Wer verriet die Sowjetunion?
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Wer verriet die Sowjetunion?

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Wer verriet die Sowjetunion?

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Der Untergang der Sowjetunion wird mit der "Nichtreformierbarkeit des Systems" erklärt. Ligatschows differenzierte Betrachtung der achtziger Jahre in der Sowjetunion, die mit dem Staatsstreich 1991 ihre Weltmachtstellung einbüßte, führt an die Schaltstellen der Reformpolitik und ihrer Folgen. Er zieht einen Trennstrich zwischen der Zeit der wirtschaftlichen und sozialen Erneuerung bis 1988 und der unter dem Druck nationaler und separatistischer Kräfte kollabierenden Perestroika-Politik, ohne deren Auswirkungen die heutige politische und wirtschaftliche Lage Russlands nicht zu verstehen ist.

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Information

  1. Die Ereignisse von Tbilissi
Mit den Ereignissen von Tbilissi sind jene tragischen Vorfälle gemeint, zu denen es in der Nacht auf den 9. April 1989 kam. Kurz gefasst, ohne Details und politische Wertungen anzuführen, kann zu diesen Ereignissen das Folgende gesagt werden: In der georgischen Hauptstadt lief vor dem Haus der Regierung über mehrere Tage ein nicht zugelassenes Meeting, das durch den Einsatz von Militär beendet wurde. Als die Demonstranten vom Platz gedrängt wurden, verloren 19 Menschen ihr Leben, es gab zahlreiche Verletzte. Schusswaffen kamen nicht zum Einsatz.
Die nächtliche Tragödie in Tbilissi und der Tod von Menschen wühlten das Land auf. Besonders beklagt werden muss, dass das in der Zeit der Perestroika nicht die ersten und nicht die letzten Opfer von Massenunruhen waren. Kurz vor den Ereignissen in Tbilissi kam es zu Pogromen in der aserbaidshanischen Stadt Sumgait, bei denen Dutzende Menschen schuldlos ums Leben kamen. Nach Tbilissi erschütterten unser Land Ausschreitungen im usbekischen Fergana, die weitaus mehr Opfer forderten. Im kirgisischen Osch kam es zu blutigen Zusammenstößen in einem Ausmaß, wie es bisher nicht vorgekommen war.
Von diesen tragischen Vorfällen – so schmerzlich sie alle waren und so sehr sie die Situation in den verschiedenen Regionen des Landes auch verschärften – erfuhr keiner eine derart starke politische Resonanz wie die Ereignisse von Tbilissi. Auf den Kongressen der Volksdeputierten wurde als einziger Zwischenfall der von Tbilissi diskutiert, kein anderes Ergebnis wurde von einer derart großen Anzahl von Kommissionen untersucht.
Warum hatten gerade die Ereignisse von Tbilissi eine besondere politische Tragweite erlangt? Was stand hinter diesen Ereignissen und wie beeinflussten sie den Gang der Ereignisse im Land insgesamt? In jenen Tagen, da in den Massenmedien und auf den Deputierten-Kongressen die Wogen der Emotionen um die nächtliche Tragödie von Tbilissi hoch schlugen, war es schwer, eine zuverlässige Antwort auf diese Fragen zu geben.
Durch die Umstände dieser Zeit sah ich mich ins Zentrum jenes politischen Taifuns gestellt, der nach den Tbilissi-Ereignissen unser Land durchzog. Schon in jenen Tagen begriff ich vieles, wenn auch bei weitem nicht alles. Aber bald konnten die Lücken der spektakulären Ereignisse von Tbilissi aufgefüllt und die weißen Flecken getilgt werden.
Zunächst muss ich noch vorausschicken, dass ich nicht ganz zufällig in die Sphäre der Tbilissi-Ereignisse geriet. Im März 1989 hatte das ZK-Plenum zu Agrarfragen stattgefunden. Hier waren die Grundlagen der Agrarpolitik festgelegt worden, und es ergab sich sofort die Aufgabe, diese Beschlüsse den Bauern umfassend zu vermitteln. So flog ich bald dienstlich nach Brest, wo sich die Vertreter der Landwirtschaft der Ukraine, Belorusslands und der baltischen Republiken versammelten. Aus Brest kam ich am Abend des 6. April zurück, und gleich darauf am Sonnabend, dem 8. April, sollte ich einen Kurzurlaub antreten.
Für den Leser dürfte es sicher nicht ganz ohne Interesse sein, wenn ich hier einige Anmerkungen zur Arbeitszeit der Politbüro-Mitglieder einschiebe. Zu Breshnews Zeiten, nachdem Leonid Iljitsch erkrankt war, hatte das Politbüro den Beschluss gefasst, die Dauer seines Arbeitstags zu begrenzen. Diese Lockerung wurde im Weiteren auch auf die anderen Mitglieder des Politbüro ausgedehnt. Der Freitag galt als Tag der Arbeit mit den Unterlagen auf der Datsche, der Sonnabend und der Sonntag waren freie Tage. Außerdem war auch der Arbeitstag verkürzt worden. Als dann Andropow Generalsekretär wurde, löste sich diese Arbeitsordnung von selbst, ohne dass es besonderer Festlegungen bedurft hätte, ganz einfach in Luft auf. Vom verkürzten Arbeitstag wurde sofort übergangslos zum verlängerten Arbeitstag gewechselt. Nicht wenige saßen immer wieder bis abends um neun, ja auch bis elf Uhr am Schreibtisch. Kurz gesagt, es herrschte im ZK die gleiche Atmosphäre wie in den Gebiets- und Rayonkomitees, wo keiner seine Arbeitsstunden nachzählte.
Der Urlaub der Politbüro-Angehörigen wurde in einem Urlaubsplan festgelegt. Üblicherweise machten Gorbatschow, Jakowlew, Schewardnadse, Medwedjew und Lukjanow zur gleichen Zeit Urlaub. Gorbatschow und ich gingen immer zu unterschiedlicher Zeit in den Urlaub.
Zurück zu den Ereignissen im April 1989. Der 7. April war für mich ein angespannter Tag. Am Vortag war ich von der Dienstreise zurückgekommen, am nächsten Tag wollte ich in Urlaub fliegen. Viele Dinge waren zu erledigen. Nach meinen Dienstreisen war mein Notizblock immer angefüllt mit Fakten, Beobachtungen und Bitten der lokalen Funktionäre. Ich hatte mich also mit unterschiedlichsten Dienststellen in Verbindung zu setzen, die einen waren zu überzeugen, bei anderen musste Druck gemacht werden. Die Praxis jener Jahre sah so aus, dass die Mitglieder der obersten Parteiführung die Bitten der Genossen vor Ort aufnahmen und ihnen über die zentralen Ministerien und Dienststellen die erforderliche Hilfe zukommen ließen. Meist ging es dabei um Wirtschaftsfragen.
Von jeder Reise brachte ich einen Berg von Unterlagen mit. Diesmal musste das alles innerhalb eines Tages erledigt werden. Deshalb bat ich am Morgen meinen Sekretär, keine Telefongespräche durchzustellen, und sagte ihm auch, dass ich niemanden empfangen könnte. Dann konzentrierte ich mich darauf, jene Fragen zu durchdenken, die dem ZK in Brest gestellt worden waren.
In meinem Vorzimmer arbeiteten als Sekretäre Viktor Agapow und Anatoli Starzew, sehr erfahrene und gewissenhafte Genossen. Mein Arbeitszimmer hatte die Nummer 2. Von der »Übersiedelung« in diese Räumlichkeiten, an die ich Erinnerungen noch aus der Zeit Suslows habe, hatte ich ja bereits berichtet. Es war übrigens ein helles und geräumiges Eckzimmer im 4. Obergeschoss mit Blick auf den Alten Platz. Außer dem Schreibtisch stand dort noch ein langer Tisch, an dem ich mich mit meinen Besuchern unterhielt. Von den westlichen Korrespondenten, die bei mir gewesen waren, hatten einige anschließend in dem Stil berichtet: »Ich spreche mit Herrn Ligatschow in dessen düsterem Kabinett im ZK-Gebäude gegenüber vom KGB.« Ja, wieso denn »düster«? Mein Arbeitsraum war wie gesagt hell. Wieso denn »gegenüber vom KGB«? Das Gebäude des Komitees für Staatssicherheit lag ein ganzes Ende weg von hier. Aber natürlich kann man die Realität verfälschen, um eine »besondere« Atmosphäre heraufzubeschwören. Für mich jedenfalls war der Raum komfortabel und recht ruhig, so dass ich konzentriert arbeiten konnte. Vertieft in die zu erledigenden Dinge, merkte ich nicht, wie die Morgenstunden dahinflogen. Dann öffnete sich aber plötzlich die Tür, und mein Sekretär trat ein.
»Jegor Kusmitsch, Genosse Tschebrikow ist am Telefon. Er bittet dringend, dass ich ihn durchstelle.«
Tschebrikow war wie ich Politbüro-Mitglied und Sekretär des ZK der KPdSU, sein Aufgabengebiet waren die Leitungsgremien und die Nationalitätenpolitik. Viktor Michailowitsch war ein zurückhaltender und feinfühliger Mensch, der ohne besondere Notwendigkeit nicht hartnäckig auf etwas bestehen würde. Ich vermutete gleich, dass ihn wohl außergewöhnliche Umstände dazu zwangen. An diesem 7. April 1989 war Gorbatschow auf Staatsbesuch in London. Die Allgemeine Abteilung hatte aber schon informiert, dass die Rückkehr Gorbatschows für den Abend geplant war. Das verstärkte nun aber meine Befürchtungen angesichts Tschebrikows Anruf. Es musste wohl etwas wirklich Dringendes, besonders Wichtiges anliegen. Ich bat also, mich mit Tschebrikow zu verbinden. Viktor Michailowitsch ging gleich nach der Begrüßung zur Sache über: »Die Lage in Georgien44 gestaltet sich immer komplizierter …« – und schlug vor: »Jegor Kusmitsch, am besten ist es, wenn ich gleich zu Ihnen komme.«
Während ich auf Tschebrikow wartete, erinnerte ich mich an die Ereignisse vom November 1988. Damals war es nur durch eine Botschaft Gorbatschows und das schnelle Erscheinen Schewardnadses in Tbilissi möglich gewesen, eine bedenkliche Entwicklung der Ereignisse zu verhindern. Offensichtlich drohte die Lage wieder außer Kontrolle zu geraten. Diese Vermutung bestätigte Tschebrikow gleich mit seinen ersten Worten.
»Die Dinge in Tbilissi stehen schlecht«, begann er. »Sind Sie nicht informiert worden?«
»Ich bin erst gestern Abend aus Belorussland zurückgekommen. Ich bin überhaupt nicht auf dem Laufenden …«
»Die Ereignisse entwickeln sich noch schärfer als im November und im Februar. Permanent werden Meetings abgehalten. Drohungen werden laut, mit den Kommunisten abzurechnen. Der Austritt Georgiens aus der UdSSR wird gefordert. Ein Appell an die UNO zur Entsendung von UN-Truppen ist vorbereitet worden.«
»Von wem stammen diese Informationen, Viktor Michailowitsch?«
»Von Patiaschwili45. Ich bin mit ihm im ständigen Telefonkontakt. Michail Sergejewitsch kommt heute Abend zurück, aber Patiaschwili sagt, dass sich die Stimmung von Stunde zu Stunde weiter aufheizt. Wir müssen zusammenkommen und die Lage besprechen und auch Empfehlungen ausarbeiten, damit bis zur Rückkehr des Generalsekretärs aus London klar ist, was zu tun ist. Jegor Kusmitsch, ich bitte Sie, rufen Sie eine Beratung ein.«
Üblicherweise wurden derartige Beratungen vom Generalsekretär selbst einberufen oder aber von demjenigen, den er damit beauftragte. War der Generalsekretär abwesend, führte die Beratungen derjenige durch, der mit der Weiterführung der Geschäfte beauftragt war. Diese Beratungen unterschieden sich von den offiziellen Sitzungen des Politbüros dadurch, dass keine Beschlüsse gefasst werden durften. Es wurden nur Empfehlungen ausgearbeitet, die anschließend zu bestätigen waren.
Diese Praxis hatte sich schon vor Jahrzehnten herausgebildet. Aber im Frühjahr 1989 wurde diese Ordnung der Arbeit des ZK schon in vielem nicht mehr eingehalten. Als Gorbatschow zum Treffen mit Premierministerin Thatcher flog, hatte er entgegen der üblichen Praxis niemanden mit der Weiterführung der Geschäfte beauftragt. Daher empfand ich es als unpassend, wenn ich in Abwesenheit von Michail Sergejewitsch nun eine Beratung der obersten Parteiführung einberufen und durchführen sollte, was ich Tschebrikow auch ganz offen sagte. Viktor Michailowitsch blieb aber hartnäckig: »Ich bitte Sie, Jegor Kusmitsch. Die Situation bedarf einer sofortigen Erörterung.«
Ich wusste, dass Tschebrikow ein Mann mit großer Erfahrung und großem Verantwortungsgefühl war. Wenn er schon so dr...

Table of contents

  1. Impressum
  2. Titel
  3. Kaderwechsel im Kreml
  4. Das Jahr Andropows
  5. Die dreizehn Monate Tschernenkos
  6. Gorbatschow. Radikalismus und Reformismus
  7. Die graue Eminenz Jakowlew
  8. Das Chruschtschow-Syndrom
  9. »Hexenjagd«
  10. Die Machenschaften Gdljans und Iwanows
  11. Die Ereignisse von Tbilissi
  12. Die Anti-Alkohol-Kampagne
  13. Das Scheitern der Perestroika
  14. Epilog: Die Pseudodemokraten an der Macht
  15. Biografische Daten
  16. Kurzchronik der Ereignisse der Perestroika