1. Zusammenfassung
Diese Studie erforscht das Vorkommen depressiver Symptome im Jugendalter, die Lebenssituation und den Alkohol- und Nikotinkonsum von Jugendlichen. Suizidgedanken werden erfragt und verschiedene subklinische Ăngste identifiziert. Ziel ist es, diese Themen in Zusammenhang zu bringen und zu ĂŒberprĂŒfen, ob Unterschiede zwischen den Schularten Hauptschule, Realschule und Gymnasium sowie den Jahrgangsstufen 7, 8 und 9 zu finden sind. Hierzu wird einer quasi-reprĂ€sentativen Stichprobe aus 495 Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren ein eigens fĂŒr die Untersuchung konstruierter Fragebogen vorgelegt. Bei ca. 20 % der Jugendlichen finden sich depressive Symptome, 40 % rauchen und 75 % trinken Alkohol, wobei vor allem das frĂŒhe Einstiegsalter und das AusmaĂ des Konsums auffĂ€llig sind. Weiterhin zeigen sich multiple ZusammenhĂ€nge aller Bereiche, welche verdeutlichen, dass die Probleme der Jugendlichen sehr komplex sind. Differenziert nach Klassenstufe und Schulart finden sich je nach Bereich unterschiedliche Ergebnismuster. Weitere Studien werden benötigt, um den Fragebogen zu evaluieren und Normen zu erstellen.
2. Abstract
The aim of this study is to examine the connection between the occurrence of depressive symptoms among adolescents, their life situation and alcohol and nicotine use. Moreover, the influence of suicidal ideation and sub-clinical fears are explored and differences between the different secondary school types âHauptschuleâ, âRealschuleâ and âGymnasiumâ and between three different class levels are examined. Data is provided by a quasi-representative sample of 495 adolescents at the age of 12 to 17 in Bavaria, Germany. A questionnaire, specifically developed to measure these factors, is used for the examination. 20 % of the adolescents show depressive symptoms, 40 % of them smoke and 75 % drink alcohol. The early initiation age and the enormous extend of consumption are particularly striking. Furthermore, multiple correlations between all domains are found, which reveal that the problems among youths are very complex. If you differentiate as to class level and school type there are diverse results. The findings indicate that further studies are needed to evaluate the questionnaire and to develop standards.
3. Einleitung
Es gibt Girlies und Tussis, Hooligans und Rapper, Raver, Streetballer und Trainsurfer, frĂŒhreife âTop-Modelsâ unter den strengen Augen von Heidi Klum und angehende âdeutsche Superstarsâ, die nach einem âWelt-Hitâ aus dem Repertoire von Dieter Bohlen wieder in der Versenkung verschwinden. Wer blickt da noch durch?
Die Jugendlichen des 21. Jahrhunderts leben in einer Zeit, in der sich die Trends und begehrenswerten Dinge stĂ€ndig Ă€ndern. Es gibt ein unbegrenztes Angebot an Waren und Inhalten, das per Kreditkarte, Mausklick oder Handy ĂŒberall und zu jeder Zeit verfĂŒgbar erscheint. Was man braucht, um dazu zu gehören, geben die Modemacher und Technikdesigner vor.
Doch zu diesen verfĂŒhrerisch angepriesenen Waren gehören auch Dinge, die den Jugendlichen schaden, wie z.B. Alkohol. Zu diesem Thema schrieb die World Health Organization (WHO) in einer ErklĂ€rung im Jahr 2001:
âDie Globalisierung der Medien und MĂ€rkte prĂ€gt die Ansichten, Entscheidungen und Verhaltensweisen der Jugend immer stĂ€rker. Viele Jugendliche haben heute zwar mehr Möglichkeiten und verfĂŒgen ĂŒber mehr finanzielle Mittel, sind aber durch die (aggressiver gewordenen) Verkaufsmethoden und Marketingtechniken fĂŒr VerbrauchsgĂŒter und potenziell schĂ€dliche Substanzen wie Alkohol stĂ€rker gefĂ€hrdet. Gleichzeitig hat die vorherrschende freie Marktwirtschaft die existierenden Public-Health-Sicherheitsnetze in vielen LĂ€ndern durchlĂ€ssig gemacht und die sozialen Strukturen fĂŒr junge Menschen geschwĂ€cht. Der rasche soziale und wirtschaftliche Wandel, BĂŒrgerkonflikte, Armut, Obdachlosigkeit und Isolation haben die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Alkohol und Drogen eine gröĂere und destruktive Rolle im Leben vieler junger Menschen spielen.â (ein Ausschnitt aus âVerringerung der AlkoholschĂ€den bei Jugendlichen â ErklĂ€rung ĂŒber Jugend und Alkoholâ1)
Doch warum greifen Jugendliche heutzutage so oft zur Flasche? Haben sie tatsÀchlich jedes Wochenende etwas zu feiern? Ist es nur das Trinken selbst, das gefeiert, ja geradezu zelebriert wird? Trinken die jungen Leute, weil es alle so machen, weil es zum Erwachsenwerden dazu gehört?
Provokant kann man sagen, dass die Kinder und Jugendlichen in einem Wertevakuum leben: in einer Welt, die geprĂ€gt ist durch zerfallende Familien und fehlende Erziehung, ohne konstante Werte und ohne Vorbilder, dafĂŒr mit gesellschaftlicher und beruflicher Unsicherheit. Eine Welt in einer Wirtschaftskrise und mit der wachsenden Angst vor terroristischen AnschlĂ€gen. Eine Welt, deren Bild stark durch die zunehmend destruktiven und wertenden Medien geprĂ€gt wird. Betrachtet man die Jugendlichen einmal aus dieser Perspektive, so stellt sich die Frage, ob der Alkoholkonsum weniger dem puren Genuss, sondern vielmehr der inneren BetĂ€ubung dient? Er wĂ€re damit ein BetĂ€ubungsmittel, das eine gewisse innere Leere oder Traurigkeit zumindest zeitweise vergessen macht und fĂŒr kurze Zeit abschirmt gegen Angst und Unsicherheit vor der Zukunft und eine immer gefĂ€hrlicher und chancenloser scheinende Welt. Wenngleich auch der Zusammenhang zwischen riskantem Suchtmittelkonsum und der starken Zunahme an diagnostizierten psychischen Erkrankungen, wie z.B. Depression und Angsterkrankungen, noch offen ist, könnten diese Faktoren als Konfliktlösestrategie der Jugendlichen angesehen werden, um das schnelle und unberechenbare Leben des 21. Jahrhunderts zu bewĂ€ltigen. Dies wĂŒrde allerdings nicht nur bedeuten, dass die Jugendlichen sich einer ungĂŒnstigen Coping-Strategie bedienen, sondern auch, dass der Staat und die Gesellschaft ihrer eigentlichen Verantwortung gegenĂŒber der Jugend nur unzureichend nachkommen und ihr keine fördernde Umwelt mehr bieten. So heiĂt es in einer Pressemitteilung des Bundesministerium fĂŒr Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 8. Dezember 2008: âAufgabe des Staates ist es, Kinder und Jugendliche vor Gefahren und vor negativen EinflĂŒssen in der Ăffentlichkeit und in den Medien zu schĂŒtzen und sie fit zu machen fĂŒr das Leben in einer komplexen Welt.â2
Vielleicht sind es gerade die geschĂŒtzte Umgebung sowie ausreichend UnterstĂŒtzung, Anleitung und Liebe, welche den heutigen Jugendlichen fehlen, um sich den Herausforderungen des Lebens angemessen stellen zu können.
Um etwas mehr Licht in das Dunkel um das Wohlbefinden deutscher Jugendlicher zu bringen, beschĂ€ftigt sich die vorliegende Arbeit mit dem Vorkommen von Depressionen im Jugendalter, dem Alkohol- und Nikotinkonsum sowie alltĂ€glichen Ăngsten der jungen Generation. ZusĂ€tzlich sollen die Befunde zu den unterschiedlichen Bereichen mit soziodemographischen Faktoren, belastenden Lebensereignissen und Zukunftsvorstellungen der Jugendlichen in Verbindung gebracht werden.
Die bisherige Forschung zu diesen Themen ist sehr spezifisch, da jeder einzelne Bereich zwar durch viele, aber methodisch sehr verschiedene Einzelarbeiten abgedeckt ist. Um jedoch ZusammenhĂ€nge zwischen den Problembereichen sichtbar zu machen und durch das neu gewonnene Wissen letztlich in PrĂ€vention und Therapie investieren zu können, ist der Bedarf an integrierenden Forschungsarbeiten wie der vorliegenden Arbeit sehr vonnöten. Denn gerade die psychologische Forschung kann und sollte mit ihrem Wissen und ihren Ergebnissen dazu beitragen, die gesellschaftliche Verantwortung fĂŒr junge MitbĂŒrger und deren positive Entwicklung in einer fördernden Umwelt zu ĂŒbernehmen!
4. Theoretischer Hintergrund
4.1 Allgemeine Fragestellung
Die vorliegende Untersuchung wurde mit dem Ziel durchgefĂŒhrt, das Vorkommen (PunktprĂ€valenz) und die AusprĂ€gung depressiver Symptome im Jugendalter genauer zu erforschen. ZusĂ€tzlich sollten neben der aktuellen Lebenssituation der Jugendlichen der in Fachwelt und Medien hĂ€ufig zitierte, scheinbar ansteigende Alkoholkonsum der Jugendlichen und ihr Nikotinkonsum genauer betrachtet werden. Des Weiteren wurde methodisch und inhaltlich erprobt, jugendliche Suizidgedanken indirekt zu erfragen. AbschlieĂend sollte ĂŒberprĂŒft werden, mit welchen Ăngsten die Jugendlichen im Alltag konfrontiert sind, um Angstthemen dieser Altersgruppe zu identifizieren und das Vorkommen sowie die AusprĂ€gung dieser Angstthemen zu beleuchten.
Das integrierende Ziel der vorliegenden Arbeit sollte sein, alle genannten Problembereiche miteinander in Verbindung zu bringen, um vorhandene ZusammenhĂ€nge aufzudecken. DarĂŒber hinaus sollte ĂŒberprĂŒft werden, ob Unterschiede zwischen den untersuchten Schularten (Hauptschule, Realschule und Gymnasium) und den Klassenstufen (siebte, achte und neunte Jahrgangsstufe) zu finden sind.
Im Folgenden werden zunĂ€chst aktuelle Befunde zu den genannten Bereichen dargestellt, um anschlieĂend die Hypothesen der vorliegenden Untersuchung ableiten zu können.
4.2 Theoretischer Hintergrund der einzelnen Krankheitsbilder
4.2.1 Befunde zur Depression bei Jugendlichen
Mit Rang vier auf der Liste der bedeutsamen Erkrankungen hinsichtlich der Ursachen gesundheitlicher BeeintrĂ€chtigung und vorzeitiger MortalitĂ€t weltweit (WHO World Health Bericht 2001) sowie geschĂ€tzten Kosten von 17 Milliarden Euro pro Jahr in Deutschland (vgl. Kompetenznetz Depression 20053), zĂ€hlt die unipolare Depression zu den bedeutsamsten Erkrankungen in der heutigen Zeit. Neben dem oftmals chronisch rezidivierenden Verlauf der depressiven Erkrankungen wird als Ursache fĂŒr diese erschreckende Situation eine fehlende angemessene Behandlung depressiver Kinder und Jugendlicher angegeben (Pössel, 2008). Erst in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Depression als eigenstĂ€ndige psychopathologische Störung des Kindes- und Jugendalters aufgefasst und mit Eingang dieses Syndroms in das DSM-III wurden weiterfĂŒhrende Forschungen hinsichtlich der Diagnostik und Behandlung begonnen. Trotzdem ist die Depression bei Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein unterschĂ€tztes Problem.
4.2.1.1 Definition, Klassifikation und Symptome
Der Begriff âDepressionâ leitet sich von dem lateinischen Wort âdeprimereâ (hinunterdrĂŒcken) ab. UrsprĂŒnglich bezeichnete er einen unspezifischen Zustand des allgemeinen Abbaus bzw. der BeeintrĂ€chtigung psychischer Funktionen. Heutzutage wird das Wort oftmals als Oberbegriff in ganz unterschiedlichen Kontexten verwendet. Es gilt dabei, drei Ebenen zu unterscheiden: die Symptom-, die Syndrom- und die Störungsebene (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Ăberblick ĂŒber die Verwendung des Begriffs Depression und dessen jeweilige Bedeutung
In der vorliegenden Arbeit ist der Begriff âDepressionâ teilweise als Syndrom, teilweise auch als Störung aufzufassen. Es findet zwar keine eindeutige Diagnose statt, da diese unter Verwendung von nur einem Diagnostikum zu kurz gegriffen wĂ€re, dennoch wird nicht nur die Symptomatik (Syndromebene), sondern insbesondere deren AusprĂ€gung (Störungsebene) erfasst (vgl. Abb. 2).
Abb. 2: Bedeutung des Begriffs âDepressionâ in der vorliegenden Arbeit
Aus psychopathologischer Sicht wird die Depression den so genannten internalisierenden Störungen zugerechnet. Kennzeichnend fĂŒr diese Störungsgruppe ist, dass sich die Erkrankungen auf eine BeeintrĂ€chtigung des inneren Erlebens, der GefĂŒhls- und Stimmungslage sowie auf passives, vermeidendes und defensives Verhalten beziehen. Diese Störungen sind aufgrund der sich innerlich auswirkenden Kernsymptome meist nach auĂen hin schwer zu erkennen, was die Diagnose problematisch macht.
Zu den Kernsymptomen einer Depression zĂ€hlen eine deutliche emotionale Niedergeschlagenheit bzw. starke Traurigkeit (a), ein herabgesetztes Interesse bzw. ein Verlust an Freude, SpaĂ und Lust an alltĂ€glichen AktivitĂ€ten (b) sowie ein verminderter Antrieb (Energieverlust) und eine erhöhte ErmĂŒdbarkeit (c). Weiterhin kann eine Depression mit folgenden Symptomen einhergehen: geringes Selbstvertrauen, SchuldgefĂŒhle und GefĂŒhle der Wertlosigkeit sowie Konzentrationsprobleme, Probleme beim Nachdenken und der UnfĂ€higkeit, Entscheidungen zu treffen. Zudem treten hĂ€ufig Schlafstörungen auf und die Betroffenen zeigen eine VerĂ€nderung ihrer Nahrungsaufnahme (Appetitverlust oder Appetitsteigerung). Ebenfalls typisch ist der soziale RĂŒckzug sowie wiederkehrende Gedanken an den Tod oder Suizid. AuĂerdem verfĂŒgen die meisten Patienten ĂŒber eine niedrige Frustrationstoleranz, werden schnell wĂŒtend, weinen und fĂŒhlen sich oft ohne konkreten Anlass traurig.
Nach DSM-IV mĂŒssen bei einer betroffenen Person mindestens fĂŒnf der aufgezĂ€hlten Symptome fĂŒr einen Mindestzeitraum von zwei Wochen nachweisbar sein, um vom Vorhandensein einer Depression zu sprechen. Zu den vorliegenden Symptomen muss auch die depressive Verstimmung (a) oder der Verlust von Interesse und Freude (b) gehören. Weiterhin dĂŒrfen die vorliegenden Symptome nicht durch einen medizinischen Krankheitsfaktor, eine substanzinduzierte Wirkung, einen stimmungskongruenten Wahn oder Halluzinationen ausgelöst worden sein. Zudem dĂŒrfen bei der Diagnose einer unipolaren Depression, nach DSM-IV auch als âMajor Depressionâ bezeichnet, keine Kriterien einer gemischten Episode (manisch-depressiv) vorhanden sein und der Schweregrad muss den einer einfachen Trauer ĂŒbersteigen. Neben diesen EinschrĂ€nkungen und Kriterien, welche eine differenzierte Diagnose erlau...