Bildungssystem
Gute Lehrer
Die Bildungschancen unserer Kinder hĂ€ngen nicht von der nĂ€chsten Schulreform ab. Nicht von der KlassenstĂ€rke, nicht von der Ausstattung des Chemielabors, nicht vom gestrichenen 13. Schuljahr. Was wirklich zĂ€hlt, sind die Menschen, die vor der Tafel stehen. Warum reden wir viel zu wenig darĂŒber, wie entscheidend jeder Lehrer ist? Und dass dieser Beruf die Besten der Besten anlocken sollte?
von Christoph Kucklick
Klassentest: Ein wirklicher guter Lehrer trifft auf eine hoffnungslose Klasse. Ergebnis: Höchstleistungen und Zukunftschancen
Als Stavros Louca die Treppe der Johannes-Schule im schwedischen Malmö zum ersten Mal emporsteigt, knetet seine rechte Hand ein Taschentuch, als wolle sie es auspressen. Ein Verkehrsstau hat ihn aufgehalten, das hĂ€tte nicht passieren dĂŒrfen am ersten Tag der schwierigsten Aufgabe seines Lebens.
Louca zwingt sich zu einem LĂ€cheln, wĂ€hrend er den Klassenraum der 9a betritt: âTypisch griechisch, denkt ihr vermutlich, immer zu spĂ€tâ, sagt er den 20 SchĂŒlern, die nicht ahnen können, was mit ihnen in den nĂ€chsten Monaten geschehen wird. âAber glaubt mir: Ich verlange Besseres von mir, als unpĂŒnktlich zu sein. Und ich verlange Besseres von euch. Denn ich bin sehr, sehr, sehr, sehr nett â aber auch sehr fordernd.â
Dies ist der Erstkontakt in einem Experiment. Lehrergewerkschaften haben es bekĂ€mpft, Fachleute es als vermessen bespöttelt. Vielleicht, weil es so einfach ist: Die 9a der Johannes-Schule ist, nach landesweiten Vergleichstests, eine der schlechtesten Klassen Schwedens. Nun werden alle Lehrer ausgetauscht gegen acht âSuperlehrerâ â PĂ€dagogen, deren SchĂŒler regelmĂ€Ăig weit ĂŒberdurchschnittliche Leistung bringen.
Der Auftrag an die Lehrerstars lautet, die 9a zu einer der drei besten Klassen des Landes zu machen. Innerhalb von fĂŒnf Monaten. Und mit nichts als pĂ€dagogischem Geschick. Die Lehrer erhalten keinen Cent zusĂ€tzlich, keine besseren Arbeitsbedingungen. Im Gegenteil: Ein Fernsehteam dokumentiert ihren Erfolg. Oder ihr Scheitern.
âDas kann nicht klappenâ, sagt einer der SchĂŒler. Man hat ihn und die anderen 15- und 16-JĂ€hrigen eigentlich lĂ€ngst aufgegeben. Zu schlecht, zu faul, zu dumm. Eine der neuen Lehrerinnen eröffnet ihre erste Stunde mit der Bitte: âErzĂ€hlt mal, worin ihr gut seid.â Schweigen. Eine SchĂŒlerin fragt: âDarf ich auch sagen, was ich nicht kann?â Eine quĂ€lende Endlosigkeit verstreicht, bis alle SchĂŒler zumindest eine FĂ€higkeit in sich entdecken.
Stavros Louca aber, der aus Zypern stammende Mathematiklehrer, sagt: âGewinn ihre Herzen, und du kannst mit ihnen tanzen.â
Doch zunĂ€chst tanzen die Lehrer. Der Chemielehrer auf einem Pult, mit zwei Strickleitern die Helixform der DNS erlĂ€uternd. Louca auf dem Schulhof, wo er immer wieder mit den SchĂŒlern spricht, feixt, sie kennenlernt wie kein Lehrer zuvor. Der Musiklehrer zu einem Rockmusical, das die Klasse komponiert.
Aber bald gelingt kein Schritt mehr. Eltern begehren auf, die Anforderungen seien zu hart; SchĂŒler schluchzen â und die Lehrer blicken in AbgrĂŒnde des Nichtwissens, der Mutlosigkeit. Wochenlang kĂ€mpfen die Superlehrer gegen die Ăberzeugung, dass die SchĂŒler der 9a niemals etwas anderes sein können als Verlierer.
Und dann, allmĂ€hlich und als kĂ€me eine tiefere Wahrheit ans Licht: erstaunte Blicke der SchĂŒler, weil sie die Binomischen Formeln doch begreifen; ein Freudentanz ĂŒber ein fehlerloses Englischreferat; die erste Probe der Rockoper, wenn auch noch weitgehend harmoniefrei. Bei der RĂŒckgabe einer Klausur ballt eine SchĂŒlerin die Faust wie nach einem gewonnenen Spiel. Ihre Lippen formen das Wort âcoolâ. Vor Weihnachten schlieĂlich die groĂen landesweiten Tests, die Entscheidung ĂŒber das Experiment. Es herrscht Fassungslosigkeit: Die 9a hat sich tatsĂ€chlich zur drittbesten Klasse des Landes emporgekĂ€mpft. Stavros Louca hat sie gar mit Abstand zur besten Mathematik-Truppe ganz Schwedens gemacht.
Die SchĂŒler liegen sich in den Armen, sie heulen, sie tanzen. Fast alle dĂŒrfen nun die Oberstufe besuchen. âEs ist wie eine Geburtâ, sagt eine der Lehrerinnen. Ein neues Leben fĂŒr 20 Jugendliche.
Noch nie hat ein Experiment so anschaulich belegt, was Wissenschaftler inzwischen auch in Zahlen ausdrĂŒcken können: An welche Lehrer ein Kind gerĂ€t, beeinflusst dessen gesamtes Leben. Gute Lehrer erhöhen das Lernpensum innerhalb eines Schuljahres so sehr, dass nach vier Jahren zwischen der Klasse eines Lehrer-Asses und der einer Niete manchmal zwei Jahre Lernstoff liegen. Das kann alle sozialen Unterschiede wegschleifen, haben die Bildungsökonomen Hendrik JĂŒrges und Kerstin Schneider ermittelt: âHat ein Kind aus einkommensschwachen VerhĂ€ltnissen fĂŒr fĂŒnf Jahre einen sehr guten Lehrer, so gleichen sich seine Bildungschancen im Vergleich zu einem Kind aus einer wohlhabenden Familie mit nur mittelmĂ€Ăigem Lehrer aus.â
Das QualitĂ€tsgefĂ€lle in der Lehrerschaft verlĂ€uft nicht nur zwischen unterschiedlichen Schulformen, sondern vor allem innerhalb der Schulen, wie der US-Forscher Eric Hanushek von der Stanford-UniversitĂ€t gezeigt hat. SchĂŒlern ist das bestens vertraut: Sie wechseln tĂ€glich von einer Stunde zur anderen die Lehrniveaus, von einem exzellenten Motivator zum ĂŒberforderten Junglehrer, der die SchĂŒler in die Nachhilfe treibt, von einer engagierten Didaktik-Virtuosin zur versteinerten Kollegin, die seit 20 Jahren dieselben Folien auflegt. Und doch ignoriert das deutsche Schulsystem diese gewaltigen Unterschiede. Es bezahlt exzellente Lehrer nicht besser als mĂ€Ăige, es bietet den LeistungstrĂ€gern der Lernstoffvermittlung keine verlockend...