Auf der See gefangen
(1878)
1. Beim âalten Knasterâ
Der Reiteroberst a. D. Prinz Otto Victor von Schönberg-Wildauen stand am geöffneten Fenster, gehĂŒllt in eine undurchdringliche Tabakswolke, die sich unter den krĂ€ftigen ZĂŒgen, welche er aus der langen hollĂ€ndischen Tonpfeife tat, immer vergröĂerte, sodass sie endlich das ganze Zimmer erfĂŒllte und das Erkennen der in demselben befindlichen GegenstĂ€nde wirklich und allen Ernstes erschwerte. Durch diese Rauchmasse, welche die liebste AtmosphĂ€re des alten, wackeren Degenknopfes war, ertönte zuweilen ein kurzes, grimmiges Knurren, dem bald ein anhaltendes, mehrmaliges RĂ€uspern und endlich ein lauter, zorniger Ruf folgte:
âHeinz!â
Es erschien niemand.
âHeeeeeeeeiiiiiiiinz!â
Kein Mensch wollte hören.
Der Prinz trat zur TĂŒr, ergriff den Klingelzug und schellte in einer Weise, als ob das ganze Schloss in Brand geraten sei. Da erhob sich drauĂen auf dem Korridor ein LĂ€rm, als sei ein ganzes Heer von Holzpantoffeln in Bewegung gesetzt worden, es stampfte und donnerte nĂ€her und unter dem geöffneten Eingang erschien ein Mann, dessen steifgewichste und rabenschwarze SchnurrbarthĂ€lften wie zwei unter der Nase befestigte Lanzenspitzen zu beiden Seiten des auĂerordentlich gutmĂŒtigen Gesichts hinausragten. Er hatte nur ein Bein, das andere wurde durch einen StelzfuĂ ersetzt, und in der Hand hielt er den derben Knotenstock, mit dessen Hilfe er sich das beschwerliche Gehen erleichterte. Es war der Leibdiener des Prinzen, Heinrich, von Letzterem aber kurzweg Heinz genannt. Beide hatten die Befreiungskriege mitgemacht und seit jener Zeit nicht wieder voneinander lassen können.
âHeinz!â
âWas denn, Dorchlaucht?â
âIch bin nicht Durchlaucht, sondern Offizier! WeiĂt du das?â
âZu Befehl, Herr Oberst!â, antwortete der Angedonnerte mit einem besorgten Seitenblick, der es aber nicht vermochte, den konsistenten Tabaksqualm zu durchdringen. Er wusste, dass sein Herr und Gebieter stets bei schlimmer Laune war, wenn er von dem Prinzen nichts wissen wollte und an dessen Stelle den Offizier herauskehrte.
âWo steckst du denn in aller Welt? Ich habe gerufen, dass mir die Lunge platzen möchte, du aber hörst es nicht! Wo bleibt denn die Jungfer Adeline wieder einmal mit dem Kaffee?â
âDie Krakehline, Dorchlaucht? Ich war soeben bei ihr und habe ihr ganz gehörig den Marsch geblasen. Die Sahne ist ihr wie gewöhnlich ĂŒbergelaufen; nun riechtâs auf Wildauen wie in einem Rinderstall und der gnĂ€dige Herr Oberst mĂŒssen auf den Kaffee warten. Soll ich ihr vielleicht eins mit dem Stock geben?â
âDas lass nur sein, denn du verdienst es selber! Wo sind die Pfeifen, die du mir zu stopfen hast?â
âSie liegen ja alle in Reih und Glied hier auf dem Tisch, Herr Oberst!â
âAch so!â, klang es etwas besĂ€nftigter. âDie Luft hier ist so dick und gesund, dass man die Pfeifen wahrhaftig fast nicht sehen kann. Steck mir eine neue an!â
Der Diener folgte dieser Aufforderung, nahm die ausgerauchte HollĂ€ndische in Empfang und reichte dem Prinzen dafĂŒr eine in Brand gesetzte entgegen.
âHeinz!â
âWas denn, Dorchlaucht?â
Der neue Tabak hatte einen so trefflichen Geruch und einen solchen Wohlgeschmack, dass der Unmut des Rauchers gleich bei den ersten ZĂŒgen zu schwinden begann, darum war er mit dem Titel, den er vorhin nicht hören wollte, jetzt vollstĂ€ndig einverstanden.
âWeiĂt du, was heute fĂŒr ein Tag ist?â
âWas denn fĂŒr einer, Dorchlaucht?â
âSinne einmal nach!â
âHm, Dorchlaucht, das Denken und Sinnen ist meiner Gesundheit niemals zutrĂ€glich gewesen; ich habe nicht die rechte Ăbung darin. In meinem ganzen Leben hat es nur eine einzige kurze Zeit gegeben, wo ich zuweilen nicht gewusst habe, wohin mit all den Gedanken, die ich mir machte; das Draufgehen und Dreinschlagen ist mir sonst immer lieber gewesen. Diese Gedanken hatte ich nĂ€mlich damals anno Vierzehn, als Sie mit mir in Frankreich standen. Wir lagen bei einer jungen Witfrau in Quartier, die ganz verteufelt hĂŒbsch war und ein Auge auf mich geworfen hatte. Ich habe von dem Weibsvolk niemals viel gehalten, und die Jungfer Krakehline ist die Schlimmste von allen, aber damals war ich doch nahe daran, den dummen Streich zu machen und mich zu verschamerieren. Denn eines schönen Tages stehe ich unter der TĂŒr und putze grad mein Lederzeug â der Herr Oberst waren damals noch Leutnant und eben auf Ordonnanz geritten â, da kommt sie die Treppe herunter und stellt sich mit einer Miene vor mich hin, dass...â
Er wurde unterbrochen. Es klopfte mit höflich auseinander klingenden SchlĂ€gen an die TĂŒr.
âHerrrrein!â, befahl der Prinz.
Der Eingang wurde vorsichtig geöffnet und unter demselben erschien eine weibliche Person, deren Leibesumfang ein so bedeutender war, dass es zu ihrem Einlass eigentlich einer ansehnlich breiteren TĂŒr bedurft hĂ€tte. Als es ihr glĂŒcklich gelungen war, sich hereinzudrĂ€ngen, rauschte sie, das wohlgeordnete Kaffeebrett in den fetten HĂ€nden, mit wehendem Morgenkleid und fliegenden HaubenbĂ€ndern auf den Prinzen zu.
âGuten Morgen, gnĂ€diger Herr! Ich erlaube mir, Eurer Durchlaucht den Kaffee zu servieren.â
âLass Sie nur Ihre âDurchlauchtâ beiseite; ich bin Offizier und da wird Sie wohl wissen, wie Sie mich zu nennen hatâ, entgegnete ihr der sich wieder auf seinen Zorn besinnende Gebieter. âSie steht nun fast zehn Jahre in meinem Dienst, aber an die gehörige Ordnung wird Sie sich wohl niemals gewöhnen können. Ich werde mir eine andere Wirtschafterin engagieren mĂŒssen! WeiĂ Sie, wann Sie den Kaffee zu bringen hat?â
âJa, Herr Oberst, um acht Uhr!â
âJa, Herr Schuster, und ja, Herr Schneider, aber meinetwegen auch ja, Herr Kesselflicker! Einem ehrenvoll verabschiedeten Kavallerie-Obersten gegenĂŒber gebraucht man dienstlichere AusdrĂŒcke; Sie aber wird sich so etwas im ganzen Leben nicht merken. Heinz, sage ihr, wie es heiĂt!â
âZu Befehl, Herr Oberst, um acht Uhr!â, donnerte es mit der tiefsten Bassstimme unter dem gewaltigen Schnurrbart hervor.
âHat Sie es verstanden, Jungfer?â
âZu Befehl, Herr Oberst!â
âSchön! Also warum kommt sie um volle fĂŒnf Minuten zu spĂ€t?â
âWeil mir der Heinz die Milch verschĂŒttet hat und ich deshalb andere aufsetzen musste.â
Der Diener stampfte um einige Schritte nÀher und warf der Sprecherin einen so vernichtenden Blick zu, wie er ihn nur fertigzubringen vermochte.
âDer Herr Oberst hören jetzt deutlich, dass sie schon wieder Krakehl anfangen will! Darum darf sie nicht Adeline, sondern Krakehline heiĂen. Sie hat dem BrieftrĂ€ger einen Brief abgenommen, den nicht sie, sondern ich zu ĂŒbergeben habe; ich kenne mein...