"Heimat ist da, wo man verstanden wird"
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"Heimat ist da, wo man verstanden wird"

Junge VietnamesInnen in Deutschland

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"Heimat ist da, wo man verstanden wird"

Junge VietnamesInnen in Deutschland

About this book

Für gewöhnlich hat jeder Mensch nur eine Heimat. Aber schon seit langem ist mir bewusst geworden, dass ich in zwei verschiedenen Welten lebe. Und es gibt Tage, an denen ich nicht genau sagen kann, wohin ich eigentlich gehöre - ein Konflikt, in welchem ich mich zwischen zwei Welten zu entscheiden habe... Bin ich eine Vietnamesin oder doch mehr eine ausländisch aussehende Berlinerin? Einerseits bin ich stolz darauf, eine Vietnamesin zu sein, andererseits habe ich mir auch die Mentalität einer Berlinerin angeeignet und kenne Berlin wie meine Westentasche. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich eine Vietlinerin bin und bleiben möchte. Ich verbinde diese zwei Welten in mir und mache sie mir zu meiner eigenen Identität. Nhu Quynh Nguyen Thi"Es ist sowieso schon eine schwierige Zeit: Die allen bekannte Pubertät, in der man von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt alle Gefühlslagen täglich unendliche Male durchlebt. Wie ist das, wenn man dazu noch das Gefühl hat, sich zwischen zwei Kulturen entscheiden zu müssen? Doch in den vielen verschiedenen Interviews im Buch wird deutlich, dass man sich vielleicht gar nicht entscheiden muss. Denn viele Vietnamesinnen und Vietnamesen haben Wege gefunden, die deutsche und vietnamesische Kultur in sich zu vereinen. Die individuellen Geschichten bringen ihre Situation nahe. Da gibt es zum Beispiel die beiden vietnamesischen Jungs, die schwul sind und nicht erkannt werden wollen - weil sie sich vor ihren Eltern noch nicht geoutet haben. Sie haben große Angst, aus ihren Familien ausgestoßen zu werden. Aber sicher fällt ein Coming-Out auch deutschen Jungs nicht immer leicht! Oder da gibt es die Geschichte der 17-jährigen Do Ngoc Anh und der 24-jährigen Thien Long: Jeden Tag müssen sie aufs Neue einen kleinen Kampf zwischen dem traditionellen vietnamesischen und ihrem eigenen Frauenbild austragen. Eingebettet sind die Interviews in umfangreiche Hintergrundinformationen zur Geschichte des Verhältnisses zwischen Vietnam und Deutschland. Es geht um die Boat People der 70er Jahre oder um die vietnamesischen Vertragsarbeiterinnen in der DDR: Spannend und erschütternd zugleich sind die Kopien der DDR-Staatsakten aus dem Bundesarchiv Berlin. Man erfährt Einiges über die "Verfahrensweise bei Schwangerschaft vietnamesischer werktätiger Frauen". Ihnen wurde die Abtreibung nahe gelegt. Wer sich weigerte, musste mit einer Ausweisung rechnen." Wiebke Keuneke in: du-machst.de

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„Vietnam ist für mich so eine Art Fluchtmöglichkeit.“

Thai Son Ngo, 19, Schüler

Wo bist du geboren?
In Hanoi, der Hauptstadt von Vietnam.
Seit wann lebst du in Deutschland?
Ich glaube, seit 1992, als ich fünf Jahre alt war.
Kannst du noch vietnamesisch?
Ja, kann ich noch. Nicht mehr so gut wie meine Eltern, aber die Alltagssprache kann ich schon noch.
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Sprichst du noch vietnamesisch im Alltag?
Nur, wenn ich mich manchmal mit meinen Freunden treffen, mit meinen vietnamesischen Freunden, oder wenn ich bei meinen Eltern bin, aber ansonsten nicht.
Sprechen deine Eltern hier nicht deutsch?
Nicht innerhalb der Familie, nicht innerhalb ihrer Wohnung.
Warst du inzwischen wieder mal in Vietnam?
Ja, insgesamt jetzt dreimal, in Abständen von drei Jahren ungefähr, während der Sommerferien für jeweils 4 bis 5 Wochen.
Was ist anders in Vietnam?
Die deutschen Menschen haben eine ganz andere Mentalität, das ist zwar ein Klischee, aber es stimmt auch. In Vietnam ist man immer darauf bedacht, so gut wie möglich zu wirken, sich immer vorteilhaft darzustellen. Der große Unterschied zu Deutschland ist, dass die Deutschen offener sind – in der Hinsicht, dass man besser Fehler zugibt, in Vietnam ist das eher nicht so und man ist verhaltener, wenn es darum geht, zu zeigen, dass man auch Schwächen hat. In Vietnam muss man immer sehr stark sein und seinen eigenen Raum haben, der nur für einen selbst ist, wo man allein ist. In Deutschland muss es nicht unbedingt sein, da kann man sich ganz öffnen, den Freunden gegenüber, der Familie gegenüber, aber in Vietnam ist es in der Hinsicht ganz anders, da braucht man immer ein Stück, wo man sich zurückziehen kann. Eigentlich hab ich mit meinen Eltern eine ziemlich gute Beziehung, nur, wenn Probleme auftreten, dann probiert man erst mal, sie auf jeden Fall alleine zu regeln, und erst, wenn es absolut nicht mehr geht, wendet man sich an die Eltern. Aber ansonsten ist es auch immer so, dass man sich gegenseitig nur die guten Seiten zeigt, damit die Stimmung nicht getrübt wird.
Man teilt also nur die Erfolgserlebnisse mit?
Ja, genau. Man will sie nicht mit Problemen bedrücken. Zumindest geht es mir so und meinen Eltern auch, es gibt nur selten die Situationen, in denen wir gegenseitig erkennen, oh, der andere leidet unter diesem und jenem, und dann wollen wir auch helfen, aber es passiert nie von selbst, dass jemand auf einen zugeht und sagt: Hilf mir mal!
Ist das alles nur Rücksichtnahme?
Ich denke, zum großen Teil ist es Rücksichtnahme, aber es kann auch sein, dass man selber nicht gerne zeigen möchte, dass man Hilfe braucht. Man möchte sagen, dass man stark ist, dass man alles von selber schafft. Aber das ist vielleicht besonders stark in meiner Familie ausgeprägt, weil wir schon immer so diese Charaktere haben, die eigenständig sind – so habe ich es gelernt.
Wenn du in Vietnam warst, waren deine Eltern dann mit?
Nein. Einmal war meine Mutter noch mit, die anderen Male war ich alleine, auch aus finanziellen Gründen wechseln wir uns immer ab. Dann hab ich auch nicht so meine Eltern im Rücken, die dann sagen: „Das darfst du nicht und das darfst du auch nicht und das darfst du!“ Dann muss ich mich an meine Verwandten halten, die noch traditioneller sind und natürlich noch mehr drum besorgt, dass ich nichts Falsches mache – und mir wird auch vorher immer eingebläut von meinen Eltern, dass ich mich genau richtig zu verhalten habe, nicht frech bin, nicht irgendwas Falsches sage. Frech wäre z. B., wenn man länger als bis elf Uhr wegbleibt und den Großeltern nichts sagt – ich lebe dann ja bei meinen Großeltern, und da bleibt niemand in der Familie länger als bis elf weg. Oder beim Essen, wenn man den anderen Familienmitgliedern bei Tisch nicht guten Appetit wünscht, sondern gleich los isst, oder sich nicht darum kümmert, dass der Großvater die besten Stücke abkriegt – das ist dann auch frech, und da passt man auf. Aber das ist eben die Verwandtschaft in Vietnam, bei der ich mich wirklich sehr darum kümmern muss, dass ich auf die Sachen achte, aber hier in Deutschland ist es so, dass meine Eltern und ich uns auch schon ziemlich angepasst haben an die Deutschen. Klar, gibt’s dann noch diese Kleinigkeiten, wo man drauf achten muss, aber sonst: Die Aussprache mit den Eltern funktioniert hier in Deutschland an sich besser als in Vietnam mit den Verwandten, finde ich.
Welche Staatsangehörigkeit hast du?
Ich hab noch die vietnamesische Staatsangehörigkeit.
Möchtest du die behalten?
Das weiß ich nicht. Eigentlich ist es mir egal, ob ich die deutsche oder die vietnamesische Staatsbürgerschaft habe, für mich ist das nur ein Stück Papier. Die Identität als Vietnamese habe ich nicht mehr ganz und als Deutscher habe ich die auch nicht ganz, ich bin hin- und hergerissen zwischen Vietnam und Deutschland und ich habe die deutsche bis jetzt nur nicht, weil ich bei der Einreise in Vietnam dann das Visum bezahlen muss. Ich möchte aber gern den Studienrat an der UDK machen, und wenn ich das hinkriege, dann muss ich natürlich die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen und ich werde sie beantragen.
Also für dich ist es mehr eine pragmatische Sache?
Auf jeden Fall. Es ist, wie gesagt, für mich nur ein Stück Papier. Ich bin eh hin- und hergerissen, deswegen wird dieses Stück Papier mir nichts bedeuten.
Kannst du dieses Hin- und Hergerissensein etwas genauer beschreiben?
Oh, das ist schwer. Ich merke es ganz speziell, wenn ich aus Vietnam wieder nach Deutschland zurückkehre oder wenn ich aus Deutschland nach Vietnam komme. In der ersten Woche ist das sehr stark ausgeprägt. Ich merk dann, bei meinen deutschen Freunden und bei meinen Verwandten in Vietnam ist das Verhalten so konträr, man unterhält sich auf eine ganz andere Weise, man nimmt Humor ganz anders auf. Und mir gefällt eigentlich beides, aber dadurch kann ich mich nicht so richtig einordnen. In Vietnam fehlt mir was, hier in Deutschland fehlt mir auch ein bisschen was. Einerseits sag ich dann: O.k., es ist so, und dadurch erweiterst du deinen Horizont, aber andererseits will man sich auch mal richtig fest zuordnen. Aber das kann ich ja doch nicht.
Das Gefühl ist nicht ständig da, aber manchmal, wenn man einen Abend mit Freunden veranstaltet und deutsche und vietnamesische Freunde einlädt – dann ist es sehr schwer. Man merkt, die Gruppen passen nicht wirklich zueinander, aber man selber will schon sehr gerne, dass die Gruppen sich vermischen, aber es geht nicht, und da denkt man sich, o.k., da fehlt was, da passt etwas nicht.
Wenn du nach Vietnam kommst, fühlst du dich wahrscheinlich mehr als Deutscher, und wenn du hierher zurückkommst, mehr als Vietnamese, oder?
Ja, das ist auf jeden Fall so. In Vietnam sieht man mir das auch auf der Straße voll an, dass ich aus Deutschland komme. Allein schon, wie ich mich gegenüber den Händlern verhalte. Wenn man in Vietnam in ein Geschäft geht, ist man das Auftreten der Händler nicht gewöhnt, und verhält sich entweder ein bisschen distanzierter als das normale Publikum oder man wirkt eingeschüchtert. Und die Händler erkennen das sofort, die sehen das, tauschen mit mir vielleicht einen Satz aus und dann wissen sie sofort, der ist Ausländer, also sie sagen nicht Ausländer, aber die sagen, du kommst aus dem Ausland. Und da gehen sie mit dem Preis nie so weit runter wie bei den Einheimischen.
Und was bereichert dich an dieser Situation?
(lacht) Meine Eltern sagen immer, dass ich so ein Glück habe, dass ich auf beide Geschmäcker stehe, wenn es ums Essen geht. Das ist schon mal eine Bereicherung – aber auch von der gedanklichen Seite her. Man betrachtet die Welt ganz anders. Wenn ich mit deutschen Freunden unterwegs bin und wir zum Beispiel eine Straßenaktion von Migranten sehen – dann merke ich, wie sich mein Interesse eher dahin begibt als das Interesse meiner Freunde. Bei mir merke ich, ich bin recht offen gegenüber neuen Sachen oder anderen Kulturen. Was ich bei vietnamesischen Freunden in Vietnam und hier bei Deutschen auch nicht so häufig merke, nur bei einem kleinen Teil der Bekanntschaften, die ich habe. Wie gesagt, es trifft nicht auf alle zu, aber auf viele – es interessiert sie nicht. Ich würde nicht sagen, dass sie sich abschotten, aber es interessiert sie einfach nicht.
Welche Staatsbürgerschaft haben deine Eltern?
Die Eltern haben auch die vietnamesische Staatsbürgerschaft und die wollen sie auf jeden Fall behalten. Sie haben hier eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung, und ich habe bis jetzt nur eine Aufenthaltsbefugnis, aber im nächsten Jahr kann ich dann eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung beantragen.
Gehört deine Familie, gehörst du einer bestimmten Religion an oder hat Religion eine Bedeutung für dich?
An sich nein. Ich bin Atheist, aber mein Vater ist recht gläubig – er ist Thaoist oder Buddhist – die zwei Religionen vermischen sich in Vietnam so ein bisschen. Meine Mutter ist atheistisch erzogen worden und hat mich selber auch atheistisch erzogen und meinen Vater an mich nicht so rangelassen mit dem Glauben. Ich habe keine Antipathie gegen den Glauben, ich interessiere mich sogar sehr dafür, ich habe auch schon viel über Christentum, Islam und Buddhismus gelesen, habe mich informiert. Eine Zeitlang habe ich auch gedacht, o.k., vielleicht gehst du mal auf deinen Vater ein und schaust, wie die Religion ist, aber es hat mir nicht so viel gegeben. Es war nur eine schöne Ablenkung, wo man sich sagt, o.k., es ist sehr schön, sehr interessant, aber mehr auch nicht. Mein Vater wollte es mir immer mal mitgeben, aber meine Mutter war dagegen, deswegen bin ich nicht dazu gekommen. Meine Mutter meinte auch, Religion kann dich nicht weiterbringen, es ist eine reine Geldverschwendung, weil man auch in Vietnam Opfergaben bringt, z. B. zu bestimmten Feiertagen Totengeld verbrennt und sonstiges ... Man muss den Toten Opfergaben bringen, damit sie im Jenseits ein besseres Leben haben. Das Totengeld ist natürlich kein echtes Geld, das ist so bedrucktes Papier, das keinen Wert hat, aber um es zu kaufen, muss man auch Geld ausgeben, das ist ja klar. Ja, und deswegen sagt meine Mutter, man muss sich nicht darauf einlassen, das ist banal. Meine Mutter hat auch gesagt, dass von ihrer Erziehung her Religion überhaupt keine Rolle spielt, dass ist ihr vom Sozialismus schon in die Wiege gelegt worden, und als meine Mutter nach Deutschland gekommen ist, ist die Tradition noch mehr abgeschwächt worden. Nein, eigentlich hat Religion keine Bedeutung für mich.
Und wie ist das bei deinen Verwandten in Vietnam?
Da ist es anders, die Verwandten in Vietnam haben natürlich immer noch diese traditionellen Feiertage, wo sie Opfergaben bringen, immer einen Hausaltar haben, den haben meine Eltern auch, für die Ahnen und für Buddha halt, das hat jeder, und jeder bringt auch Opfergaben, meine Eltern eher weniger, aber meine Verwandten in Vietnam bringen im Monat zweimal Opfergaben, einmal Mitte des Monats und einmal zu Anfang des Monats. Und daran hält man sich auch, man vergisst so was auch niemals, egal was passiert, man vergisst es nicht, und da schüttelt man immer schon den Kopf, wenn irgend jemand das mal zu spät macht oder erst vor dem Schlafengehen, also wenn es dann fast vergessen wurde.
Wenn du jetzt dort bist, gehst du dann auch zum Altar?
Ich helfe dabei. Aber persönlich bete ich nicht, ich geh nur, wenn ich in Vietnam bin, einmal in den Tempel zu meinem Großvater. Weil er gegen die Amerikaner an der Seite von Ho Chi Minh gekämpft und deswegen eine höhere Position inne hatte, durfte nach seinem Tod in dem Tempel sein Bild aufgestellt werden. Also mein Großvater hat im Tempel keinen eigenen Altar, das hat keine Person aus der jüngeren Geschichte, nur alte gottähnliche Könige und Gelehrte haben dieses Privileg. Mein Großvater teilt sich einen recht kleinen Altar mit den Volkshelden der letzten Jahrzehnte. Jeder hat dort ein kleines Photo hinter Glas gespannt. Es ist trotzdem ein Privileg, dort zu sein, da die im Tempel lebenden Mönche für die Verstorbenen jeden Tag beten und ihnen Opfergaben darbringen. Im normalen Alltag hat man oft nicht die Kraft und die Zeit, sich den Ahnen zu widmen.
War dein Großvater General?
Dadurch, dass meine Eltern des Historischen nicht so mächtig sind wie ich, weiß ich die direkte Bezeichnung für seinen Rang nicht, aber ich denke schon, dass er eine Art General war, er war recht hoch angesiedelt und konnte direkt neben Ho Chi Minh kämpfen und arbeiten und wahrscheinlich deswegen auch diese Anerkennung im Tempel.
Er war also eine sehr anerkannte Person und das imponiert dir und deshalb gehst du auch in den Tempel, oder?
Einerseits das, klar, und andererseits aber auch wegen meiner Verwandten, weil die mich dahin mitnehmen und mir sagen, o.k., wir gehen erst jeden Altar ab, es gibt dort sehr viele Altäre, weil dieser Tempel recht groß ist, und dann bringen wir Opfergaben und beten zu den jeweiligen Buddhas und anderen Gottheiten. Ja, und da mache ich dann auch mit, aber ich weiß nicht, was ich da sagen soll oder an was ich denken soll, und da helfen mir meine Verwandten immer noch ein bisschen, indem sie sich daneben stellen und dann für mich beten.
Waren alle deine Verwandten auf Seiten der Nordvietnamesen?
Ja. Ich kenne zwar vereinzelt auch Südvietnamesen, aber so starke Beziehungen zu denen hab ich nicht, auch verwandtschaftlich gibt es nur ganz weite Entfernungen, da haben wir einen Verwandten in Paris, aber ansonsten nicht, nein.
Hast du noch Geschwister?
Ja, ich hab noch einen Halbbruder in Vietnam. Er ist schon verheiratet. Von meinem Vater, der vorher schon verheiratet war. Er hat sich mit seiner Frau nicht mehr verstanden, wurde geschieden und hat dann meine Mutter kennen gelernt. Und dann bin ich entstanden.
Seit wann leben deine Eltern in Deutschland? Seid ihr alle zusammen hierher gekommen?
Nein, mein Vater ist schon 1989 hierher gekommen, vor der Wende, und meine Mutter und ich sind 1992 nachgekommen. Ich hab immer von meinen Eltern gehört, dass sie Gastarbeiter in Deutschland waren.
Und was hat dein Vater gemacht?
Mein Vater hat zuerst in einer Holzmöbelfabrik gearbeitet, die in Thüringen in der Nähe von Erfurt lag.
Und deine Mutter?
Die erste Zeit, wo wir hierher gekommen sind, das war in der Nähe von Bayern, hat mein Vater keine Anstellung mehr gehabt, er war arbeitslos … Meine Eltern hatten auch keine Arbeitserlaubnis mehr, die wurde ja entzogen, und dann sind wir nach Baden-Württemberg gekommen und haben vom Sozialamt gelebt – in der Region Stuttgart waren wir da, und da haben wir in einem Dorf gewohnt und meine Eltern haben schwarz gearbeitet, auf dem Feld, dort haben sie erst mal Unkraut gezupft, beide, und da war ich den ganzen Tag alleine zu Hause. Das ging ungefähr ein Jahr lang, bis wir eine bessere Situation gefunden haben.
Wie war denn das für dich?
Oh, sehr hart. Fünf, sechs Jahre alt war ich. Es war wirklich sehr hart, weil, in Vietnam war wirklich die ganze Zeit Verwandtschaft um mich und auf einmal war ich ganz alleine. Ich kannte niemanden, hatte keine Freunde, und es war ein kleines Dorf, wo nicht so viele Kinder waren, ja, dann war ich den ganzen Tag zu Hause. Und abends hab ich mich immer geängstigt, vor Geistern oder so ... (lacht)
Und was hast du den ganzen Tag zu Hause gemacht?
So genau weiß ich es gar nicht mehr. Ich glaub, ich hab Fernsehen geguckt oder so. Oder ich bin in den Garten gegangen, weil da in der Nähe war ein großer Garten mit einer Wildblumenwiese, und hab mich beschäftigt damit, aber ansonsten war da nicht viel. Vor kurzem wurden mal die „Dick und Doof“-Filme im Fernsehen wiederholt, die hab ich damals immer gesehen, und mit einem Mal überfiel mich die ganze Tra...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. „Für gewöhnlich hat jeder Mensch nur eine Heimat.“
  6. Vorwort
  7. Mein Vietnam
  8. Deutschland und Vietnam – wo sind die Berührungspunkte?
  9. Boat people
  10. VertragsarbeiterInnen
  11. Aus DDR–Staaatsakten im Bundesarchiv Berlin
  12. Nach der Wiedervereinigung
  13. Die Familie
  14. Konflikte in der Familie
  15. Freizeit
  16. Identität
  17. „Vietnam ist für mich so eine Art Fluchtmöglichkeit.“
  18. „Sie zeigen die Liebe nie offen.“
  19. Alles im Wandel
  20. „Ich lasse das an mir abtropfen“
  21. „Ich bin sehr sauer, wie mit Menschen hier 142 in diesem Land umgegangen wird“
  22. Gedichte von Thien Long, 24 Jahre