Aufklärung und Aufregung
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Aufklärung und Aufregung

50 Jahre Schwule und Lesben in der BRAVO

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Aufklärung und Aufregung

50 Jahre Schwule und Lesben in der BRAVO

About this book

Seit 1956 hat die BRAVO Generationen von Jugendlichen aufgeklärt. Homosexualität, zunächst tabu, wurde erst ab Mitte der 60er Jahre zum Thema - als krankhafte Abweichung vom Normalen und um die Jugend vor Verführung zu warnen. Ab 1969 kam mit Dr. Sommer die sexuelle Offenheit. Als dieser 1972 gleichgeschlechtliche Erlebnisse schilderte (u. a. seine eigenen), wurde die BRAVO auf den Index der jugendgefährdenden Schriften gesetzt und stand kurz vor dem Aus. Den Anstoß für einen der ersten Beiträge über Homosexualität und Musik boten Village People mit ihrem Hit Y.M.C.A. (1979). Mit Smalltown Boy wurde Jimmy Somerville 1984 zu einer wichtigen Galionsfigur der jungen Schwulenbewegung. Das große Schweigen war nun endgültig vorbei! Heute erinnert kaum noch etwas an den schwierigen Weg der schwul-lesbischen Emanzipation. Hat sich BRAVO hier große Verdienste erworben oder eher gebremst? Dieses Buch untersucht ca. 1.000 Beiträge, die seit einem halben Jahrhundert dazu erschienen sind.

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Information

Sexualaufklärung

Sexualaufklärung 1956-1969

In den ersten Jahren war die BRAVO-Leserschaft mit 20-25 Jahren zwar jung, aber im Durchschnitt einige Jahre älter als heute. Zunächst gab es in BRAVO keinerlei Beratung in Fragen der Liebe und Sexualität. Von Mitte 1958 bis Ende 1959 half die Kunstfigur Steffi5 bei Liebesproblemen – auf Homosexualität wurde dabei jedoch nicht eingegangen. Dann wurde die BRAVO-Redaktion durch persönliche Kontakte bzw. schriftstellerische Erfolge auf die Unterhaltungsschriftstellerin Marie Louise Fischer aufmerksam6 und startete mit ihr 1963 eine eigene Aufklärungsreihe. Bis Herbst 1969 wurden ca. 30 Beiträge über Homosexualität veröffentlicht. Von einer eigentlichen Sexualberatung kann jedoch in diesen Jahren noch keine Rede sein.

Marie Louise Fischer und ihre Arbeitsweise als Dr. Vollmer

Mit dem Knigge für Verliebte erschien in der BRAVO Anfang 1963 erstmals in Deutschland eine Aufklärungsreihe für Jugendliche in einer Zeitschrift.7 Unter dem Pseudonym Dr. Christoph Vollmer beantwortete die Erfolgsautorin Marie Louise Fischer (1922-2005) Leserbriefe und schrieb auch größere Reportagen von ein bis zwei Seiten.8
Die Absicht, aufzuklären und zu helfen, kann Frau Fischer nicht abgesprochen werden. Man muss jedoch annehmen, dass sie in erster Linie unterhalten wollte. Ihre Äußerung, Ich bin eine Unterhaltungsschriftstellerin und habe keine großen Aussagen zu machen. Ich möchte auch nicht das Bewusstsein der Menschen verändern, bezog sich nicht ausdrücklich auf ihre Tätigkeit für BRAVO. Nach einer Analyse ihrer Beiträge in BRAVO kann die Äußerung aber auf ihre Tätigkeit dort übertragen werden. Eine Beurteilung unter pädagogischen Gesichtspunkten ist kaum möglich. Fischers Arbeitsweise bzw. die Form ihrer Aufklärung ist am deutlichsten zu charakterisieren, wenn man ihre Beiträge in der BRAVO mit ihren Romanen vergleicht. Dies macht übrigens (in der Gegenwart) auch die Redaktion von BRAVO, die überraschend kritisch mit einer ihrer wichtigsten Autorinnen der 60er Jahre umgeht. Marie Louise Fischer lieferte Beiträge, die nach dem Muster der Illustriertenromane gestrickt sind. Die Arbeiten dieser Vielschreiberin sind serielle No-Name-Produkte. Die Texte ausladend, anweisend und gefühlvoll, dem Zeitgeist der […] 50 [er] Jahre voll ein- und angepasst.9
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Tatsächlich können die Parallelen zu den Romanen kaum deutlicher sein. In den Romanen von Frau Fischer – die in einem emotionalen Sprachstil gehalten sind – gab es das einfache Handlungsmuster, dass sich dank einer einfühlsamen Protagonistin alle Konflikte – oft die von Mädchen in der Pubertät – in Wohlgefallen auflösen. Ein einsames Mädchen lernt z. B. die große Liebe kennen und heiratet.
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Die für BRAVO erstellten Texte wurden zweitverwertet – ohne BRAVO zu erwähnen und ohne den juristisch problematischen Dr.-Titel.
Ihre Beiträge in der BRAVO funktionieren ähnlich. Auch hier ist ihre Ausdrucksweise auffallend emotional bis pathetisch. So heißt es 1964: Deine Mutter hat ihre ganze Liebe […] auf Dich konzentriert. […]. Sie hat Dich mit Liebe und Zärtlichkeit überschüttet […] und Dich wie einen kleinen Mann […] behandelt – mit dem sie all ihre Sorgen besprechen konnte (64/19). Auch die in den BRAVO-Briefen angesprochenen Probleme lösen sich anscheinend von selbst, wenn z. B. ein Junge wieder ein zivilisiertes Betragen annimmt – einem Mädchen zuliebe, das in sein Leben getreten ist (64/19). Außerhalb einer fiktiven Romanwelt muss dies als ein Wegreden von Problemen ohne konstruktiven Lösungsansatz angesehen werden.
In den drei Büchern, die später unter dem Pseudonym Christoph Vollmer erschienen, wurden viele ihrer BRAVO-Beiträge wiederverwertet. In Verliebt, geliebt und liebenswert (1965), Lerne glücklich lieben (1967) und Was Verliebte wissen wollen (1969) finden sich auf insgesamt 10 Seiten Leserbriefe und sonstige Beiträge zur Homosexualität wieder. In diesen Büchern wies sie nie explizit auf die BRAVO hin, sondern schrieb nur 1969, dass die Beiträge für die Beratung in einer großen Jugendzeitschrift entstanden sind. Anders als in der BRAVO verzichtete sie bei ihren Büchern auf den juristisch problematischen Doktortitel.

Leserbriefe

Fragen zur eigenen homosexuellen Orientierung

Ein Artikel von 1963 unterscheidet bei der Beziehung zwischen einem jungen Mädchen und einer älteren Freundin vorsichtig zwischen unnatürlichen und gesunden Freundschaften (63/13) und deutet damit (noch leicht tabuisierend) Homoerotik an. In sechs weiteren Leserbrief-Beiträgen10 wurden von 1964-1969 relativ offen zumindest homoerotische Wünsche von Jugendlichen besprochen. Allein der erste Beitrag (64/6) behandelt Leserbriefe von drei jungen Frauen und einem jungen Mann, die über gleichgeschlechtliche Empfindungen und Erfahrungen verunsichert waren. Auf den ersten Blick ähneln die besprochenen Konflikte in vielen Aspekten den heutigen Problemen. Die Heranwachsenden fühlten sich mit ihren Gefühlen allein gelassen und vertrauten sich in der Hoffnung auf Hilfe der BRAVO an. Es gibt aber auch Unterschiede: Auch wenn erotische Neigungen zu beiden Geschlechtern wahrgenommen werden, ist Bisexualität für die Betroffenen kein Thema, sondern nur die Angst, homosexuell, und der Wunsch, heterosexuell zu sein. Große Unterschiede gibt es aber bei den Antworten von Dr. Vollmer.
Homosexualität – ein Übergangsstadium: BRAVO-Leser sind nicht homosexuell.
Dr. Vollmer sah bei allen Jugendlichen immer nur eine homosexuelle bzw. -erotische Phase als Stufe auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Aber solche Freundschaften zerbrechen, wenn ein Mann in das Leben einer der beiden Partnerinnen tritt. Das ist ganz natürlich, denn die Liebe zu einem anderen Mädchen ist nur ein Übergangsstadium (64/6). Selbst der 20-jährigen Gerda attestierte sie, dass sie sich in einer vorübergehenden Entwicklungsphase befinde. Dass in allen Fällen nur eine Phase angenommen wird, ist insofern richtig, als die Heranwachsenden, wenn es sich tatsächlich nur um eine Phase handelt, nicht verurteilt, sondern beruhigt werden. Jeder Person, die jedoch tatsächlich homosexuell ist, wurden auch mit 20 Jahren Gefühle abgesprochen, ein Coming-out wurde erschwert. Es scheint fast, als wenn innerhalb der BRAVO-Leserschaft nie eine endgültige Fixierung auf das eigene Geschlecht vorliegen kann. Einem 18-jährigen wurden sogar Unreife und Oberflächlichkeit unterstellt (69/2) und der 22-jährige Eberhard erhielt Tipps, um aus dem Teufelskreis der Homosexualität herauszufinden (64/19).
Die Ursachenforschung hatte einen hohen Stellenwert. Weil die Briefe oft von der Familie berichteten, konnten die homoerotischen Sehnsüchte u. a. mit einem gestörten Elternhaus in Verbindung gebracht werden. Bei männlichen Heranwachsenden wurden in der vaterlosen Kindheit und einer zu dominanten Mutter11 eine Gefahr gesehen. Im außerfamiliären Bereich vermutete Dr. Vollmer neben der Angst vor dem anderen Geschlecht auch den Mangel an Gelegenheit als Grund für eine homosexuelle Orientierung. Bei weiblichen Heranwachsenden sah sie die Ursache in einem gestörten Verhältnis zur Mutter und einer falschen Erziehung (64/6). Auch Angst vor Männern als Folge negativer Erlebnisse und eine Internatsunterbringung gehörten nach Dr. Vollmer zu den Gründen, warum junge Frauen vorübergehend auch gleichgeschlechtliche Beziehungen suchen.

Fragen zur sexuellen Orientierung anderer Personen

In vier Leserbriefen standen die Fragen nicht in Verbindung mit der eigenen homosexuellen Orientierung.12 Trotz der geringen Anzahl erlauben die Briefe einige Schlussfolgerungen. So ist in zwei Antworten erkennbar, dass Dr. Vollmer eine homosexuelle Orientierung als nicht gefestigt ansah. Sogar ein Umpolen schien möglich: Als zwei Mädchen Angst davor hatten, dass ihr Freund (67/35) bzw. Bruder (69/14) schwul sein könnte, riet Dr. Vollmer ihnen, sich ihnen als gute Kameraden zu erweisen, um so einen Gegenpol zu den homosexuellen Kreisen (67/35) darzustellen und zu signalisieren, dass auch ein Mädchen eine gute Partnerin sein kann (69/14).
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In den 60er Jahren wurde Homosexualität stets in negativen Zusammenhängen dargestellt. Aus: BRAVO 65/48.
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Aus: BRAVO 67/35
In Konfliktsituationen wurde kein konstruktiver Lösungsansatz verfolgt. Einem 16-jährigen Schüler, der fragte, wie er sich gegen körperliche Annäherungsversuche eines Mitschülers wehren solle, empfahl Dr. Vollmer statt einer offenen Aussprache mit Schüler oder Lehrer oder einer Grenzziehung nur eine Umgehung des Problems durch Platzwechsel (68/27).
Homosexualität wird von Dr. Vollmer ständig negativ bewertet. Als Christa wissen wollte, was eine Lesbe ist, schrieb sie, dass Lesben aufgrund einer seelischen Störung nie Männer lieben können und sich in eine Liebe flüchten, die die innere Einsamkeit überwinden helfen soll (65/48).
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Aus: BRAVO 68/27

Leserbriefe zu Zwittern, Transvestiten, Transsexuellen

In den Jahren bis 1969 gab es nur einen veröffentlichten Leserbrief, bei dem ein Junge nicht aufgrund seiner Gefühle, sondern aufgrund des gefühlten Unterschieds zwischen Geschlecht und Geschlechtsidentität beunruhigt war. Der Hilferuf des 16-jährigen Lutz (66/2), der sich in Stimme, Aussehen und Fühlen als ein Mädchen wahrnahm, hatte viel Ä...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Der Autor
  5. Inhalt
  6. Einführung
  7. Sexualaufklärung
  8. HIV/Aids
  9. Filme
  10. Musik
  11. Ein Vergleich der BRAVO mit anderen Jugendzeitschriften
  12. Persönliche Erinnerungen an die BRAVO
  13. Anhang