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Revolution für Europa
About this book
Ist die EU als Projekt für Völkerverständigung, Frieden und soziale Gerechtigkeit gescheitert? Längst hat sie sich von den Kräften des Finanzkapitals korrumpieren lassen, imperialistisches Gedankengut setzt sich fest, die Krise wird zum Trojanischen Pferd für die Zerstörung des Sozialstaats. Gegen diese Entwicklung legen nun führende Köpfe der europäischen Linken ein gemeinsames Manifest vor: für einen Neustart der EU mit tragfähigen demokratischen und sozialen Grundsätzen, für eine grenzüberschreitende Revolution gegen die Bankendiktatur. Ein Buch zur richtigen Zeit.
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Information
Chronik der Krise
Papiere zur Eskalation
Wege aus der Krise
AG Eurokrise
Juni 2011
1. Ausgangslage
Die Eurokrise ist nicht nur eine Krise der Staatsfinanzen einzelner Mitgliedsländer, sondern auch eine Krise der Währungsunion und des gesamten europäischen Integrationsprojekts. Nach einer jahrzehntelangen Geschichte der Zusammenarbeit wird nun sogar ein Zerfall der EU befürchtet. Die Hetze in einigen Medien gegen die »faulen Südländer« lenkt von den Verursachern und Profiteuren der Krise ab und ebnet einer Enteignung der Bevölkerungsmehrheit in Europa durch Sparpakete und Sozialabbau den Weg. Dies geht einher mit immer stärkeren nationalistischen Tönen in vielen Mitgliedstaaten. Rechtspopulistische und neofaschistische Parteien erzielen mit antieuropäischen und ausländerfeindlichen Parolen hohe Wahlerfolge. Die politisch wie ökonomisch völlig unsinnige Forderung, Griechenland möge gefälligst aus der Eurozone austreten, stellt den vorläufigen traurigen Höhepunkt dieser Entwicklung dar.
Die EU hat dazu beigetragen, die Grundlagen für die Krise zu legen, und hat sie seit ihrem Ausbruch – im Konzert mit IWF und EZB – deutlich verschärft. Aufgabe der LINKEN ist, der berechtigten Wut und Ohnmacht gegenüber der neoliberalen und auf Entsolidarisierung setzenden Politik der EU eine Stimme zu geben und sie auf die Verursacher und Profiteure der Krise zu lenken. Die Wut zu unterschätzen hieße, Europa zu beerdigen. Nationalismus und Desintegration sind jedoch keine Lösung: Wir brauchen nicht weniger europäische Integration, sondern eine andere. Wir wollen eine EU, die sich nicht weiter zum Spielball der Finanzmärkte macht, sondern der Globalisierung eine demokratische und politische Antwort entgegensetzt. Eine EU, die nicht von den Interessen der Konzerne und der Finanzlobby bestimmt wird, sondern von den Interessen der breiten Bevölkerung. Eine EU, die auf Solidarität und nicht auf Konkurrenz und Ausgrenzung setzt. Eine EU mit einer gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie sozialen und ökologischen Mindeststandards. Die Entscheidung lautet: Entweder wird Europa sozial sein oder es wird scheitern. Deshalb brauchen wir einen Neustart für ein demokratisches, soziales und friedliches Europa!
1.1 Ursachen der Krise: Die falsche Politik der Vergangenheit
Die Krise der Eurozone ist kein Zufall. Sie wurde auch nicht von der globalen Finanzkrise oder von mangelnder Haushaltsdisziplin einzelner Euro-Länder verursacht. Die Ursachen liegen in der falschen Konstruktion der Europäischen Währungsunion (EWU).
Die Staatenkonkurrenz ist eines der zentralen Leitmotive der EU. Diese Philosophie wurde bei der Gründung der Währungsunion einfach übernommen. Statt sich über wesentliche Eckpunkte eines gemeinsamen Währungsraums wie Lohnentwicklungen, Wirtschafts- und Sozialpolitik zu verständigen, führt der vertraglich festgehaltene Wettbewerbsdruck zu einem Unterbietungswettlauf. Das gilt für Besteuerung genauso wie für Lohnkosten und Sozialstandards. So etwas kann aber in einem gemeinsamen Währungsraum auf Dauer nicht funktionieren.
Ein Mindestmaß an Koordination scheiterte besonders auf Druck Deutschlands. Die deutschen Bundesregierungen verfolgen spätestens seit Mitte der neunziger Jahre eine repressive Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Dabei hat sich Rot-Grün mit der Agenda 2010, mit Hartz IV und dem Ausbau des Niedriglohnsektors besonders aggressiv verhalten. Die Folge war, dass hierzulande seit Beginn der EWU die Reallöhne im Gegensatz zu allen anderen Euro-Ländern gesunken sind. Aus Sicht einer EU als Projekt der Staatenkonkurrenz ist dies ein Wettbewerbsvorteil für Deutschland. Tatsächlich aber ist der enorme deutsche Exportüberschuss ein Nachteil für alle, außer für die deutschen Exportunternehmen, Banken und deren Aktionäre. Die deutschen ArbeitnehmerInnen, RentnerInnen und Erwerbslosen mussten den Gürtel immer enger schnallen. Unsere europäischen Partnerländer verloren Marktanteile und Arbeitsplätze. Sie mussten sich immer mehr im Ausland verschulden, um ihre Importüberschüsse zu finanzieren. Diese Auslandverschuldung erfolgte vornehmlich über den Privatsektor. Ausländische Banken, Unternehmen und Privathaushalte (z. B. als Häuslebauer) verschuldeten sich immer mehr gegenüber deutschen Gläubigern. In den letzten fünf Jahren hat Deutschland knapp 600 Milliarden Euro an Leistungsbilanzüberschüssen gegenüber den anderen EU-Ländern erzielt. Der deutsche Exportboom und die wachsenden Schuldenberge in Griechenland, Portugal und anderen EU-Staaten sind zwei Seiten derselben Medaille.
Die Europäische Währungsunion hat zu einer ökonomischen Desintegration in Europa beigetragen, und sie wäre, auch ohne die globale Finanzkrise, früher oder später in eine Krise geraten. Die Finanzkrise hat diesen Prozess der europäischen Desintegration »nur« massiv beschleunigt, weil die Krise die Haushaltssituation fast aller Euro-Länder erheblich verschlechtert hat. In manchen Ländern – allen voran in Deutschland und Irland – hat die schlechte Bankenregulierung und -aufsicht dazu geführt, dass die Banken auf Kosten der SteuerzahlerInnen gerettet wurden. Die Gesamtverschuldung in der EU stieg seit 2008 von 7,8 auf über 10 Billionen Euro, die Schuldenstandsquote der EU ist von unter 60 Prozent (2007) auf über 80 Prozent hochgeschnellt. Länder wie z. B. Griechenland hatten zwar keine vergleichbare Bankenkrise wie Deutschland. Sie waren aber schon vor der Krise finanziell unter Druck und wurden durch die Wirtschaftskrise zusätzlich geschwächt. Dieselben Banken und Anleger, die gerade noch vom Steuerzahler gerettet worden waren, fingen daraufhin an, am Finanzmarkt auf den Bankrott einzelner Euro-Staaten Wetten abzuschließen und die Zinsen z. B. für griechische und portugiesische Staatsanleihen maßlos in die Höhe zu treiben. Seitdem wird offen über eine Staatsschuldenkrise diskutiert, die tieferliegenden Verwerfungen werden jedoch zumeist ausgeblendet.
Natürlich hat nicht nur Deutschland Fehler gemacht. Es ist z. B. nicht akzeptabel, dass Griechenland zwischenzeitlich falsche Daten zur Haushaltslage an die EU-Kommission gemeldet hat. Auch die rücksichtslose Steuerpolitik Irlands mit seinen minimalen Unternehmenssteuern ist inakzeptabel. Sie hat – im Wechselspiel mit den Senkungen der deutschen Unternehmenssteuern – ein europaweites Steuerdumping gefördert, was die öffentlichen Haushalte in ganz Europa schon lange vor der Krise ausgeblutet hat. Aber während Griechenland und Irland dafür nun die volle Härte erbarmungsloser Finanzmärkte und neoliberaler Strukturanpassungsprogramme von IWF und EU-Kommission zu spüren bekommen, wird Deutschland für seine aggressive Export- und Lohndumpingpolitik nicht im mindesten zur Rechenschaft gezogen.
Stattdessen maßt sich die Bundesregierung nun an, ganz Europa mit der Übertragung »deutscher Erfolgsrezepte«, wie z. B. der Schuldenbremse, der Flexibilisierung der Löhne oder der Rente mit 67, zu kolonisieren.
1.2 Das Krisenmanagement der Bundesregierung ist gescheitert
1.2.1. Sparprogramme verschlimmern Schuldenkrise
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte am 5. Mai 2010 im Deutschen Bundestag:
»Die Vereinbarung sieht einschneidende Maßnahmen vor. […] Sie soll die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands erhöhen, damit das Land seine Verschuldung aus eigener Kraft abbauen kann. Nur so lässt sich das Vertrauen der Kapitalmärkte wiedergewinnen. […] Ohne Deutschland wäre es zu einer Einbeziehung des IWF nicht gekommen. […] Auch das Programm Griechenlands mit den notwendigen Eigenanstrengungen hätten wir niemals erreicht, wenn Deutschland zu einem frühen Zeitpunkt, wie von fast allen gefordert, finanziellen Hilfen ohne ausreichende Entscheidungsgrundlage zugestimmt hätte.«
Griechenland war das erste Land, das vor einem Jahr Finanzhilfe beantragen musste. Daher lässt sich am griechischen Beispiel bereits zeigen: Die Rettungsringe sind aus Blei, sie ziehen die betroffenen Länder noch tiefer in die Krise. Begründet wurde der Antrag mit den stark gestiegenen Renditen für griechische Staatsanleihen auf den Kapitalmärkten – für zehnjährige Papiere waren die Zinsen auf über acht Prozent angestiegen. Die »Hilfskredite« wurden an das hoch verschuldete Griechenland nicht so billig wie möglich vergeben, sondern mit einem deutlichen Zinsaufschlag. Diese unsolidarischen Zinskonditionen belasten den griechischen Staatshaushalt unnötig in Milliardenhöhe und untergraben die Bemühungen zur Beendigung der Schuldenkrise.
Am schlimmsten wirkten sich aber die mit den »Hilfskrediten« verknüpften Kürzungsprogramme für Griechenland aus. Insbesondere die Bundesregierung hatte auf die Durchsetzung harter Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung gedrängt. Die Sparmaßnahmen enthalten starke Erhöhungen der Verbrauchssteuern, Lohnkürzungen im Öffentlichen Dienst, Rentenkürzungen und Kürzungen öffentlicher Investitionen. Das Volumen ist gigantisch. Es entspricht mit 30 Milliarden Euro etwa 13 Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts. Auf deutsche Verhältnisse übertragen wären das 300 Milliarden Euro, was dem kompletten Umfang des Bundeshaushaltes entspräche.
Getroffen wurde mit den Sparmaßnahmen die gesamte griechische Bevölkerung, besonders stark aber die einkommensschwächeren Schichten. Damit litt die Massenkaufkraft, und Griechenland wurde in eine tiefe Rezession gedr...
Table of contents
- Impressum
- Titel
- Zitate
- Vorbemerkung des Herausgebers
- Dieter Dehm / Andrej Hunko / Anne Scherer / Alexander Ulrich: Zur Erklärung einiger Begriffe
- Gregor Gysi / Oskar Lafontaine: Memorandum für eine demokratische, freiheitliche, soziale und Frieden sichernde Europäische Union
- Mikis Theodorakis / Manolis Glezos: Gemeinsamer Appell für die Rettung der Völker Europas
- Sahra Wagenknecht: Zombiebanken
- Alexis Tsipras: Wie aus einer alternativen Vision ein Programm der Würde und der sozialen Rettung wird
- Konstantin Wecker: Zur Rolle von Künstlern in einer demokratischen Revolution, und: eine Hommage an Jean Ziegler
- Diether Dehm: An die künstlerisch interessierte Öffentlichkeit in Italien und Deutschland – Vorschlag für eine europäische Kulturbrücke
- Giuliano Pisapia: Begrüßung zur Gedenkfeier von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht
- Willy Meyer / Maite Mola: Der spanische Aufstand
- Pierre Laurent: Fronten für eine Alternative
- Wolfgang Gehrcke / Kurt Neumann: Strategische Reformen in der Europäischen Union anpacken
- Chronik der Krise – Papiere zur Eskalation
- Über die Autoren