Der Habicht
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Der Habicht

Roman, Band 73 der Gesammelten Werke

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Der Habicht

Roman, Band 73 der Gesammelten Werke

About this book

Dies ist eine weitere bayerische Geschichte um den Wurzelsepp und König Ludwig II. So drohend, wie ein Habicht ĂŒber Schloß Steinegg kreist, lauert der habsĂŒchtige Baron Alberg ĂŒber dem Erbe seiner Stieftochter, der jungen Schloßherrin Hilda. Doch der Wurzelsepp sorgt auch hier fĂŒr Gerechtigkeit. Die vorliegende, in sich abgeschlossene ErzĂ€hlung spielt 1882. Bearbeitung aus dem Kolportageroman "Der Weg zum GlĂŒck". Weitere Episoden: Band 66 "Der PeitschenmĂŒller"Band 67 "Der Silberbauer" Band 68 "Der Wurzelsepp"Band 78 "Das RĂ€tsel von Miramare"

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Information

Year
2009
eBook ISBN
9783780215734

1. Das Malteserkreuz

Die Bahnhofsglocke lÀutete zum zweiten Mal zum Zeichen, dass der Zug gleich einfahren werde. Der schrille Pfiff der Lokomotive ertönte, das Rollen der RÀder erdröhnte, die Bremsen kreischten und der Zug hielt am Bahnsteig.
„Lindenberg! Zwei Minuten Aufenthalt! Umsteigen nach Steinegg!“, riefen die Schaffner und eilten an den Wagen entlang, um die TĂŒren aufzureißen.
MĂ€nner, Frauen und Kinder kletterten aus den Abteilen, andere liefen und drĂ€ngten sich, um einen Sitzplatz zu finden. Die Schaffner klappten die TĂŒren wieder zu. Pfiffe erschrillten, der Bahnhofsvorsteher hob den Stab. Aus dem Schornstein der Lokomotive puffte dunkler Qualm, Dampf entzischte den Ventilen, die RĂ€der begannen sich zu drehen, der Zug fuhr weiter.
Der Bahnsteig leerte sich wieder. Die Reisenden, die nach Steinegg wollten, begaben sich in die WarterĂ€ume des kleinen BahnhofsgebĂ€udes. Bald stand auf dem Bahnsteig inmitten eines halben Dutzends von Handkoffern, Taschen und Schachteln nur noch eine einzige junge Dame. Elegant nach der neuesten Wiener Mode gekleidet, groß und schlank gewachsen, blickte sich die blonde Schöne suchend nach allen Seiten um. Eine Unmutsfalte bildete sich auf ihrer Stirn und ihr hĂŒbscher Mund verzog sich Ă€rgerlich.
Plötzlich aber hellte sich ihre Miene auf. Eine gleichaltrige Dame war auf dem Bahnsteig erschienen und kam nun mit ausgestreckten HÀnden auf sie zugelaufen.
„Ah, Hilda! Endlich!“, rief sie und eilte ihr lĂ€chelnd entgegen.
Beide umarmten und kĂŒssten sich. Die Zweite war brĂŒnett und ein wenig kleiner, aber ebenso gut gewachsen. Ihr schlichtes graues KostĂŒm mit den grĂŒnen AufschlĂ€gen und ihr dunkelgrĂŒnes FilzhĂŒtchen passten zu der Berglandschaft. Auch sie war schön wie die Blonde, aber ihre Schönheit war von jener Art, die nicht gleich im ersten Augenblick Aufmerksamkeit erregt, dafĂŒr aber spĂ€ter umso mehr fesselt. Die Wangen ihres sonnengebrĂ€unten Gesichts waren ein wenig gerötet, ihre dunklen Augen leuchteten freudig.
„Asta, da bist du ja!“, rief sie. „Herzlich willkommen!“
„Ich glaubte schon, du hĂ€ttest mich versetzt, Hilda!“
„Du musst bitte entschuldigen, Asta. Um dich hier abzuholen, musste ich schon mit dem Morgenzug von Steinegg hierher fahren. Die Stunden, die ich warten musste, hab ich natĂŒrlich benutzt, um in Lindenberg allerlei zu erledigen. Dadurch bin ich ein paar Minuten zu spĂ€t gekommen.“
„Na, Hauptsache, du bist da! Wie weit ist’s denn noch bis Steinegg?“
„Die Bimmelbahn braucht fast zwei Stunden.“
„O weh, das ist ja am Rande der Welt!“
„Am Bahnhof Steinegg werden wir von einer Kutsche abgeholt. Das Schloss liegt außerhalb hoch oben auf dem Felsen. Weißt du, so recht wie eine alte, romantische Ritterburg. Das StĂ€dtchen liegt am Fuß des Berges im WaldesgrĂŒn und ist schmuck und sauber: wie eine Perle zwischen lauter Smaragden.“
„Du wirst ja richtig poetisch.“
„Oh, du wirst auch begeistert sein!“ Hilda winkte einen GepĂ€cktrĂ€ger herbei. „Bitt schön, bringen Sie die Sachen da in den Warteraum Erster Klasse!“
Der Mann belud sich diensteifrig mit den Koffern, Taschen und Schachteln und eilte davon. Die beiden MĂ€dchen folgten ihm langsam.
„Wann geht denn der Zug nach Steinegg?“, fragte Asta.
„Etwa in einer Stunde. Aber lass dich ansehn, Asta! Fesch schaust aus. Zwei Jahre sind’s jetzt her, dass ich von Wien fort bin, und die ganze Zeit hast du nichts von dir hören lassen, obwohl wir doch in der Schule die besten Freundinnen waren. Wie ist’s dir denn derweil ergangen? Was machst du?“
Über Astas Gesicht lief es wie ein Schatten, aber dann lĂ€chelte sie heiter.
„Immer wollt ich dir schreiben, aber ich kam einfach nicht dazu. Du weißt doch, es war mein Schwarm, ans Theater zu kommen. Da hieß es, von frĂŒh bis spĂ€t lernen – sprechen, singen, schauspielern. Aber nun bin ich soweit. Ich hab ein Engagement als Soubrette im Kleinen Operettentheater in Aussicht.“
„Das ist ja wunderbar! Alle Achtung, dass du dich so durchgesetzt hast! Du bist doch ganz auf dich allein gestellt!“
„Ja“, seufzte Asta, „das Schicksal hat die Baronesse von Zolba nicht so begĂŒnstigt wie die Baronesse von Alberg. Beide Eltern frĂŒh gestorben...“
„Das ist bei mir auch der Fall“, fiel Hilda ein.
„Du hast aber immerhin ein Schloss und ein nettes Vermögen geerbt und hast noch einen Stiefvater, der sich um dich sorgt.“
Jetzt lief ĂŒber Hildas Gesicht ein Schatten. Sie unterdrĂŒckte jedoch die Antwort, die ihr auf der Zunge schwebte, denn der GepĂ€cktrĂ€ger kam den beiden MĂ€dchen entgegen und sagte ihnen, er hĂ€tte im Warteraum Erster Klasse mit dem GepĂ€ck zwei StĂŒhle belegt. Hilda gab ihm ein Trinkgeld und bat ihn, die Sachen an den Zug nach Steinegg zu bringen, sobald dieser zur Abfahrt bereitgestellt wĂ€re.
In dem kleinen Warteraum waren alle PlĂ€tze von den Reisenden besetzt. Nur an einem Tischchen saß ein junger Mann in oberbayerischer Gebirgstracht allein, die beiden anderen StĂŒhle hatte der Dienstmann mit dem GepĂ€ck Astas belegt. Sie blieb zögernd stehen und betrachtete den Mann, der mit Appetit sein Bier trank. Mit seinem sonnengebrĂ€unten Gesicht sah er gar nicht ĂŒbel aus. Die hohe Stirn, die kecke Nase, der schmale Mund und das krĂ€ftige Kinn verrieten Intelligenz und Energie, und in den dunkelbraunen Augen lag waches Selbstbewusstsein. Aber der grĂŒne Filzhut mit der Kordel war ebenso verschossen wie der grĂŒngraue Janker, die kurze Lederhose war abgeschabt und das am Hals offen stehende, mehr graue als weiße Hemd ebenso abgetragen wie die WadenstrĂŒmpfe und die derben Bergstiefel.
Wahrscheinlich ein Gebirgsbauer, vielleicht nur ein Knecht, dachte Asta und rĂŒmpfte die Nase. Aber Hilda war schon an den Tisch getreten.
„GrĂŒĂŸ Gott!“, sagte sie. „Sie erlauben doch?“
Der junge Mann blickte auf.
„Aber bitt schön, meine Damen! Wenn das da Ihr GepĂ€ck ist...“
Aus den Augenwinkeln musterte er verstohlen die beiden hĂŒbschen MĂ€dchen und ihm entging nicht, wie missfĂ€llig die Blonde seine alte, strapazierte Gebirgskleidung beĂ€ugte. Hilda nahm die Schachteln von den StĂŒhlen.
„Setz dich doch!“, forderte sie die Freundin auf.
Asta zuckte mit den Schultern und nahm so Platz, dass sie dem jungen Mann die Seite zuke...

Table of contents

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. 1. Das Malteserkreuz
  6. 2. Die Beichte
  7. 3. Ein Wiedersehen
  8. 4. Der Habicht
  9. 5. Wurzelsepp als Parkinspektor
  10. 6. Sohn und Vater
  11. 7. Ein unbekanntes VermÀchtnis
  12. 8. Gewitter in den Bergen
  13. 9. Wurzelsepp spielt Schicksal
  14. 10. Der neue Baumeister
  15. 11. Der GlĂŒcksbote
  16. 12. Schreckliche Gewissheit
  17. 13. Detektiv Wurzelsepp
  18. 14. Abrechnung