âEs gibt keine
Waldshut-Tiengener.â
Ein sozialstrukturelles Mosaik der
Doppelstadt am Hochrhein
Von Karl-Heinz Behr
Es gibt keine Waldshut-Tiengener: Man wĂ€chst in Waldshut auf oder in Indlekofen, in Gurtweil, Tiengen oder einem anderen der 12 Ortsteile. Die Identifikation mit dem einen schlieĂt hĂ€ufig andere aus. Das ist auf den Dörfern so. Oberalpfener mĂŒssen immer wieder ihren Jugendtreff âWĂ€schhĂŒsliâ verteidigen bei âBesuchâ von auĂerhalb, Ortsvorsteher und Ortschaftsrat mĂŒssen hin und wieder klĂ€rend eingreifen. Das ist aber auch in den Stadtteilen so. In Tiengen kann die Identifikation mit dem Stadtteil dann so klingen: â⊠Wo hab ich mich rumgetrieben und wie konnten wir nur alle die Kontrolle ĂŒber unser Leben so verlieren ach ich weiĂ doch auch nicht wir waren doch den ganzen Tag dicht und jetzt sitzen wir vor Gericht ich hoff ich muss dort nie mehr hin denn dann mĂŒsste ich nach Waldshut und darauf hab ich keinen Bock weil ich mich lieber hier in Tiengen City auf irgendeine Bank hock ⊠denn Tiengen ist die beste Stadt der Erde das is der Grund warum ich fĂŒr immer hier in Tiengen City bleiben werde ⊠und jetzt schreit mit mir Tiengen Tiengen Tiengen.â `Empire State of TiengenÂŽ hat der Rapper Gravito, Tiengener, seinen Tiengen-Rap genannt, den er schon mehrfach enthusiastisch im Jugendzentrum vortrug. Ganz ungern geht er damit nach Waldshut.
Im Zuge der Gemeindereform, die zum 1. Januar 1975 die Stadt Waldshut-Tiengen schuf, wurde möglicherweise die Verwaltung gestrafft und vereinfacht, nicht aber das Zusammenleben der BĂŒrger. Es gibt mit Schwyzertag Anfang Juli in Tiengen und der Waldshuter Chilbi Mitte August zwei groĂe Stadtfeste, zwei Vereine kĂŒmmern sich um Handel und Gewerbe je in ihrem Stadtteil. NatĂŒrlich gibt es zwei FreibĂ€der und zwei RathĂ€user. Es gibt nur einen Gemeinderat, aber beispielsweise zwei CDU- und zwei SPD-Ortsvereine, die sich immerhin auf jeweils eine Liste fĂŒr den Gemeinderat einigen können.
TrĂ€gt die Doppelstruktur in mancher Hinsicht zur bereichernden Vielfalt bei, so erhalten sich doch auch immer wieder wenig hilfreiche, manchmal teure Parallelstrukturen. Auch wenn manchem Verein die Aktiven fehlen, werden die vereinseigenen Strukturen und BestĂ€nde geschĂŒtzt.
Die stĂ€dtische Vereinsdatei weist 376 EintrĂ€ge auf von A wie Akkordeon-Orchester Tiengen bis Z wie Zierfischfreunde Hochrhein. Vergleichsweise hoch ist die Vereinsbindung von Jugendlichen, stellt die Waldshut-Tiengener Jugendstudie 2014 fest: 73% der an der Studie Teilnehmenden sind in einem Sportverein, 36% in einer Musikgruppe, wobei sich die Zugehörigkeit zum einen oder anderen nach Geschlecht teilt â MĂ€dchen machen eher Musik, Jungen sind mehr im Sport aktiv. Auch die soziale Herkunft spielt dabei eine Rolle. Trotz hoher Mitgliederzahlen klagen Vereine und VerbĂ€nde ĂŒber die Schwierigkeiten, einen Vorstand zu besetzen oder Jugendtrainer zu finden. Eigeninitiative und Engagement, so stellt die Jugendstudie fest, ist bei den befragten Jugendlichen gering ausgeprĂ€gt. Das entsprĂ€che wohl den Einstellungen ihrer erwachsenen Vorbilder, ergĂ€nzte ein Kommunalpolitiker bei der Vorstellung der Studie. Nicht ĂŒberraschend, dass die Stadtjugendringe in Waldshut und Tiengen schon in den 90er Jahren eingeschlafen sind und auch der Kreisjugendring, als einzig verbliebene verbandliche Vertretung Jugendlicher, seit Jahren Nachwuchsschwierigkeiten hat.
Waldshut-Tiengen wÀchst.
Trotz des auch hier vorhandenen landesĂŒblichen Geburtendefizits ist die Bevölkerung in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen auf 22.700 im Jahr 2013. Das verdankt die Stadt vorwiegend den Gewinnen aus der bundesweiten Nord-SĂŒd-Wanderung, aber auch den Wanderungsgewinnen aus dem Umland. 2012 blieb bei 1.963 ZuzĂŒgen ein Plus von 185 Personen. Der Demografiebericht der Bertelsmann-Stiftung, der Waldshut-Tiengen unter âmittelgroĂe Kommune mit geringer Dynamik im lĂ€ndlichen Raumâ einordnet, prognostiziert einen weiteren leichten Anstieg bis zum Jahr 2025, bevor die Einwohnerzahl sinken wird. 2.700 Personen klassifiziert die Statistik als AuslĂ€nder, also rund 12% der Bevölkerung. Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund ist, wenn man die Definition des Zensus 2011 zugrunde legt (âAuslĂ€nder und alle nach 1955 nach Deutschland Zugewanderten einschlieĂlich derer, die einen Elternteil haben, der nach 1955 nach Deutschland eingewandert istâ), etwa dreimal so hoch.
Die Zahl der Kinder und Jugendlichen in den zwei stĂ€dtischen und zehn dörflichen Stadtteilen ist, im Gegensatz zur Gesamtentwicklung, schon lĂ€ngst gesunken. Auch damit liegt Waldshut-Tiengen im Landestrend: Das Statistische Landesamt verzeichnete den Höhepunkt schon 2001 mit rund 4.800 jungen Menschen unter 20 Jahren. Der Jugendquotient, also der Anteil der unter 20-JĂ€hrigen bezogen auf die Zahl der 20-65-JĂ€hrigen, wird bis 2030 mit 4.000 auf 32,8% gesunken sein, wohingegen der Altenquotient, der Anteil der ĂŒber 65-JĂ€hrigen mit 6.000 auf ĂŒber 50% steigen wird. Folgte man der Logik einer âDemografischen Renditeâ, wie sie landesweit derzeit die KĂŒrzungen an Lehrerstellen begrĂŒndet, dann brauchte man kĂŒnftig wohl fĂŒr Kinder und Jugendliche eher weniger als mehr tun.
Wirtschaft
âDie Wirtschaftsstruktur des Landkreises zeigt zwei Besonderheiten: 1. Die Grenzlage zur Schweiz bewirkt enorme ErwerbstĂ€tigenströme in die Schweiz und einen hohen Kaufkraftzufluss in den Landkreis. 2. Der Kreis ist dĂŒnn besiedelt und stark lĂ€ndlich geprĂ€gt. Funktionen und Einrichtungen, die stĂ€dtische RĂ€ume kennzeichnen, sind nur unterdurchschnittlich vorhanden oder fehlen ganzâ, schreibt die âWirtschaftsförderung des Landkreises Waldshut 2014â. Kennzeichen der gewerblichen Struktur des Landkreises seien ein breiter Branchen-Mix in kleinen und mittleren Unternehmen mit unter 1.000 BeschĂ€ftigten. 11.400 Personen waren 2013 in der Stadt Waldshut-Tiengen laut Statistischem Landesamt sozialversicherungspflichtig beschĂ€ftigt, 40% davon arbeiteten im produzierenden Gewerbe, eine im Landesvergleich hohe Quote. âEine SpezialitĂ€t der Region ist die qualitativ hochwertige, flexibel auf Nischen und tendenziell auf kleinere StĂŒckzahlen ausgerichtete Produktion. Viele Unternehmen ⊠sind Ableger oder Töchter mit Entscheidungszentralen auĂerhalb der Region, hĂ€ufig auch in der Schweiz. ⊠Die stĂ€rksten Branchen im Dienstleistungssektor sind der Einzelhandel (am Hochrhein mit rund 40% Schweizer Kundschaft), der Tourismus (mit ca. 9% der regionalen Wertschöpfung) und das Gesundheitswesen mit 3.800 ArbeitsplĂ€tzenâ, berichten die Wirtschaftsförderer.
Viele Jugendliche wollen weg.
Viele Jugendliche wollen weg, wenn sie erst einmal die Schule hinter sich haben. Aber es kommen auch viele. Nicht nur Touristen, die die InnenstĂ€dte von Waldshut und Tiengen bewundern, den Radweg am Rhein entlang nutzen, im Schwarzwald wandern oder klettern. 34.000 GĂ€steankĂŒnfte und 79.000 Ăbernachtungen verzeichnet die Statistik des Landkreises 2012 in Waldshut-Tiengen. Das SchwyzerdĂŒtsch, das in der KaiserstraĂe Waldshut an sonnigen Tagen Standardsprache wird, wird nicht nur von Touristen, sondern auch von vielen TagesgĂ€sten gesprochen, die in Deutschland gĂŒnstig einkaufen oder essen gehen können. Zur Arbeit kommen 8.500 Menschen in die Stadt, 4.800 Arbeitnehmer mĂŒssen wegfahren.
4.400 SchĂŒlerinnen und SchĂŒler besuchen tĂ€glich die 9 stĂ€dtischen Schulen. Viele von ihnen kommen aus dem Umland. Mit den weiteren Schulen â Gewerbliche Schulen, die christliche Schule und verschiedene Förderschulen â pendeln fast 5.000 SchĂŒlerinnen und SchĂŒler tĂ€glich in die 18 Schulen im Stadtgebiet ein. Manche haben lange Fahrwege: Sie kommen aus Hohentengen und Jestetten im Osten des Landkreises oder aus Görwihl westlich der Stadt. Dass Wohnort und Schulort sehr weit auseinander liegen und der Busverkehr auĂerhalb der Schulzeiten zu jugendlichen Lebensrhythmen oft nicht so recht passen will, ist die gemeinsame Erfahrung schon vieler Jugendgenerationen.
Eine SpezialitĂ€t der Region ist, dass junge Leute mit Hochschulqualifikation vor Studium und Berufsausbildung abwandern, weil hier âkeine Uni um die Ecke istâ (Fabian Leber), und sie in der Regel nicht mehr zurĂŒckkommen. âIch weiĂ nicht, ob inzwischen ein Bewusstsein dafĂŒr da ist, dass man die Leute auch hier halten muss. Irgendwann hast du dann echt Probleme, da noch Leute zu finden. Diese gut ausgebildeten Leute, die kriegst du dann auch nicht mehr zurĂŒck, wenn die einmal weg sindâŠâ gibt Fabian Leber zu Bedenken. Er ist in Waldshut aufgewachsen und lebt in Berlin (s. auch das GesprĂ€ch mit ihm in diesem Buch).
Arbeitslosigkeit und Armut in Waldshut-Tiengen
Die SGB-II-Quote fĂŒr Waldshut-Tiengen beziffert der Demografie-Bericht der Bertelsmann-Stiftung mit 7,2%, das sind knapp 1.100 Personen zwischen 15 und 65 Jahren. Kinder und Jugendliche, die Leistungen nach dem SGB II erhalten gelten als arm. Im Jahr 2011 waren das 369 Kinder unter 15 Jahren (11%) und 49 Jugendliche zwischen 15 und 17 (7,1%) in Waldshut-Tiengen. Der monatliche Regelbedarf fĂŒr Alleinstehende, also das Geld, das eine Person laut Sozialhilfegesetzgebung monatlich mindestens zum Leben braucht, liegt zurzeit bei 391 âŹ. Hinzu gerechnet werden noch Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung, Miete und Heizkosten. Im Falle der Grundsicherung fĂŒr Arbeitssuchende kommen unter UmstĂ€nden einmalige Leistungen fĂŒr Erstausstattungen, Mehrbedarf fĂŒr Schwangere oder Schwerbehinderte, Leistungen fĂŒr Bildung und Teilhabe oder ein Einstiegsgeld hinzu. Wenn von SGB-II-Beziehern (oder SGB-II-Quote) gesprochen wird, dann sind Arbeit suchende Menschen und deren Angehörige gemeint, die neben anderen Förderungen auch die finanziellen Zuwendungen nach dem 2. Sozialgesetzbuch bekommen.
Offiziell sind in Waldshut-Tiengen 450 Personen arbeitslos gemeldet, das sind 2% der erwerbsfĂ€higen Bevölkerung. Nach anderer Rechnung (der Bertelsmann-Stiftung, die sich auch auf Zahlen aus der Bundesanstalt fĂŒr Arbeit bezieht) lag 2011 der Arbeitslosenanteil fĂŒr die Stadt bei 8,3%, das wĂ€ren dann 1.200 Personen, 90 davon unter 25 Jahre alt. Zum Vergleich: Land und Landkreis liegen bei der Gesamtzahl der Arbeitslosen bei einer Quote um 5,6%. 390 Personen waren 2011 schon ein Jahr oder mehr ohne Arbeitseinkommen. Diese âLangzeitarbeitslosigkeitâ fĂŒhrt zu besonders prekĂ€ren Lebenslagen. TafellĂ€den werden dann lebenswichtig. Personen, deren monatliches Gesamteinkommen unter 900 ⏠liegt, dĂŒrfen im Tafelladen in der Waldshuter BergstraĂe einkaufen. Unter Vorlage eines Einkommensbescheides kann man sich drei Mal pro Woche in der `TafelÂŽ der Caritas zu gĂŒnstigen Preisen mit Lebensmitteln versorgen. Das Angebot ist in der Regel begrenzt und hĂ€ngt davon ab, was an Lebensmitteln und wie viel davon die ehrenamtlichen Abholer des Ladens bei den örtlichen LebensmittelgeschĂ€ften bekommen haben. Manchmal gibt es kein Joghurt und kaum Milch, an anderen Tagen sind Obst oder Eier knapp. Je nach Angebot wird begrenzt, wie viel jeder Kunde kaufen darf.
Kindheit und Jugend
Unter dem Stichwort âTopographie der Kindheitâ stellte das Team um den Freiburger Soziologen Baldo Blinkert fest: âDurch verĂ€nderte gesellschaftliche Bedingungen verĂ€ndert sich Kindheit.â Das ist eine SelbstverstĂ€ndlichkeit. Interessant wird es, betrachtet man genauer, was denn die relevanten gesellschaftlichen Bedingungen sind: Auch in Waldshut-Tiengen sei die Situation von Kindern, so die Sozialwissenschaftler, geprĂ€gt von VerĂ€nderungen im Bereich der Familie, verĂ€ndertem Medienkonsum, einer Freizeit von Kindern, die zunehmend in organisierter Form unter zunehmend professionalisierter Betreuung stattfindet. Zudem haben Kinder immer seltener Zugang zu naturnahen FlĂ€chen, die ihnen freies Spielen ermöglichen. In drei ausgewĂ€hlten Wohnvierteln, in Waldshut auf dem Aarberg und im Ziegelfeld, in Tiengen westlich des Bahnhofs, wurde 2007 vom Freiburger Institut fĂŒr angewandte Sozialwissenschaft (FIFAS) die âAktionsraumqualitĂ€t von Kindern und Jugendlichenâ exemplarisch untersucht. Befragt wurden in allen drei Gebieten Haushalte, in denen ein oder mehrere Kinder zwischen 6 und 15 Jahren lebten. Es wurden 177 Haushalte mit 266 Kindern in die Untersuchung einbezogen. Christine Schings, die die Untersuchung durchgefĂŒhrt hat, kommt zu dem Schluss: âTrotz der eher lĂ€ndlichen VerhĂ€ltnisse ist bei einem FĂŒnftel der Familien die objektive AktionsraumqualitĂ€t als schlecht bis sehr schlecht zu kategorisieren. Auch die Spielmöglichkeiten der Kinder weisen auf Handlungsbedarf hin: Zwar können zwei Drittel der Kinder laut Aussage ihrer Eltern unbeaufsichtigt im Freien spielen, dagegen kann dies ein gutes Viertel nur mit Bedenken der Eltern, fĂŒnf Prozent spielen nur unter Aufsicht im Freien und fĂŒr drei Prozent ist das Spielen im Freien gĂ€nzlich unmöglich. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, wie notwendig es ist, vorhandene AktionsrĂ€ume fĂŒr Kinder zu sichern ⊠und dem Verschwinden von naturgerechten ErlebnisrĂ€umen entgegen zu wirken.â Die Studie machte anschlieĂend VorschlĂ€ge zu drei Aspekten: 1. Verkehr: Gefahren die vom Verkehr ausgehen, sollten abgemildert werden und auf die Vernetzung von Spielorten sollte geachtet werden. 2. Wohnumfeld: Nicht nur klassische SpielplĂ€tze verbessern die AktionsraumqualitĂ€t, sondern vor allem auch naturnahe SpielrĂ€ume, die Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen. 3. Um die AktionsraumqualitĂ€t dauerhaft zu sichern, muss dafĂŒr geworben werden, dass die BĂŒrgerinnen und BĂŒrger der Stadt die BedĂŒrfnisse der Kinder nicht nur akzeptieren, sondern sie darĂŒber hinaus als Bereicherung ihrer Wohn- und LebensqualitĂ€t erkennen.
Die Stadtverwaltung sieht Erhalt und Verbesserung von Spiel- und AktionsrĂ€umen als Querschnittsaufgabe. âIch wĂŒrde mir wĂŒnschen, dass bei allen Leuten in verantwortlichen Positionen, ob jetzt in der Schule, im Betrieb oder im Verein, Jugend eine Rolle spieltâ, sagte Martin Albers, OberbĂŒrgermeister von Waldshut-Tiengen, den Interviewern der Jugendstudie. Die Stadtverwaltung bemĂŒht sich um die 63 âoffiziellenâ Spiel- und BolzplĂ€tze, meist in kleinen Schritten, aber stetig. Wo immer möglich, werden Kinder und Anwohner in Bau- und Umgestaltungsprojekte einbezogen, ihre Ideen und Vorstellungen sind gefragt, sie können mithelfen beim Pflastern oder Pflanzen. Hinzu kommt eine weitere Aufgabe: Es gilt, FlĂ€chen fĂŒr kindliches Spiel zu sichern, die keine SpielplĂ€tze sind, aber offensichtlich Spielpotenzial aufweisen: Verwilderte GrundstĂŒcke, UferflĂ€chen, die nicht bewirtschaftet werden, WaldrĂ€nder oder Böschungen bieten Kindern vielfĂ€ltige Spielmöglichkeiten. In Waldshut-Tiengen sind solche âweiĂenâ FlĂ€chen kartiert und den in verschiedenen Ămtern genutzten Geo-Informationskarten hinterlegt. Soll eine dieser FlĂ€chen bebaut oder anderweitig genutzt werden, kommt ein verwaltungsinternes PrĂŒfverfahren in Gang, das die Nutzung entweder verhindert oder die Suche nach geeigneten ErsatzflĂ€chen initiiert.
Und fĂŒr Jugendliche?
550 SchĂŒlerinnen und SchĂŒler an Waldshuter Schulen sind mit dem, was man in der Freizeit in Waldshut machen kann, nicht zufrieden. 580 meinen, dass Waldshut ein Jugendhaus braucht. Das war 1994. Jugendliche einer Waldshuter âJugendhausinitiativeâ hatten nach einer eigenen Umfrage 670 Fragebogen ausgewertet, um ihrer Forderung nach einem Jugendhaus Nachdruck zu verleihen. Im Oktober 1997 wurde das âJugendcafĂ© im Kornhausâ Waldshut eingeweiht. Da war der gröĂte Teil der engagierten Jugendlichen schon weggezogen, zu Zivildienst oder Bundeswehr, zum Studium oder fĂŒr eine Berufsausbildung. âNichts wie weg!â war das bestimmende GefĂŒhle der letzten Schuljahre, erinnert sich Fabian Leber, der einer der Initiatoren dieser Umfrage war.
20 Jahre spÀter stellt die aktuelle Jugendstudie fest: 55% der Jugendlichen sind nicht zufrieden mit den Freizeitmöglichkeiten vor Ort. Auch hier wurden wieder fast 700 Fragebogen ausgewertet. Geantwortet hatten aber nicht nur Waldshuter, sondern eine breite Auswahl von Jugendlichen, die in Waldshut-Tiengen zur Schule gehen und zwischen 14 und 18 Jahre alt sind.
Und wie steht es inzwischen mit den Fluchtgedanken? 36% der Jugendlichen leben gern an ihrem Wohnort, stellt die Studie weiterhin fest, nur 6% nicht gern. Aber ĂŒber ein Viertel der Jugendlichen möchte die Region nach dem Schulabschluss verlassen. Dabei gibt es Unterschiede nach Bildungsniveau, Migrationshintergrund, Alter und Geschlecht.
Was sie sich wĂŒnschen, trugen auf Einladung des Kinder- und Jugendreferates 50 Jugendliche im Rahmen einer Zukunftswerkstatt im Dezember 2013 zusammen: Das sind weitere Sportangebote jenseits von FuĂball, informelle Treffmöglichkeiten im Freien, vielleicht GrillplĂ€tze, mehr, unterschiedliche und fĂŒr ihren Geldbeutel erreichbare Einkaufsmöglichkeiten (âein H&M wĂ€re tollâ), Musikveranstaltungen fĂŒr JĂŒngere und Treffpunkte ohne erwachsene Kontrolle oder pĂ€dagogische Aufwartung. Eine Jugendbar wĂ€re gut. Am Ende des Tages wurden Initiativen und MaĂnahmen vorgeschlagen, wie diese WĂŒnsche verwirklicht werden könnten.
Nicht weniger, sondern mehr muss auch fĂŒr Jugendliche getan werden, wenn sie weniger werden. Immer schwieriger wir...