Augenbrauen, immer in Bewegung, mit beiden Händen in der Luft rudernd, Laute ausstoßend, stöhnend oder verschmitzt drohend – mir fallen viele seiner Gesten ein, die wir Schauspieler oft im Spaß nachahmten.
Er lebt jetzt, da ich das schreibe, in seinem Landhaus in der Uckermark, malt und schreibt. Im Sommer 2008 ehrten und feierten wir ihn zu seinem 80. Geburtstag.
Diese Zeit hatte einen merkwürdigen Sound, es war der Blues, schwere Rhythmen zwischen Euphorie und Trauer.
Die auch fürs Künstlerische so ersehnte deutsche Einheit funktionierte am Berliner Ensemble nicht. Ich war enttäuscht, wie wenig von der versprochenen Demokratie und dem Mitspracherecht ich gebrauchen konnte an dem neuen Berliner Ensemble, der Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
Der Erste, der schon bald vom Tritt sprang, war Langhoff. Marquardt, Palitzsch und Zadek folgten ihm. Für kurze Zeit tauchte Eva Matthes als Gesellschafterin auf und verschwand wieder. Nach drei Jahren war Heiner Müller allein übriggeblieben.
Unbekannte und auch unbegabte Regisseure sprachen mit uns, als wären wir ABC-Schützen. Sie stellten keine Konzeptionen vor, sagten: »Spielt einfach, wie euch ist.« Wie spielt man, wenn einem nach gar nichts ist?
Für uns Ost-Schauspieler blieb nicht viel an Rollenauswahl. Wir waren das Beiwerk, die unbekannten Kollegen, fremd im eigenen Haus. Es verlangte den ganzen Enthusiasmus dieses Berufes, nicht zu verzweifeln an diesen kleinen Wurzen, die man uns zu spielen gab. Eine ungewohnte, unbefriedigende Situation. Das war kein Ensemble mehr, noch nicht einmal ein Team. Es bezeichnete sich so hochtrabend als das »Neue« und bot nicht viel mehr als Mittelmaß.
Ein Lichtblick war für Annemone Haase, Christine Gloger und mich Hölderlins Pharsalia, das Stephan Suschke für die Probebühne inszenierte.
Gelegentlich saß eine oder einer der Neuen mit am Tisch in der Kantine, und manchmal kam eine Frage nach unserem früheren Künstlerleben. Wir berichteten kurz und knapp, ohne diese Bugwelle, mit der man uns entgegenkam. Wir wurden für einen Augenblick bestaunt, dann wehte rasch wieder der Westwind. Ich begriff schnell, dass man an das berühmte Berliner Ensemble ging, um seine Vita zu schmücken. Besetzt zu werden von einem bekannten Regisseur, an diesem Haus gespielt zu haben, das wertet die Biografie ungemein auf.
Einmal saß ich mit einem jüngeren Kollegen in der Kantine, der ein halbes Jahr am BE war. Er raunte mir allen Ernstes mit bedeutender Miene zu: »Ich wünschte dir, mal Heiner Müller zu begegnen, mit dem bin ich befreundet.«
So, so. Mir verschlug es die Sprache, und das will was heißen. Ich habe anerkennend genickt, mir war nicht danach, den jungen Mann aufzuklären.
Mit Heiner Müller trank ich an meinem fünfzigsten Geburtstag den dritten und letzten Whisky, das war im August 1995 im Brecht-Haus in der Chausseestraße. Die Krankheit hatte ihn schon sehr gezeichnet. »Den nächsten Whisky dann da drüben«, sagte er und zeigte auf den Friedhof. Im Dezember darauf ist er gestorben.
Den ersten Whisky hatte ich mit ihm fünfundzwanzig Jahre davor in der Volksbühne getrunken. Für den zweiten Whisky, den ich spendierte, schrieb er mir ein paar Zeilen auf einen Zettel. Die fand ich später wieder in seinem Gedicht Theatertod:
»Leeres Theater. Auf der Bühne stirbt
Ein Spieler nach den Regeln seiner Kunst
Den Dolch im Nacken. Ausgerast die Brunst
Ein letztes Solo, das um Beifall wirbt
Und keine Hand. In einer Loge, leer
Wie das T...

Table of contents

  1. Impressum
  2. Titel
  3. Widmung
  4. Christoph Hein – Die Antoni
  5. Prolog
  6. Nachkriegs-Kindheit
  7. Kinderfernsehen und erwachsen werden
  8. Mauer-Sommer
  9. Ich werde Schauspielerin
  10. HO-Theater Potsdam
  11. Die Fundgrube
  12. Erste eigene Wohnung
  13. Mein erstes Berliner Theater
  14. Aufbruch von der Volksbühne
  15. Endstation Sehnsucht: BE
  16. Verbotene Filme
  17. Feste feiern
  18. Gastspiele im Westen
  19. Karate Do
  20. Gastspielreisen auf Italienisch
  21. Vom Rollen lernen und von stillen Feen
  22. In der Schweiz
  23. November ’89
  24. Unbekannte-Ufer-Zeit oder: Es war in Schöneberg
  25. Westwind weht
  26. Warteschleifen
  27. Als Junge spielte ich Alte, nun spiele ich junge Alte
  28. Eine Sternstunde: Der Laden
  29. Mein letzter Liebesbrief an Malte
  30. Alles neu macht der Peymann
  31. Die Brecht-Frauen
  32. Die Tücken der Technik
  33. Der Rock
  34. »... die singt, wie Papa es wollte«
  35. Worte für Pit Reinecke
  36. Unterrichten und inszenieren
  37. Erlesene Lesungen
  38. Schnipsel aus dem Familiennähkästchen
  39. Rosarothe Zeiten
  40. Krause-Filme und krause Filmszenen
  41. Zweimal Teheran
  42. Brasilianische Begegnung
  43. Epilog