LINIE 1: NORD-BAHNHOF â WESTEND
STATION: NORD-BAHNHOF
âWenn wir was bewegen wĂŒrden bei den Kids, das wĂ€râ cool.â
Mahir, 28, im Verkauf tĂ€tig, und Hakan, 30, selbststĂ€ndiger TeileprĂŒfer, beide in Deutschland geboren und aufgewachsen und Rapper in der Crew Kanaken mit Haltung (KmH).
v.l.n.r. Hakan, Metto, Mahir von der Crew Kanaken mit Haltung
Mahir, Hakan, ihr beide rappt. Wie lang macht ihr das schon?
Hakan: Also ich habâ â94 angefangen, Texte zu schreiben. Aber so als KmH, als Kanaken mit Haltung, gibt es uns seit Ende 2003. Da haben wir uns gefunden. Wir kannten uns schon davor, 10 bis 15 Jahre lang, aber wir wussten nie voneinander, dass wir Musik machen. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass Mahir zu Hause Beats macht. Er wusste nicht, dass ich zu Hause schon jahrelang schreibe.
Mahir: Vorher, da kannten wir uns von der StraĂe, weiĂt du. Wenn du so ân Kanake im Viertel bist, dann bist ja nur auf der StraĂe. Da interessiert nur FuĂball, StraĂe und so Sachen halt, weiĂt du. Erst als wir Ă€lter waren und mehr zu Hause ârumgesessen sind, haben wir gemerkt: Der andere macht ja auch Musik. So hatâs dann angefangen.
Wie seid ihr zum HipHop gekommen?
Hakan: Eigentlich bin ich mit HipHop aufgewachsen. Mein Ă€lterer Bruder hat âne Sammlung gehabt. Als er dann keine Lust mehr darauf hatte, habâ ich die dann ĂŒbernommen. Und ich nennâ mich selber ja als KĂŒnstler nicht Hakan, sondern âHakanakâ. Also ân Wortspielchen. Wir versuchen halt, mit HipHop den Kids ân bisschen die Augen zu öffnen.
Mahir: Bei mir kommtâs so aus der Breakdance-Bewegung. Als zum ersten Mal Beatstreet im Fernsehen gesendet wurde, war das bei mir der Grund, anzufangen zu tanzen und zu sprĂŒhen. Die EinflĂŒsse kommen aus Fernsehen und Videos wie Wild Style, Breakdance, Boys in the Hood und HipHop und so amerikanische Schwarzen-Kultur.
Hakan: Damals, als ich das von meinem Bruder ĂŒbernommen habâ, war ich noch ân ganz kleiner Stöpsel. Als ich mir die Sachen angehört habâ, habâ ich nichts verstanden. Ich habâ nur die Beats gehört und gedacht: âYeah, ich bin jetzt auch Gangster.â Aber mit der Zeit habâ ich dann mehr auf die Texte geachtet und mich gefragt: Was wollen die eigentlich vermitteln? Die haben halt diese Musik nicht als Musik genommen, sondern als Werkzeug, um irgendwie den Leuten irgendwas vermitteln zu können, weil sie normalerweise keine Chance hatten, denen was zu sagen. Weil, es ist ein langer Weg in die Politik. Ob du irgendwann mal was bewegen kannst? Die meisten rechnen halt nicht mit Chancen. Deswegen benutzen sie dann HipHop-Musik als âne Zeitung von der StraĂe halt. Die haben halt versucht, durch ihre Musik ârauszukommen aus ihren Ghettos. Nur findâ ich das in Deutschland jetzt eher traurig. Denn die meisten, die hier Rapmusik machen, wollen in so ân Ghettodings âreinkommen. WĂ€hrend die in Amerika damals versucht haben, genau da ârauszukommen, wollen die hier ârein.
Wenn du schreibst, bist du da in âner bestimmten Stimmung?
Hakan: Ja also, bevor ich rausgehâ und mich abreagierâ bei irgendjemandem, nehmâ ich mir ân Blatt und schreibâ was drauf und nehmâ das auf. Denn vielleicht bin ich ja nicht der Einzige auf der Welt, der das fĂŒhlt. Da gibtâs vielleicht Leute, die das dann mitfĂŒhlen, die dann denken: Okay, das, was der sagt, könnte glatt auch von mir kommen. Und nicht so: Hey, ich kommâ da hin und machâ das kaputt, ich bin der Meister ⊠Es ist besser, wenn du erst mal den Beat anhörst und spĂŒrst, was fĂŒr eine GefĂŒhlslage dieser Beat hat. Manchmal hörst du zum Beispiel ân Beat, der so klingt, als wenn ein neuer Tag anfĂ€ngt. Und dann gibtâs halt so Beats, die treiben und voll hart sind. Dann nĂŒtzt es auch nichts, wenn du ĂŒber Regenbogen und Eichhörnchen singst. WeiĂte?
Mahir: Mittlerweile ist es jetzt so bei mir als Musiker, dass ich mich da selber einbringâ auch. Du bringst dich selber in den Modus. Und das ist nicht nur ein Verdauen von eigenen GefĂŒhlen, sondern du tust ja auch was schaffen wollen. Und damit können andere vielleicht ihre Sachen verdauen.
Ich habe das GefĂŒhl, dass Musik einen ziemlich hohen Stellenwert fĂŒr euch einnimmt âŠ
Hakan: Ich machâ die Musik gerne. Ich machâ auch grad ein Soloalbum und ich habâ da auch echt viel SpaĂ daran. Nur bleibâ ich auch auf dem Teppich und sagâ mir: Hey, wenn ich damit nichts erreichen sollte, muss ich mir immer noch âne andere Option offen halten. Deswegen geh ich auch arbeiten, fĂŒr den Fall, dass ich mit Musik nichts erreichen sollte.
Mahir: Ich stimmâ da zu. Nur: Wenn ich unser Leben anguckâ, also auĂer unseren Familien und so, hat das schon den höchsten Stellenwert. Mittlerweile haben wir keine andere FreizeitbeschĂ€ftigung mehr. Durch Musik lernst du auch viele Menschen kennen und baust Netzwerke auf. Das Rappen hat unser Leben eingenommen.
Habt ihr viele Freunde und Bekannte ĂŒber die Musik kennen gelernt?
Hakan: Ja, viele gerade durch die Musik. Und da gibtâs dieses MySpace-Forum und das ist ja auch weltweit. Da gehen Leute ârein und hören sich deine Musik an, ohne dass du das mitbekommst. Zum Beispiel ich sitzâ jetzt hier und irgendwo in Hamburg klickt einer meine Seite an und hört ein Lied von mir.
Dass man sich Kanaken mit Haltung nennt, ist ja nicht alltĂ€glich âŠ
Hakan: In Amerika tun viele Schwarze rappen und in ihren Liedern hörst du immer dieses Wort (flĂŒstert): Nigger. Warum nennen die sich selber Nigger? Warum nennen wir uns selber Kanaken?
Kanake ist ja kein schlechtes Wort: Kanake meint ĂŒbersetzt Mensch. Nur in den Augen der Masse sind Kanaken Leute, die alles kaputt machen, Leute, die MĂŒll auf den Boden werfen und dazu geneigt sind, SchlĂ€gereien anzuzetteln. Deswegen auch Kanaken âmit Haltungâ. Da gabâs doch diese Geschichte in MĂŒnchen, wo zwei Jungs ânen Opa in der U-Bahn zusammengeschlagen haben. WeiĂt du, das sind fĂŒr mich normale Kanaken. Aber nicht mit Haltung, nur Kanaken.
Mahir: Und dann gabâs aber die gleiche Geschichte in MĂŒnchen, da hat ein TĂŒrke von Skins auf die Schnauze bekommen. Und dann ist ein Grieche gekommen und hat ihm geholfen. Das wĂ€râ dann mit Haltung. NatĂŒrlich ist es nicht immer einfach, dem gerecht zu werden, aber es ist halt besser, als aggressiv und nur Kanake und gewaltbereit zu sein.
Hakan: Eigentlich hat dieser Name Kanaken mit Haltung ein Vorbild. In Amerika. Anfang der 90er, gabâs da âne Gruppe, die hieĂ N.W.A., (flĂŒstert) Niggaz (spricht wieder normal) with attitude. Wir haben das einfach nur ĂŒbertragen. Anstatt (flĂŒstert) Niggaz (spricht wieder normal) haben wir (flĂŒstert erneut) Kanaken genommen.
Und wenn jetzt zum Beispiel ân Deutscher daherkommt und zu euch sagt: âHey, Kanake!â Was denkt ihr dann?
Hakan: Dann denkâ ich mir: Okay, der ist nicht auf dem Level, mit mir normal reden zu können. Wir tun dem gar nix. Wir lachen den aus und gehen einfach, weil es sich dann nicht lohnt, sich mit dem zu streiten. Alleine schon die Anrede âHey, du Kanakeâ reicht uns dann.
Mahir: Es alles nur âne Definitionssache innerhalb der Gesellschaft. Wenn jemand von auĂen kommt und dich so definiert, dann ist das schon ân Problem. Und deswegen wehren wir uns, aber mehr innerlich.
Durch die Musik, die ihr macht, habt ihr euch dadurch irgendwie verÀndert?
Hakan: Ich sag mal, wir sind im Kopf erwachsener geworden. Weil die Musik, die wir jetzt machen, machen wir nicht einfach so und hauen sie dann raus. Wir haben da schon ein Konzept. Wenn jetzt zum Beispiel jemand ein Lied hört, dann soll ihn das ein bisschen zum Nachdenken bringen. Also unser Ziel ist eigentlich, den kleinen Kids, der Generation, die nach uns kommt, ân bisschen die Augen zu öffnen, weil wir sehen: Die gehen in den Abgrund so langsam. Die Leute sollen original bleiben und nicht als Kopie leben. Wenn wir was bewegen wĂŒrden bei den Kids, das wĂ€r cool.
Mahir: Das Leben ist hart, deswegen ist unsere Musik auch hart. Aber das ist halt einfach ehrlich. Manchmal machen Hakan oder ich, obwohl wir beide zur Schule gegangen sind, im Eifer des Gefechts und der GefĂŒhle Schreibfehler oder sprechen falsches Deutsch. Das ist dann nicht Absicht, weil du bist nur voll im Flow und in der Musik.
Hakan: Zum Beispiel schreibâ ich geradâ an einem Text ĂŒber âne MarktlĂŒcke auf der ganzen Welt: ĂŒber die Natur. Die Natur hat keine AnwĂ€lte. Zum Beispiel hat Jacques Chirac vor zehn Jahren in Afrika an irgend so âner Insel âne Atombombe ausprobiert. Die Leute, die da unten leben, die leben vom Fischen. âNe Atombombe macht da alles kaputt, ihre Lebensart macht sie kaputt. Mit was fĂŒr ânem Recht? DarĂŒber schreibe ich gerade. Ich meinâ, mit was fĂŒr ânem Recht gehst du da hin und zerstörst die Lebensart der Leute? Und gibtâs ânen Fick auf die, willst nur deine Bombe testen und dann ab wieder nach Frankreich dein Baguette essen. Dich kĂŒmmern die Leute da unten gar nicht.
Was war bis heute euer schönst...