Kapitalismus, was tun?
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Kapitalismus, was tun?

Schriften zur Krise

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Kapitalismus, was tun?

Schriften zur Krise

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Betroffen sind alle, aber nur wenige sehen, was tatsächlich geschieht. Wer die inzwischen von den Medien ausgeblendeten Hintergründe und die absehbaren Konsequenzen verstehen will, tut gut daran, sich die komplizierten Sachverhalte von der ausgewiesenen Wirtschaftsexpertin Sahra Wagenknecht erklären zu lassen. Selten hat jemand die Finanzwelt derart klarsichtig erläutert. Die Autorin schließt mit einer deutlichen Ansage: "Es gab selten ein System, das so wenige Profiteure und so viele Verlierer hatte wie der heutige Kapitalismus. Es gibt keinen Grund, sich mit ihm und in ihm einzurichten."

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1. Kapitel Der große Reibach
Andererseits aber kompliziert sich teils durch einfache Wechselreiterei, teils durch Warengeschäfte zum Zweck der bloßen Wechselfabrikation der ganze Prozess so sehr, dass der Schein eines sehr soliden Geschäfts und flotter Rückflüsse noch ruhig fortexistieren kann, nachdem die Rückflüsse in der Tat schon längst nur noch auf Kosten teils geprellter Geldverleiher, teils geprellter Produzenten gemacht worden sind.
Daher erscheint immer das Geschäft fast übertrieben gesund gerade unmittelbar vor dem Krach.
Karl Marx
Überschuldete Häuslebauer – die US-Hypothekenkrise
Katzenjammer allerorten. Die großen Finanzpaläste, die sich jahrelang mit immer verrückteren Gewinnmeldungen überboten und ihre Anleger im Dividenden-Regen badeten, müssen plötzlich ganz kleine Brötchen backen. Wettlauf um Rekordmargen war gestern, heute ist Kampf ums Überleben angesagt. Dabei gilt schon jedes Geldhaus als hochrespektabel, das nur zehn oder zwölf Milliarden in den Sand gesetzt hat und nicht zwanzig oder dreißig. Oder mehr, wie etwa die Citigroup, die nach nur einem Jahr Finanzkrise feststellen musste, dass der Wert ihres Anlageportefeuilles sich um satte 55 Milliarden Dollar vermindert hatte. Nicht viel besser erging es Merrill Lynch mit einem Abschreibungsbedarf von 52 Milliarden Dollar.
Selbst die gern als seriös und gediegen angesehenen Eidgenossen versinken im Krisensumpf. Finanzpapiere im Wert von 44 Milliarden Dollar, welche die schweizerische UBS in ihren Büchern führte, haben sich zwischen Sommer 2007 und September 2008 in Luft aufgelöst.
Über fünfhundert Milliarden Dollar haben die Finanzinstitute insgesamt im ersten Jahr der Kreditkrise abgeschrieben. Ein Großteil der Gewinne, die sie in den Boom- und Party-Jahren seit 2004 eingefahren haben, ist ihnen auf diese uncharmante Weise wieder abhanden gekommen.
Dass in solchem Umfeld allenthalben Köpfe rollen, nimmt nicht Wunder. Nur wenige größere Finanzhäuser haben heute noch den gleichen Chef wie im Sommer 2007. Auch sonst ist Rausschmiss angesagt. Fast 100 000 Banker haben allein in den USA seit Beginn der Krise ihren Job verloren.
Unmittelbarer Auslöser dieses ganzen Ungemachs waren Finanzpapiere, die mit US-Hypothekarkrediten besichert waren und deren Ursprünge und Geburtsumstände wir uns im folgenden genauer ansehen wollen.
Die Subprime-Party – Schulden ohne Hoffnung
Dass es im Geschäft mit amerikanischen Baudarlehen kriselt, war spätestens im April 2007 augenscheinlich geworden, als einer der großen US-Hypothekenanbieter, das Unternehmen New Century, Konkurs anmelden musste. Anfang August folgte der zehntgrößte amerikanische Finanzierer von Hauskrediten, American Home Mortgage Investment. In jenen Tagen haben die Nachrichtenzuschauer weltweit ein neues Wort gelernt: Subprime-Hypotheken.
Mit diesem eleganten Terminus werden Darlehen umschrieben, die an Familien vergeben werden, deren Einkommensverhältnisse von vornherein ahnen lassen, dass sie die Zins- und Tilgungslasten nicht schultern können. Da diese Familien in der Regel auch keine Ersparnisse haben, wird das Eigenheim meist zu einhundert Prozent kreditfinanziert. Um das Angebot attraktiv erscheinen zu lassen, sind die Zinsen oft am Anfang niedrig und ziehen erst später an. Denn wer würde schon einen Kredit aufnehmen, dessen Zins und Tilgung bereits im ersten Monat das Anderthalbfache des Einkommens beträgt? So droht das dicke Ende, das den Traum vom Eigenheim in einen Albtraum verwandelt, meist erst nach einigen Monaten oder Jahren. »Ninja-Anleihen« werden solche Darlehen im zynischen Jargon der Banker genannt. Ninja steht für: No income, no job, no asset, also: kein Einkommen, kein Arbeitsplatz, kein Vermögen. Und das dürfte die Lebenssituation eines nicht geringen Teils der Kreditnehmer, denen Hypotheken im Wert von mehreren hunderttausend Dollar aufgeschwatzt wurden, gar nicht so falsch beschreiben.
Als Nischenmarkt hat es Subprime-Kredite immer gegeben: zu hohen Zinsen, angeboten von zweifelhaften Kredithaien, die aus der Not von Familien, denen keine anständige Bank mehr einen Cent zu leihen bereit war, in skrupelloser Weise Gewinn zu schlagen suchten. An der Skrupellosigkeit hat sich nichts geändert. Das Neue besteht nur darin, dass es seit Ende der neunziger Jahre die vermeintlich anständigen Banken selbst waren, die die Vergabe von Hausdarlehen an einkommensschwache oder bereits hoch verschuldete Haushalte als einen ihrer wachstumsträchtigsten Geschäftszweige entdeckten. Waren im Jahr 1995 Subprime-Hypotheken im Wert von gerade mal 35 Milliarden Dollar auf dem Markt, verzwanzigfachte sich ihr Volumen bis 2005 auf 625 Milliarden. Der Gipfel der Party wurde 2006 gefeiert, als amerikanischen Hausbesitzern in nur einem Jahr noch einmal sechshundert Milliarden Dollar solcher Darlehen regelrecht hinterhergeworfen wurden. Das waren über zwanzig Prozent aller Hypotheken, die 2006 vergeben wurden.
Und wie immer, wenn eine Geschäftsidee viel Geld verspricht, fanden sich auch diesmal Politiker und Kommentatoren, die dumm oder korrupt genug waren, die Explosion der Subprime-Kredite auch noch zur sozialen Wohltat hochzuloben. Dank der neuen Lässigkeit beim Geldverleihen könnten sich endlich auch Geringverdiener den Traum von den eigenen vier Wänden erfüllen, hieß es. Immer mehr amerikanische Familien würden so zu neuem Wohlstand gelangen. Das alte Lied, dass innovative Märkte für unser aller Wohl sorgen, wenn man sie nur lässt, wurde, wie so oft, besonders laut gesungen, als der Absturz kurz bevor stand.
Trotz robuster Konjunktur gerieten schon 2006 immer mehr amerikanische Hausbesitzer in Zahlungsschwierigkeiten. Jeder fünfte Inhaber einer Subprime-Hypothek war am Jahresende in Zahlungsverzug. Die Ursachen lagen auf der Hand. Für die in den Vorjahren vergebenen Hypotheken war die Schonfrist mit niedrigen Zinsen und Tilgungen in der Regel abgelaufen. Zudem waren die Marktzinsen jetzt deutlich höher als in den Jahren zuvor, da die amerikanische Zentralbank Federal Reserve (Fed) den US-Leitzins zwischen 2004 und 2006 von ein auf stolze fünf Prozent hochgeschleust hatte. Das bekamen die neuen Hauseigentümer in drastisch erhöhten Monatsraten zu spüren. Gerade für gering Verdienende war damit schnell das Ende der Fahnenstange erreicht.
Nun mag es seltsam erscheinen, dass trotz immer offensichtlicherer Rückzahlungsprobleme gerade 2006 die Subprime-Kredite noch einmal boomten wie nie zuvor. Aber dafür gab es einen schlichten Grund: Noch prosperierte der US-Immobilienmarkt, und solange das so war, gab es für Hausbesitzer in Zahlungsschwierigkeiten eine einfache Lösung: Sie konnten ihr Eigenheim verkaufen. Da dessen Wert in der Regel höher war als die Hypothek – weil die Hauspreise Jahr für Jahr stiegen –, konnte der Kredit einschließlich Strafgebühren, Extrazinsen und was immer die Banken bei der Gelegenheit noch so kassieren, in jedem Fall abbezahlt werden. Und solange das so blieb, war das Hypothekengeschäft mit armen Familien zumindest für die Kreditgeber hochprofitabel.
Ein Mann namens Kal El-Sayed, der neun Jahre lang für den Subprime-Finanzierer New Century gearbeitet und vermutlich einigen tausend Familien die am Ende unbezahlbaren Baudarlehen angedreht hat, brüstete sich noch im März 2007, einen Monat vor dem Konkurs des Unternehmens, in der New York Times: »Wir konnten gar nicht glauben, wie viel Geld wir gemacht haben. Und wir mussten nichts dafür tun. Nur erscheinen.«
Die zehn größten Hypothekenfirmen in den USA wussten schon, warum sie in den Jahren vor 2007 etwa 185 Millionen Dollar in die Lobbyarbeit investiert hatten: damit ihnen bloß keine politische Regulierung der Kreditstandards das flotte Geldeinstreichen verderben möge.
Die US-Immobilienblase
Der Handel mit Häusern – neuen und vor allem auch gebrauchten – florierte. Hatten im Jahr 1990 gerade mal 3,7 Millionen Einfamilienhäuser den Besitzer gewechselt, waren es 2005 bereits 8,3 Millionen und 2006 noch mehr. Dabei kannte der Preis amerikanischer Immobilien nur noch eine Richtung: steil nach oben.
Vor allem nach der Jahrtausendwende, als die Internet-Blase am amerikanischen Aktienmarkt platzte und viele Milliarden Dollar nach lukrativer Anlage suchten, kam das Rad so richtig in Schwung. In der Region um Los Angeles etwa hatten sich die Häuserpreise in der Zeit zwischen 2000 und 2006 annähernd verdreifacht. Wer zur Millenniumsfeier ein Einfamilienhaus für 200 000 Dollar in Santa Monica erworben hatte, konnte es also nur sechs Jahre später für fast 600 000 Dollar weiterverkaufen. Er konnte allerdings auch seine einstige Hypothek um 50 000 oder 100 000 Dollar aufstocken, um so vergleichsweise zinsgünstiges Kreditgeld für die Annehmlichkeiten des täglichen Lebens zu erhalten oder seine Kreditkartenschulden loszuwerden. Oder er konnte, sofern bereits in Zahlungsverzug und von den Banken mit Mahnungen gequält, in der Hoffnung auf bessere Zeiten mit dem zusätzlichen Geld die rückständigen Zins- und Tilgungszahlungen leisten.
So oder so, je höher der Marktwert der Immobilie, desto größer war die Darlehenssumme, die die Banken bereitwillig zur Verfügung stellten. Und desto leichter waren solche Darlehen verfügbar, selbst für Familien, die noch wenige Jahre zuvor aufgrund ihrer Einkommenslage und Kredithistorie kühl aus den Bankfilialen hinauskomplimentiert worden wären. Eine amerikanische Studie über »Credit Booms und Lending Standards« vom Januar 2008 bestätigt, dass die Kreditvergabe tatsächlich in jenen Regionen der USA am lässigsten und gewissenlosesten war, in denen die Immobilienpreise am stärksten stiegen.5
Scheinbar hatten die amerikanischen Banken ein Perpetuum mobile geschaffen, das sich selbst antrieb und mit dem sich prächtig Geld verdienen ließ. Immobilien- und Hypothekenblase stützten sich wechselseitig. Die stetig ansteigenden Häuserpreise gaben den Hypothekenanbietern die Sicherheit, ihr Geld einschließlich Zinsen in jedem Fall zurückzubekommen, auch wenn jeder rational kalkulierende Banker wusste, dass viele der großzügig mit Kredit bedachten Familien die Rückzahlungen auf Dauer nicht stemmen konnten. Und die laxe Kreditvergabe sorgte dafür, dass die Nachfrage nach Häusern – neuen und eben auch den schon gebrauchten – nicht erlahmte und die Preise weiter in den Himmel wachsen konnten.
Aber wie jede Blase musste auch die am US-Immobilienmarkt irgendwann platzen. Denn mit dem Volumen der vergebenen Darlehen wuchs auch das Heer der säumigen Schuldner. Und damit die Anzahl der Häuser, die – freiwillig oder per Zwangsversteigerung – erneut auf den Markt gelangten. Immerhin hatte das Volumen der Subprime-Hypotheken Ende 2006 knapp 1300 Milliarden Dollar erreicht. Ein Fünftel säumiger Schuldner steht damit für rund 260 Milliarden Dollar, die durch Hausverkäufe wieder eingespielt werden müssen. Aber je mehr Häuser erneut auf den Markt kamen, desto gefährdeter war der Trend steigender Preise. Zumal es angesichts steigender Zinsen immer schwieriger wurde, Kreditnehmer für die immer größeren Darlehen zu finden. Gegen Ende 2006 wurde offensichtlich, dass der von manchem für eine ewige Lebenstatsache gehaltene Boom bei den US-Hauspreisen sich seinem Ende näherte.
Als die Schwächezeichen am US-Immobilienmarkt unübersehbar wurden und wegen stagnierender, bald sogar fallender Häuserpreise die Refinanzierung der immer teureren Hypotheken über den Hausverkauf nicht mehr gesichert war, ging die Party zu Ende. Seither kriecht das Gespenst der Subprime-Krise um die Welt und bricht Finanzinstituten unterschiedlichster Couleur das Genick. Im Juni 2007, als die US-Investmentbank Bear Stearns öffentlich eingestand, wegen riesiger Verluste im Handel mit Hypotheken-basierten Kreditderivaten zwei Hedgefonds schließen zu müssen, hatte die Krise die Wall Street erreicht. Von da aus ging es quer über den Globus.
Die Mechanismen, die für diese extrem schnelle Internationalisierung des Desasters verantwortlich sind, werden wir später genauer untersuchen. Für die US-Häuslebauer und jene, die es vielleicht noch werden wollten, hatte die beginnende Krise zunächst die Konsequenz, dass die Neigung der Banken, Familien von zweifelhafter Bonität mit Geld zu überschütten, spürbar erlahmte. Umschuldungen wurden damit sehr viel schwieriger, Zahlungsausfälle nahmen zu, Zwangsversteigerungen wurden immer häufiger. Ab Mitte 2007 begannen die Hauspreise in den USA flächendeckend zu fallen und die US-Hypothekenfinanzierer kämpften mit wachsenden Verlusten, die viele von ihnen mittlerweile die Existenz gekostet haben.
Im Juli 2008 musste der größte unabhängige Baufinanzierer der USA, Indymac, der noch 20...

Table of contents

  1. Impressum
  2. Titel
  3. Buch I: Kapitalismus im Koma
  4. Wirtschaftskolumnen
  5. Notizen zur Unterzeichnung des Koalitionsvertrages zwischen SPD und PDS in Berlin
  6. Sozialismus statt Barbarei
  7. Buch II: Wahnsinn mit Methode
  8. Vorwort
  9. 1. Kapitel Der große Reibach
  10. 2. Kapitel Rationaler Überschwang
  11. 3. Kapitel Geldschaum ohne Ende
  12. 4. Kapitel Kreditblase und Profit
  13. Glossar