1. Im Fegefeuer
Am Nachmittag fĂŒhrte uns unser Ritt durch eine vollkommen wasserlose, öde SandwĂŒste. Bahr bila Ma, Meer ohne Wasser: Eine solche Bezeichnung verdiente dieser Teil der WĂŒste, in deren tiefem Sand die FĂŒĂe der Kamele verschwanden. Ich ritt mit dem Scheik der Beni Lam, der jetzt als FĂŒhrer diente, sowie Halef und Khutab Aga voran. Letzterer verhielt sich sehr schweigsam und nach innen gekehrt; die Ereignisse der jĂŒngsten Zeit hielten ihn noch immer in ihrem seelischen Bann. Desto redseliger waren die beiden Scheiks, die sehr rasch groĂes Gefallen aneinander zu finden schienen. Dass Halef die Gelegenheit fleiĂig benĂŒtzte, um seine und meine Person in der nötigen Beleuchtung zu zeigen, brauche ich wohl nicht erst zu sagen. Ich beteiligte mich nur hie und da mit einer kurzen Bemerkung an der Unterhaltung. Bisweilen warf ich auch ein warnendes âKutubâ dazwischen, wenn Halef die Farben gar zu dick auftrug. Er lieĂ sich aber heute durch mich nicht irremachen; die gehabten EindrĂŒcke waren zu stark, als dass die âmunter plĂ€tschernden Wellen seiner Beredsamkeitâ sich hĂ€tten eindĂ€mmen lassen. Dann und wann sah ich nach dem MĂŒnedschi, den ich der sorgenden Obhut Hannehs und ihres Sohnes ĂŒbergeben hatte. Er war immer noch nicht zu sich gekommen, sondern lag in todesĂ€hnlichem Zustand in den Decken, mit denen wir den Sattel seines HedschĂźns ausgepolstert hatten.
Gegen Abend verlor die WĂŒste ihr bisheriges Aussehen. Ihre ebene FlĂ€che ging in leichte Wellen ĂŒber, die die trostlose, das Auge ermĂŒdende Einförmigkeit angenehm unterbrachen. In einer von zwei solchen Wellen gebildeten Bodensenkung machten wir Halt und die Vorbereitungen zum Lagern wurden getroffen. Da man bereits morgen gegen Mittag das Duar der Beni Lam erreichen wollte, brauchte mit dem Wasser nicht gespart zu werden. Noch waren wir mit dem TrĂ€nken der Tiere beschĂ€ftigt, da erscholl von der Stelle her, wo dem Blinden seine LagerstĂ€tte gerichtet worden war, ein schriller, lang gezogener Schrei, wie ihn nur ein Mensch in der höchsten Angst und Todesnot auszustoĂen vermag. Ich drĂŒckte die Kirbe1, aus der ich die nun mir gehörende HedschĂźnstute des Persers trĂ€nkte, dem nĂ€chstbesten Haddedihn in die HĂ€nde und eilte zum Blinden hin. Eben, als ich bei ihm angekommen war, sah ich auch Halef, Abd el Darak und den Basch NĂąsir erscheinen, die der Schrei ebenfalls angelockt hatte. Der MĂŒnedschi musste gerade, wĂ€hrend Hanneh und Kara Ben Halef mit dem Instandsetzen des Frauenzeltes beschĂ€ftigt waren und daher nicht auf ihn Acht geben konnten, zu sich gekommen sein, und mit dem Bewusstsein war auch die Erinnerung an die Treulosigkeit des GhĂąni zurĂŒckgekehrt. Er stand hoch aufgerichtet vor uns, in seinen eingefallenen ZĂŒgen lag ein lĂ€hmendes Entsetzen, wĂ€hrend die ausdruckslosen Augen ins Leere starrten. Dabei beschrieben seine HĂ€nde kreisĂ€hnliche Bewegungen, als suchten sie einen festen Halt. Wir umstanden ihn stumm und auch die Haddedihn und Beni Lam hielten in ihrer BeschĂ€ftigung inne und blickten schweigend zu uns herĂŒber. Man brauchte kein groĂer Menschenkenner zu sein, um das Unbeschreibliche zu ahnen, das jetzt in der Seele des armen Blinden vor sich ging. Er hatte unsere Schritte gehört und glaubte wohl, sie rĂŒhrten von seinem vermeintlichen WohltĂ€ter her, denn er streckte uns bittend die HĂ€nde entgegen und rief, nein, schrie förmlich:
âAbadilah! Abadilah!â
Dann beugte er Ă€ngstlich lauschend den Kopf vor, wie wenn er von irgendwoher eine Antwort erwarte. Als aber keine solche kam, erhob er seine Stimme zu noch gröĂerer StĂ€rke, und eine wahnsinnige Angst sprach aus ihr:
âAbadilah, ich beschwöre dich bei meiner Liebe, ich beschwöre dich bei Allahs Barmherzigkeit...â
âMĂŒnedschi, du bist nicht bei Abadilah, sondern bei den Haddedihn und Beni Lam, die deine Freunde sindâ, unterbrach ich ihn, denn ich hielt es an der Zeit, ihn zu beruhigen und ĂŒber den Irrtum aufzuklĂ€ren, in dem er befangen war.
Sobald der Blinde meine Stimme hörte, sanken seine HĂ€nde langsam nieder, ein Seufzer der Erleichterung hob seine Brust, dann brach er langsam in die Knie und schlug die HĂ€nde vor das Gesicht, wĂ€hrend ein krampfhaftes, lautloses Weinen seinen Körper erschĂŒtterte. Nach einigen Minuten nahm er die HĂ€nde von den Augen und richtete diese auf die Stelle, von der meine Worte gekommen waren.
âIch glaube aus deiner Stimme zu erkennen, dass du der Effendi aus dem Wadi Draa bist. Sag, bist du es wirklich?â
âJa, ich binâs.â
âDann bitte ich dich bei allem, was dir heilig ist, mir die Wahrheit zu sagen. Willst du?â
âIch willâ, gab ich in tiefer Bewegung zur Antwort.
âEffendi, du weiĂt, dass mein Geist manchmal nicht bei mir ist und dass ich dann Dinge erlebe, von denen ich hernach nicht immer weiĂ, ob sie Wirklichkeit oder nur Einbildung gewesen sind. So einen Traum â oder war es kein Traum? â habe ich eben gehabt. Sag, willst du mir wirklich die reine Wahrheit sagen ohne RĂŒcksicht auf das Leid, das deine Worte vielleicht in meinem Herzen hervorrufen werden?â
âIch gebe dir mein Wortâ, sagte ich einfach.
Der Blinde lieĂ sich in sitzende Stellung nieder. Dann richtete er seine blauen Augensterne starr ĂŒber uns hinweg in die Ferne und begann, wĂ€hrend in Pausen ein Zucken wie von einem geheimen inneren Schauer durch seinen Körper lief:
âIch hatte einen fĂŒrchterlichen Traum. Ich saĂ auf einem HedschĂźn und ritt an der Seite meines BeschĂŒtzers und mit der Leiche seines Sohnes auf einem dritten Kamel von euch fort, in die WĂŒste hinein. Wir waren ungefĂ€hr vier Stunden unterwegs, da hielt mein Begleiter plötzlich an und fragte mich, wen ich fĂŒr den Dieb des Kans el AâdhĂą halte. Ich antwortete der Wahrheit gemĂ€Ă: âDich halte ich fĂŒr den Dieb. Auch die Soldaten hast du mit gemordet. Aber ich bleibe trotzdem bei dir, denn du bist mein WohltĂ€ter, den ich nicht verlassen darf.â Mein BeschĂŒtzer brach in ein höhnisches Lachen aus, sagte aber kein Wort. Der Ritt ging wohl eine Stunde weiter. Dann wurde wieder angehalten. Mein BeschĂŒtzer befahl mir, abzusteigen und mich auf den Boden zu setzen. Und dann â dann kam das FĂŒrchterliche, das unbeschreiblich Entsetzliche. Ich fĂŒhlte plötzlich Stricke an den HĂ€nden und den FĂŒĂen. Und als ich, noch immer nicht das GrĂ€ssliche ahnend, Abadilah fragte, was er mit mir vorhabe, da stieĂ er ein kurzes, feindseliges GelĂ€chter aus â o Effendi, es war ein Lachen, wie ich es noch nie von ihm hörte, ein Lachen, so schneidend, dass es mir wie ein Dolch durch die Seele fuhr. Und dann sprach er, aber es war auch nur ein Satz, und seine Stimme klang wie die Stimme eines Scheitan aus der Hölle: âMĂŒnedschi, du bist ein MadschnĂ»n2, ein unsĂ€glich dummer MadschnĂ»n, fahre in die Dschehennem!â Und dann hörte ich nichts mehr als die Schritte der forteilenden Tiere, dann war alles still â still â still â ich war allein in der WĂŒste, allein mit meiner Verzweiflung, allein mit der Hölle im Herzen. Ich kann mich auf die Einzelheiten meines Traumes nicht mehr besinnen, ich weiĂ nur, dass ich wie ein Verzweifelter an den Stricken zerrte, ohne mich indes von ihnen frei machen zu können, bis ich aus Ermattung von dem aussichtslosen Beginnen ablieĂ. Aber das Schlimmste kam erst. Effendi, weiĂt du, was unser Glaube von den Qualen der Verdammten erzĂ€hlt? In der Dschehennem steht der schreckliche Baum SakkĂ»m, auf dessen Zweigen Teufelsköpfe wachsen. Die Verdammten mĂŒssen diese grĂ€sslichen FrĂŒchte essen, die dann ihre Eingeweide zerfleischen. Oh, ich weiĂ jetzt, wer diese Teufelsköpfe sind, denn ich habe sie alle, alle in meinen Eingeweiden verspĂŒrt. Es sind die verzweiflungsvollen Gedanken, die sich wie Schlangen in mein Inneres schlichen und ihre giftigen ZĂ€hne in meine Seele schlugen. Und unter ihnen war es ein Gedanke, der mich dem Wahnsinn nahe brachte, dass ich betrogen war von einem, nein, von dem Einzigen, dem ich meine von der Lieblosigkeit der Menschen fast leergebrannte Seele geschenkt hatte. Effendi, kannst du begreifen, was es heiĂt und welchen Höllenschmerz es verursacht, mit einem Schlag den Inhalt seines ganzen, wenn auch arm gewordenen Herzens zu verlieren? Kannst duâs begreifen, selbst wenn es nur ein Traum war? Kannst du es?â
Der Blinde hielt erschöpft inne und lehnte sich in die Decken zurĂŒck. Ich gab ihm auf seine letzte Frage keine Antwort, konnte ihm wohl auch keine geben. Wir waren alle tief bewegt.
Aus dem Innern des nahen Frauenzeltes lieĂ sich leises Weinen vernehmen, Halef zupfte und zerrte, was bei ihm stets ein Zeichen von RĂŒhrung war, an den acht SpinnenfĂ€den rechts und den neun links von seiner Nase, und Abd el Darak und Khutab Aga blickten in tiefer Teilnahme auf den ErzĂ€hler. Dieser richtete sich nun wieder aus den Decken auf und fragte mit vor Spannung bebender Stimme:
âEffendi, ich habe geglaubt, dass es ein Traum gewesen sei, zwar ein fĂŒrchterlicher, haarstrĂ€ubender, aber doch nur ein Traum. Effendi, ich bitte dich, ich beschwöre dich: Sag, dass es sich so verhĂ€lt, dass es wirklich nur ein Traum war, und ich werde dich noch in meiner Sterbestunde segnen.â
Was sollte ich tun? Den Blinden belĂŒgen und das Vertrauen tĂ€uschen, das er in meine Wahrhaftigkeit setzte? Ich hatte ihm mein Wort gegeben, das ich halten musste. Es hĂ€tte auch keinen Wert gehabt, ihm das Geschehene vorzuenthalten, es musste doch bald die Zeit kommen, da ein Verheimlichen nicht mehr möglich war.
Deshalb begann ich langsam und möglichst schonend:
âMĂŒnedschi, du glaubst an Allah und an Allahs Liebe, und darum wird das, was ich...â
Da unterbrach mich der Blinde ungeduldig:
âEffendi, mach nicht viele Worte, sondern sag mir kurz: Habe ich getrĂ€umt oder Wahres erlebt?â
Jetzt konnte ich nicht lĂ€nger mit der ganzen Wahrheit zurĂŒckhalten, sondern gab zur Antwort:
âDeine ErzĂ€hlung ist kein Traum, sondern Wahrheit gewesen.â
Da war es, als bemĂ€chtige eine eisige Erstarrung sich seiner. Seine HĂ€nde ballten sich zur Faust, dass sich die NĂ€gel beinahe ins Fleisch gruben, die Augen schauten glanzlos ins Leere, der Mund war weit geöffnet, es schien im MĂŒnedschi alles erstorben zu sein. Aber er war nicht tot, denn aus seinem Mund kamen, obgleich sich die Lippen kaum zu bewegen schienen, stoĂweise und abgerissen die Worte:
âMeine â â ErzĂ€hlung â â ist â â kein â â Traum â â sondern â â Wahrheit â â Wahrheit â â Wahrheit...â
Hierauf sank er mit einem erschĂŒtternden Klagelaut zurĂŒck, die Augen schlossen sich und seine im Krampf geballten Finger lösten sich. Aber nur fĂŒr einen Augenblick. Dann sprang er, wie von einer Sprungfeder geschnellt, mit beiden FĂŒĂen in die Höhe, ein Schrei, noch schriller und gellender als der erste nach dem Erwachen, und dann brĂŒllte er mit der vollen Kraft seiner Lunge:
âFort mit euch â fort mit euch allen â weit fort von mir â denn ich bin ein Verdammter â ein von Allah Gezeichneter â ich habe geglaubt an eine menschliche Liebe â es gibt keine Liebe â die Liebe ist eine LĂŒge â eine groĂe, groĂe LĂŒge â die gröĂte LĂŒge, die es gibt â o Allah â lass mich sterben â sterben!â
Bei den letzten Worten war die Stimme des MĂŒnedschi schwĂ€cher und immer schwĂ€cher geworden. Seine Knie gerieten ins Zittern, und er wĂ€re zusammengebrochen, wenn ich nicht rasch hingesprungen wĂ€re und ihn in meinen Armen aufgefangen hĂ€tte. Dann lieĂ ich ihn langsam auf sein Lager niedergleiten und untersuchte seinen Puls. Er ging, sehr schwach zwar, aber fĂŒhlbar. Was der arme, bedauernswerte Mann jetzt brauchte, war Ruhe, unbedingte Ruhe. Darum empfahl ich ihn der Obhut Kara Ben Halefs, der jetzt ebenfalls bei uns stand, und dann entfernten wir uns.
Als wir auĂer Hörweite des Blinden gekommen waren, blieb der Basch NĂąsir stehen und wandte sich tief aufatmend an mich:
âEffendi, war das nicht schrecklich? Wie leid tut mir der arme alte Mann! Wie muss seine Seele an dem GhĂąni gehangen haben, dass sie durch die EnthĂŒllung seines Unwerts in den tiefsten Abgrund der Verzweiflung gestĂŒrzt werden konnte! Wie gerne wĂŒrde ich ihm helfen, wenn ich könnte, um ihn die gröĂte EnttĂ€uschung seines Lebens durch Liebe und abermals durch Liebe vergessen zu machen. Aber ich bin selber noch so unerfahren in dieser Kunst, bin noch ein Neuling. Effendi, rede du mit ihm, beweise ihm...!â
âJetzt ist noch nicht die richtige Zeit dazu. Seine Seele ist noch zu wund und zerschlagen. Es gibt Lagen im menschlichen Leben, und der MĂŒnedschi befindet sich in einer solchen, wo der Schmerz die Seele bis in ihre tiefsten Tiefen zerwĂŒhlt und zerpflĂŒgt. Eine jede Einmischung, selbst wenn sie noch so gut gemeint wĂ€re, wĂŒrde als lĂ€stige Zudringlichkeit wirken.â
âAber könntest du nicht wenigstens...â, begann der Perser von Neuem, wurde aber von Halef unterbrochen:
âSo gib dich doch mit dem zufrieden, was mein Sihdi sagt! Ich weiĂ, was er meint. Die Seele des MĂŒnedschi gleicht jetzt einer leeren SĂąkĂźbe el Balah, einem Dattelsack, mit einem groĂen Loch unten. Stecke in diese SĂąkĂźbe so viele und so köstliche Datteln, wie du willst, sie fallen doch beim Loch wieder heraus. Lass dem Sihdi doch Zeit, dass er das Loch verstopfen kann! Er wird es, o Khutab Aga, darauf kannst du dich verlassen. DafĂŒr kenne ich ihn zu gut.â
Der kleine sonderbare Kerl hatte wirklich mit seinem drolligen Vergleich den Nagel auf den Kopf getroffen. Freilich traute er mir, wie stets, mehr zu, als ich versprechen zu können glaubte. Ich war augenblicklich selber im Unklaren, wie ich es anstellen sollte, das âLoch im Dattelsack zu verstopfenâ.
Jetzt wandte sich auch der Scheik der Beni Lam mit einer Frage an mich:
âEffendi, meinst du nicht, dass dem Blinden in seiner gegenwĂ€rtigen Erschöpfung der unbeschreibliche Aufruhr, der in seiner Seele tobt, schaden kann? Es tĂ€te mir wahrlich sehr leid, wenn er jetzt eine Beute des Todes wĂŒrde, nachdem er zweimal auf so wunderbare Weise gerettet wurde.â
âBeruhige dich, o Scheik! Gerade dass er zweimal dem Tode widerstanden hat, zeigt mir, dass sein Körper stark genug ist, um auch der heutigen Gefahr zu trotzen. Ich kann es dir nicht beweisen, aber eine innere Stimme sagt mir, dass wir den MĂŒnedschi gesund und heil nach Mekka bringen werden. Und meine Ahnungen haben mich selten betrogen.â
Unterdessen war die Nacht angebrochen. Wir verzehrten unser Abendessen, bestehend aus einem StĂŒck Hammelfleisch und einer Hand voll Datteln als Nachspeise. Dann stattete ich dem MĂŒnedschi einen kurzen Besuch ab; ich fand ihn im tiefen Schlaf der Erschöpfung. Nachdem ich das Nötige zu seiner Bequemlichkeit angeordnet hatte, suchte auch ich die Ruhe. Assil Ben Rih, den ich in der letzten Zeit etwas vernachlĂ€ssigt hatte, begrĂŒĂte mich mit einem freudigen Schnauben; ich flĂŒsterte ihm die gewohnte Sure ins Ohr und lag, den Hals des Pferdes als Kopfkissen benĂŒtzend, bald selber in den Armen des Traumgottes.
*
Ich erwachte von einem eigentĂŒmlichen GefĂŒhl, als streiche mir jemand mit der Hand liebkosend ĂŒber das Gesicht. Noch halb im Schlaf griff ich zu und bekam eine Hand zu fassen, die, wie ich erkannte, als ich mit den Augen die Dunkelheit zu durchdringen suchte, â dem MĂŒnedschi gehörte. Nach dem Stand der Sterne war es etwa eine Stunde vor Mitternacht. Wie hatte der Blinde den Weg zu mir gefunden, durch die Reihen der SchlĂ€fer hindurch? Der Greis lieĂ mir keine Zeit, darĂŒber nachzudenken, er hielt meine Hand fest und bat mich leise, nicht, wie ich so halb und halb erwartete, mit Ben NĂ»rs Stimme, sondern mit seiner eigenen, ihn auĂerhalb des Lagers zu fĂŒhren. Ohne ein Wort zu sagen, tat ich ihm seinen Willen und fĂŒhrte ihn so weit vom Lager fort, dass unsere Stimmen von dort aus nicht gehört werden konnten. Hier breitete ich meine Decke, die ich zu diesem Zweck mitgenommen hatte, auf dem Sand aus, dann lieĂen wir uns nieder, wobei aber der Blinde wieder meine Hand festhielt.
Lange sprach er kein Wort. Die Stille der Nacht wurde durch nichts als durch das rasche, deutlich vernehmbare Atmen des Blinden unterbrochen. Endlich fragte er und seine Stimme hatte einen eigentĂŒmlichen, Ă€ngstlich zitternden Klang, wie ich ihn noch nie bei ihm gehört hatte.
âEffendi, wie spĂ€t ist es jetzt an der Zeit?â
âIn einer Stunde wird es Mitternacht sein.â
Der MĂŒnedschi schwieg, als ob er sich den Inhalt meiner W...