Der Peitschenmüller
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Der Peitschenmüller

Roman, Band 66 der Gesammelten Werke

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Der Peitschenmüller

Roman, Band 66 der Gesammelten Werke

About this book

Dies ist der erste von fünf Bänden, die in den bayrischen Bergen spielen und in denen neben dem urwüchsig-kauzigen Wurzelsepp der Märchenkönig Ludwig II. auftritt. Geschichten von Liebe und Hass, Jagd auf einen Wilderer, Rettung aus Bergnot sind nur einige der vielen spannenden Themen.Die vorliegende Erzählung spielt in den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts. Bearbeitung aus dem 1886/1887 geschriebenen Kolportageroman "Der Weg zum Glück". Fortsetzung in Band 67 "Der Silberbauer". Weitere Episoden aus "Der Weg zum Glück": Band 68 "Der Wurzelsepp"Band 73 "Der Habicht"Band 78 "Das Rätsel von Miramare"

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Information

Year
2011
eBook ISBN
9783780215666

Die Talmühle

Der Herbst war ins Land gegangen, der Winter folgte ihm, der Frühling fand seinen Weg über die hohe Mauer der Alpen. Laue Lüfte begannen zu wehen, die Knospen an Baum und Strauch brachen auf und an vielen Fruchtbäumen entfalteten sich schon Blüten. Nur der Tannenwald, der den Berg bedeckte, schien den Gruß des Frühlings noch nicht empfangen zu haben. Finster zog er sich empor, um jenseits steil wieder abzusteigen; nur wenige grüne Spitzen verkündeten den Einzug des Mai. Durch den Wald und über die Höhe hinweg zog sich ein breiter Pfad, reich mit abgefallenen Tannennadeln bedeckt und teppichweich, wo nicht die Baumwurzeln die Oberfläche berührten. Er war nur für Fußgänger angelegt, doch zeigten veraltete Radspuren, dass hier auch wohl Holzfuhren gefahren worden waren.
Diesen Weg hinan stieg gemächlich und oft verschnaufend die ,Dichterin‘ Franza von Stauffen.
Ihre oft so merkwürdige Kleidung bedeckte ein grauer Staubmantel bis zu den derben Bergschuhen. Dennoch gab es an ihr Auffälliges genug: der große, breitkrempige Amazonenhut mit einer riesigen Feder, die hinten bis auf die Schulter herabhing, die Gänsefeder hinter ihrem Ohr, deren schwarze, nasse Spitze verriet, dass sie vor Kurzem damit geschrieben hatte, und der Regenschirm, an dessen Griff ein silbernes Tintenfass angebracht war. Unter dem Arm trug sie ein Buch und auf dem Rücken eine zusammengerollte Reisedecke, aus der seitwärts das Eckchen einer Semmelzeile und das Ende einer Wurst neugierig herausguckten.
Langsam, sehr langsam ging es bergauf. Franza suchte mit den Augen nach rechts und nach links – nicht nach Pflanzen, sondern sie hoffte auf irgendeinen Menschen zu treffen.
Dieser Wunsch sollte eher, als sie gedacht, in Erfüllung gehen. Aus einem schmalen Seitenweg trat ein Männchen von schmaler Gestalt, aber außerordentlicher Beweglichkeit. Es trug schwarze Hosen, schwarzen Frack, schwarze Weste, schwarzen, sehr breitkrempigen Künstlerhut, schwarze Glanzhandschuhe, einen schwarzseidenen Regenschirm und einen Spazierstock aus Ebenholz. Auf der langen Nase saß ein Klemmer, in schwarzes Horn gefasst. Schwarze lacklederne Stiefel und ein großer, wertvoller Diamant auf der Schleife seiner Halsbinde ergänzten den seltsamen Eindruck dieser Erscheinung.
„Guten Morgen, mein Herr!“, grüßte Franza erfreut und blieb stehen.
„Buona mattina, Signora“, antwortete er.
„Es steigt sich sehr langsam“, seufzte sie tief aufatmend.
„Sehr! Largo, largo assai, molto largo!“
„Sind Sie hier bekannt?“
„Bekannt? Oh, ich sein bekannt! Ich kennen jeder Weg und jeder Baum.“
„Hat man noch weit in die Talmühle?“
„In die Talmühle? Gar nix weit, gar nix. Noch ein halber Stund.“
„Und immer diesen Weg?“
„Sempre. Ich wohnen dort.“
„Ah, das ist schön! Wie wohnt es sich dort?“
„Eccellente, egregio, perfetto – sehr, sehr!“
„Ich wohne auch dort.“
„Auch? Hab nix gehabt die Ehr zu sehn, Signora.“
„Ich ziehe erst jetzt ein. Mein Vater ist schon voraus zur Mühle.“
„Ah, vielleicht Signor Stauffen... habe gehabt die Ehre.“
„Mein Name ist Franza von Stauffen; ich bin Dichterin“, stellte sie sich in ihrer halb ernsthaften, halb selbstverspottenden Weise vor.
„Dichterin? Eine Poetessa? Eine Verseggiatora? Sehr schön, sehr schön! Vortrefflich“, rief das Männchen lebhaft. „Sie gestatten: Signor Rialti, Konzertmeister.“
Dabei nahm er den Regenschirm wie eine Violine an das Kinn und strich mit dem Spazierstock wie mit dem Violinbogen darüber hin.
„Sehr angenehm, Signor! Wir sind also geistesverwandt“, scherzte Franza. „Es lebe die Kunst! – Gehn Sie zur Mühle?“
„Si, si, Signorina!“
„So darf ich mich Ihnen wohl anschließen?“
„Molto gern, Signora. Ich sein ganz froh, zu haben Ihrer Gesellschaft!“
Er fuhr dabei mit dem Stock über den Regenschirm, als ob er einen lustigen Läufer geige, und schloss daran einen Triller, bei dem alle Finger der linken Hand zappelten.
Im Weitergehen beobachteten die beiden einander mit verstohlenen Seitenblicken, bis sie auf der Höhe ankamen, wo der Weg sich wieder abwärts senkte; an dieser Stelle war ein ,Marterl‘ an einem Baum befestigt.
In vielen, besonders in katholischen Gegenden ist es Sitte, an Gräbern und an Stellen, wo jemand verunglückt ist, ein langes, schmales Brett oder eine überdachte Tafel mit Heiligenbildern oder Christusgestalten anzubringen, auf dem die näheren Umstände des jähen Ereignisses, oft in volkstümlich-drastischer Form, angegeben sind.
Auf dem Brett dieses Marterls lag in grober bildlicher Darstellung ein Baum auf einem Menschen und darunter stand:
„Beglückt und ohne Sorgen
ging ich am frühen Morgen
auf meine Arbeit aus.
Da traf mich eine Eiche,
und ach, als eine Leiche
kam abends ich betrübt nach Haus.“
Die beiden Wanderer blieben stehen und lasen die eigentümlichen Reime.
„Wie gefällt Ihnen das Gedicht?“, fragte Franza ernst; sobald es ihr Steckenpferd, die Dichtkunst betraf, wurde sie selbst bei dem blühendsten Unsinn feierlich.
„Gut, sehr gut, sehr!“, zappelte Rialti.
„Ja. Der Dichter hat seine Sache gut gemacht“, kritisierte Franza. „Glück und Sorgen, eine Eiche, eine Leiche, der Morgen und auch der Abend: Das ist genug für diese wenigen Zeilen. Der Dichter hat einen beneidenswerten Gedankenreichtum besessen. Er ist im Wald zu Haus; das hört man gleich. Der Wald begeistert zur Poesie. Hören Sie, was ich eben auf uns beide dichte!“
Sie schlug ihr Buch auf, zog die Feder hinter dem Ohr hervor, tauchte sie in den Regenschirmknopf, schrieb einige Zeilen und las dann vor:
„Im Wald gehn wir spazieren
und tun uns amüsieren,
ein Herrchen tut mich führen;
zu zwe...

Table of contents

  1. Cover
  2. Title
  3. Inhalt
  4. Der Wilderer und der König
  5. Bergnot
  6. Der Weg zum Glück
  7. Die Talmühle
  8. Das Grab der Zigeunerin
  9. Die Schatzgräber
  10. König Ludwig und sein Schützling
  11. Geisterstunde
  12. Das Bild der Mutter
  13. Ein Konzert mit Überraschungen
  14. Ein schurkischer Anschlag