Der goldene Spiegel
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Der goldene Spiegel

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Der goldene Spiegel

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"Der goldene Spiegel" ist ein Roman mit mehreren Handlungsebenen und im Wesentlichen ein Gespräch dreier Personen. Die verbindenden Elemente sind die Betrachtung von Monarchie als Regierungsform und ein Bezug zur Aufklärung.

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Information

Year
2012
eBook ISBN
9783849639907
Subtopic
Clásicos

Die kleine Ergetzlichkeit, welche sich Schach-Gebal mit dem Odalisken seiner Favoritin zu machen geruhet hatte, leistete mehr als er davon erwartete. Anstatt ihn einzuschläfern, gelang es einer von diesen jungen Nymphen, seine schlafsüchtige Einbildungskraft zu erwecken, und ihm eine Art von einem Mittelding zwischen Leidenschaft und Geschmack einzuflößen, wovon Anfang, Mittel und Ende, nach der Berechnung des Philosophen Danischmend, drei Tage, einundzwanzig Stunden und sechzehn Minuten dauerte.
Wenn die kürzesten Narrheiten die besten sind, so muß man zur Ehre dieses Sultans sagen, daß er in diesem Stücke nicht unwürdig war, ein Muster aller Herren seines Standes, welche nicht selbst Muster sind, zu sein. Doch, um seiner Weisheit nicht zu viel zu schmeicheln, – die Wahrheit von der Sache war, daß die kleine Sängerin weder genug Geist, noch der Sultan Begierden genug hatte, seinem Geschmack für sie eine längere Dauer zu geben. Er fand sich also nach wenigen Tagen geneigt, die Versammlungen seiner kleinen Akademie, welche durch diese Abwechselung von Zeitvertreib unterbrochen worden waren, wieder zu erneuern; und die Erzählung der Geschichte des Königs Azor wurde, auf seinen Befehl, von der gefälligen Nurmahal folgender Maßen fortgesetzt.
»Wenn der Sultan Azor eine Handlung von echter königlicher Großmut zu tun glaubte, indem er seinen Feinden gerade in dem Augenblicke, wo sich das Glück für seine Waffen zu entscheiden anfing, nicht nur Friede, sondern noch eine von seinen besten Provinzen dazu schenkte: so kann man doch nicht in Abrede sein, daß die Begierde, seiner geliebten Alabanda (einer Eroberung, die ihn für den Verlust von zwanzig Provinzen schadlos gehalten hätte) desto ungestörter zu genießen, die wahre wiewohl geheime Triebfeder seiner Großmut war. Wenigstens bewies der Gebrauch, den man von einem so teuer erkauften Frieden machte, daß die Vorteile seines Volkes schwerlich dabei in Betrachtung gezogen worden waren. Denn man dachte weder daran, das Reich auf künftige Fälle in bessere Verfassung zu setzen, noch die Provinzen wieder herzustellen, die durch den Krieg entvölkert und verwüstet worden waren. Azor teilte die Geschäfte der Regierung unter einige Geschöpfe der schönen Alabanda, welche ihn beredeten, daß er selbst regiere, indem er von dieser Zaubrerin und ihren Mitschuldigen unumschränkt regiert wurde. Prächtige Feste und immer abwechselnde Lustbarkeiten, über deren Erfindung sich alle witzige Köpfe von Scheschian elendiglich erschöpften, verschlangen unermeßliche Summen, wovon der zehente Teil hinlänglich gewesen wäre, die zerstörten Städte wieder aufzubauen, und jedes traurige Denkmal der Verwüstung in den Gegenden, welche der Schauplatz des Krieges gewesen waren, auszulöschen. Zehen tausend in die äußerste Not herunter gebrachte Familien hätten durch die Unkosten einer einzigen Geburtsfeier wieder glücklich gemacht, und in eine dem gemeinen Wesen nützliche Tätigkeit gesetzt werden können: aber weil sich niemand fand, der dem Sultan einen solchen Vorschlag getan hätte, – weil die schöne Alabanda weit über die Schwachheit erhaben war, irgend einen neuen Triumph ihrer grenzenlosen Eitelkeit dem Mitleiden oder der Wollust Gutes zu tun aufzuopfern; wie hätte Azor, bei aller seiner natürlichen Gutherzigkeit, auf einen solchen Gedanken verfallen sollen? – Er, der keinen Begriff von dem innern Zustande seines Reiches, keine Fertigkeit über irgend etwas als über die unmittelbaren Gegenstände seines Vergnügens zu denken, und am allerwenigsten den mindesten anschauenden Begriff von dem Elend hatte, welchem abzuhelfen sein großer Beruf war! Er hätte in einer unkennbaren Verkleidung, allein, oder nur von einem oder zwei rechtschaffenen Männern begleitet, sich von den prächtigen Straßen, die zu seinen Lustschlössern führten, entfernen, und in die entlegneren Teile seines Reichs, in die Hütten der Landleute oder unter die Trümmern kleiner Städte, deren blühender Stand in mutloses Elend verwandelt war, sich hinein wagen müssen, um die Unglücklichen kennen zu lernen, die nach seiner Hülfe seufzeten. Wie unendlich viel Gutes würde eine einzige solche Reise seinen Völkern getan haben! Aber« – –
»Mirza«, sagte Schach-Gebal in einem plötzlichen Anstoß von empfindsamer Laune zu seinem Günstlinge, »vergiß nicht, dich morgen früh mit Pferden für mich, dich selbst und Danischmenden an der westlichen Pforte des Gartens bereit zu halten. Wir müssen eine solche Lustreise mit einander machen. Aber mit euerm Leben sollt ihr mir alle drei für das Geheimnis stehen! – Weiter, Nurmahal!«
»Sire, der gute Sultan Azor ließ sich nichts von einer solchen Lustreise träumen, wie diejenige, wozu Ihre Majestät Sich mit einem so rühmlichen Feuer entschlossen haben. Wenn er reisete, so geschah es in Begleitung seines ganzen Hofstaats, und mit einem Pomp, der das Bild des triumphierenden Heerzuges eines Weltbezwingers darstellte. Der Aufwand einer einzigen solchen Reise verzehrte die jährlichen Einkünfte einer ganzen Provinz: und da eine verderbliche alte Gewohnheit18 die Landleute nötigte, die Kamele, Pferde und Wagen unentgeldlich herzugeben, welche das Gepäcke des Königs und seines Gefolges fortzuschaffen erfodert wurden; so tat dieser einzige Umstand den Gegenden, durch welche der Zug ging, einen beinahe eben so empfindlichen Schaden als ein feindlicher Überfall. Im übrigen vergaßen die immer wachsamen Günstlinge des Sultans und seiner Gebieterin nicht, dafür zu sorgen, daß die königlichen Augen nirgends durch den Anblick des Mangels, der Nacktheit und des Elends beleidiget werden möchten. Die Mirzas, durch deren Gebiete die Reise ging, stellten, um sich dem Hofe gefällig zu machen, lange zuvor Zurüstungen an, ihren Oberherrn auf eine glänzende Art zu empfangen, oder ihn im Vorübergehen mit dem Anblick ländlicher Feste und Szenen von Fröhlichkeit zu ergetzen, welche dem guten Fürsten die betrügliche Freude machten, die geringsten seiner Untertanen für glücklich zu halten.«
»Bald fange ich an Mitleiden mit euerm Azor zu haben«, sagte Schach-Gebal. »Ein König muß ein Gott sein, oder er muß betrogen werden, wenn alle seine Leute die Abrede mit einander genommen haben, ihn zu betrügen
»Bei allem diesem«, fuhr Nurmahal fort, »hatte Scheschian, im ganzen betrachtet, mehr als jemals das Ansehen eines in seiner vollen Blüte stehenden Reiches. Die Natur hatte seine meisten Provinzen mit ihren reichsten Gaben überschüttet. Fleiß und Handlung belebte die größern Städte, und die Künste stiegen zum Gipfel der Vollkommenheit hinan. Alabanda trat nicht bloß in die Fußstapfen der schönen Lili; sie war zu stolz eine bloße Nachahmerin zu sein, sie wollte die Ehre haben zu erschaffen.
Da sie gewohnt war den Sultan auf die Jagd zu begleiten, so geschah es einsmals, daß sie sich mit ihm in eine von diesen wilden Gegenden verirrte, welche die Natur so gänzlich verwahrloset hat, daß nichts als der magische Stab einer Fee mächtig genug scheint, sie zur Schönheit umzubilden. ›Welch eine Gegend‹, rief Alabanda mit einer Art von Entzücken aus, ›um einen Gedanken darin auszuführen, der die Regierung meines Sultans auf ewig glänzend und unnachahmlich machen würde! Welch eine Gegend, um sie zu einem Sitze der Liebesgötter, zu einem Inbegriff aller Bezauberungen der Sinne und der Einbildung umzuschaffen!‹ – Azor sah die Zaubrerin Alabanda mit Erstaunen an: aber er war selbst zu sehr ein Freund des Wunderbaren; und wenn er es auch weniger gewesen wäre, so liebte er die schöne Alabanda viel zu zärtlich, um ihre angenehmen Gedanken durch Einwürfe zu unterbrechen. Er überließ ihr also die Ausführung eines Einfalls, der an Ausschweifung vielleicht niemals seines gleichen gehabt hat. In wenigen Tagen war sie mit ihrem Entwurfe fertig, und itzt wurden Millionen Hände aufgeboten ihn auszuführen. Seit den Zeiten der stolzen Könige von Ninive und Memphis hatte man kein ähnliches Werk unternehmen gesehen. Doch was waren die ägyptischen Pyramiden, oder die Mauern des alten Babylon gegen die Schöpfung der Göttin Alabanda? Gebirge wurden geebnet; unersteigliche Felsen hier gesprengt, dort zu Palästen, kleinen Tempeln, Grotten und reizenden Einsiedeleien, oder zu großen stufenweise sich erhebenden Terrassen ausgehauen, und in Gärten, Alleen, Blumenstücke und Lustwäldchen verwandelt. Entlegene Flüsse wurden in diese aus dem Nichts hervorgehende Zauberwelt geleitet, und durch erstaunliche Wasserkünste gezwungen, die Gärten und Haine, welche Alabanda in die Luft gepflanzt hatte, mit springenden Brunnen und Wasserfällen, unter tausendfachen Gestalten und Verwandlungen, zu beleben. Mitten unter allen diesen mannigfaltigen Schöpfungen erhob sich ein wahrer Feenpalast; Marmor, Jaspis und Porphyr waren die geringsten Materien, woraus er zusammen gesetzt war; und alle Manufakturen von Indien, Sina und Japan wurden zu seiner Ausschmückung erschöpft. Die Gärten, die ihn umgaben, prangten mit den schönsten Gewächsen des ganzen Erdbodens, welche mit so guter Ordnung ausgeteilt waren, daß man mit jeder höhern Terrasse, die man bestieg, sich in ein anderes Klima versetzt glaubte. Die schönsten und seltensten Vögel aller Weltteile bewohnten diesen wundervollen Ort, den sie mit ihren mannigfaltigen Stimmen und mit natürlichen oder gelernten Gesängen belebten. Und in der Mitte einer unzähligen Menge kleiner Lustwälder, über welche dieses Zauberschloß herrschte, beherbergte ein künstlicher Ozean alle Arten von Wassergeschöpfen; ein großer See, dessen über Marmor rollende Wellen man oft mit einer Flotte von kleinen vergoldeten Schiffen bedeckt sah, welche an Zierlichkeit und schimmernder Ausschmückung dasjenige zurück ließen, worin Kleopatra den Herrn der einen Hälfte der Welt zum ersten Male bezauberte. Die Beschreibung, welche Alabanda von den Wundern dieses nach ihrem Namen genannten Ortes verfertigen ließ, machte etliche große Bände aus, und die billigste Berechnung alles dessen, was diese Wunder gekostet hatten, überstieg zweimal die jährlichen Einkünfte des ganzen scheschianischen Reiches; welches in der Tat eine ungeheure Summe war. Unzählige Fremde wurden durch die Neugier herbei gezogen, sie zu sehen; aber der Vorteil, den das Land von ihnen zog, war nur ein geringer Ersatz des vielfältigen Schadens, den es durch die A...

Table of contents

  1. Christoph Martin Wieland – Biografie und Bibliografie
  2. Der goldne Spiegel oder Die Könige von Scheschian
  3. Erster Teil
  4. Zweiter Teil