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Auf fremden Pfaden
ReiseerzÀhlungen, Band 23 der Gesammelten Werke
- 480 pages
- English
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About this book
Auf fremden Pfaden reist der ErzÀhler durch die ganze Welt: vom Rentierzelt in Lappland bis zu den Lagern der Kurden, von den Beduinendörfern der Sahara bis ins Gebiet der Amerikanischen Indianer. Treue Freunde, vor allem Winnetou und Hadschi Halef Omar, stehen ihm in den acht Geschichten zur Seite. Die vorliegenden ErzÀhlungen spielen in den 60er- und 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts.Der Band enthÀlt folgende ErzÀhlungen: 1.) Der Talisman 2.) Das Kafferngrab3.) Blutrache4.) Der Kutb5.) Der HÀndler von Serdescht6.) Maria oder Fatima7.) Der Flucher8.) Ein Blizzard
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Information

KARL MAYâs
GESAMMELTE WERKE
BAND 23
AUF FREMDEN PFADEN
REISEERZĂHLUNGEN
VON
KARL MAY
Herausgegeben von Roland Schmid
© 1952 Karl-May-Verlag
ISBN 978-3-7802-1523-9
KARL-MAY-VERLAG
BAMBERG âą RADEBEUL
Inhalt
DER TALISMAN
DAS KAFFERNGRAB
Im schwarzen Erdteil
Sikukuni
Bei den Boeren
Der Boer van het Roer
BLUTRACHE
In Basra
El LakĂźt
Um des Kindes willen
DER KUTB
In Kairo
KaĂŻruan, die heilige Stadt
DER HĂNDLER VON SERDESCHT
Der Armenier
Bei den Sebari-Kurden
MARIA ODER FATIMA
DER FLUCHER
Old Cursing-Dry
Im Lager der Pah-Utahs
Gericht
EIN BLIZZARD
DER TALISMAN
Ein eigentĂŒmliches, röchelndes Grunzen weckte mich aus dem Schlaf. Oder war es nur das Schnarchen eines meiner SchlafgefĂ€hrten gewesen? Es herrschte in der hermetisch verschlossenen WinterhĂŒtte eine Luft, die ganz zum Verzweifeln war. In dem engen Raum hatten acht Menschen und fĂŒnf Hunde Platz gefunden, aber man frage mich nur nicht, wie! Diese dreizehn Geschöpfe lagen mit ihren zweiundfĂŒnfzig Vorder- und Hinterbeinen so neben-, ĂŒber-, unter- und durcheinander, dass die Entschlingung so zahlreicher und verworrener GliedmaĂen eine absolute Unmöglichkeit zu sein schien.
In der Mitte der aus Rentierfellen erbauten ZelthĂŒtte kohlten die Ăberreste eines riesigen Feuers, dessen stechender Rauch eine einzige undurchdringliche Wolke bildete, da die Abzugsöffnung zugedeckt worden war. Ich lag mit dem Kopf auf der fischtranduftenden HĂŒfte der guten Mutter SnjĂ€ra, welcher Name zu deutsch âMausâ bedeutet; mein rechtes Bein steckte unter dem Leib des alten Onkel SĂ€tte, welches Wort mit âPfeilâ ĂŒbersetzt werden muss, und mein linker FuĂ diente einem der Hunde als Kopfkissen. Vater Pent, d. i. Benedikt, der Gesegnete, hatte sich meinen Pelzrock aufgeknöpft, um sein teures Haupt auf die Gegend meines Magens zu betten, sodass der Schwanz des Hundes, dem er selber als Matratze diente, mir lieblich krabbelnd um die Nase strich. Zu diesen unschĂ€tzbaren Bequemlichkeiten kam die Hitze, die sich innerhalb meiner luftdichten Fell- und Pelzbekleidung entwickelte, und der aromatisch-diabolische Duft einer dreizehnfachen Trans- und Respiration nebst der Lebhaftigkeit jener kleinen, ritterlichen Geschöpfe, die in solcher HundenĂ€he unvermeidlich sind und von denen der alte, lustige Fischart gesungen hat: âMich beizt neizwaz, waz mag daz seyn?â Zieht man dazu alle diatonischen und chromatischen HerzensergieĂungen in Betracht, deren schnarchendes Fortissimo das Zelt erfĂŒllte, so wird man es nicht unbegreiflich finden, dass ich mich fĂŒr einen Augenblick dem weichen Arm des Schlafs entwand.
Doch nein, es war kein Schnarchen gewesen, das mich aufweckte, denn ich vernahm jetzt, da ich munter war, jenes grunzende Röcheln zum zweiten Mal. Es ertönte drauĂen in einiger Entfernung von der HĂŒtte. Gleich darauf krachte ein Schuss und eine laute Stimme rief:
âAttje, tassne le tarfok â Vater, der BĂ€r ist da!â
Im Nu waren alle zweiundfĂŒnfzig ExtremitĂ€ten in schleunigster Bewegung und jene scheinbar unmögliche Entwirrung hatte sich in zwei Sekunden glĂŒcklich vollzogen. Die acht Menschen schrien und brĂŒllten; die fĂŒnf Hunde bellten und heulten; das Feuer wurde vollends zertreten, wĂ€hrend ein jeder nach seinen Waffen suchte und diejenigen eines anderen erwischte. Und doch befanden wir uns nach kaum einer Minute vor der HĂŒtte und eilten nach der Gegend, in der noch immer Neete[1], der Sohn des alten Pent, um Hilfe rief. Er hatte mit Kakke Keira[2] die Wache, kam uns in höchster Aufregung entgegengesprungen und schrie aus LeibeskrĂ€ften:
âTarfok, tarfok le mesam â der BĂ€r, der BĂ€r hat mein Rentierkalb!â
âWo ist er?â, fragte der Alte.
âTuos, tuos, kwouto pluewai â dort, dort, auf dem Sumpf!â
âNehmt eure Skiâ, kommandierte Vater Pent, âeure Flinten, Messer und SpieĂe. Nehmt auch Stricke mit. Wir eilen ihm nach!â
Die Schneeschuhe lehnten alle am Zelt. Wir legten sie an und fort ging es, dem Sumpf zu, der sich in geringer Entfernung von der Lappenwohnung in die Ebene zog. Kakke Keira blieb bei der Frau und den drei Töchtern zurĂŒck. Wir anderen zĂ€hlten fĂŒnf Personen: Pent, Onkel SĂ€tte, Neete ich und ein zweiter Knecht, der Anda, d. i. Andreas, hieĂ.
Es war vielleicht eine Stunde nach Mitternacht, aber wir konnten dennoch recht gut sehen, denn am Himmel stand ein Nordlicht, wie ich es in dieser Pracht und Herrlichkeit noch niemals beobachtet hatte. Es war nicht jenes sich leise ausbreitende und wieder zusammenfallende, milde Farbenspiel, auch nicht jene groĂ und ruhig am Firmament stehende Erscheinung, sondern es war ein ununterbrochenes, gewaltiges Emporschleudern strahlender FarbenbĂŒschel, die in die Unendlichkeit hinauszusprĂŒhen schienen, ein Wirbeln von tausend hintereinander mit immer gröĂeren Radien sich drehenden FeuerrĂ€dern, ein ununterbrochenes KĂ€mpfen, Ringen, Jagen und Haschen von allen möglichen Gluten, Lichtern, Farben und Nuancen, ein Schauspiel, das wahrhaft ĂŒberwĂ€ltigend auf mich gewirkt hĂ€tte, wenn nicht der JĂ€ger in mir erwacht wĂ€re.
Die Spur des BĂ€ren war in dem tiefen Schnee ganz deutlich zu erkennen, und nach kurzer Zeit sahen wir ihn selbst als dunklen, sich rasch fortbewegenden Punkt auf der weiĂen FlĂ€che des Sumpfes erscheinen. Es musste ein gewaltiges Tier sein, da es im Stande war, bei einem so raschen Lauf das Rentierkalb mit sich fortzuschleppen.
Dennoch brauchten wir uns vor ihm nicht zu fĂŒrchten. Der lapplĂ€ndische BĂ€r ist noch weniger gefĂŒrchtet als der Wolf; er besitzt nicht im Entferntesten die Furchtbarkeit, die z. B. den nordamerikanischen Grizzly so gefĂ€hrlich macht, und wagt sich nur dann an den Menschen, wenn ihn die Notwehr dazu treibt. Die Lappen waren alle sehr gewandte SchneeschuhlĂ€ufer. Wir flogen mit der Schnelligkeit eines Eilzugs ĂŒber die FlĂ€che dahin, aber dies schien dem alten Pent noch immer nicht genug zu sein.
âSchnellerâ, rief er, âsonst erreicht er den HĂŒgel und versteckt sich hinter den Felsen, wo wir ihm nur schwer folgen können!â
Wir griffen weiter aus, aber es war, als habe der BĂ€r die Worte des AnfĂŒhrers vernommen. Er bog plötzlich nach links ab. Das Tier musste seine Verfolger bemerkt haben und trottete nun dem HĂŒgel zu, der den VorlĂ€ufer des FjĂ€lls bildete, der mit seinem vom Schnee bedachten Tannendunkel auf das Sumpfland niederblickte. Wir suchten dem FlĂŒchtling den Weg abzuschneiden, aber es gelang uns nicht; er war aus unserem Auge entschwunden, noch ehe wir den HĂŒgel erreichten.
âHier ist die Spurâ, meinte Onkel SĂ€tte, âsie fĂŒhrt gerade an den bösesten Stellen empor. Legt die Ski ab! Sie taugen hier nichts mehr.â
Wir hĂ€ngten die Schneeschuhe ĂŒber und stiegen die steile Lehne in die Höhe. Der Schnee lag mehrere FuĂ tief, was den Aufstieg sehr beschwerlich machte. Wir gaben uns alle mögliche MĂŒhe, sodass wir unter unserer schweren Kleidung in SchweiĂ gerieten, kamen aber doch nur langsam vorwĂ€rts. Endlich erreichten wir ...
Table of contents
- Cover
- Titel
- BLUTRACHE
- DER KUTB
- DER HĂNDLER VON SERDESCHT
- MARIA ODER FATIMA
- DER FLUCHER
- EIN BLIZZARD