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Korrespondent in der DDR '89/90

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Korrespondent in der DDR '89/90

About this book

Peter Brinkmann, zu dieser Zeit BILD-Journalist in Ost-Berlin stellte Günter Schabowski die entscheidende Frage, die zum Fall der Mauer führen sollte: Ab wann gilt die neue Reiseregelung? Schabowski stotterte: Unverzüglich, ab sofort. Der in der DDR akkreditierte Westjournalist, Mitglied der SPD seit den 60er Jahren, war im letzten Jahr des Landes Zeuge der dramatischen Veränderungen. Brinkmann sprach mit allen wichtigen Personen, berichtete von den wichtigen Schauplätzen und wurde somit selber Teil der Geschichte und exklusiver Zeuge des Umbruchs und Untergangs der DDR. Seine Erinnerungen sind ein Geschichtsbuch der lebendigen Art.

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Die andere Perspektive
Vorgeschichte und Umstände der Pressekonferenz werden von verschiedenenen Zeitzeugen beschrieben, die Ursachen und Folgen kritisch wie subjektiv reflektiert und analysiert. Sie gehören in den Kontext meiner Wahrnehmungen.
So berichtet auch Egon Krenz in seinen – in neuerlicher Auflage zeitgleich mit meinem Buch im gleichen Verlag erscheinenden – Erinnerungen22 darüber.
»Nach der Verabschiedung von Rau gehe ich mit Kulturminister Hoffmann vom Staatsrat ins Haus des Zentralkomitees hinüber. Wir müssen uns beeilen, um noch rechtzeitig zur Nachmittagssitzung des ZK zu kommen. Sie beginnt 15.30 Uhr. Hoffmann hat die Reiseverordnung bereits als Vorlage für die Regierung erhalten. Er habe, so sagt er mir, ›große Bauchschmerzen, der Vorlage zuzustimmen‹.
Warum?‹, will ich wissen.
Weil sie nur als ›zeitweilige Verordnung‹ bezeichnet würde. Wir erzeugten damit nur neue Unruhe, weil die Menschen glaubten, wir würden nur zeitweilige Zugeständnisse machen und bei Bedarf die Verordnung zurückziehen.
Ich ermuntere ihn, diese Frage auf der Tagung des Zentralkomitees aufzuwerfen.
Noch bevor ich die Nachmittagssitzung eröffne, übergibt mir Stoph den Entwurf der Reiseverordnung. Das Exemplar, das ich von Stoph erhalte, ist identisch mit der Umlaufvorlage, die allen Mitgliedern des Ministerrates zur Bestätigung übergeben worden war. Während Rudolf Winter, Direktor eines Kombinats in Karl-Marx-Stadt, seinen Diskussionsbeitrag hält, lese ich die Verordnung noch einmal Satz für Satz. Mir ist bewusst, dass wir uns damit eine Last komplizierter politischer und wirtschaftlicher Probleme aufladen. Jede Entscheidung birgt in diesen Tagen die Gefahr von Fehlern in sich.
Die bevorstehende Reiseentscheidung ist mit außergewöhnlichen politischen Risiken verbunden. Würden wir zu dieser Entscheidung nicht bereit und fähig sein, scheiterte die Politik der Erneuerung. Bei der Regierung und im Zentralkomitee sind inzwischen über 16.000 Briefe zum Entwurf des Reisegesetzes eingegangen. Es werde nun endlich Zeit, das Reiseproblem im Interesse der Bürger zu regeln, lautet der Grundtenor. Ich will eine souveräne Entscheidung der DDR und keine von Kohl erzwungene. International stünden wir damit auch voll auf dem Boden der Schlussakte von Helsinki.
Wegen der politischen Tragweite der vorliegenden Reiseregelung des Ministerrates will ich unbedingt das Zentralkomitee über den Regierungsbeschluss informieren und es so in die Entscheidung einbeziehen. Gegen 16 Uhr stehe ich von meinem Platz auf, richte das Mikrofon so, dass mich jeder gut verstehen kann und sage langsam, damit die Sitzungsteilnehmer die Bedeutung jedes Satzes aufnehmen können: ›Euch ist ja bekannt, dass es ein Problem gibt, das uns alle belastet: die Frage der Ausreisen. Die tschechoslowakischen Genossen empfinden es allmählich für sich als eine Belastung, wie früher auch die ungarischen. Und: Was wir auch machen in dieser Situation, wir machen einen falschen Schritt. Schließen wir die Grenzen zur CSSR, bestrafen wir im Grunde genommen die anständigen Bürger der DDR, die dann nicht reisen können …
Selbst das würde aber nicht dazu führen, dass wir das Problem in den Griff bekommen; denn die Ständige Vertretung der BRD hat schon mitgeteilt, dass sie ihre Renovierungsarbeiten23 abgeschlossen hat. Das heißt, sie wird öffnen, und wir würden auch dann wieder vor diesem Problem stehen.
Der Genosse Stoph hat als amtierender Vorsitzender des Ministerrates eine Verordnung vorgeschlagen, die ich jetzt verlesen möchte, weil sie zwar vom Politbüro bestätigt worden ist, aber doch solche Wirkung hat, dass ich das Zentralkomitee nicht ohne Konsultation lassen möchte.‹
Dann lese ich vor: ›Beschluss zur Veränderung der Situation der ständigen Ausreise von DDR-Bürgern nach der BRD über die CSSR.24
Es wird festgelegt:
1. Die Verordnung vom 30. November 1988 über Reisen von Bürgern der DDR in das Ausland findet bis zur Inkraftsetzung des neuen Reisegesetzes keine Anwendung mehr.25
2. Ab sofort treten folgende zeitweilige Übergangsregelungen für Reisen und ständige Ausreisen (Hervorhebungen von Krenz – P. B.) aus der DDR in das Ausland in Kraft:
a) Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen (Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse) beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Versagungsgründe werden nur in besonderen Ausnahmefällen angewandt.
b) Die zuständigen Abteilungen Pass- und Meldewesen der Volkspolizeikreisämter in der DDR sind angewiesen, Visa zur ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen, ohne dass dafür noch geltende Voraussetzungen für eine ständige Ausreise vorliegen müssen. Die Antragstellung auf ständige Ausreise ist wie bisher bei den Abteilungen Innere Angelegenheiten möglich.
Ständige Ausreisen können über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD bzw. zu Berlin (West) erfolgen.
c) Damit entfällt die vorübergehend erfolgte Erteilung von entsprechenden Genehmigungen in Auslandsvertretungen der DDR bzw. die ständige Ausreise mit dem Personalausweis der DDR in Drittstaaten.
3. Über die zeitweiligen Übergangsregelungen ist die beigefügte Pressemitteilung vom 10. November zu veröffentlichen.‹26
Ferner verlese ich den Entwurf der beigefügten Pressemitteilung, die am 10. November in den Printmedien veröffentlicht werden soll.27 ›Ich sagte: Wie wir es machen, machen wir es verkehrt. Aber das ist die einzige Lösung, die uns die Probleme erspart, alles über Drittstaaten zu machen, was dem internationalen Ansehen der DDR nicht förderlich ist.‹28
Kulturminister Hoffmann meldet sich. ›Könnten wir nicht das Wort zeitweilig streichen? Das erzeugt ständig den Druck, als hätten die Leute keine Zeit und müssten sofort und unverzüglich den Antrag stellen. Können wir das nicht vermeiden oder umschreiben?‹
Darauf ich: Da muss man schreiben: ›bis zur gesetzlichen Regelung durch die Volkskammer folgende Übergangsregelung‹ und ›zeitweilig‹ streichen. Übergangsregelung ist ja eine zeitweilige. Oder wir schreiben: ›bis zum Inkrafttreten des Reisegesetzes gelten folgende Regelungen.‹
Ich wende mich an den Innenminister und frage: ›Genosse Dickel, siehst du da Schwierigkeiten?‹
›Nein. Was die Veröffentlichung angeht, vielleicht wäre es zweckmäßig, dass nicht das Ministerium des Innern, obwohl wir die praktische Durchführung machen, sondern das Presseamt des Ministerrates das veröffentlicht, denn es ist ja eine Mitteilung des Vorsitzenden des Ministerrates.‹
Ich antworte: ›Ich würde vorschlagen, dass das der Regierungssprecher gleich29 macht. Wir vermeiden also sowohl zeitweilig als auch Übergangsregelung und sagen: Bis zum Inkrafttreten des Reisegesetzes, das von der Volkskammer zu beschließen ist, wird das und das angeordnet. – Einverstanden? – Dankeschön.‹30
Noch während der Sitzung weise ich an, dass die neue Reiseregelung sofort den Bezirks- und Kreisleitungen der SED übergeben wird. Kurz nach 17 Uhr wird ihnen das Fernschreiben übermittelt.
Die Diskussion im Plenum läuft weiter. Es sprechen noch Günther Jahn, Günter Sieber und Wilfried Poßner.
Gegen 17.15 Uhr kommt Günter Schabowski zu mir. Er meldet sich für den Rest der Tagung ab. Um 18 Uhr findet eine internationale Pressekonferenz statt. Schabowski soll dort über den Verlauf der ZK-Tagung informieren. Er fragt mich, ob ich noch Hinweise für ihn habe.
›Du musst unbedingt über den Reisebeschluss informieren. Das ist die Weltnachricht!‹
Da er nicht die authentische Ministerratsverordnung über die neue Reiseregelung hat, übergebe ich ihm mein Exemplar31, das ich im ZK vorgetragen habe.
Schabowski bedankt sich und fährt zum Internationalen Pressezentrum in die Mohrenstraße.
18.53 Uhr wird er dort von einem Journalisten nach dem Stand der Ausarbeitung einer neuen Reiseregel...

Table of contents

  1. Das Buch
  2. Der Autor
  3. Impressum
  4. Titel
  5. Vorbemerkung
  6. 9. November 1989: ein grauer Novembertag
  7. Nach der Pressekonferenz
  8. Wer stellte die entscheidende Frage?
  9. Die andere Perspektive
  10. Warum hielt die Sowjetarmee still?
  11. Was wusste der Regierende Bürgermeister Momper?
  12. Akteure des 9.11. – Krenz, Schabowski, Momper – mit mir später im Gespräch
  13. Und was war mit dem Schießbefehl?
  14. Das Krenz-Telefonat aus Sicht Helmut Kohls
  15. Die Sicht Moskaus
  16. Rückblick: Für Bild in der DDR unterwegs
  17. »Was ist die DDR ohne Sozialismus? – Ich sagte: Deutschland«
  18. Mielke mit Brinkmann auf der Brücke vorm Palast
  19. Wer ließ Journalisten sieben Wochen am Brandenburger Tor warten? Brinkmann!
  20. Korrigierte Kohl sich und seinen Kurs? Und falls ja: Was war die Ursache?
  21. Wer holte in Moskau den »Schlüssel zur Einheit«?
  22. Selbstgewissheit? Selbstgefälligkeit!
  23. Gysi haut mich raus, obwohl er Grund hat, Bild zu hassen
  24. Ohne den 9. November ’89 kein 18. März 1990
  25. Sympathische Staatsamateure
  26. Das Auto blau, ich blau und das Schild weg