1 Einleitung
Jugendliche lesen kaum noch. Diese Behauptung ist heutzutage zu einem gĂ€ngigen Vorurteil geworden. Computerspiele und das Fernsehen haben BĂŒcher, Zeitungen und Zeitschriften als FreizeitbeschĂ€ftigung Jugendlicher lĂ€ngst verdrĂ€ngt, so könnte man dieser Argumentation weiter folgen. Auf den ersten Blick scheint sich dies zu bewahrheiten: Rund 90 % der Jugendlichen sehen laut âMedia Analyse (MA) 2005 Radio IIâ mehrmals pro Woche fern, womit das Fernsehen unter den genutzten Medien der 14- bis 19-JĂ€hrigen am populĂ€rsten ist. Doch damit ist keinesfalls bewiesen, dass Jugendliche die Printmedien vollkommen aus ihrer Mediennutzung ausklammern. In der selben Studie gaben 52 % der Jugendlichen an, mehrmals in der Woche Zeitung zu lesen, rund ein Drittel der 14- bis 19-JĂ€hrigen nutzte im Jahr 2005 mehrmals in der Woche Zeitschriften.1 Man darf annehmen, dass die Mehrheit der Jugendlichen mit Jugendzeitschriften die ersten Erfahrungen mit Printmedien sammelt. Diese Publikationen stellen verschiedene Lebensbereiche dar und tragen damit durchaus zur Sozialisation der Jugendlichen bei. Als Beispiel sei hier nur der Bereich der SexualitĂ€t genannt. Der Fokus der Kommunikationswissenschaft scheint jedoch aufgrund der geschilderten Konkurrenz hauptsĂ€chlich auf den elektronischen Medien zu liegen. Nicht nur die Medienwirkungsforschung beschĂ€ftigt sich daher insbesondere mit den neuen Medien. Diesem Mangel an Aufmerksamkeit gilt es in dieser Arbeit entgegenzuwirken. Allein eine Zeitschrift wie BRAVO verzeichnet als weitesten Leserkreis (WLK) rund 50 Prozent unter den 14- bis 19-JĂ€hrigen und hat damit offensichtlich einen groĂen Einfluss auf die Meinungsbildung der relevanten Zielgruppe.2 Somit erscheint die BRAVO geradezu prĂ€destiniert als Untersuchungsgegenstand und wurde daher fĂŒr diese Studie ausgewĂ€hlt.
Allerdings steht hier nicht die Frage im Mittelpunkt, ob und wie viel von Jugendlichen gelesen wird, sondern mit welchen Inhalten sie konfrontiert werden. Von besonderem Interesse ist hier, ob einzig die Unterhaltung der Leser intendiert ist, oder ob eine Wissens- und Wertevermittlung als Folge eines AufklĂ€rungsimpetus stattfindet. Mit dieser Fragestellung gerĂ€t man unweigerlich in das Spannungsfeld der Auseinandersetzung um die Funktion von Medien. Hier stehen sich zwei Auffassungen gegenĂŒber: zum einen die ErfĂŒllung hedonistischer BedĂŒrfnisse als Unterhaltungsangebot, zum anderen die ernsthafte Informationsvermittlung, die auf eine transparente AufklĂ€rung bedacht ist. Die Diskussion um die Kulturindustrie bei Theodor W. Adorno und Max Horkheimer ist diesbezĂŒglich paradigmatisch zu nennen und findet deshalb Eingang in den theoretischen Teil der Arbeit. Sie liefert das Begriffsinstrumentarium, um die BRAVO einer kritischen, qualitativen Analyse zu unterziehen. Die BRAVO bietet aufgrund ihres mittlerweile 50-jĂ€hrigen Bestehens auĂerordentliche Vorteile fĂŒr eine Untersuchung. So ist es möglich, zeitgeschichtlich relevante Ereignisse der Nachkriegszeit herauszugreifen und ihre journalistische Aufarbeitung aufzuzeigen. Diese diachrone Betrachtungsweise erlaubt zudem die Feststellung, ob sich die Strategien der Berichterstattung wesentlich verĂ€ndert haben. Zielpunkt wird es sein, zu klĂ€ren, ob BRAVO die Meinung der Jugendlichen beeinflusst und lenkt oder ob sie ein möglichst neutrales Bild der Lebenswirklichkeit wiedergibt. Die Gefahr der Manipulation ist bei zeitgeschichtlichen Ereignissen am gröĂten, weil gerade in diesem Bereich Werte vermittelt werden und politische Orientierung gegeben wird. Als Beispiel sei hier die Jugendbewegung der 1968er Jahre genannt. Wie wird die Protesthaltung der Jugendlichen im Heft dargestellt? Thematisiert BRAVO die Rebellion der Jugendlichen oder steht sie hier fĂŒr ein wertkonservatives, affirmatives Weltbild ein?
Die Auseinandersetzung, ob Jugendliche lesen, gewinnt vor diesem Hintergrund eine neue Dimension: BerĂŒcksichtigt wird hier nun nicht mehr die QuantitĂ€t der Leseleistung, sondern die QualitĂ€t des Dargebotenen. Auf die Spitze getrieben könnte man vielleicht formulieren: Es kann unter UmstĂ€nden besser sein, nicht zu lesen, als einer Verblendung auf den Leim zu gehen.
Im Folgenden sei der Gang der Untersuchung kurz skizziert. ZunĂ€chst wird ein Ăberblick ĂŒber den Markt der Jugendzeitschriften in Deutschland gegeben. Dadurch soll deutlich gemacht werden, dass BRAVO seit Jahrzehnten die MarktfĂŒhrerschaft in dieser Sparte und eine daraus resultierende Sonderstellung hat. AnschlieĂend wird genauer auf die Zeitschrift BRAVO eingegangen. Dies ist erforderlich, um die Bedeutung des Heftes fĂŒr die Jugendlichen nachvollziehen zu können. In einem Ăberblick werden zunĂ€chst Auflagenzahlen und sonstige Daten dargestellt. DarĂŒber hinaus erfolgt ein Abriss ĂŒber die Geschichte dieses Jugendmagazins sowie dessen Leserschaft. Zudem wird auf Aufmachung und Inhalte der BRAVO eingegangen. Hierbei werden quantitative Studien herangezogen, die zum Beispiel Hinweise ĂŒber das Themenspektrum der BRAVO geben.
Da in dieser Arbeit untersucht werden soll, ob BRAVO objektiv ĂŒber zeitgeschichtliche Ereignisse berichtet, wird in einem theoretischen Teil die Kritische Theorie von Max Horkheimer und Theodor Adorno vorgestellt. Dabei soll insbesondere die Position der Kulturindustrie herausgearbeitet werden, um im praktischen Teil der Arbeit der Frage nachgehen zu können, ob BRAVO mit ihrer Berichterstattung die Meinung der Jugendlichen beeinflusst oder lenkt. Da sich die Kritische Theorie jedoch nicht als anwendbare Methode fĂŒr die Analyse eignet, soll zudem Roland Barthes herangezogen werden, der sich den Mythen des Alltags semiologisch nĂ€hert. Barthes liefert ein gutes Instrumentarium, um konkrete Text- und Bildanalyse zu betreiben und etwaige manipulative Tendenzen aufzudecken.
Im praktischen Teil werden schlieĂlich wichtige zeitgeschichtliche Ereignisse der letzten 50 Jahre nĂ€her untersucht. Dazu zĂ€hlen zum Beispiel der Mauerfall und die Wiedervereinigung der Bundesrepublik Deutschland in den spĂ€ten achtziger bzw. frĂŒhen neunziger Jahren. Die entsprechenden Hefte werden auf diese Themen hin geprĂŒft und die Art und Weise der Berichterstattung analysiert.3
Am Ende der Arbeit soll in einer abschlieĂenden Bewertung die Frage geklĂ€rt werden, ob es sich bei der BRAVO um eine ernstzunehmende Jugendzeitschrift handelt, die auch politische und gesellschaftsrelevante Themen aufarbeitet, oder ob man zu dem Schluss kommen muss, dass das Magazin nur Unterhaltungsthemen veröffentlicht. In letzterem Fall wĂŒrde BRAVO eine Art Traumwelt, oder, um es mit den Worten Horkheimers und Adornos zu sagen, âMythenâ fĂŒr Jugendliche schaffen. Im anderen Fall muss untersucht werden, ob Jugendliche in ihrer Meinung beeinflusst werden.
2 Jugendzeitschriften in Deutschland
Der Markt der Jugendzeitschriften ist sehr schnelllebig. Was heute noch âinâ ist und von Hunderttausenden gelesen wird, kann kurze Zeit spĂ€ter schon wieder vom Kiosk verschwinden, wenn es die Jugendlichen fĂŒr âuncoolâ erachten. In den letzten drei Jahren mussten vier Jugendzeitschriften, wie zum Beispiel 16, eingestellt werden. Aber auch der Umkehrfall ist zu beobachten: Im selben Zeitraum wurden allein sieben neue Titel fĂŒr Jugendliche auf den Markt gebracht.4 In Anbetracht dieser Sachlage erscheint es erstaunlich, dass sich ein Blatt bereits seit 50 Jahren auf dem deutschen Zeitschriftenmarkt behaupten kann: BRAVO, die sich selbst als âEuropas gröĂte Jugendzeitschriftâ5 bezeichnet. Doch bevor nĂ€her auf einzelne Jugendzeitschriften eingegangen wird, muss zunĂ€chst eine BegriffsklĂ€rung erfolgen.
2.1 Zum Begriff âJugendzeitschriftâ
Bei dem Versuch, den Begriff âJugendzeitschriftâ zu definieren, stöĂt man vor allem beim Begriff âJugendâ auf Probleme. In der Forschung finden sich verschiedene Eingrenzungen des Jugendbegriffs. Es gibt dabei zwei Hauptgruppen von Definitionen: eine soziodemographische Eingrenzung durch das Alter, bei der man von der körperlich-biologischen Entwicklung ausgeht, sowie eine psychographische Eingrenzung, die Lebensphasen-Typologien mitberĂŒcksichtigt.6 In diesem Fall ist eine demographische EinschrĂ€nkung jedoch am sinnvollsten, da fĂŒr diese Arbeit die unterschiedlichen psychologischen Entwicklungsstadien einzelner Jugendlicher nicht relevant sind, sondern die Jugend ganz allgemein als Zielgruppe betrachtet werden soll.
Auch bei der Unterscheidung zwischen Zeitungen und Zeitschriften herrscht in der Kommunikationswissenschaft Uneinigkeit.7 Rudolf Stöber grenzt Zeitungen von Zeitschriften mit Hilfe von vier Kriterien voneinander ab: AktualitÀt, PeriodizitÀt, PublizitÀt sowie UniversalitÀt.
Die AktualitÀt der Informationen ist so groà wie möglich, die PeriodizitÀt heute in der Regel der tÀgliche Erscheinungsabstand. Es wird ein breites Publikum angestrebt, und die Inhalte sind universal, d.h. alles, was beim Publikum Interesse findet oder finden mag, wird in der Zeitung behandelt.8
In anderen Worten heiĂt dies: Presseartikel, die diese Kriterien erfĂŒllen, werden zu den Zeitungen gerechnet. Printmedien, die mindestens einem der Kriterien nicht GenĂŒge leisten, zĂ€hlen zu den Zeitschriften.
Auf der Grundlage dieses kurzen Exkurses soll nun der Begriff âJugendzeitschriftâ definiert werden. Der PĂ€dagoge Joachim H. Knoll gibt eine Definition, die aufgrund ihrer AllgemeingĂŒltigkeit als probat gelten kann:
Unter Jugendzeitschriften versteht man periodisch erscheinende Druckerzeugnisse, die sich mit jugendspezifischen Themen und in jugendgemĂ€Ăer Aufmachung an Jugendliche (meist zwischen 12 und 18 Jahren) wenden.9
In der Forschungsliteratur finden sich selbstverstĂ€ndlich noch weitere Definitionen, die meisten unterscheiden jedoch zwischen kommerzieller und nicht-kommerzieller Jugendpresse. Meiner Meinung nach ist dies aber nicht sinnvoll, um dem Begriff âJugendzeitschriftâ in seiner Gesamtheit und VielfĂ€ltigkeit gerecht zu werden. Denn sowohl SchĂŒlerzeitungen als auch die am Kiosk vertriebenen Zeitschriften wie BRAVO oder Popcorn fallen meines Erachtens in die Kategorie der Jugendpresse. Daher sollte eine weitere Differenzierung erst in einem nĂ€chsten Schritt erfolgen.
2.2 Differenzierung der Jugendpresse
Ende der 1970er Jahre unterschieden Manfred Knoche und Monika Lindgens im Rahmen ihrer Studie Analyse der Jugendpresse erstmalig zwischen kommerziellen und nicht-kommerziellen Jugendzeitschriften.
Als kommerziell gelten [âŠ] Jugendzeitschriften deshalb, weil sie als Verlagsobjekte primĂ€r unter dem Gesichtspunkt der Gewinnerzielung herausgebracht werden und demzufolge Marktmechanismen unterworfen sind, die in einer zwangslĂ€ufigen Orientierung an Anzeigenkunden und massenhaft verbreiteten Konsumgewohnheiten jugendlicher Leser ihren Ausdruck finden.10
Bei der nicht-kommerziellen Jugendpresse sind ânicht die ökonomischen Marktmechanismen, sondern die publizistischen Zielsetzungen der Herausgeber beziehungsweise der Redakteure fĂŒr die inhaltliche Gestaltung der Zeitschriften bestimmendâ11, pĂ€dagogische Aspekte und/oder politische Bildung stehen also im Vordergrund. Zu den nicht-kommerziellen Zeitschriften zĂ€hlen die jugendeigene Presse, wie SchĂŒlerzeitungen, und Jugendzeitschriften von VerbĂ€nden, Parteien, konfessionellen oder beruflichen Organisationen.
Diese Einteilung stieĂ, wie bereits erwĂ€hnt, unter anderem bei Knoll auf Kritik, da er der Meinung ist, dass man nicht ausschlieĂen kann, dass auch VerbĂ€nde et cetera kommerzielle Absichten verfolgen.12 Auch Vogel spricht sich gegen diese Gliederung aus. Er differenziert in dieser Hinsicht noch stĂ€rker als Knoche, Lindgens und Meissner. Die kommerzielle Jugendpresse ist annĂ€hernd mit seinem Begriff der Publikums- beziehungsweise Pop...