Geschlechter-Forschung 1: Der Mythos vom Unterschied
Alles Bio. oder?
FĂŒhlen vs. analysieren, kĂŒmmern vs. kommandieren: Hat wirklich die Natur unser Rollenspiel programmiert? Oder fĂŒhren doch eher wir selbst Regie? Die Gehirne von Frau und Mann jedenfalls sind sich Ă€hnlicher, als wir denken
von Fred Langer
Eine Frau. Mit 14 blickte sie vertrÀumt in den Himmel hinauf, wenn nur irgendwo TriebwerkslÀrm ertönte. So bald wie möglich, mit 16, begann sie die theoretische Ausbildung zur Pilotin; mit 17, neben dem Gymnasium, die praktische Schulung. Die Eltern hÀtten ihre Tochter lieber im Mathematik- oder Physikstudium gesehen. Aber sie heuerte bei einer Fluggesellschaft an.
âWenn ich gefragt wurde, âWas machst du beruflich?â, und ich antwortete: âFliegenâ, dann war die immer gleiche Reaktion: âAh, Stewardess!â â Jetzt sitzt FlugzeugfĂŒhrer-Offizierin Birgit Haase, 29, im olivgrĂŒnen Overall in der Cafeteria ihres Fliegerhorstes im niedersĂ€chsischen Wunstorf. Sie ist zum MilitĂ€r gewechselt. Die zivile Luftfahrt war ihr âzu sehr Busfahrenâ.
Ein Mann. Mit 16 kam er aus Schottland nach Deutschland, verdiente sein Geld als Druckvorlagenhersteller. Er heiratete, doch bald scheiterte die Ehe. Die Exfrau kĂŒmmerte sich nur am Wochenende um die Kinder, als alleinerziehender Vater konnte er Job und Familie nicht mehr miteinander vereinbaren.
Er schulte zum Erzieher um, wo es mehr Möglichkeiten fĂŒr Teilzeitarbeit gibt. âDie Exkollegen spotteten: âKindergĂ€rtner? Das ist doch ein Frauenberuf.â â Was stimmt â nur drei Prozent der Erzieher in deutschen KindertagesstĂ€tten sind mĂ€nnlich.
Jetzt sitzt Martin Grafton, 32, umringt von Drei- bis SechsjĂ€hrigen, in einer Kita im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Im âMorgenkreisâ begleitet er die Kinder auf der Gitarre, die beseelt das Leitmotiv aus Pippi Langstrumpf anstimmen: âIch mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefĂ€llt.â
Wenn es doch so kinderleicht wÀre.
Die Natur hat Mann und Frau mit unterschiedlichen Begabungen ausgerĂŒstet, das ist weithin Konsens. So glĂ€nzen die einen mit technischem VerstĂ€ndnis, die anderen zeichnen sich durch EinfĂŒhlungsvermögen aus. Abweichungen sind möglich, aber exotisch.
âMĂ€nner sind vom Mars, Frauen von der Venusâ, der Titel von John Grays Buch klingt wie ein Naturgesetz â eines, das in mittlerweile 40 Sprachen ĂŒbersetzt ist. Und Allan und Barbara Pease erklĂ€ren in immer neuen Varianten: âWarum MĂ€nner nicht zuhören und Frauen schlecht einparkenâ. Allein in Deutschland haben sie ihre Werke ĂŒber sechs Millionen Mal an Mann und Frau gebracht.
Es sind eingĂ€ngige Bestseller, deren Titel wie Herrenwitze beginnen, die aber als Gesellschaftsformel enden: Homo sapiens bestehe in Wahrheit aus zwei eigenstĂ€ndigen Subspezies, den technikbegeisterten Denkern und den kinderlieben FĂŒhlern.
Keineswegs nur die populĂ€ren Ratgeber verkĂŒnden das Mantra vom Unterschied, der nun mal nicht zu Ă€ndern ist. Es tönt auch von den Gipfeln der Wissenschaft herab.
Der Kultursender 3sat bittet Louann Brizendine aufs Podium, eine an den EliteuniversitĂ€ten Yale und Harvard ausgebildete und in San Francisco lehrende Medizinerin. âDer Teil des Gehirns, der fĂŒr sexuelle AktivitĂ€t und die Neigung, Verhaltensimpulse sofort umzusetzen, zustĂ€ndig istâ, klĂ€rt sie in der Sendung auf, sei bei MĂ€nnern doppelt so groĂ wie bei Frauen. Und zwar von Geburt an.
Das Nachrichtenmagazin âProfilâ widmet dem Thema eine Titelgeschichte: âDie Gehirne von mĂ€nnlichen und weiblichen Babys sind von Anfang an unterschiedlichâ, heiĂt es auch hier. Auf zwei Gehirnlandkarten, eine hellblau, eine zartrosa, sind 13 Orte markiert, an denen geschlechtstypische Programme produziert wĂŒrden. Im Nucleus praemamillaris dorsalis etwa reife das âPfauverhaltenâ, in der Insula hingegen spiele das âGefĂŒhlsorchesterâ.
Was uns ein toter Lachs lehrt
âNeue Hilfsmittel wie die Positronen-Emissions-Tomographie und die funktionelle Magnetresonanz-Tomographie erlauben es, das me...