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Swing Kids
About this book
Die Leidenschaft der "Swing Kids" für die "Negermusik" Jazz und englische Kleidung, ihr Tanzstil und ihr aufmüpfiger Individualismus genügten den Nazis, um massiv gegen sie vorzugehen: Hunderte von Jugendlichen wurden wegen "Anglophilie" in "Schutzhaft" genommen, zumeist ohne offizielle Anklage oder Verhandlung, viele landeten im KZ.Jörg Ueberall begab sich in Hamburg auf die Spuren der ersten städtischen Jugendsubkultur, die ihr Selbstverständnis aus der Musik zog. Er zeichnet die Entwicklung der Swing Kids von ihrer Entstehung 1936 bis zu ihrem (Nicht-)Ende 1943 - 1945 nach und erforschte, was aus den Opfern und Tätern wurde - bis heute.
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Information
„Wir tanzen ins Chaos“
oder: „Einig im Innern und stark nach außen, so stehen wir der Welt gegenüber.“ (Joseph Goebbels)
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges verkündete Goebbels das totale Tanzverbot. Doch bereits drei Wochen später, nach der Kapitulation Polens, wurde es wieder aufgehoben. Der Gaupropagandaleiter in Koblenz schickte aus diesem Anlass ein Rundschreiben an alle Kreisleitungen. Eingedenk der ernsten Stunde hätten Swingtänze „und ähnliche Verrenkungen“ zukünftig zu unterbleiben. Direkte Verbotsschilder solle man allerdings vermeiden, stattdessen solle ein Schild mit folgendem Inhalt angebracht werden: „Auch beim Vergnügen bewahre Haltung und Würde.“

„Swing tanzen verboten“: Auf vielen Schildern in deutschen Tanzlokalen in der Nazi-Zeit stand „Swing tanzen verboten“; dieses Schild stammt jedoch aus den 1970er Jahren.
Wer zur Tanzstunde ging, machte sich verdächtig.
Solange die Wehrmacht einen Sieg nach dem anderen errang, wechselten die Verbote und deren Aufhebung alle drei bis vier Wochen ab. Doch wo es Verbote gibt, suchen junge Leute nach Wegen, sie zu umgehen. Gerade die gleichgeschalteten Tanzschulen entpuppten sich als Schwachpunkt. Aus Angst, nicht zeitgemäß zu sein und existentiell Schaden zu nehmen, schleusten viele Tanzlehrer den Swing als „kleinen“ oder „schnellen Foxtrott“ in die Tanzstunde, die Tanzstunden fielen damals nicht unter das allgemeine Tanzverbot. Viele Tanzschüler nutzten diese „Nische“ und durchtanzten gleich mehrere Kurse hintereinander. Die Behörden schöpften Verdacht. Wer zur Tanzstunde ging, machte sich verdächtig. Schüler, die abends vom Kursus nach Hause gingen, wurden aufgegriffen und als „Herumtreiber“ abgestempelt. Aus diesem Grunde erließ Heinrich Himmler im Frühjahr 1940 ein Rundschreiben. Darin hieß es, dass zwar „außer Frage stand, dass Schüler und Schülerinnen von Tanzkursen auch in der Dunkelheit den Weg von der Wohnung zum Kursus und zurück machen dürfen, soweit diese Gelegenheit nicht dazu genützt wird, sich auf öffentlichen Straßen usw. herumzutreiben.“ Doch die Behörden waren alarmiert bis hoch zur Reichsmusikkammer. Diese stellte fest: „Verfallserscheinungen werden immer da am stärksten erkennbar, wo der Einzelne glaubt, sich gehen lassen zu dürfen.“ Für die Tanzfahnder war die Freiheit, die sich die Swing Kids beim Tanzen nahmen, nichts anderes „als Wildwuchs, den es rigoros zu beschneiden galt.“ In dieser Situation hatte es sich der Musiklehrer Max Merz zur persönlichen Mission gemacht, in Deutschland herumzureisen und von der NSDAP unterstützte öffentliche Vorträge gegen den Swing zu halten. Merz‘ Rausschmeißer gingen mit Gewalt gegen jugendliche Zwischenrufer vor, die seine stupiden Ausführungen störten.

Tanzveranstaltung im Curio-Haus, 1940
Ab 1939/40 wurde die berüchtigte Streifen-HJ, eine Vorstufe für eine Karriere im Sicherheitsdienst oder bei der Gestapo, ausgeschickt, um Jazzveranstaltungen der Swing Kids zu observieren, zu melden und auszuheben. Das Schlüsselereignis, das der Auslöser für die gezielte Verfolgung der Swing Kids wurde, Harry Stephens nennt es Jahrzehnte später die „Wasserscheide im Leben der Hamburger Swings“, war der Versuch der Streifen-HJ, am 3.2.1940 eine Tanzveranstaltung der Swing Kids zu observieren. Verschiedentlich wird behauptet, dass bereits im Vorfeld dieser Veranstaltung eine Zusammenarbeit mit der Gestapo zur gezielten Observation dieser Party stattfand. Ich kann das nicht bestätigen. Vielmehr wurde die Gestapo erst durch nachfolgenden Bericht auf die Tragweite des „Problems der Swingjugend“ aufmerksam:
NSDAP. Hitler-Jugend; Gebiet Hamburg (86)
K.-Inspekteur des HJ-Streifendienstes.
Hamburg, am 8.2.1940
K.-Inspekteur des HJ-Streifendienstes.
Hamburg, am 8.2.1940
An den Führer des Gebietes Hamburg; Gebietsführer Kohlmeyer Hamburg, Nadelsweg 10
Betrifft: Eine am 3.2.1940 im Kaiserhof in Altona durchgeführte Streife
Betrifft: Eine am 3.2.1940 im Kaiserhof in Altona durchgeführte Streife
Auf Grund einer durch die Gebietsführung an die Geheime Staatspolizei gemachten Meldung wurde am Sonnabend, den 3.2.1940 im Kaiserhof in Altona eine Streife in Zivil durchgeführt, bestehend aus dem Pg. [Parteigenosse, d. Verf.] Schnitzler von der Gestapo, dem Geff. [Gefolgschaftsführer, d. Verf.]Wöhnert und mir. Um 20 Uhr 15 waren wir im Kaiserhof und begaben uns zum Fest des Post- und Reichsbahnsportvereins, da hier auf Grund von einem Jg. gemachten Meldung das Treffen der Hamburger ,Swing-Jugend‘ stattfinden sollte. Während der bis 23 Uhr dauernden sportlichen Vorführungen wurden jedoch keinerlei Anzeichen dafür festgestellt, dass hier nach den Vorführungen obriges Treffen stattfinden sollte, zumal der Saal größtenteils von älteren Personen angefüllt war. So wurde auch beim anschließenden Tanz keine Person gesehen, die nicht ordentlich tanzte.
Nach diesen Feststellungen verließen wir den Raum. Hierbei fiel uns eine Glastür auf, die verschlossen war, hinter der aber Schatten von Personen zu sehen waren, woraus man schließen konnte, dass dort noch eine Veranstaltung stattfand. Nach etwas Suchen gelangten wir dann durch die Garderoben in diesen Raum.
Der Anblick, der sich uns hier offenbarte, war ein erschütternder. Es waren ca. 500 Personen anwesend, wovon nicht eine einzige über 22 oder 23 Jahre alt gewesen sein mag. Auf dem Flügel der Kapelle sah ich bei meinem Eintritt ein Schild mit der Aufschrift: ‚Swing erbeten!‘ Ein vor ,Erbeten‘ stehendes Kreuz ließ darauf schließen, dass das Schild einmal ,Swing verbeten!‘ hieß. Nach 5 Minuten wurde das Schild entfernt, da sich inzwischen im ganzen Raum herumgesprochen hatte, dass jemand von der Gestapo anwesend sei. Der Anblick der etwa 300 tanzenden Personen war verheerend. Kein Paar tanzte so, dass man das Tanzen noch als einigermaßen normal bezeichnen konnte. Es wurde in übelster und vollendetster Form geswingt. Teilweise tanzten zwei Jünglinge mit einem Mädel, teilweise bildeten mehrere Paare einen Kreis, wobei man sich einhakte und in dieser Weise dann weiter gehüpft wurde. Viele Paare hüpften so, indem sie sich an den Händen anfassten und dann in gebückter Stellung, den Oberkörper schlaff nach unten hängend, die langen Haare wild im Gesicht, halb in den Knien mit den Beinen herumschleuderten. Bei manchen konnte man ernsthaft an deren Geisteszustand zweifeln, derartige Szenen spielten sich auf der Tanzfläche ab. In Hysterie geratene Neger bei Kriegstänzen sind mit dem zu vergleichen, was sich dort abspielte. Als von der Kapelle einmal eine Rumba gespielt wurde, geriet die ganze Tanzfläche in eine wilde Ekstase. Alles sprang wild umher und lallte irgendeinen englischen Refrain mit. Bezeichnend ist, dass fast ausschließlich ausländische Tanzmusik gespielt wurde. Durch das Mikrophon wurde von dem ,Kapellmeister‘, der ebenfalls höchstens 21 Jahre alt ist und einen regelrechten Bubikopf trägt, oder von einer Chanson-Sängerin nur englisch gesungen.
Obwohl, wie schon erwähnt, sich innerhalb weniger Minuten herumgesprochen hatte, dass die Gestapo anwesend war, wurde hiervon kaum Kenntnis genommen. Hieraus kann man ersehen, wie frech und sicher sich diese Elemente fühlen. Es wurde in tollster Weise weiter geswingt. Auch als einer der Veranstalter, der ca. 18 Jahre alt ist, von Pg. Schnitzler eindringlich aufgefordert wurde, hiergegen einzuschreiten und auch wiederholt darauf einige ermahnte, wurde sich hierum ebenfalls nicht gekümmert.
Der äußerliche Eindruck, den sämtliche anwesenden männlichen Personen machten, war denkbar schlecht. Es waren ausschließlich vollendete ,Tangoboys‘ anwesend, mit dem berüchtigten langen Haarschnitt. Von einigen jungen Leuten wurde ein Bubikopf getragen, der an der Seite allerdings nach hinten zurückgekämmt wurde. Während des Swings wurden die Haare dann nach vorn geworfen, so dass sie ins Gesicht hingen. Es wurden keine Zeichen der Gliederungen getragen, dagegen diverse Abzeichen von Clubs und Vereinen. Für die charakterliche Bewertung der Anwesenden ist typisch, dass englische Musik mit englischem Gesang gespielt wurde, wo unsere Soldaten gegen England im Felde stehen. Es wurde sich vorwiegend auf Englisch, manchmal auch auf Französisch unterhalten. Wie schon erwähnt, war keine der anwesenden 500 Personen über 23 Jahre alt, der weitaus größte Teil wird den Jahrgängen 22 und 23 angehört haben, wie auf Grund vorgenommener Stichproben festgestellt wurde. Es wurden von mir lediglich 3 Angehörige der HJ festgestellt, wovon einer von dem Fest des Postund Reichsbahnsportvereins herüber gekommen war, und zwei Angehörige des Jahrgangs 1924, die von Lehrkollegen dorthin mitgebracht worden waren. Getanzt haben diese drei nicht. Überhaupt fielen sie schon auf, da sie einen einigermaßen ordentlichen Haarschnitt trugen. Ich zog sie auch auf Grund ihres äußeren Erscheinungsbildes auf, da sie überhaupt nicht in diese Clique hineinzupassen schienen. Wie die übrigen jungen Leute alle aussahen, mag schon die Tatsache zeigen, dass ich kurz nach meinem Eintritt hörte, wie jemand eine Gruppe warnte: ,Vorsicht, Gestapo und Gebiets-Streifendienst sind da. Erkennt ihr sofort, sehen typisch aus, kurzer Haarschnitt.‘

Tanzveranstaltung im Curio-Haus, 1940
Unter den Anwesenden waren mehrere Ausländer; so wurde von mir ein italienischer Staatsangehöriger festgestellt, Jahrgang 24, der in widerlichster Form geswingt hatte, sich jedoch durch keinerlei Ausweise legitimieren konnte.
Es wurde ein Eintrittsgeld von RM 75,- erhoben. Während des Abends wurde für die Kapelle gesammelt. An einen großen Teil der Anwesenden sind Einladungskarten ergangen, wovon ich eine beifüge. Diese Tatsache, und dass dieses nicht der erste ,lustige Abend‘ war, lassen vermuten, dass irgendeine Organisation dahinter steckt.
Die anwesenden weiblichen Personen waren dementsprechend. Welchen Eindruck dieser gesamte Laden machte, mag auch daraus hervorgehen, dass ein anwesender SS-Mann von der Waffen-SS mir sagte: ,Ich staune nur, ich muss morgen wieder nach Prag, aber was ich hier gesehen habe, werde ich so leicht nicht vergessen können. Traurig, dass es heute so etwas in der Heimat gibt.‘
Der Geff. Wöhnert musste bereits gegen 24 Uhr gehen, um seinen letzten Zug noch zu erreichen. Ich selbst blieb mit Pg. Schnitzler bis 1 Uhr 30 dort. Als wir in die Straßenbahn stiegen, um nach Hause zu fahren, war diese gefüllt mit Personen, die auch von dieser Veranstaltung kamen. Es herrschte hier ein tolles Geschrei. Die Weiber saßen auf den Schößen der Jünglinge und es wurde sich englisch unterhalten. Dort sah ich auch einen Jüngling, der nach englischer Mode einen gedrehten Regenschirm bei sich trug. (Bei 15 Gr. Kälte).
Es ist wirklich traurig, dass es heute in Kriegszeiten noch derartige Elemente gibt, die die nachzuahmen versuchen, gegen die wir im Kriege stehen. Es ist ein erschütternder Anblick, wenn man sieht, dass dieser Teil der Jugend, der noch im HJ-Alter ist, sich hier derartigen Ausschweifungen hingibt und ausgerechnet die Engländer nachzuahmen versucht, wahrscheinlich, um ,vornehmer‘ zu erscheinen. Zugleich stellt die Clique eine Gefahr für unsere HJ dar, da erwiesener Maßen versucht wird, Jugendliche mit hineinzuziehen, die diesen Kreisen nicht angehören, um für den nötigen Nachwuchs‘ zu sorgen.
Der K.-Gebietsinspektor für den SD im Gebiet Hamburg
Schult – Gefolgschaftsführer 1
Schult – Gefolgschaftsführer 1
Dieser Bericht muss eine nachhaltige Wirkung auf die Gestapo und die Führung der NSDAP in Hamburg ausgeübt haben. Noch im Februar kam es zu einer Unterredung beim Reichsstatthalter Kaufmann, der sich für eine „vorsorgende Bekämpfung der kriegsbedingten Verwahrlosung der Jugend“ aussprach. Die kommende große Tanzveranstaltung der Swing Kids sollte genutzt werden, um einen ersten polizeilichen Schlag gegen sie zu führen.
Unter den Augen der Gestapo fand am 2. März 1940 eine weitere große Tanzveranstaltung in einem gemieteten Flügel des Curio-Hauses in der Rothenbaumchaussee statt. Die Veranstaltung war in großem Stile geplant worden. Man hatte den Teilnehmern gedruckte Einladungskarten zugesandt, unterschrieben von Alfred Dreyer. In einer anderen Quelle nennt Harry Stephens seinen „alten Freund John Rittscher“ als Organisator des Festes. Ein Name, zu dem ich nicht viel sagen kann, nirgendwo sonst fand ich einen Hinweis auf einen John Rittscher. Er muss aber auch zum Kreis um Axel Springer, Kaki etc. gehört haben, da Harry Stephens als englischer Staatsbürger ebenfalls eng mit den Leuten dieses Kreises befreundet war.
Auf der Einladung stand noch, „Werte Bekannte“ seien herzlich willkommen, aber nur nach Anmeldung bei dem Organisator. Die Einladung zum „2. Bunten Abend“ machte einen sehr seriösen Eindruck, erinnert sich eine damals 17-jährige Teilnehmerin, deshalb sahen ihre Eltern keinen Grund, sie nicht zu dieser geschlossenen Veranstaltung gehen zu lassen.
23.00 Uhr. Heinz Beckmanns Band hat gerade „Bei mir bist du shein“ angestimmt, da ertönt ein Pfiff. Vierzig „Klepper-Mäntel“ tragende Gestalten stürzen herein, verschließen sämtliche Ausgänge und schieben lange Tische auf die Tanzfläche. Alle Anwesenden müssen in Reih’ und Glied antreten und von allen werden die Personalien aufgenommen. Außerdem werden Einzelheiten notiert, wie z. B. der Arbeitgeber heißt oder wie man zum Curio-Haus gekommen ist. Fingerabdrücke werden abgenommen und „belastende persönliche Habseligkeiten“ wie Lippenstifte konfisziert. 408 Swing Kids werden registriert, keinem gelingt es, sich unentdeckt aus dem Staub zu machen. Diejenigen, die sich ausweisen können, dürfen gegen 1.00 Uhr nach Hause gehen, den Rest behält man bis 4.00 Uhr morgens oder bis die jeweiligen Eltern ihre Söhne und Töchter abholen. Nach dem amerikanischen Historiker Michael Kater22 soll es in dieser Nacht auch zu Verhaftungen „mehrerer vermeintlicher Anführer“ gekommen sein. Andere Quellen bestätigen das nicht.
Anhand der aufgenommenen Personalien konnte die Gestapo diesen Personenkreis genau analysieren. Nur 17 der 408 Swing Kids waren über 21 Jahre alt, 40 Prozent waren unter 18 Jahren. Mehr als die Hälfte der Besucher gehörten nicht der HJ oder dem Bund Deutscher Mädel an (obwohl 1939 bereits über 90 Prozent der Zehn- bis Achtzehnjährigen im Jungvolk, der HJ oder dem BDM organisiert waren). Mit der genauen Feststellung dieses Personenkreises besaß die Gestapo nun einen direkten Zugriff auf die Swing Kids. Sie legte eine umfangreiche Kartei an. In diesem Stadium war die beginnende Verfolgung der Swing Kids jedoch noch eine lokale Angelegenheit, die Hamburger Vorfälle waren noch nicht bis zu den höchsten Stellen in Berlin vorgedrungen.
Eine Folgeparty, die für den 14. März im Weißen Saal des Curio-Hauses geplant war und für die man schon Einladungen gedruckt hatte, kam nicht mehr zustande.
Reichsstatthalter Kaufmann reagierte schnell. Am 7.3.1940 wurde die „Arbeitsgemeinschaft für den Jugendschutz im Kriege“ gegründet. Dahinter stand die Idee der „planvollen Zusammenarbeit der zahlreichen in Partei, Staat, Gemeinde und Wehrmacht um das Wohl der Jugend“ besorgten Stellen und es sollte ein „Meinungsaustausch über Beobachtungen sowie über die ergriffenen oder beabsichtigten Hilfsmaßnahmen“ stattfinden. Einziges Thema der ersten Sitzung: die Swing Kids.
Oberregierungsrat Bierkamp berichtete: „Besonders rühmend ist hervorzuheben, dass die Tätigkeit der Kriminalpolizei durch den Streifendienst der HJ erfolgreich unterstützt wird. So ist es neuerlich dank der rechtzeitigen Anzeige der HJ gelungen, im Curio-Haus ein verbotenes Tanzunternehmen, an dem viele Minderjährige beteiligt waren, auszuheben. Es handelte sich um ungefähr 400 Angehörige der so genannten besseren Kreise, die zum Teil aus der HJ ausgeschieden waren, weil ihnen die dortigen Anforderungen nicht passten.“ Der Vertreter des Sicherheitsdienstes präzisierte und folgerte: „PG. Eckhard schließt sich vom Standpunkt des SD den Ausführungen von Oberregierungsrat Bierkamp im Wesentlichen an. Den SD interessiert vor allem die Frage der politischen Verwahrlosung der Jugend. Die Überholung der vom Oberregierungsrat erwähnten Veranstaltungen im Curio-Haus hat gezeigt, dass es doch noch beachtliche Gruppen von politisch abseits stehenden Jugendlichen gibt; die dadurch erwachsenden Gefahren sind nicht leicht zu nehmen.“1
Dieser Gesprächskreis wurde durch die Anordnung Karl Kaufmanns zu einer Institution, in der alle Stellen vertreten waren, die in irgendeiner Art und Weise mit Jugendfragen beschäftigt waren. Jeden Monat gab es ein Schwerpunktthema wie „Verwahrlosung der weiblichen Jugend“, „die Entwicklung der Jugendkriminalität“ oder die „Erfahrungen mit den Verschärfungen des Jugendstrafrechts“. Als treibende Kraft erwies sich bald Rudolf Sieverts, Professor für Jugendrecht an der Universität in Hamburg und Stammführer der HJ.
Die zum großen Teil erhaltenen Protokolle geben einen interessanten Einblick in viele Aspekte des Lebens Hamburger Jugendlicher in der Kriegs- und Nazizeit, das geprägt war vom Anstieg der Jugendkriminalität und zunehmender Suche nach alternativen Ausweich- und Ausstiegsmöglichkeiten.
„Brauchen wir Konzentrationslager für Jugendliche?“
Auf der Sitzung am 5.7.1940 kommt es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Justiz und Polizei. Jugendstaatsanwalt Blunk äußert sich ablehnend zu der bevorstehenden Errichtung von Jugendkonzentrationslagern: „Brauchen wir Konzentrationslager für Jugendliche, in das die nach ihrer Erblage minderwertigen, asozialen, kriminellen und kriminell gefährdeten Jugendlichen gebracht werden sollen? Dass wir eine Einrichtung dieser Art dringend benötigen, ist unbestritten. Ich bin aber der Meinung, man sollte nicht Konzentrationslager für Jugendliche errichten, sondern möchte die Forderung, die schon seit Jahrzehnten von der Fachwelt erhoben wird, heute wiederholen. Gebt uns endlich das Bewahrungsgesetz für Jugendliche, das uns so lange schon fehlt!“ Weiterhin bestreitet Blunk das Recht der Polizei, dass Recht-, Haft- oder Geldstrafen gegen Jugendliche ohne Einschaltung des Jugendrichters verhängt oder vollstreckt werden dürfen. Das empört den Polizeipräsidenten und er reagiert mit einem Brief an die Staatsanwaltschaft, indem er sich gegen Blunks Auffassungen verwahrt und auf das Recht einer polizeilichen Strafverfügung, auch ohne Einschaltung anderer Stellen, beharrt.
Die „denkwürdigste“ Sitzung findet am 27.9.1940 ...
Table of contents
- Cover
- Titel
- Impressum
- Der autor:
- Inhalt
- Vorwort
- Einleitung und Schwierigkeiten
- Jazz in totalitären Staaten
- Begriffsschwierigkeiten
- Es geht los …
- „Wir tanzen ins Chaos“
- Das Ende
- „Was mit Ellington anfängt, das hört mit dem Attentat auf den Führer auf“
- Der Ghetto-Swinger
- Täter und Opfer
- Schluss
- And The Dance Goes On …
- Und zu allerletzt …
- Jahrhundertsongs
- Literaturverzeichnis